Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 08.10.2004, Az. V ZR 85/04

V. Zivilsenat | REWIS RS 2004, 1267

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[X.]IM NAMEN DES VOLKES URTEIL [X.]/04 Verkündet am: 8. Oktober 2004 K a n i k, Justizamtsinspektorin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle in dem Rechtsstreit

Nachschlagewerk: ja [X.]: nein [X.]R: ja

BGB § 906 Abs. 1 Satz 2 und 3 [X.] Nr. 6.9

Beruft sich der Störer darauf, daß die in der [X.] festgelegten Grenz- oder Richtwerte eingehalten seien, so daß nach § 906 Abs. 1 Satz 2 und 3 BGB von einer nur unwesentlichen Beeinträchtigung auszugehen sei, so ist von dem ermittelten Lärmpegel kein Meßabschlag zu machen, wie er nach Nr. 6.9 der [X.] für Überwachungsmessungen vorgesehen ist. Nur wenn ohne diesen Abschlag die [X.] diesen Grenzwert einhalten, besteht eine gesicherte Grundlage dafür, daß dem Störer die sich aus § 906 Abs. 1 Satz 2 und 3 BGB ergebende Beweiser-leichterung zugebilligt werden kann.

[X.], Urt. v. 8. Oktober 2004 - [X.]/04 - LG Mönchengladbach

AG [X.]

- 2 - Der V. Zivilsenat des [X.] hat auf die mündliche Verhandlung vom 8. Oktober 2004 durch den Vizepräsidenten des [X.] Dr. [X.], [X.] [X.], [X.], [X.] und die Richterin [X.] für Recht erkannt: Auf die Rechtsmittel der Kläger werden das Urteil der 4. Zivilkammer des [X.] vom 24. März 2004 aufgehoben und das Urteil des Amtsgerichts [X.] vom 7. März 2003 abgeändert.

Der Beklagte wird verurteilt, den Betrieb der beiden Windkraftan-lagen des Typs [X.] mit einer Gesamthöhe von jeweils 85 m und einer Nennleistung von 500 KW, welche in einer Entfer-nung zum Wohnhaus der Kläger von 270 bzw. 310 m auf dem
Grundstück der Stadt [X.], [X.]

, Flur 4, Flurstück 39/2 und 385 errichtet wurden, jeweils in der [X.] von 22.00 Uhr bis 6.00 Uhr zu unterlassen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Beklagte.

Von Rechts wegen Tatbestand:
- 3 - Die Kläger sind Eigentümer eines von ihnen bewohnten [X.] in [X.], das im Außenbereich in einem Dorfgebiet liegt. Der [X.] betreibt auf Nachbargrundstücken vier Windkraftanlagen, von denen sich die zwei am nächsten zum Wohnhaus der Kläger gelegenen Anlagen in einem Abstand von etwa 270 bis 280 m bzw. 310 bis 320 m befinden.

Die Kläger verlangen von dem Beklagten, den Betrieb von zwei der vier Anlagen in der [X.] von 22.00 Uhr bis 6.00 Uhr zu unterlassen. In einem selb-ständigen Beweisverfahren hat der Sachverständige bei Betrieb aller vier An-lagen einen Lärmpegel am Haus der Kläger von 46 bis 47 dB (A) gemessen. Die Parteien streiten darüber, ob bei der Frage des nach der technischen Anleitung zum Schutz gegen Lärm ([X.]) zulässigen Grenzwertes von nachts 45 dB (A) von diesem gemessenen Pegel auszugehen ist oder ob - wie dies der Sachverständige getan hat - ein Meßabschlag von 3 dB (A) vorzunehmen ist.

Das Amtsgericht hat die Unterlassungsklage abgewiesen. Die Berufung der Kläger ist ohne Erfolg geblieben. Mit der von dem [X.] verfolgen die Kläger ihren Anspruch weiter. Der Beklagte [X.] die Zurückweisung des Rechtsmittels.

