Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 03.11.2011, Az. IX ZR 46/11

IX. Zivilsenat | REWIS RS 2011, 1743

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Entscheidungstext


Formatierung

Dieses Urteil liegt noch nicht ordentlich formatiert vor. Bitte nutzen Sie das PDF für eine ordentliche Formatierung.

PDF anzeigen


BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL
IX ZR 46/11
Verkündet am:

3. November 2011

Preuß

Justizangestellte

als Urkundsbeamtin
in dem Rechtsstreit

-
2
-
Der IX.
Zivilsenat des [X.] hat auf die mündliche Verhandlung vom
3. November 2011
durch [X.] Prof. Dr. Kayser,
[X.] Dr. Gehrlein und [X.], die Richterin [X.] und den Richter Dr.
Fischer

für Recht erkannt:

Die Revision gegen das Urteil der 1. Zivilkammer des [X.] vom 3.
März 2011 wird auf Kosten des [X.] zu-rückgewiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Über das Vermögen des [X.]n wurde mit Beschluss des Insolvenz-gerichts vom 4.
Juni 2007 das Verbraucherinsolvenzverfahren eröffnet und der klagende Rechtsanwalt zum Treuhänder bestellt. Der [X.] ist verheiratet
und lebt mit seiner Ehefrau in häuslicher Gemeinschaft. Beide
Eheleute sind als Angestellte beschäftigt. Der [X.] erbringt an seine Ehefrau
keine [X.]. Über das Vermögen der Ehefrau wurde mit Beschluss des [X.] vom 6.
Juli 2007 gleichfalls das Verbraucherinsolvenzverfahren eröffnet und der Kläger zum Treuhänder
bestellt.
Da
der [X.] bei seinem Arbeitgeber eine Unterhaltsverpflichtung angegeben hatte, wurde
bei der Be-rechnung der pfändbaren Beträge seines Arbeitseinkommens für die Monate Juli und August 2007 eine unterhaltsberechtigte Person berücksichtigt, was zur Erhöhung der Pfändungsfreigrenze führte. Seit September 2007 erhält der [X.]
-
3
-
ger den vollen pfändbaren Betrag ohne Berücksichtigung von Unterhaltspflich-ten
zur Masse. Zwischenzeitlich hat er einen Beschluss gemäß §
850c Abs.
4 ZPO beim Insolvenzgericht erwirkt. Danach ist die Ehefrau des [X.]n nicht als unterhaltsberechtigte Person zu berücksichtigen.

Der Kläger nimmt den [X.]n auf Zahlung des nicht abgeführten [X.] in Höhe von 596,70

Klage abgewiesen. Die hiergegen gerichtete Berufung des [X.] ist ohne [X.] geblieben. Mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Zahlungsanspruch weiter.

Entscheidungsgründe:

Die Revision des [X.] hat keinen
Erfolg.

I.

Das Berufungsgericht hat ausgeführt, dem Kläger stehe gegen den Be-klagten ein
allein in Betracht kommender
Bereicherungsanspruch nicht zu. Im Rahmen der Bestimmung des §
850c ZPO sei jede Person zu berücksichtigen, die
gesetzlich unterhaltsberechtigt sei. Es komme nicht darauf an, ob diese Person über eigene Einkünfte verfüge. Dies folge aus §
850c Abs.
4 ZPO, wo-nach auf Antrag des Gläubigers das Vollstreckungsgericht nach billigem Er-messen bestimmen könne, ob eine Person bei der Berechnung des unpfändba-ren Teils des Arbeitseinkommens ganz oder teilweise unberücksichtigt bleibe. Die Regelung des §
850c Abs.
4 ZPO sei vorrangig. Gegenstand der Abtretung 2
3
4
-
4
-
nach §
287 Abs.
2 [X.]
sei der sich nach §
850c ZPO ergebende pfändbare Teil des Arbeitseinkommens des Schuldners. Solange das [X.] gemäß §
850c Abs.
4 ZPO keine anderweitige Bestimmung getroffen ha-be, dürfe der Schuldner endgültig das behalten, was ihm der Arbeitgeber als unpfändbaren Teil seines Arbeitseinkommens auskehre.

II.

Diese Ausführungen halten rechtlicher Prüfung im Ergebnis stand.

