Bundesgerichtshof, Urteil vom 13.12.2018, Az. IX ZR 66/18

9. Zivilsenat | REWIS RS 2018, 428

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Insolvenzverfahren über das Vermögen einer KG: Einzelschaden eines Gesellschafters


Leitsatz

Begründet ein Gesellschafter seinen Schaden damit, er hätte die monatlichen Zahlungen auf die Einlage eingestellt, wenn er nicht betrogen worden wäre, macht er einen Einzelschaden geltend.

Tenor

Auf die Revision des [X.] wird das Urteil der 4. Zivilkammer des [X.] vom 31. Januar 2018 aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Gerichtskosten für das Revisionsverfahren werden nicht erhoben.

Das Urteil ist gegen den Beklagten zu 1 vorläufig vollstreckbar.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Der Kläger macht Schadensersatzansprüche gegen die Beklagten geltend, die sich daraus ergeben sollen, dass er an der [X.] (künftig: Schuldnerin), über deren Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet wurde, vielleicht auch nur mittelbar gesellschaftlich beteiligt war. Zum Zeitpunkt der Zeichnung der Anlage durch den Kläger waren die Beklagten für die Schuldnerin wohl noch nicht tätig. Der Kläger wirft ihnen vor, Gesellschaftsvermögen in strafrechtlich relevanter Weise verschoben zu haben. Er hat die Klage nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens erhoben, welches noch andauert. Das [X.] hat die Klage abgewiesen, das Berufungsgericht hat die Berufung des [X.] zurückgewiesen. Mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision möchte der Kläger die Verurteilung der Beklagten erreichen.

Entscheidungsgründe

I.

2

Über die Revision ist in Bezug auf den Beklagten zu 1 antragsgemäß durch (Teil-)Versäumnisurteil zu entscheiden, weil dieser trotz ordnungsgemäßer Ladung im Revisionsverhandlungstermin nicht vertreten war. Dieses Versäumnisurteil beruht inhaltlich allerdings nicht auf der Säumnis, sondern auf einer sachlichen Prüfung des Antrags (vgl. [X.], Urteil vom 4. April 1962 - [X.], [X.]Z 37, 79, 81 f).

II.

3

Die Revision des [X.] ist begründet.

4

1. Zur Begründung führt das Berufungsgericht in dem gemäß § 540 Abs. 1 Satz 2 ZPO in das Protokoll der mündlichen Verhandlung aufgenommenen Urteil aus: Der Kläger sei nicht berechtigt, den von ihm geltend gemachten Schaden einzuklagen. Es handle sich um einen Gesamtschaden im Sinne von § 92 [X.], der nur vom Insolvenzverwalter geltend gemacht werden könne. Davon abgesehen könne der Kläger den Schaden wegen des Wertverlustes seiner Beteiligung nur in der Weise geltend machen, dass er den Schädiger auf Zahlung an die Gesellschaft in Anspruch nehme. Weiter scheitere die Klage daran, dass der Kläger nicht nachgewiesen habe, die bestrittenen Zahlungen tatsächlich erbracht zu haben.

5

2. Das Berufungsurteil ist gemäß § 562 Abs. 1, § 545 Abs. 1, § 547 Nr. 6 ZPO von Amts wegen aufzuheben, weil es nicht mit Gründen versehen ist (vgl. [X.], Urteil vom 12. Februar 2009 - [X.], [X.] 2009, 427 Rn. 3; Beschluss vom 22. September 2016 - [X.], [X.], 893 Rn. 10; Urteil vom 21. November 2017 - [X.], [X.], 51 Rn. 8).

