Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 06.12.2011, Az. 2 B 85/11

2. Senat | REWIS RS 2011, 783

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Gegenstand

Eintritt in den Ruhestand; allgemeine Altersgrenze; Diskriminierung


Leitsatz

Eine gesetzlich geregelte allgemeine Altersgrenze von 65 Jahren für den Eintritt der Beamten in den Ruhestand verstößt nicht gegen das Verbot der Altersdiskriminierung in § 7 AGG und in Art. 2 der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf.

Gründe

1

Die auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen [X.]edeutung nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO gestützte Nichtzulassungsbeschwerde des [X.] hat keinen Erfolg.

2

Der Kläger war [X.] und erreichte im Februar 2009 die allgemeine Altersgrenze von 65 Jahren. Auf seinen Antrag hin wurde der [X.]eginn seines Ruhestandes um ein Jahr hinausgeschoben. Einen weiteren Antrag auf nochmaliges Hinausschieben lehnte das beklagte Land ab. Widerspruch, Klage und [X.]erufung des [X.] blieben erfolglos. Das [X.]erufungsgericht hat einen Anspruch des [X.] auf Feststellung seines Verbleibens im aktiven [X.]eamtenverhältnis ebenso verneint wie einen Anspruch auf Feststellung, dass die Ablehnung des weiteren Hinausschiebens seines Eintritts in den Ruhestand rechtswidrig war. Es hat zur [X.]egründung ausgeführt, dass die allgemeine Altersgrenze mit § 7 [X.] vereinbar sei und auch nicht der Richtlinie 2000/78/[X.] vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in [X.]eschäftigung und [X.]eruf ([X.] 303 S. 16) widerspreche. Die allgemeine Altersgrenze sei objektiv und angemessen, im Rahmen des nationalen Rechts durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt und als Mittel zum Erreichen dieses Ziels angemessen und erforderlich. Der Gesetzgeber habe die Fortgeltung der Altersgrenze in § 37 Landesbeamtengesetz damit begründet, dass sie dem Erhalt und der Förderung der Funktionsfähigkeit der öffentlichen Verwaltung durch eine ausgewogene Altersstruktur, dem Schutz der [X.]eamten vor einer übermäßigen [X.]elastung im Alter sowie der Entlastung des Arbeitsmarkts durch Schaffung zusätzlicher bzw. früherer Einstellungsmöglichkeiten diene. Diese Ziele genügten den unionsrechtlichen Vorgaben ungeachtet dessen, dass sie keinen Niederschlag im Wortlaut der gesetzlichen [X.]estimmungen gefunden hätten. Die Aufrechterhaltung der Altersgrenze von 65 Jahren sei zur Erreichung der Ziele auch angemessen und erforderlich; insbesondere dürfe der Gesetzgeber generalisieren und sei nicht gehalten, Altersgrenzen individuell für einzelne [X.]eamtengruppen einzuführen.

3

Mit der [X.]eschwerde macht der Kläger die grundsätzliche [X.]edeutung der Angelegenheit gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO geltend und führt aus, die allgemeine Altersgrenze sei eine unzulässige Altersdiskriminierung im Sinne der Richtlinie 2000/78/[X.].

4

Der Revisionszulassungsgrund der grundsätzlichen [X.]edeutung gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO setzt voraus, dass die Rechtssache eine konkrete, in dem zu entscheidenden Fall erhebliche Frage des revisiblen Rechts aufwirft, die bislang höchstrichterlich nicht geklärt ist und im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Rechtsfortbildung der Klärung in einem Revisionsverfahren bedarf ([X.]eschlüsse vom 2. Oktober 1961 - [X.]VerwG 8 [X.] 78.61 - [X.]VerwGE 13, 90 <91> = [X.] 310 § 132 VwGO Nr. 18 und vom 2. Februar 2011 - [X.]VerwG 6 [X.] 37.10 - NVwZ 2011, 507; stRspr). Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor.

5

1. Die vom Kläger der Sache nach als klärungsbedürftig angesehene Frage, ob die allgemeine Altersgrenze von 65 Jahren nach [X.] Landesbeamten- und -hochschulrecht (vgl. § 54 L[X.]G a.F., § 37 L[X.]G n.F., § 52 Abs. 3 HochSchG) mit der Richtlinie 2000/78/[X.] vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in [X.]eschäftigung und [X.]eruf ([X.] 303 S.16) in Einklang steht, bedarf keiner rechtsgrundsätzlichen Klärung mehr. Die Revisionszulassung zu dem Zweck, im Revisionsverfahren gemäß Art. 267 Abs. 3 AEUV eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der [X.] ([X.]) einzuholen, kommt nicht in [X.]etracht. Denn der [X.] hat die Frage der Vereinbarkeit einer allgemeinen Altersgrenze von 65 Jahren mit der Richtlinie 2000/78/[X.] inzwischen geklärt.

