Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 15.03.2012, Az. 5 StR 288/11

5. Strafsenat | REWIS RS 2012, 8096

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Entscheidungstext


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Nachschlagewerk:
ja
[X.]St:

ja
Veröffentlichung:
ja

StG[X.] § 266a
[X.] aF
§ 5 Abs. 1 Nr. 1
[X.] § 153a Abs. 1

Sieht die Staatsanwaltschaft nach der Erfüllung von Auflagen von der Verfolgung eines Vergehens des Vorenthaltens und der Veruntreuung von [X.]eiträgen (§ 266a StG[X.]) nach § 153a Abs. 1 [X.] endgültig ab, so steht § 153a Abs. 1 Satz 5 [X.] der Verfolgung einer Ordnungswidrigkeit nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 [X.] aF
(nunmehr § 23 Abs. 1 Nr. 1 [X.]) wegen der Un-terschreitung von Mindestlöhnen (§ 1 Abs.
1 [X.] aF) nicht entgegen.

[X.], [X.]eschluss vom 15. März 2012

-
5 [X.]/11

[X.] [X.] -

5 [X.]/11

[X.]UNDESGERICHTSHOF

[X.]ESCHLUSS

vom 15.
März
2012
in der Vorlegungssache
gegen

wegen ordnungswidrigen Verhaltens nach dem Arbeitnehmerentsendegesetz

-
2
-

Der 5. Strafsenat des [X.] hat am
15.
März 2012
beschlossen:

Sieht die Staatsanwaltschaft nach der Erfüllung von Auflagen von der Verfolgung eines Vergehens des Vorenthaltens und der Veruntreuung von [X.]eiträgen (§
266a StG[X.]) nach §
153a
Abs.
1 [X.] endgültig ab, so steht §
153a Abs.
1 Satz 5 [X.] der Verfolgung einer Ordnungswidrigkeit nach §
5 Abs.
1 Nr.
1 [X.] aF
(nunmehr §
23 Abs.
1 Nr.
1 [X.]) wegen der Unterschreitung von Mindestlöhnen (§
1 Abs.
1
[X.] aF) nicht entgegen.

G r ü n d e

I.

Dem Vorlegungsverfahren liegt Folgendes zugrunde:

1. Die 1973 geborene [X.] Staatsangehörige

S.

war Inhaberin eines an ihrer Familienwohnanschrift ansässigen Gewerbebetrie-bes, der
sich mit dem Innenausbau als Trocken-
und Akustikbau, Hausmeis-terei als Hausverwaltung, Holz-
und [X.]autenschutz, Garten-
und Landschafts-bau sowie Erd-
und [X.]aggerarbeiten befasste. Das operative Geschäft be-sorgte ihr [X.] Ehemann.

Das Hauptzollamt [X.] ermittelte bei den Arbeitnehmern des Unternehmens eine Unterschreitung des Mindestlohns in Höhe von 5.939,43

. Hieraus errechnete es nicht
abgeführte Sozialversicherungsbei-träge von 3.110,75

([X.] 67 [X.]d. II). Die Staatsanwaltschaft stellte das wegen des Verdachts einer Straftat nach §
266a StG[X.] geführte Ermittlungsverfah-1
2
3
-
3
-

ren nach [X.]ezahlung einer
Geldauflage von
400

am 7.
Juli
2009 endgültig ein ([X.] 73, 75, 78 [X.]d. II).

Am
18. Juni
2009 erließ
die [X.]ußgeldbehörde wegen je einer vorsätzli-chen Unterlassung gemäß §
5 Abs.
1 Nr.
1, 2 und 6 [X.] aF
einen [X.]uß-geldbescheid
gegen die [X.]etroffene. Dieser erfasste folgende Vorwürfe:

[X.]ei
vier Arbeitnehmern, für die auch keine [X.] abgeführt worden sind, sind in der Zeit
vom 1. Januar 2005 bis 31.
Mai
2007 die Mindestlöhne in Höhe von 4.435,43

unterschritten worden

5 Abs.
1 Nr.
1 [X.]
aF: Geldbuße 15.000

).