1. Gegen die Annahme eines Rechtsschutzbedürfnisses für die vorlie-gende Klage, mit welcher
der Kläger als Treuhänder im Verbraucherinsolvenz-verfahren einen gesonderten Zahlungstitel gegen den Schuldner begehrt, be-stehen Bedenken. Der Sache nach soll der Schuldner Geld erhalten haben, das zur Masse gehört (§
35 Abs.
1 [X.]). Nach §
148 Abs.
1 [X.] ist es Pflicht
des Insolvenzverwalters, nach Eröffnung des Verfahrens das gesamte zur [X.] gehörende Vermögen in Besitz und Verwaltung zu nehmen. Soweit der Schuldner seinen hierauf bezogenen Mitwirkungspflichten nicht nachkommt, bildet gemäß §
148 Abs.
2 Satz
1 [X.] die vollstreckbare Ausfertigung des [X.] zugleich einen Herausgabetitel im Sinne des §
794 Abs.
1 Nr.
3 ZPO gegen den Schuldner
(vgl. [X.], Beschluss vom 16.
Oktober 2008 -
IX
ZB 77/08, [X.] 2009, 74 Rn.
18).
Für eine zusätzliche Zwangsvollstreckung durch den Insolvenzverwalter oder Treuhänder aufgrund eines Zahlungstitels ist danach grundsätzlich kein Raum.

2. Unabhängig hiervon gebühren die streitgegenständlichen Beträge nicht der Masse.
In die Insolvenzmasse fällt nach §
35 Abs.
1 [X.] das gesam-5
6
7
-
5
-
te Vermögen des Schuldners, das ihm zur [X.] der Eröffnung des [X.] gehört und das er während
des Verfahrens erlangt. Nicht zur [X.] gehören gemäß §
36 Abs.
1 [X.] die Gegenstände, die nicht der Zwangsvollstreckung unterliegen ([X.], Urteil vom 24.
März 2011 -
IX
ZR 180/10, [X.] 2011, 215 Rn.
21). Hierunter fallen insbesondere unpfändbare [X.] (Hk-[X.]/[X.], 6.
Aufl., §
36 Rn.
9), wozu
die streitgegenständlichen Beträge zu
rechnen sind.

a)
Entgegen der Ansicht der Revision eröffnet im Streitfall die Vorschrift des §
850c Abs.
4 ZPO die Möglichkeit, auf eine Herabsetzung des pfändungs-freien Betrages hinzuwirken, weil die Grundnorm des §
850c Abs.
1 ZPO den anderen Ehegatten, selbst wenn er ein höheres Einkommen erzielt als der Schuldner, grundsätzlich als berücksichtigungsfähige Person wertet. Solange eine solche Bestimmung nicht getroffen ist, verbleibt es dabei, dass der Ehegat-te, jedenfalls wenn er in häuslicher Gemeinschaft mit dem Schuldner lebt, ge-mäß §
35 Abs.
1, §
36 Abs.
1 Satz
2 [X.], §
850c Abs.
1 ZPO als unterhaltbe-rechtigte Person zu berücksichtigen ist
und die hierauf entfallenden Beträge nicht der Pfändung unterliegen.

aa) Im Verhältnis zwischen Ehegatten kommt es bei der Anwendung des §
850c Abs.
1 ZPO nicht darauf an, ob der Erwerbstätige
tatsächlich einen Geldbetrag für den Unterhalt seines Partners
abzweigt, dass er mithin aus sei-nem Einkommen mehr aufwendet, als er für seinen eigenen Unterhalt benötigt. Zu berücksichtigen ist der Ehegatte bereits dann, wenn der Schuldner auf Grund beiderseitiger Verständigung angemessen zum Familienunterhalt (§
1360 Satz
1 BGB) beiträgt. Dies gilt, wenn seine Einkünfte aus eigener [X.] über den Einkünften des Ehegatten liegen, wie auch dann, wenn sein Einkommen niedriger ist als das Arbeitseinkommen des Ehegatten. Ein 8
9
-
6
-
Ausgleich ist nur durch Bestimmung des Vollstreckungsgerichts im Rahmen einer Billigkeitsprüfung nach §
850c Abs.
4 ZPO möglich ([X.] ZIP 1983, 1247, 1249; [X.], in [X.], ZPO,
3.
Aufl.,
§
850c Rn.
12; [X.]/[X.], ZPO,
8.
Aufl.,
§
850c Rn.
5; [X.]/Stöber, ZPO,
28.
Aufl.,
§
850c Rn.
6). Jedenfalls bei Eheleuten, die -
wie hier
-
in häuslicher Gemeinschaft le-ben, ist von gegenseitigen Unterhaltsleistungen, durch welche die Kosten des [X.] gemeinsam bestritten werden, grundsätzlich auszugehen. Gegenteilige Anhaltspunkte sind von dem Kläger in den Tatsacheninstanzen auch nicht vorgetragen worden.