6

Zweck dieser Richtlinie ist u.a. die Schaffung eines allgemeinen Rahmens zur [X.]ekämpfung der Altersdiskriminierung (vgl. Art. 1 der Richtlinie 2000/78/[X.]). Eine allgemeine Altersgrenze bewirkt eine weniger günstige [X.]ehandlung für diejenigen Personen, die ihr unterfallen, gegenüber denjenigen Personen, die ihr nicht unterfallen; sie ist deshalb eine unmittelbare Diskriminierung im Sinne des Art. 2 Abs. 2 [X.]uchst. a) der Richtlinie 2000/78/[X.]. Gemäß Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78/[X.] können die Mitgliedstaaten aber ungeachtet des Art. 2 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78/[X.] vorsehen, dass Ungleichbehandlungen wegen des Alters keine Diskriminierung darstellen, sofern sie objektiv und angemessen sind, im Rahmen des nationalen Rechts durch ein legitimes Ziel, worunter insbesondere rechtmäßige Ziele aus den [X.]ereichen [X.]eschäftigungspolitik, Arbeitsmarkt und berufliche [X.]ildung zu verstehen sind, gerechtfertigt sind sowie die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich sind.

7

Der [X.] hat mit Urteil vom 21. Juli 2011 ([X.]/10, [X.]/10 - NVwZ 2011, 1249) entschieden, dass die Richtlinie 2000/78/[X.] einem Gesetz nicht entgegensteht, das die zwangsweise Versetzung von [X.]eamten in den Ruhestand mit Vollendung des 65. Lebensjahres vorsieht, wobei sie bei dienstlichem Interesse höchstens bis zum vollendeten 68. Lebensjahr weiterarbeiten dürfen, sofern dieses Gesetz zum Ziel hat, eine ausgewogene Altersstruktur zu schaffen, um die Einstellung und die [X.]eförderung von jüngeren [X.]erufsangehörigen zu begünstigen, die Personalplanungen zu optimieren und damit Rechtsstreitigkeiten über die Fähigkeit des [X.]eschäftigten, seine Tätigkeit über ein bestimmtes Alter hinaus auszuüben, vorzubeugen; dabei muss es die Erreichung dieses Ziels mit angemessenen und erforderlichen Mitteln ermöglichen, was dann der Fall ist, wenn das Mittel im Hinblick auf das verfolgte Ziel nicht unvernünftig erscheint und auf - vom nationalen Gericht zu beurteilende - [X.]eweismittel gestützt ist. Der [X.] hat dabei ausgeführt, dass die nationale Regelung das Ziel nicht selbst angeben müsse, sofern andere Anhaltspunkte die Feststellung des Ziels ermöglichten. Es könnten auch mehrere Ziele gleichzeitig verfolgt werden. Der [X.] hat betont, dass die Mitgliedstaaten die [X.]eweislast für die Rechtfertigung des angeführten Ziels tragen und an diesen [X.]eweis hohe Anforderungen zu stellen sind. Zugleich hätten die Mitgliedstaaten aber einen weiten Ermessensspielraum bei der Wahl einer für erforderlich gehaltenen Maßnahme. Diese Wahl könne daher auf wirtschaftlichen, [X.], demografischen und/oder Haushaltserwägungen beruhen, die vorhandene und nachprüfbare Daten, aber auch Prognosen umfassten. Die Maßnahme könne außerdem auf politischen Erwägungen beruhen, die oftmals einen Ausgleich zwischen verschiedenen denkbaren Lösungen implizierten. Die [X.]eweiskraft der [X.]eweismittel sei vom nationalen Gericht nach innerstaatlichem Recht zu beurteilen. Im Ergebnis hat der [X.] die Vorlagefrage, welche Daten der Mitgliedstaat vorlegen müsse, um die Angemessenheit und Erforderlichkeit der allgemeinen Altersgrenze zu belegen, und insbesondere, ob genaue Statistiken oder Zahlenangaben vorzulegen seien, damit beantwortet, dass die Angemessenheit und Erforderlichkeit der fraglichen Maßnahme dann nachgewiesen sei, wenn sie im Hinblick auf das verfolgte Ziel nicht unvernünftig erscheine und auf [X.]eweismittel gestützt sei, die das nationale Gericht zu beurteilen habe. Mit diesem Urteil ist geklärt, dass eine allgemeine Altersgrenze mit der Richtlinie 2000/78/[X.] vereinbar sein kann und unter welchen Voraussetzungen dies der Fall ist.