Entgegen §
1 Abs.
3
Satz 3
[X.] aF
ist es von der [X.]etroffenen un-terlassen
worden, die bei ihr tätigen Arbeitnehmer in der
Zeit von Oktober 2003 bis März
2007 bei der Zusatzversorgungskasse des
[X.]augewerbes
AG

Einzugsstelle der [X.]

anzumelden; bei einem [X.]eitragsschaden von 3.168,44

ist
deren
Teilnahme am Urlaubskassenver-fahren unterblieben

5 Abs.
1 Nr.
2 [X.]
aF: Geldbuße 11.000

).

Schließlich hat
die [X.]etroffene entgegen §
2 Nr.
2 lit. a [X.] aF
nicht
für jeden [X.]eschäftigten Aufzeichnungen
über [X.]eginn, Ende und Dauer der tatsächlichen Arbeitszeit erstellt und gegen die Aufbewahrungspflicht versto-ßen

5 Abs.
1 Nr.
6 [X.]
aF: Geldbuße 7.500

).

2. Auf Einspruch der [X.]etroffenen hat das Amtsgericht [X.] mit Urteil vom 14. Februar 2011 gegen die [X.]etroffene wegen fahrlässigen Verstoßes gegen §
5 Abs.
1 Nr.
6 [X.] aF
in fünf Fällen eine Geldbuße von 500

festgesetzt.
Hinsichtlich der Verstöße gegen §
5 Abs.
1 Nr.
1 und 2 [X.] aF
hat es das Verfahren hingegen gemäß §
46 OWiG, §
206a [X.] wegen des sich aus der endgültigen Einstellung des Ermittlungsverfahrens nach §
153a Abs.
1 [X.] ergebenden Strafklageverbrauchs eingestellt.

4
5
6
7
8
-
4
-

Hiergegen richtet sich die auf die Verfahrenseinstellung
beschränkte Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft. Die Staatsanwaltschaft hat [X.], das amtsgerichtliche Urteil in diesem
Umfang aufzuheben und die Sa-che an das Amtsgericht zurückzuverweisen ([X.] 37, 40 [X.]d. II). Mit der [X.] der
Verletzung materiellen Rechts macht sie geltend, dass die [X.]eweiswürdi-gung des Amtsgerichts widersprüchlich und unklar sei, soweit es

der Rechtsauffassung des [X.]
Oldenburg in dessen [X.]eschluss vom 9.
April
2009 ([X.]. [X.]. 2009, 395 f.)
folgend

als Grund für die An-nahme einer einheitlichen prozessualen Tat im Sinne des §
264 [X.] hin-sichtlich der Straftat nach
§
266a Abs.
1 StG[X.] und der Ordnungswidrigkeit nach §
5 Abs.
1 Nr.
1 [X.] aF
auf die durchgängige Unkenntnis der [X.]e-troffenen in [X.]ezug auf die
Mindestlohnzahlungspflicht abgestellt habe.

Die Generalstaatsanwaltschaft [X.]
ist der [X.] beigetreten.
Sie vertritt

[X.]eschlüssen
des Saarländischen Oberlan-desgerichts vom 23. Juli 2010 (Ss ([X.]) 50/10)
sowie des [X.] vom 11. Januar 2011 ([X.].
[X.]. 2009, 395 f.) folgend

die [X.], dass selbst bei Vorliegen einer persönlichen und zeitlichen Koinzidenz zwischen dem Gegenstand der Verfahrenseinstellung nach §
153a [X.] und den Verstößen gegen §
5 Abs.
1 Nr.
1 und
2 [X.] aF
von verschiedenen prozessualen Taten im Sinne des §
264 Abs.
1 [X.] auszugehen sei.

3. Das [X.]
[X.] will
dem Antrag der [X.] entsprechen. Es sieht sich daran durch [X.]eschlüsse des [X.]
Oldenburg vom 9. April 2009 (aaO) sowie des [X.] vom 27. August 2009 ([X.], 39) gehindert und hat die Sache zur Entscheidung folgender Rechtsfrage dem [X.] vorgelegt:

Führt eine nach §
153a [X.] erfolgte endgültige Einstellung eines wegen Vorenthaltens von Sozialversicherungsbeiträgen (§
266a StG[X.]) ge-führten Ermittlungsverfahrens zu einem Verfahrenshindernis wegen Strafkla-9
10
11
12
-
5
-

geverbrauchs gegenüber einem wegen Nichtzahlung des Mindestlohns ge-sondert geführten [X.]ußgeldverfahren, wenn die Verkürzung der Sozialversi-cherungsbeiträge allein auf der Unterschreitung des Mindestlohns beruht?

