Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 14.09.2011, Az. 2 StR 145/11

2. Strafsenat | REWIS RS 2011, 3376

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Entscheidungstext


Formatierung

Dieses Urteil liegt noch nicht ordentlich formatiert vor. Bitte nutzen Sie das PDF für eine ordentliche Formatierung.

PDF anzeigen


BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL
2 StR 145/11
vom
14.
September 2011
in der Strafsache
gegen

wegen Totschlags

-
2
-
Der 2.
Strafsenat des [X.] hat in der Sitzung vom 14.
September 2011, an der teilgenommen haben:
[X.] am Bundesgerichtshof
Dr.
[X.]
als Vorsitzender

und die [X.] am Bundesgerichtshof
Prof. [X.],
[X.],
Prof. Dr. [X.],
Dr.
Eschelbach,

Bundesanwalt

als Vertreter der [X.],

Rechtsanwalt

als Verteidiger,

Justizhauptsekretärin

in der Verhandlung,
Justizangestellte

bei der Verkündung

als Urkundsbeamtinnen
der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:

-
3
-

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des [X.] vom 1.
Dezember 2010 wird verworfen.
Der Angeklagte
hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Von Rechts wegen

Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten wegen Totschlags unter Annahme eines minderschweren Falls gemäß
§
213 2.
Alt.
[X.] zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Hiergegen richtet sich seine auf Verfahrensrügen so-wie die Sachbeschwerde gestützte Revision. Das Rechtsmittel hat keinen [X.].
I.
Nach den Feststellungen des [X.]s ist der Angeklagte nach zwei missglückten Hüftgelenksoperationen seit 2009 auf einen Rollstuhl angewiesen. Außerdem leidet
er an einer Netzhauterkrankung mit der Folge zunehmender Erblindung. Vor diesem Hintergrund wurde er -
von seiner Ehefrau [X.]
M.

umsorgt
-
immer depressiver. Die Ehe war harmonisch; beide Partner hatten allerdings Alkoholprobleme. Zu Beginn des Jahres 2009 verlor [X.] M.

deshalb ihren Arbeitsplatz, was sie zunächst innerhalb der Familie ver-1
2
-
4
-
schwieg. Sie erlitt durch ihre Alkoholerkrankung eine Hirnschädigung; danach litt sie an Epilepsie. Außerdem hatte sie Asthma. Ihr Zustand verschlechterte sich zunehmend, sie lag meist auf der Couch oder im Bett und nahm 20
kg ab. Der Angeklagte versorgte sie so gut er konnte. Er sah auf einem Auge nichts mehr; auf dem anderen Auge hatte er nur noch eine Sehfähigkeit von 30
%. Außerdem hörte er schlecht. Er war der Situation nicht mehr gewachsen, gab dies aber nach außen nicht zu erkennen.
Seine Ehefrau hatte am Morgen des 15.
Januar 2010 einen epileptischen Anfall, weshalb der Angeklagte den Notarzt rief. Dieser wollte die Patientin in eine Klinik einweisen, was diese jedoch ablehnte. Daher informierte der Notarzt den Hausarzt, der für 13.00
Uhr zum Hausbesuch erscheinen wollte. Der Ange-klagte war nach dem Besuch des Notarztes erschöpft und schlief auf der Couch ein. Als er wieder wach wurde, hatte seine Ehefrau erneut einen epileptischen Anfall. Der Angeklagte rief diesmal nicht den Notarzt, weil er meinte, dass die-ser die Lage doch nicht dauerhaft bessern könne. [X.] M.

äußerte dann erstmals, dass sie nicht mehr leben wolle. Der Angeklagte entschloss sich [X.], seine Ehefrau und sich selbst zu töten. Er trank sich in der Küche mit Glühwein Mut an. Nach einem weiteren epileptischen Anfall seiner Ehefrau [X.] er einen Steakhammer und ein Messer, schlug ihr mit dem Hammer auf die Stirn, um sie zu betäuben, und stach ihr mit dem Messer [X.] in den Hals, wodurch sie alsbald verstarb. Nach der Tat trank der Angeklagte den rest-lichen Glühwein, setzte sich auf die Bettkante, stach sich mit dem Messer in den Hals und versuchte sich die Pulsadern zu öffnen. Er wurde daraufhin be-wusstlos, überlebte aber den Selbsttötungsversuch.
Das [X.] hat eine Privilegierung der Tat als
Tötung auf Verlangen gemäß §
216 [X.] abgelehnt. Es sei bereits zweifelhaft, ob von [X.] M.