8

2. Im Hinblick auf das Urteil des [X.] vom 21. Juli 2011 a.a.[X.] bedarf auch die Vereinbarkeit der allgemeinen Altersgrenze mit dem [X.] ([X.]) vom 14. August 2006 ([X.]G[X.]l I S. 1897), zuletzt geändert durch Gesetz vom 5. Februar 2009 ([X.]G[X.]l I S. 160), keiner rechtsgrundsätzlichen Klärung in einem Revisionsverfahren mehr. Mit dem [X.] wurden die Vorgaben der Richtlinie 2000/78/[X.] in nationales Recht umgesetzt (vgl. Urteil vom 19. Februar 2009 - [X.]VerwG 2 C 18.07 - [X.]VerwGE 133, 143 <146>). § 10 [X.] nimmt Art. 6 der Richtlinie 2000/78/[X.] auf. Da § 10 [X.] unionskonform auszulegen ist, ist sein Inhalt durch die Rechtsprechung des [X.] zu Art. 6 der Richtlinie 2000/78/[X.] geklärt.

9

Nach § 10 Satz 3 Nr. 5 [X.] sind Vereinbarungen zulässig, die die [X.]eendigung von [X.]eschäftigungsverhältnissen ohne Kündigung zu einem Zeitpunkt vorsehen, zu dem die [X.]eschäftigten eine Altersrente beantragen können. Gemäß § 24 Nr. 1 [X.] gilt das [X.] unter [X.]erücksichtigung von deren besonderen Rechtsstellung u.a. auch für [X.]eamte. Das bedeutet im Hinblick auf die insoweit vergleichbare Situation von sozialversicherungspflichtigen [X.]eschäftigten einerseits und [X.]eamten andererseits, dass eine gesetzliche allgemeine Altersgrenze für [X.]eamte gemäß § 10 Satz 3 Nr. 5 i.V.m. § 24 Nr. 1 [X.] gerechtfertigt ist, wenn die vom [X.] geforderten Voraussetzungen vorliegen.

Schließlich hat der Senat in seinem Urteil vom 19. Februar 2009 ([X.]VerwG 2 C 18.07 - [X.]VerwGE 133, 143) entschieden, dass allgemeine Einstellungsaltersgrenzen durch das [X.] nicht ausgeschlossen werden. Die in dieser Altersgrenze liegende Ungleichbehandlung ist nach § 10 [X.] wegen der damit verfolgten Ziele der sparsamen Haushaltsführung und der Gewährleistung ausgewogener Altersstrukturen gerechtfertigt. Diese Ausführungen sind auf den Fall einer allgemeinen Altersgrenze für das Ausscheiden aus dem aktiven [X.]eamtenverhältnis zu übertragen. Eine allgemeine Altersgrenze kann zur Gewährleistung ausgewogener Altersstrukturen angemessen und erforderlich im Sinne des § 10 [X.] sein. In seinem Urteil vom 17. Dezember 2008 ([X.]VerwG 2 C 26.07 - [X.]VerwGE 133, 25) hat der Senat unter Hinweis auf [X.]VerfG, [X.]eschluss vom 10. Dezember 1985 - 2 [X.]vL 18/83 - ([X.]VerfGE 71, 255 <269>) ausgeführt, dass die allgemeine Altersgrenze das Ergebnis gesundheits-, finanz-, arbeitsmarkt- und personalpolitischer Erwägungen des Gesetzgebers ist. Hierzu gehörten etwa die Entwicklung der Versorgungslasten und der Altersstrukturen des öffentlichen Dienstes sowie die Erhaltung von Einstellungs- und [X.]eförderungsmöglichkeiten.

3. Die Regelungen des [X.] Landesrechts, die dem [X.]-Urteil vom 21. Juli 2011 a.a.[X.] zugrunde lagen, und die hier in Streit stehenden Regelungen des [X.] Landesrechts stimmen inhaltlich überein. Das [X.]erufungsgericht hat hinsichtlich der Rechtfertigung der allgemeinen Altersgrenze auf die in der amtlichen [X.]egründung für die [X.]eibehaltung der allgemeinen Altersgrenze im Jahre 2010 angeführten Gründe [X.]ezug genommen. Diese stellen politische Erwägungen im Sinne des [X.]-Urteils vom 21. Juli 2011 a.a.[X.] dar und genügen noch den dort formulierten Anforderungen. Eines Revisionsverfahrens zur Klärung einer grundsätzlich bedeutsamen Rechtsfrage bedarf es mithin ebenso wenig wie einer Vorlage an den [X.] zur Entscheidung über die Vereinbarkeit von nationalem Recht mit Unionsrecht.

Meta

2 B 85/11

06.12.2011

Bundesverwaltungsgericht 2. Senat

Beschluss

Sachgebiet: B

vorgehend Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz, 25. Februar 2011, Az: 2 A 11201/10, Urteil

Art 2 Abs 2 EGRL 78/2000, Art 6 Abs 1 EGRL 78/2000, § 7 AGG, § 10 S 3 Nr 5 AGG, § 24 Nr 1 AGG, § 37 BG RP, § 54aF BG RP, § 52 Abs 3 HSchulG RP

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 06.12.2011, Az. 2 B 85/11 (REWIS RS 2011, 783)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 783

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