II.

Die [X.] gemäß §
121 Abs.
2 [X.], §
79 Abs.
3 Satz 1 OWiG liegen vor.

1. Die Auffassung des [X.], es komme für seine Ent-scheidungen auf die vorgelegte Rechtsfrage an, ist zutreffend.

a) Die [X.] ist nicht deswegen obsolet, weil

wie der Ge-neralbundesanwalt in seiner Antragsschrift vom 9. November 2011 meint

das Verfahren ohne deren [X.]eantwortung mangels Vorliegens einer Arbeitge-berstellung der [X.]etroffenen im Sinne eines Durchentscheidens auf Frei-spruch entscheidungsreif ist. Zwar haben weder das Amtsgericht noch das [X.] die für eine Verurteilung erforderliche Arbeitgebereigen-schaft der [X.]etroffenen ausdrücklich erörtert. Das [X.] durfte sie aber

wie geschehen

inzident für den weiteren Verfahrensgang beja-hen, weil der [X.] gerade auch die tatsächlichen Feststellungen mit erfasst, so dass im weiteren Verfahren zumindest zu je-dem rechtlich relevanten Aspekt der Arbeitgebereigenschaft ausreichende Feststellungen zu erwarten sind. Die Annahme, dass die [X.]etroffene [X.] neben ihrem das operative Geschäft betreibenden Ehemann ebenfalls Arbeitgeberin gewesen ist, liegt im Übrigen nahe. Sie könnte namentlich [X.] gestützt werden, dass die [X.]etroffene gegenüber [X.]ehörden, dem [X.] und den Arbeitnehmern im schriftlichen Verkehr als [X.]etriebsinhaberin aufgetreten ist, sie sich hierzu sogar bekannt hat und Gründe der Rechtssi-t-geber
auch
SG [X.], [X.]eschluss vom 14. Oktober
2010

S 14 R 383/10; [X.], Urteil vom 13. August
1986

S
1 bis
9,
13
14
15
-
6
-

KR 136/86). Jedenfalls ist die vom [X.] in dieser Vorfrage ver-tretene
Rechtsauffassung plausibel. Der Senat
hat sie
deshalb
im Vorle-gungsverfahren zugrundezulegen
(vgl.
[X.], [X.]eschlüsse vom 3.
Feb-ruar
2004

5 [X.] ([X.]) 78/03, [X.]St 49, 61, 63 und vom 11. Okto-ber
2005

5
[X.] ([X.]) 54/05, [X.]St 50, 234, 236). Gleiches gilt für die weiteren Voraussetzungen des §
5 Abs.
1 Nr.
1 [X.]
aF.

b) Der Vorlagebeschluss (wie auch die amtsgerichtliche Entscheidung) leidet allerdings unter
dem Mangel, dass weder die [X.] der im Raum stehenden Verstöße gegen §
266a StG[X.] bzw. §
5 Abs.
1 [X.] aF
konkret benannt werden noch
mitgeteilt wird, welche tatbestandlichen Varianten des §
266a Abs.
1 bis 3 StG[X.] Gegenstand des staatsanwaltlichen Ermittlungs-verfahrens waren. Es ist deshalb vorab klarzustellen, dass

was die [X.] auch in Zweifel zu ziehen scheint

die Vorenthaltung von [X.]eiträgen gemäß §
266a StG[X.], die vom
staatsanwaltschaftlichen Ermitt-lungsverfahren erfasst worden sind, nicht zugleich Gegenstand
eines [X.] wegen Verstößen nach §
5 Abs.
1
Nr.
2 [X.] aF
sein [X.]. Insoweit bestünde kein Abweichungsfall (vgl. [X.], [X.]eschluss vom 11.
Oktober 2005