Entscheidungsgründe:
[X.] - 4 - Das Berufungsgericht hält den geltend gemachten Unterlassungsan-spruch nach § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB nicht für begründet, da der Betrieb der Windkraftanlagen die Benutzung des Grundstücks der Kläger nur unwesentlich beeinträchtige. Dies folge daraus, daß der in der [X.] im konkreten Fall maßgebliche Grenzwert von 45 dB (A) nach den Feststellungen des Sachver-ständigen eingehalten werde. Es sei nämlich nicht zu beanstanden, daß der Sachverständige in Anwendung von Nr. 6.9 einen Meßabschlag von 3 dB (A) gemacht habe. Zum einen seien die Bewertungs- und Ermittlungsmaßstäbe der [X.] nach § 906 Abs. 1 Satz 2 BGB auch im Verhältnis von Privatpersonen zueinander verbindlich. Zum anderen sei die Bewertungssituation vergleichbar. Nr. 6.9 gelte für eine Überwachungsmessung zur Klärung, ob ein Einschreiten der Behörde geboten ist. Dem gleiche die vorliegende Situation, in der von dem Beklagten auf [X.] eine Betriebsunterlassung verlangt werde. Werde aber der zulässige Grenzwert nicht überschritten, so sei nach § 906 Abs. 1 Satz 2 BGB im Regelfall, und so auch hier, von einer nur unwe-sentlichen und damit hinzunehmenden Beeinträchtigung auszugehen.

I[X.]
Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Prüfung nicht stand. Sie verletzen die Regeln über die Darlegungs- und Beweislast.

1. Zutreffend geht das Berufungsgericht allerdings davon aus, daß die von den Windkraftanlagen herrührenden Lärmimmissionen von den Klägern zu dulden sind, wenn sie keine oder eine nur unwesentliche Beeinträchtigung [X.], § 906 Abs. 1 Satz 1 BGB. Ob eine Beeinträchtigung wesentlich ist, - 5 - hängt nach der ständigen Rechtsprechung des [X.] von dem Empfinden eines verständigen Durchschnittsmenschen ab und davon, was [X.] auch unter Würdigung anderer öffentlicher und privater Belange billiger-weise nicht mehr zuzumuten ist (Senat, [X.] 120, 239, 255; 121, 248, 255; 146, 261, 264). Bei der von dem Tatrichter dazu anzustellenden Bewertung ist - wie das Berufungsgericht nicht verkannt hat - § 906 Abs. 1 Satz 2 BGB zu beachten.

Danach liegt eine unwesentliche Beeinträchtigung in der Regel vor, wenn die in Gesetzen oder Rechtsverordnungen festgelegten Grenzen oder Richtwerte von den nach diesen Vorschriften ermittelten und bewerteten Ein-wirkungen nicht überschritten werden. Das bedeutet, daß der Grundsatz, wo-nach der Störer darlegen und beweisen muß, daß sich eine Beeinträchtigung nur als unwesentlich darstellt ([X.] 120, 239, 257), eine Einschränkung zu seinen Gunsten erfährt. Die in § 906 Abs. 1 Satz 2 und 3 BGB genannten Grenz- oder Richtwerte stellen Umstände für eine Indizwirkung dar. Werden sie überschritten, indizieren sie die Wesentlichkeit der Beeinträchtigung, werden sie eingehalten oder unterschritten, so indizieren sie die Unwesentlichkeit der Beeinträchtigung (Senat, Urt. v. 13. Februar 2004, [X.], [X.], 1317, 1318). Eine solche indizielle Bedeutung hat der Tatrichter zu beachten. Er kann im Rahmen seines [X.] von dem Regelfall abwei-chen, wenn dies besondere Umstände des Einzelfalls gebieten. [X.] und gegebenenfalls zu beweisen sind solche die Indizwirkung erschütternde Umstände von demjenigen, der trotz Einhaltung der Grenzwerte eine wesentli-che Beeinträchtigung geltend macht (Senat aaO). Im übrigen bleibt es aber bei der Darlegungs- und Beweislast des Störers. Er muß darlegen und [X.] 6 - falls nachweisen, daß seine Emissionen innerhalb der Grenz- oder Richtwerte bleiben. Nur wenn dies feststeht, kommt ihm die Indizwirkung zugute.

2. Geht man von diesen Grundsätzen aus, so ist die Frage, ob bei der Ermittlung der Immissionsrichtwerte nach Nr. 6.1 [X.] der nach Nr. 6.9 [X.] für Überwachungsmessungen vorgesehene Meßabschlag von 3 dB (A) zu machen ist, entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts zu verneinen. Dabei braucht nicht entschieden zu werden, ob die Berücksichtigung eines solchen Abschlags schon deswegen nicht in Betracht kommt, weil es sich vorliegend nicht um eine Überwachungsmessung handelt. Jedenfalls steht der Zweck des § 906 Abs. 1 Satz 2 und 3 BGB und die damit verbundene Rege-lung der Darlegungs- und Beweislast einer Anwendung von Nr. 6.9 [X.] zur Ermittlung des Richtwertes entgegen.