[X.]) Ist das Verfahren nach §
850c Abs.
4
ZPO eröffnet, ist es vorrangig und abschließend. Eine andere Lösung, insbesondere eine nachträgliche Fest-stellung des pfändungsfreien Betrages im Klageweg, ist
mit den Grundsätzen der Rechtsklarheit und Praktikabilität nicht zu vereinbaren (vgl. [X.], aaO S.
1249
f).

Nach der Vorschrift des §
850c Abs.
4 ZPO kann das [X.] nach billigem Ermessen anordnen, dass eine nach dem Gesetz unter-haltsberechtigte Person, die eigene Einkünfte hat, bei der Berechnung des un-pfändbaren Teils des Arbeitseinkommens ganz oder teilweise unberücksichtigt bleibt. Ab welcher Höhe ein eigenes Einkommen des Unterhaltsberechtigten seine Berücksichtigung bei der Bestimmung der Pfändungsfreibeträge aus Ar-beitseinkommen oder diesem gleichgestellten Bezügen des Unterhaltspflichti-gen ausschließt, hat der Gesetzgeber bewusst nicht im Einzelnen geregelt, sondern der Rechtsprechung überlassen (BT-Drucks. 8/693, S.
48
f). Bei der Anwendung der Vorschrift verbietet sich jede schematisierende Betrachtungs-weise. Das Gericht hat vielmehr seine Entscheidung nach billigem Ermessen unter Abwägung der wirtschaftlichen Lage des Gläubigers und des Schuldners 10
11
-
7
-
sowie der von ihm unterhaltenen Angehörigen zu treffen. Dabei können Pfän-dungsfreibeträge und Unterhaltstabellen Anhaltspunkte
für die Ausübung des Ermessens geben. Eine bloß einseitige Orientierung an bestimmten Berech-nungsmodellen scheidet jedoch aus, weil sie dem Sinn des §
850c Abs.
4 ZPO widerspricht ([X.], Beschluss vom 21.
Dezember 2004 -
Xa
ZB 142/04, [X.] 2005, 194, 196; vom 5.
April 2005 -
VII
ZB 28/05, [X.] 2005, 254, 255; vom 4.
Oktober 2005 -
VII
ZB 24/05, [X.] 2006, 19 Rn.
11; vgl. auch Beschluss vom 7.
Mai 2009 -
IX
ZB 211/08, [X.] 2009, 331
Rn.
11; vom 5.
November 2009 -
IX
ZB 101/09, Z[X.] 2009, 2351 Rn.
6).
Es ist nicht zweifelhaft, dass der Gläubiger, der außerhalb einer Insolvenz die [X.] eines abgesenkten Pfändungsfreibetrages nutzen will, sich des für die Prüfung dieser Vorausset-zungen vorgesehenen Verfahrens zu bedienen hat.

Die Vorschrift greift auch im Insolvenzverfahren Platz. Antragsberechtigt ist nach §
36 Abs.
4 Satz
2 [X.] der Insolvenzverwalter oder Treuhänder (§
313 Abs.
1 Satz
1
[X.]). Über seinen Antrag
hat das Insolvenzgericht als [X.] zu entscheiden (§
36 Abs.
4 Satz
1 [X.]). Dass das Gericht eine Billigkeitsentscheidung zu treffen hat, steht nicht entgegen (vgl. [X.], Beschluss vom 7.
Mai 2009 -
IX
ZB 211/08, aaO; Urteil vom 3.
Dezember 2009 -
IX
ZR 189/08, [X.] 2010, 102 Rn.
14; FK-[X.]/[X.], 6.
Aufl., §
36 Rn.
71; Hk-[X.]/[X.], aaO Rn.
62; [X.], in [X.], [X.], [X.], §
36 Rn.
36; [X.], in [X.], ZPO, 3.
Aufl., §
850c Rn.
48).

b)
Danach ist für eine Entscheidung durch das Prozessgericht kein Raum.