6

a) Ein Urteil muss - von hier nicht vorliegenden Ausnahmen abgesehen - neben den in § 313 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 ZPO aufgeführten Bestandteilen - Bezeichnung der Verfahrensbeteiligten, Datum des Schlusses der mündlichen Verhandlung und Urteilsformel - eine Begründung enthalten. Nach § 540 Abs. 1 Satz 1 ZPO müssen aus dem Berufungsurteil die tatsächlichen Grundlagen, von denen das Berufungsgericht ausgegangen ist, nebst den Klage- und Berufungsanträgen ersichtlich sein. Diese Darlegungen können, wenn das Urteil in der mündlichen Verhandlung verkündet wird, gemäß § 540 Abs. 1 Satz 2 ZPO in das [X.] aufgenommen werden ([X.], Urteil vom 12. Februar 2009, aaO mwN; vom 1. März 2010 - [X.], [X.], 796 Rn. 8). Dem wird das Berufungsurteil nicht gerecht. Es enthält keinen als Bezugnahme auf die tatsächlichen Feststellungen zu verstehenden Hinweis auf das Urteil des Amtsgerichts, keine eigenen Feststellungen zum Sach- und Streitstand und keine Ausführungen zum weiteren Vortrag des [X.] in der Berufungsinstanz. Es gibt weder die Klage- noch die Berufungsanträge wieder.

7

b) Fehlen die nach § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO vorgeschriebenen Feststellungen, kann eine Aufhebung und Zurückverweisung dann unterbleiben, wenn sich die tatsächlichen Grundlagen sowie das Rechtsschutzziel der Parteien hinreichend deutlich aus den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils ergeben ([X.], Urteil vom 12. Februar 2009, aaO Rn. 4). Vorliegend ist das nicht der Fall. Zwar wird hinreichend deutlich, dass der Kläger Schadensersatzansprüche gegen die Beklagten geltend macht, weil er meint, durch deren Untreuehandlungen zum Nachteil der Gesellschaft sei er persönlich geschädigt worden. Nicht erkennbar ist, welchen Schaden er in welcher Höhe geltend macht und wie er ihn begründet. Insoweit kann nicht beurteilt werden, ob die Ausführungen des Berufungsgerichts zutreffen, er mache lediglich einen Gesellschafts- und Gesamtschaden geltend, wozu er möglicherweise nach § 92 [X.] (gegebenenfalls analog) nicht berechtigt ist, und keinen Einzelschaden. Das genügt den Anforderungen des § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO nicht. Das angefochtene Urteil enthält damit keine tatsächlichen Grundlagen für eine Entscheidung des [X.]. Dieses ist weder verpflichtet noch auch nur berechtigt, den entscheidungserheblichen Sachverhalt und die in den Vorinstanzen gestellten Anträge selbst aus den Akten zu ermitteln ([X.], Urteil vom 12. Februar 2009, aaO).

III.

8

1. Das angefochtene Urteil kann folglich keinen Bestand haben. Es ist aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO), die Sache ist zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 ZPO).

9

2. Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:

Der Kläger macht mit der Revisionsbegründung geltend, er habe, wie das Berufungsgericht verkannt habe, seinen Schaden nicht darin gesehen, dass der Wert seiner gegebenenfalls mittelbaren Beteiligung an der Schuldnerin durch die behaupteten Untreuehandlungen der Beklagten gegenüber der Schuldnerin gesunken sei, sondern allein darin, dass er von Dezember 2009 bis September 2014 monatliche Raten auf die Einlage gezahlt habe, Zahlungen, die er nicht geleistet hätte, wenn die Beklagten ihn nicht betrogen hätten (vgl. zum Betrug durch Unterlassen [X.], Beschluss vom 8. März 2017 - 1 StR 466/16, [X.]St 62, 72). Sollte dies zutreffen, hätte der Kläger keinen Gesamtschaden im Sinne von § 92 [X.] eingeklagt, sondern einen Einzelschaden, ohne dass es auf die Frage ankäme, ob die weiteren Voraussetzungen dieser Vorschrift gegeben sind (vgl. [X.], Urteil vom 21. März 2013 - [X.], [X.]Z 197, 75 Rn. 42 ff). Denn er würde, weil er so behandelt werden wollte, als wenn er betrügerisch zur Zeichnung einer Kapitalanlage veranlasst worden wäre (vgl. [X.], Beschluss vom 8. März 2017, aaO Rn. 30), einen [X.] geltend machen, welcher keinen Gesamtschaden, sondern einen Einzelschaden darstellt. Dies gilt auch dann, wenn eine ganze Gruppe von Gläubigern wie etwa sämtliche Anleger einer Kapitalanlagegesellschaft durch gleichartige deliktische Handlungen geschädigt worden ist. Denn das Bestehen mehrerer oder sogar massenhaft eingetretener Individualschäden führt nicht zu einem Gesamtschaden ([X.], Z[X.] 2017, 1939, 1944; [X.], [X.], 1015, 1017; HK-[X.]/[X.], 9. Aufl., § 92 Rn. 20).

