Bundesfinanzhof, Beschluss vom 01.10.2010, Az. IV R 32/07

4. Senat | REWIS RS 2010, 2757

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Gegenstand

Notwendige Beiladung des während des Klageverfahrens bzw. Revisionsverfahrens ausgeschiedenen Gesellschafters einer Personengesellschaft


Leitsatz

NV: Scheidet ein Gesellschafter während des Revisionsverfahrens aus einer Personengesellschaft, die Klage gegen einen Feststellungsbescheid erhoben hat, aus, so ist er notwendig zu dem Verfahren beizuladen, wenn ihm ein Gewinnanteil zugerechnet wurde .

Tatbestand

1

I. Streitig ist die Abzinsung von Verbindlichkeiten in der [X.]ilanz zum 31. Dezember 1999.

2

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist als GbR Organträgerin der [X.], die ein …werk betreibt (im [X.]olgenden: GmbH).

3

Gesellschafter der Klägerin waren die A als Rechtsnachfolgerin der [X.], die [X.] und die [X.] Die A hat ihre [X.]eteiligung mit Wirkung zum 1. September 2009 auf die [X.], [X.], übertragen. Die Anteile an der [X.] wurden zum 1. Januar 2010 von der [X.] erworben. Die [X.] wurde mit steuerlicher Rückwirkung auf den 1. Januar 2010 auf die [X.] verschmolzen. Die [X.] hat die Klägerin als GbR und den mit der GmbH bestehenden [X.]eherrschungs- und Ergebnisabführungsvertrag mit Wirkung zum 31. Dezember 2010 gekündigt.

4

Die GmbH bewirtschaftet seit 1979 bis voraussichtlich 2015 eine Deponie. Auf der Deponie wird Asche aus der Verbrennung bei der GmbH verfüllt. Zum [X.]etriebsgelände gehören ein Hafen sowie ein [X.]. Ein Teil des Hafens sowie das Gelände, auf dem sich der [X.] befindet, stehen in dem Eigentum der [X.] und sind bei Einstellung des [X.]etriebs zurückzubauen.

5

[X.]ei der GmbH wurden in den [X.]ilanzen der Wirtschaftsjahre, die dem Streitjahr (1999) vorausgehen, Rückstellungen für die [X.], für die Rückbauverpflichtung des Hafens sowie für die Rückbauverpflichtung des [X.]s gebildet. Die Klägerin sowie der [X.]eklagte und Revisionsbeklagte (das [X.]inanzamt --[X.]A--) gehen von einem Ansammlungszeitraum für diese Rückstellungen von 1996 bis 2015 aus.

6

Im [X.] an eine Außenprüfung vertrat das [X.]A die Auffassung, die Rückstellungen seien nach § 6 Abs. 1 Nr. 3a [X.]uchst. e des Einkommensteuergesetzes i.d.[X.]. des [X.] 1999/2000/2002 vom 24. März 1999 ([X.]G[X.]l I 1999, 402) --EStG 1999-- abzuzinsen. In Höhe von 9/10 der vorgenommenen Abzinsung könne die Klägerin aber nach § 52 Abs. 16 Sätze 10 und 7 EStG 1999 eine Gewinn mindernde Rücklage bilden. Das [X.]A änderte dementsprechend den aufgrund der [X.]eststellungserklärung der Klägerin ergangenen [X.]escheid über die gesonderte und einheitliche [X.]eststellung von [X.]esteuerungsgrundlagen für das Streitjahr.

7

Der Einspruch der Klägerin, mit dem sie geltend machte, die Abzinsung sei verfassungswidrig, blieb erfolglos.

8

Die Klage hatte keinen Erfolg. Das Urteil des [X.]inanzgerichts ([X.]G) ist in Entscheidungen der [X.]inanzgerichte 2007, 1856 veröffentlicht.

9

Mit ihrer Revision rügt die Klägerin die Verletzung materiellen Rechts. Sie macht u.a. geltend:

Die Rückstellungen seien schon nach einfachem Recht nicht abzuzinsen. Der Gesetzgeber könne den [X.]aktor Zeit bei [X.] dadurch berücksichtigen, dass der Erfüllungsbetrag nach den am [X.]ilanzstichtag bestehenden [X.] beurteilt werde, oder dadurch, dass nicht der Nennwert der Schuld, sondern lediglich deren [X.]arwert angesetzt werde, oder er könne den Gesamtaufwand pro rata temporis den durch die Aufwendungen alimentierten Erträgen zuordnen. Es sei jedoch nach dem Wortlaut und dem Sinn und Zweck der Regelung unzutreffend, diese drei Möglichkeiten zulasten des Steuerpflichtigen zu kumulieren.

Durch die [X.]emessung des Erfüllungsbetrages und die [X.] schöpfe der [X.]iskus den Vorteil der erst zukünftigen Erfüllung ab, so dass der Steuerpflichtige diesen Vorteil nicht behalten könne. Da nach der Rechtsprechung zu [X.] jede noch so geringe Verzinsung zur Vermeidung der gesetzlichen Abzinsung ausreiche, müsse dieser Gedanke zur Vermeidung einer Schlechterstellung auch bei [X.] zur Anwendung gelangen.