5 [X.] ([X.]) 54/05, [X.]St 50, 234, 237). Soweit er-sichtlich gehen sämtliche [X.]e davon aus, dass §
153a Abs.
1 Satz 5 [X.] wegen der hiermit verbundenen Sachentscheidung die
Vor-schrift des §
21 Abs.
2 OWiG ausschließt ([X.] NJW 1977, 1787, 1788; [X.] NJW 1985, 1850; [X.], 240; vgl. auch [X.] in [X.][X.],
[X.], 26. Aufl.,
§
153a Rn. 27 mwN; [X.],
[X.], 3. Aufl.,
§
21 Rn. 27 mwN; [X.],
[X.], 101, 103).

c) Auf das
Verhältnis von §
266a StG[X.] zu §
5 Abs.
1 Nr.
2 [X.] aF
kommt es hier nicht an. Die Nichtverfolgung von Ordnungswidrigkeiten nach §
5 Abs.
1 Nr.
2 [X.] aF ist von der Staatsanwaltschaft nämlich nicht [X.] worden. Ersichtlich bezieht sich der Vorlagebeschluss dementspre-chend
nur auf die Ordnungswidrigkeit nach §
5 Abs.
1 Nr.
1 [X.]
aF.
16
17
-
7
-

d) Das Ordnungswidrigkeitsverfahren hinsichtlich eines Verstoßes ge-gen §
5 Abs.
1 Nr.
6 [X.] aF
ist durch das amtsgerichtliche Urteil rechts-kräftig abgeschlossen.

III.

Der Senat hält die Rechtsauffassung des vorlegenden Oberlandesge-richts
(ebenso
Saarländisches
[X.],
[X.]eschluss vom
23. Juli 2010

Ss ([X.]) 50/2010) für zutreffend. Zwischen den Taten nach §
266a StG[X.] und der Nichtzahlung des

für die Höhe der
[X.]eiträge maßgeb-lichen

Mindestlohns (§
5 Abs.
1 Nr.
1
[X.]
aF) besteht weder
materiell-rechtliche Tateinheit
noch liegt eine
Tat im prozessualen Sinn (§
264 [X.])
vor.

1. Ausgangspunkt der [X.]ewertung ist die materiell-rechtliche [X.]etrach-tung. Zwar ist der prozessuale Tatbegriff im Verhältnis zum materiellen Recht selbständig ([X.], [X.]eschluss vom 24. Juli 1987

3 [X.], [X.]St 35, 14, 19; [X.], Urteil vom 16. März 1989

4 StR 60/89, [X.]St 36, 151, 154). Jedoch
sind materiell-rechtlich
selbständige Taten in der Regel auch [X.] selbständig
([X.]St aaO), falls nicht weitergehende Umstände die Annahme einer Tat im Sinne des §
264 Abs.
1 [X.] rechtfertigen ([X.], Ur-teile vom 16.
März 1989

4
StR 60/89,
[X.]St 36, 151, und
vom 29. Sep-tember 1987

4 StR 376/87, [X.]St 35, 60, 64). Letzteres wird angenom-men, wenn die Handlungen
innerlich so verknüpft sind, dass nur ihre ge-meinsame Würdigung erlaubt ist, eine getrennte Würdigung sowie Aburtei-lung in verschiedenen Verfahren mithin als unnatürliche Aufspaltung eines einheitlichen Lebensvorgangs empfunden würden
(st. Rspr., vgl. [X.], [X.] vom 24. November 2004

5 [X.], [X.]St 49, 359, 362 mwN).

a) Die Vorwürfe nach §
266a StG[X.] und der Mindestlohnunterschrei-tung gemäß §
5 Abs.
1 Nr.
1 [X.] aF
stehen im Verhältnis der Tatmehrheit 18
19
20
21
-
8
-

zueinander (§
53 StG[X.]). Dies gilt für sämtliche tatbestandliche Varianten des §
266a StG[X.].