a) Ein Gesamtschaden bezieht sich auf einen solchen Schaden, den der einzelne Gläubiger ausschließlich aufgrund seiner Gläubigerstellung und damit als Teil der Gesamtheit der Gläubiger erlitten hat. Die Verkürzung der Masse muss also die Gesamtheit der Gläubiger treffen ([X.], Beschluss vom 14. Juli 2011 - [X.], [X.], 682 Rn. 9). Das schädigende Verhalten, aus dem der Schädiger in Anspruch genommen wird, muss die Insolvenzmasse verkürzt ([X.], Urteil vom 8. Mai 2003 - [X.], [X.], 434, 435) und damit zu einer geringeren Quote für die Gläubiger geführt haben ([X.]; vgl. [X.], Urteil vom 22. April 2004 - [X.], [X.]Z 159, 25, 27; [X.], Z[X.] 2017, 1939, 1944; [X.], [X.], 1015, 1016 f). Der Anspruch kann sich nicht nur gegen Gesellschafter oder Organe der insolventen Schuldnerin, sondern grundsätzlich gegen jeden [X.] richten. Ein Gesamtschaden tritt auch durch eine deliktische Verschiebung des zur Insolvenzmasse gehörenden Vermögens ein ([X.], Urteil vom 8. Mai 2003, aaO). Dagegen handelt es sich um einen nicht von § 92 [X.] erfassten Einzelschaden, wenn der Gläubiger nicht als Teil der Gläubigergesamtheit, sondern individuell geschädigt wird ([X.], Beschluss vom 14. Juli 2011, aaO).

Entsprechend diesen Grundsätzen wird überwiegend in dem Kontrahierungsschaden des [X.]s, mit welchem der Geschäftsführer einer juristischen Person nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft oder nach Feststellung ihrer Überschuldung in ihrem Namen einen Vertrag schließt (§ 15a [X.]), ein Einzelschaden gesehen, welcher nicht vom Insolvenzverwalter, sondern vom [X.] geltend zu machen ist (§ 823 Abs. 2 BGB; vgl. zu § 64 Abs. 1 GmbHG: [X.], Urteil vom 6. Juni 1994 - [X.], [X.]Z 126, 181, 190, 192 ff; vom 30. März 1998 - [X.], [X.]Z 138, 211, 214 ff). Denn der Schaden besteht nicht in einer Verminderung des zur Insolvenzmasse gehörenden Vermögens; er ist deshalb nicht durch Auffüllen der Masse zu ersetzen, sondern er liegt darin, dass der [X.] mit der insolventen Gesellschaft überhaupt einen Vertrag geschlossen hat ([X.], Urteil vom 6. Juni 1994, aaO S. 198; vom 30. März 1998, aaO S. 216 f; vom 22. April 2004 - [X.], [X.]Z 159, 25, 27; [X.], Z[X.] 2007, 218; MünchKomm-[X.]/[X.]/[X.], 3. Aufl., § 92 Rn. 36).