a) Der im konkreten Fall einzuhaltende Richtwert beträgt nach Nr. 6.1 [X.] in der [X.] von 22.00 Uhr bis 6.00 Uhr 45 dB (A). Der Meßabschlag nach Nr. 6.9 [X.] führt nicht zu einer Erhöhung dieses Wertes. Er dient vielmehr dem Ausgleich von eventuellen [X.] und soll gewähr-leisten, daß die Behörde aufgrund einer Überwachungsmessung nur dann ge-gen den Betreiber einer störenden Anlage einschreitet, wenn auch unter Be-rücksichtigung aller Eventualitäten sichergestellt ist, daß die Immissionen den Richtwert überschreiten (vgl. BVerwG, DVBl. 2001, 1451, 1455). Er trägt damit vor allem auch dem Umstand Rechnung, daß die Beweislast für die Vorausset-zungen zum Eingriff in die Rechte des Betreibers bei der Behörde liegt; Unsi-cherheiten bei der Sachverhaltsermittlung gehen daher zu ihren Lasten (Hans-mann, in Landmann/[X.], Umweltrecht, Band II, 3.1. [X.] Nr. 6 Rdn. 35 ff.). - 7 -

b) Trägt der Störer im Bereich des privatrechtlichen Immissionsschutzes die Darlegungs- und Beweislast für die Unwesentlichkeit der Beeinträchtigung und damit für die Einhaltung der Grenz- oder Richtwerte, die nach § 906 Abs. 1 Satz 2 und 3 BGB die Indizwirkung auslöst, so gehen in gleicher Weise Unsi-cherheiten bei der Sachverhaltsermittlung zu seinen Lasten. Das führt dazu, daß die gemessenen Werte allein entscheidend sind und nicht um einen [X.] reduziert werden dürfen. Nur wenn ohne diesen Abschlag die Immis-sionen den Grenzwert einhalten, besteht eine gesicherte Grundlage dafür, dem Störer die Beweiserleichterung des § 906 Abs. 1 Satz 2 und 3 BGB zuzubilli-gen. [X.] man sie ihm schon dann, wenn die Grenze nur mit Hilfe eines [X.] eingehalten wird, so gingen [X.] oder sonstige Unsicherheiten zu Lasten des [X.]. Das ist mit den Grundsätzen der Darlegungs- und Beweislast im privaten Immissionsschutzrecht nicht ver-einbar. Das schließt nicht aus, daß auch in einem solchen Fall eine Duldungs-pflicht bestehen kann. Besondere Umstände des Einzelfalls geben dem [X.] die Möglichkeit, im Rahmen seines [X.] auch dann die Wesentlichkeit der Beeinträchtigung zu verneinen. Nur streitet hierfür nicht die Regelvermutung des § 906 Abs. 1 Satz 2 und 3 BGB. Auch insoweit gibt es Parallelen zum öffentlichen Recht. Auch dort können besondere Umstände des Einzelfalls die Behörde zum Eingreifen berechtigen, obwohl die Immissions-richtwerte nur ohne einen Abschlag von 3 dB (A) überschritten sind (Hans-mann, aaO Rdn. 36).

3. Nach allem hat das angefochtene Urteil keinen Bestand (§ 562 ZPO). Da der Beklagte keine Umstände vorgetragen hat, die den Schluß darauf zu-lassen, daß trotz Überschreitens des zulässigen Immissionsrichtwertes für die - 8 - Nachtzeit von einer nur unwesentlichen Beeinträchtigung auszugehen ist, ist der geltend gemachte Unterlassungsanspruch begründet. Dabei besteht an sich nur ein Anspruch darauf, wesentliche Lärmimmissionen zu unterlassen. Wie dies bewerkstelligt werden kann, ist grundsätzlich Sache des Störers ([X.], [X.] 67, 252, 253; Urt. v. 12. Dezember 2003, [X.], [X.], 1035). Vorliegend bestand indes in den Tatsacheninstanzen kein Streit dar-über, daß der zulässige Richtwert in der Nacht nur dann eingehalten werden kann, wenn zwei der Anlagen ausgeschaltet werden. Daher war dem darauf gerichteten Klageantrag stattzugeben. II[X.]
[X.] beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.

[X.]

Krüger Klein

Gaier

Stresemann

Meta

V ZR 85/04

08.10.2004

Bundesgerichtshof V. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 08.10.2004, Az. V ZR 85/04 (REWIS RS 2004, 1267)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2004, 1267

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