Mit Ausnahme von §
266a Abs.
2 Nr.
1 StG[X.] sind in §
266a StG[X.] durchgehend echte Unterlassungsdelikte normiert. Sie knüpfen

wie zum Teil
auch der [X.]ußgeldtatbestand des §
5 Abs.
1 Nr.
1 [X.] aF

häufig
an ein Unterlassen des Arbeitgebers an. Auch für Unterlassungen ist die Frage, ob Tateinheit gegeben ist, an den allgemeinen Regeln zu messen. Danach ist entscheidend, ob die mehrfachen Gesetzesverletzungen durch eine ein-heitliche Unterlassung begangen worden sind. Dabei kann es wie bei positi-vem Tun
auf die bloße Gleichzeitigkeit nicht entscheidend ankommen. Ob hat, kann vielmehr nur im Hinblick auf die [X.] beurteilt wer-den, die durch die Unterlassung verletzt worden sind. Sind mehrere Pflichten regelmäßig nur eine Handlung

im weiteren Sinne

gesehen werden [X.]. Sind hingegen mehrere Handlungen erforderlich, um mehreren

selbst gleichartigen

Pflichten nachzukommen, so sind in ihrer Nichtvornahme in aller Regel mehrere Unterlassungen zu finden;
es ist also Tatmehrheit gege-ben ([X.], [X.]eschluss vom 30. Mai 1963

1 StR 6/63, [X.]St 18, 376,
379 mwN). So liegt es hier.

Auch wenn man, wofür viel spricht,
für den Fall der Auszahlung zu ge-ringen Lohns den sozialen
Handlungsschwerpunkt in der Tätigkeit des [X.] und damit in einem positiven Tun
sieht, ergibt sich nichts anderes. Denn dann
liegt die relevante Handlung in einer den gesetzlichen Mindestar-beitsbedingungen nicht genügenden Leistung an den Arbeitnehmer. Sie
fällt gleichfalls nicht mit Tathandlungen nach §
266a StG[X.] zusammen, die in den Fällen der Absätze 1
und 2 Pflichten des Arbeitgebers im Verhältnis zur [X.], in den Fällen des Absatzes 3 dessen Obliegenheiten zur Abfüh-rung von Lohnbestandteilen zugunsten Dritter betreffen.

22
23
-
9
-

Die [X.]etroffene war aufgrund der dem öffentlichen Recht zugehörigen Vorschrift des §
28e Abs.
1 [X.] gegenüber den Einzugsstellen als Schuldnerin originär zur Leistung der Sozialversicherungsbeiträge verpflich-tet (vgl. [X.], [X.]eschluss vom 28. Mai 2002

5 StR 16/02, [X.]St
47, 318, 319). Diese Pflicht besteht unabhängig von ihrer aus dem Arbeitsverhältnis entsprungenen Lohnzahlungsverpflichtung (vgl. [X.] aaO). Die [X.]etroffene war damit jedem Gläubiger gegenüber zu unabhängig voneinander vorzu-nehmenden Zahlungen verpflichtet, die lediglich in ihrer Höhe durch gesetzli-che Vorgaben beeinflusst waren (vgl. [X.], [X.]eschluss vom 30. Mai 1963

1
StR 6/63, [X.]St 18, 376, 379 f.). Dies begründet das Vorliegen von Tatmehrheit (vgl. zum in gleicher Weise zu beurteilenden Verhältnis zwi-schen Nichtabführen von Lohnsteuer und dem Vorenthalten von Sozialversi-cherungsbeiträgen [X.], [X.]eschluss vom 24. Juli 1987

3 [X.], [X.]St 35, 14, 17,
und Urteil vom 13. Mai 1992

5 StR 38/92, [X.]St 38, 285, 286; vgl. auch Saarländisches
[X.], [X.]eschluss vom 23. Juli 2010

Ss ([X.]) 50/10).

Sollte

was nach den dem Senat vorliegenden bruchstückhaften [X.] allerdings nicht sehr wahrscheinlich ist

von der Einstellung eine strafbare Handlung nach §
266a Abs.
2 Nr.
1 StG[X.] erfasst worden sein, so läge ebenfalls keine einheitliche Handlung vor.
Denn die danach maßgebli-chen Falschangaben können nicht mit einem Pflichtenverstoß im Sinne des §
5 Abs.
1 Satz 1 [X.] aF
zusammentreffen.

b) Der
aus der materiell-rechtlichen Realkonkurrenz folgende [X.]egrün-dungsansatz
für die Annahme unterschiedlicher prozessualer Taten wird durch keine weitergehenden Umstände widerlegt (vgl. [X.], [X.]eschluss vom 24. November 2004

5 [X.], [X.]St 49, 359, 363).