b) Nicht anders ist der Kläger zu behandeln, wenn er aufgrund einer angeblichen Täuschungshandlung der Beklagten seine Zahlungen an die Schuldnerin fortgesetzt hat. Auch für ihn stellen sich die Zahlungen dann nach seinem Vortrag als ein individueller Vermögensverlust dar. Er will nicht geschädigt sein, weil sich die Insolvenzquote für alle Gläubiger verringert hat. Sondern er sieht seinen individuellen Schaden - unabhängig von jeder Insolvenzquote - allein in der konkreten Weiterzahlung der monatlichen Raten. Sein Schaden soll nicht die mittelbare Folge des behaupteten deliktischen Zugriffs der Beklagten auf das Vermögen der Schuldnerin, sondern Folge neuer Straftaten der Beklagten sein, nämlich ihrer Täuschungshandlungen, welche den Kläger zur Weiterzahlung der monatlichen Raten veranlassten ([X.], Z[X.] 2017, 1939, 1944; vgl. auch [X.], Beschluss vom 14. Juli 2011 - [X.], [X.], 682 Rn. 9). Sowohl der deliktische Angriff auf die Dispositionsfreiheit des [X.] als auch auf dessen Privatvermögen als das eigentliche Tatobjekt der [X.] sind ausschließlich seiner Individualsphäre zugeordnet (vgl. [X.], Urteil vom 28. April 2008 - [X.], [X.]Z 176, 204 Rn. 25 ff; [X.], aaO).

Rechtsbehelfsbelehrung

Gegen dieses Versäumnisurteil steht dem Beklagten zu 1 als säumiger Partei der Einspruch zu, soweit die Revision des [X.] Erfolg hat. Der Einspruch ist von einem bei dem [X.] zugelassenen Rechtsanwalt binnen einer Notfrist von zwei Wochen ab der Zustellung des Teilversäumnisurteils bei dem [X.], [X.] 45a, 76133 [X.], durch Einreichung einer Einspruchsschrift einzulegen.

Kayser     

      

Lohmann     

      

Pape   

      

Grupp     

      

Möhring     

      

Berichtigungsbeschluss vom 18. März 2019

Das Urteil des Senats vom 13. Dezember 2018 wird gemäß § 319 Abs. 1 ZPO wegen einer offenbaren Unrichtigkeit wie folgt berichtigt:

Unter Rn. 1 des Urteils vorletzter Satz muss es an Stelle "Das [X.]" heißen "Das Amtsgericht".

Kayser     

  

Lohmann     

  

Pape

  

Grupp     

  

Möhring     

  

Meta

IX ZR 66/18

13.12.2018

Bundesgerichtshof 9. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend LG Würzburg, 31. Januar 2018, Az: 42 S 1655/17, Urteil

§ 92 S 1 InsO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 13.12.2018, Az. IX ZR 66/18 (REWIS RS 2018, 428)

Papier­fundstellen: MDR 2019, 374-375 WM2019,318 REWIS RS 2018, 428


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. IX ZR 66/18

Bundesgerichtshof, IX ZR 66/18, 13.12.2018.


Az. 42 S 1655/17

LG Würzburg, 42 S 1655/17, 31.01.2018.


Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

IX ZR 21/19 (Bundesgerichtshof)

Wirkungen der Insolvenzeröffnung: Unterbrechung eines Rechtsstreits bei Verfolgung eines Einzelschadens wegen einer durch Täuschung eines …


III ZR 326/20 (Bundesgerichtshof)

Haftung bei Kapitalanlagegeschäft: Schadensersatz bei Verminderung der Insolvenzmasse durch Begünstigung; Aktivlegitimation des Insolvenzverwalters


III ZR 11/20 (Bundesgerichtshof)

Gesamtschaden der Insolvenzgläubiger: Deliktische Verschiebung von Vermögenswerten nach Begehung eines Eingehungsbetrugs im Rahmen einer Kapitalanlage


IX ZR 93/08 (Bundesgerichtshof)


IX ZR 210/10 (Bundesgerichtshof)

Insolvenz eines Versicherungsunternehmens: Prozessführungsbefugnis des Insolvenzverwalters zur Geltendmachung eines Staatshaftungsanspruchs aus verspäteter innerstaatlicher Umsetzung einer …


Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.