tatsächlich die Tötung verlangt oder nur zum Ausdruck gebracht worden sei, 3
4
-
5
-
dass sie die Situation nicht mehr ertrage. Jedenfalls wäre ein Tötungsverlangen nicht ernstlich erfolgt. Auch eine irrtümliche Annahme der [X.]keit des
[X.] habe nicht vorgelegen. Ein Eingangsmerkmal für eine Be-einträchtigung der Unrechtseinsichts-
und Steuerungsfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit nach §§
20, 21 [X.] habe nicht vorgelegen. Der Alkoholkonsum des Angeklagten vor der Tat sei dafür nicht ausreichend. Zwar habe zur Tatzeit eine akute Belastungsreaktion vorgelegen; diese erfülle jedoch kein Eingangs-merkmal im Sinne des §
20 [X.].
II.
Die Revision des Angeklagten ist unbegründet. Die Verfahrensrügen ha-ben aus den vom [X.] in seiner Antragsschrift vom 10.
Mai 2011 genannten Gründen keinen Erfolg. Auch die Sachrüge zeigt keinen Rechtsfehler auf. Der Erörterung bedarf nur Folgendes:
Der objektive Tatbestand der Tötung auf Verlangen kommt nicht in [X.]. Gemäß § 216 Abs. 1 [X.] setzt die Privilegierung voraus, dass das
Tötungsverlangen des Opfers, welches den Täter zur Tat bestimmt, ausdrück-lich und ernsthaft ist. [X.] ist ein derartiges Verlangen nur, wenn es auf fehlerfreier Willensbildung beruht. Der seinen Tod verlangende Mensch muss dazu die Urteilskraft besitzen, um die Bedeutung und Tragweite seines [X.] zu überblicken und abzuwägen. Dem entsprechend ist einem
Tötungsverlangen die Anerkennung im Sinne des [X.] für den Täter zu versagen, wenn das Opfer durch eine Erkrankung in seiner natür-lichen Einsichts-
und Willensfähigkeit beeinträchtigt war und es deshalb die Tragweite seines Entschlusses, sich töten zu lassen, nicht überblickte. [X.] ist aber auch ein Tötungsverlangen in depressiver Augenblicksstim-mung, zumindest wenn es nicht von innerer Festigkeit und Zielstrebigkeit getra-5
6
-
6
-
gen wird ([X.],
Urteil
vom 7.
Oktober 2010 -
3
StR
168/10). Nach diesem Maß-stab hat das [X.] die erstmalige Äußerung des Todeswunsches durch die Ehefrau des Angeklagten zwischen mehreren epileptischen Anfällen zu Recht nicht als ernstliches Verlangen einer Tötung bewertet, zumal deren Zeit und Ausführungsart unbestimmt geblieben waren.
Geht der Täter allerdings irrtümlich davon aus, dass der Getötete seine Tötung ernstlich verlangt habe, dann greift §
16 Abs.
2 [X.] ein, so dass die Privilegierung gemäß
§
216 [X.] im Ergebnis ebenfalls zu seinen Gunsten zur Anwendung kommen kann (vgl. [X.] in [X.]/[X.],
[X.],
28.
Aufl.,
§
216 Rn.
14; [X.],
[X.],
58.
Aufl.,
§
216 Rn.
11). Ein auf Tatsachen bezo-gener Irrtum des Angeklagten in diesem Sinne ist jedoch vom [X.] rechtsfehlerfrei ausgeschlossen worden.
Der Angeklagte kannte alle Umstände, die zu der Äußerung des Todeswunsches seiner Ehefrau geführt hatten. Auch die besondere Befindlichkeit des Angeklagten zum Tatzeitpunkt hat das Land-gericht -
wie sich den Urteilsgründen noch entnehmen lässt
-
hinreichend be-dacht.
Auch die Voraussetzungen des §
21 [X.] sind vom [X.] rechts-fehlerfrei verneint worden. Eine akute Belastungsreaktion, wie sie nach den Ur-teilsfeststellungen zur Tatzeit beim Angeklagten vorgelegen hatte, erfüllt im [X.] nicht das Eingangsmerkmal der schweren anderen seelischen Abar-tigkeit im Sinne von §
20 [X.]. Als schwer kann nur eine solche seelische [X.] gelten, bei der sich nach dem Erscheinungsbild und Ausprägungsgrad der psychischen Störung eine Aufhebung der Unrechtseinsichts-
oder Steue-rungsfähigkeit oder eine erhebliche Minderung des Hemmungsvermögens ge-radezu aufdrängt (vgl. LK/Schöch,
[X.],
12.
Aufl.,
§
20 Rn.
73) oder bei der die Störung das Gewicht krankhafter seelischer Störungen erreicht (vgl. [X.]St 34, 22,
24 f.; 35, 76, 78 f.; 37, 397, 401). Es muss feststehen, dass der Täter aus 7
8
-
7
-
einem für ihn mehr oder weniger unüberwindlichen Zwang heraus gehandelt hat (vgl. [X.] NStZ-RR 2008, 70, 71). Einen solchen Fall hat das [X.] mit Hinweis darauf ausgeschlossen, dass der Angeklagte die Tat planmäßig in Etappen ausgeführt habe, ein [X.] nicht eingetreten sei, Empa-thie vorgelegen habe, die Wahrnehmung des Geschehens und seine Erinne-rung hieran nicht beeinträchtigt gewesen sei, der Notarzt sein Verhalten kurz vor der Tat als normal beschrieben habe und erst nach der Tat eine schwere depressive Episode ohne psychotische Symptome eingetreten sei. Dagegen ist rechtlich nichts zu erinnern.

[X.]

Schmitt

Berger

[X.]

Eschelbach

Meta

2 StR 145/11

14.09.2011

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 14.09.2011, Az. 2 StR 145/11 (REWIS RS 2011, 3376)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 3376

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

2 StR 145/11 (Bundesgerichtshof)

Tötung auf Verlangen: Ernstlichkeit des Tötungsverlangens bei Beeinträchtigung der Willensfähigkeit infolge Krankheit


3 StR 168/10 (Bundesgerichtshof)

Tötung auf Verlangen: Ernstlichkeit des Tötungsverlangens


3 StR 168/10 (Bundesgerichtshof)


2 Ws 113/99 (Oberlandesgericht Köln)


2 StR 245/17 (Bundesgerichtshof)

Sich-Bereiterklären zu einem Tötungsverbrechen: Abgabe der Erklärung gegenüber dem potentiellen Opfer


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

2 StR 145/11

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.