Soweit das Amtsgericht der [X.]etroffenen

indes von der [X.] angegriffen

eine Unkenntnis der Pflicht
zur Zahlung von Mindest-löhnen
als Grundlage für die Nichterfüllung beider Pflichten zugebilligt hat, 24
25
26
27
-
10
-

rechtfertigt dieses subjektive Element nicht die Annahme einer inneren Ver-knüpfung der beiden Unterlassungen. Solches wurde nicht einmal in der sub-jektiv viel stärker ausgeprägten Fallkonstellation anerkannt, in der es der [X.] im Rahmen eines Gewerbebetriebs von Anfang an auf derartige Verstöße planmäßig angelegt hat (vgl. [X.], [X.]eschluss vom 24. Juli 1987

3 [X.], [X.]St 35, 14). Das Erfordernis, die Mindestlohnunterschrei-tung gemäß §
5 Abs.
1 Nr.
1 [X.] aF
auch bei fahrlässigem Unterlassen als Ordnungswidrigkeit sanktionieren zu können, spricht vielmehr gegen die Annahme einer inneren Verknüpfung. Gerade die getrennte Würdigung
von Straftat und Ordnungswidrigkeit in getrennten Verfahren ist im
Gesetz ange-legt.

Auch der Umstand, dass die auszuzahlenden Löhne und die danach abzuführenden Sozialversicherungsbeiträge gleichermaßen in einem Steuer-beratungsbüro

wenn auch mit einem im Verhältnis zur
[X.]etroffenen unklar gebliebenen Hinweis auf die [X.]

errechnet worden sind, führt als bloße gemeinsame Vorbereitungshandlung nicht zur Annahme prozessualer Tatidentität (vgl. [X.]St 35, 14,
18, 20).

2.
Aspekte des sich aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art.
20 Abs.
3 GG) ergebenden Vertrauensschutzes
(vgl. [X.], [X.]eschluss vom 26. August 2003

5 [X.], [X.]St 48, 331,
334) gebieten keine andere [X.]ewertung. Das gemäß §
153a Abs.
1 [X.] endgültig eingestellte Ermittlungsverfahren hat ausschließlich das Vorenthalten von Sozialversicherungsbeiträgen nach §
266a StG[X.] zum Gegenstand. Der in der hier maßgeblichen Fallkonstellati-on nicht gezahlte Mindestlohn ist zwar zugleich eine Grundlage für die [X.]e-rechnung dieser [X.]eiträge. Er stellt indes lediglich einen Anknüpfungspunkt der strafrechtlichen Subsumtion dar, ohne hierdurch seine Selbständigkeit für weitere Subsumtionen in anderen rechtlichen Zusammenhängen zu verlie-ren. Die Mindestlohnunterschreitung nimmt deshalb nicht an einem mit
der Einstellungsentscheidung verbundenen Vertrauen teil, dass der gewürdigte 28
29
-
11
-

Sachverhalt einer weiteren nachteiligen [X.]ewertung in einem anderen Verfah-ren entzogen sei.

Für einen Vertrauenstatbestand ermangelte es auch tatsächlich jegli-cher Grundlage. Wie
das [X.] zutreffend bemerkt, war der [X.]e-troffenen
aufgrund
Akteneinsicht bekannt, dass das Hauptzollamt zum
Straf-
und zum Ordnungswidrigkeitsverfahren getrennte
Schlussberichte vorgelegt hatte;
hierdurch wurde
sie von dem eigenständig
durchzuführenden Ord-nungswidrigkeitsverfahren wegen Mindestlohnunterschreitung unterrichtet.

Raum

[X.]rause

Schaal

König

[X.]ellay

30

Meta

5 StR 288/11

15.03.2012

Bundesgerichtshof 5. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 15.03.2012, Az. 5 StR 288/11 (REWIS RS 2012, 8096)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 8096

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