12
13
-
8
-

aa) In der Rechtsprechung des [X.] ist eine
solche
Ent-scheidung im Falle des §
850c Abs.
4 ZPO allerdings dann für zulässig ange-sehen worden, wenn mangels Vorliegens eines Vollstreckungsverfahrens eine Entscheidung über auf diese Bestimmung gestützte Anträge ausscheidet. Dies gilt etwa dann, wenn die analoge Anwendbarkeit des §
850c Abs.
4 ZPO auf eine Forderungsabtretung in Frage steht und hierbei zu prüfen ist, ob dies der Billigkeit entspricht (vgl. [X.], Urteil vom 19.
Mai 2009 -
IX
ZR 37/06, [X.] 2009, 374 Rn.
16, 18). Streiten Insolvenzverwalter und Schuldner um die Massezuge-hörigkeit von Einkünften, die unter §
850b Abs.
1 ZPO fallen,
oder ist die Frage der Pfändbarkeit im Rahmen eines Anfechtungsprozesses zu beantworten, kann die Entscheidung ebenfalls vom Prozessgericht getroffen werden (vgl. [X.], Urteil vom 3.
Dezember 2009 -
IX
ZR 189/08, aaO Rn. 10).

[X.]) Ein vergleichbarer Ausnahmefall liegt hier nicht vor. Ob nach §
850c Abs.
4 ZPO die Pfändbarkeit des Einkommens des Schuldners zu erweitern ist, wenn ein Unterhaltsberechtigter über eigene Einkünfte verfügt, kann im Insol-venzverfahren durch das Insolvenzgericht geklärt werden (vgl. [X.], Beschluss vom 5.
November 2009 -
IX
ZB 101/09, aaO; Urteil vom 3.
Dezember 2009 -
IX
ZR 189/08, aaO Rn.
14). Dies ist die von Gesetzes wegen ausdrücklich bestimmte Verfahrensart. Ein Wahlrecht des Treuhänders, diese Frage auch im Rahmen eines streitigen Verfahrens gegen den Schuldner einer Klärung zuzu-führen,
verbietet sich deshalb nicht anders als bei einem Gläubiger außerhalb der Insolvenz, dem dieses Wahlrecht auch nicht zusteht.

3. Aus der Abtretungserklärung selbst kann der Kläger den geltend ge-machten Zahlungsanspruch nicht ableiten. Sie erfasst nur das pfändbare Ar-beitseinkommen
und entfaltet vor Eintritt in die Wohlverhaltensphase ohnehin keine eigenständige Wirkung
(vgl. Hk-[X.]/[X.], aaO, §
287 Rn.
26).
14
15
16
-
9
-

4. Bei dieser Sachlage scheidet ein Schadensersatzanspruch gegen den Schuldner aus.

Kayser
Gehrlein
[X.]

[X.]
Fischer

Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 09.04.2010 -
12 C 410/09 -

LG Halle, Entscheidung vom 03.03.2011 -
1 S 45/10 -

17

Meta

IX ZR 46/11

03.11.2011

Bundesgerichtshof IX. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 03.11.2011, Az. IX ZR 46/11 (REWIS RS 2011, 1743)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 1743

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

IX ZR 45/11 (Bundesgerichtshof)


IX ZR 45/11 (Bundesgerichtshof)

Verbraucherinsolvenzverfahren: Voraussetzungen der Nichtberücksichtigung des Schuldnerehegatten mit eigenem Einkommen bei der Berechnung des pfändungsfreien Betrages …


IX ZR 46/11 (Bundesgerichtshof)

Klage des Treuhänders gegen den Insolvenzschuldner auf Zahlung nicht an die Insolvenzmasse abgeführter Teile des …


IX ZB 100/16 (Bundesgerichtshof)


IX ZB 41/14 (Bundesgerichtshof)


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

IX ZR 46/11

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.