Die den Rückstellungen zu Grunde liegenden Verbindlichkeiten seien bei wertender [X.]etrachtung als verzinslich i.S. des § 6 Abs. 1 Nr. 3a [X.]uchst. e Satz 1 Halbsatz 2 i.V.m. § 6 Abs. 1 Nr. 3 Satz 2 Alternative 2 EStG 1999 anzusehen. Dies werde durch die neuere Rechtsprechung bestätigt ([X.]eschluss des [X.]undesfinanzhofs --[X.][X.]H-- vom 6. Oktober 2009 [X.], [X.][X.]HE 226, 347, [X.]St[X.]l II 2010, 177; [X.][X.]H-Urteil vom 27. Januar 2010 [X.]/09, [X.][X.]HE 228, 250, [X.]St[X.]l II 2010, 478).

Außerdem beruhten die im Streit stehenden Rückstellungen auf Anzahlungen bzw. Vorleistungen, weil in den …preisen für die Endkunden kalkulatorische Anteile für die Rekultivierung und die Rückbaumaßnahmen enthalten seien. Schließlich habe die Rekultivierung der Deponie bereits begonnen.

§ 6 Abs. 1 Nr. 3a [X.]uchst. e EStG 1999 sei verfassungswidrig, wenn die einfachgesetzliche Auslegung gleichwohl ergäbe, dass diese Vorschrift auf den Streitfall anwendbar sei.

Auch nach dem [X.]eschluss des [X.]undesverfassungsgerichts ([X.]VerfG) vom 12. Mai 2009  2 [X.]vL 1/00 ([X.]VerfGE 123, 111) seien innerhalb des [X.]innenbereichs des Steuerbilanzrechts weiterhin die [X.]indungen des allgemeinen Gleichheitssatzes zu beachten. [X.] dürften deshalb gegenüber [X.] nicht ohne sachlichen Grund benachteiligt werden. So verhielte es sich jedoch, wenn bei [X.] die verschiedenen [X.]aktoren zur [X.]erücksichtigung des Zeitmoments kumuliert würden. Daher gebiete eine verfassungskonforme Auslegung, dass die nach den [X.] zum Stichtag bewerteten Rückstellungen für [X.] oder angesammelte Verteilungsrückstellungen als verzinslich anzusehen seien. Das gelte auch im Vergleich zu Rückstellungen i.S. des § 6 Abs. 1 Nr. 3a [X.]uchst. d Satz 2 EStG 1999.

Schließlich verstoße die konkrete Ausgestaltung der Abzinsung gegen die [X.]olgerichtigkeit und sei verfassungswidrig, wie sich im Einzelnen aus einem vorgelegten Gutachten ergebe. Außerdem sei die Abzinsung der Rückstellungen ein unverhältnismäßiger Steuerzugriff, weil der Gesetzgeber nicht realisierte Wertzuwächse nicht besteuern dürfe.

Die Anwendung des § 6 Abs. 1 Nr. 3a EStG 1999 auf Rückstellungen, die bereits zum Ende eines vor dem 1. Januar 1999 endenden Wirtschaftsjahres gebildet worden seien, verstoße gegen das Rückwirkungsverbot. Dies werde durch die aktuelle Rechtsprechung des [X.]VerfG zur Rückwirkung bestätigt ([X.]eschlüsse vom 7. Juli 2010  2 [X.]vL 14/02, 2 [X.]vL 2/04, 2 [X.]vL 13/05, [X.] --DStR-- 2010, 1727; 2 [X.]vR 748/05, 2 [X.]vR 753/05, 2 [X.]vR 1738/05, [X.], 1733). Vorliegend sei auch der Altbestand an Rückstellungen einer Neubewertung unterworfen worden. Damit habe der Gesetzgeber die frühere [X.]elastungsentscheidung, Verbindlichkeiten und Verbindlichkeitsrückstellungen nur abzuzinsen, wenn ein verdecktes Kreditgeschäft eliminierbar gewesen sei, nachträglich durch eine neue [X.]ewertung des [X.] korrigiert und damit in unzulässiger Weise auf einen vorhandenen Vermögensbestand der Steuerpflichtigen zugegriffen.

Hilfsweise macht die Klägerin zur Höhe der Rückstellungsbeträge für die Rückbauverpflichtungen geltend, dass nicht nur der Ansammlungsbetrag nach § 6 Abs. 1 Nr. 3a [X.]uchst. d EStG 1999, sondern auch der [X.]etrag, der sich nach Ansammlung und nach Abzinsung ergebe, jährlich gleich sein müsse. Dies ergebe sich aus § 6 Abs. 1 Nr. 3a [X.]uchst. d EStG 1999.

Die Klägerin hat angekündigt, zu beantragen, das angegriffene Urteil und die Einspruchsentscheidung aufzuheben sowie die im [X.]escheid über die gesonderte und einheitliche [X.]eststellung vom 29. Januar 2004 festgestellten Einkünfte dahin gehend zu ändern, dass die Rückstellungen nicht abgezinst werden und die Rücklage nach § 52 Abs. 16 EStG 1999 entfällt.

Das [X.]A ist der Revision entgegengetreten.

Das [X.]undesministerium der [X.]inanzen ist dem Rechtsstreit beigetreten. Es ist in Übereinstimmung mit dem [X.]A und dem [X.]G der Auffassung, dass sich aus der einfachgesetzlichen Auslegung der einschlägigen Vorschriften eine Abzinsung der streitigen Rückstellungen für [X.] ergebe. Auch bestünden keine verfassungsrechtlichen [X.]edenken.

Entscheidungsgründe

II. 1. Die A ist als ausgeschiedene [X.]erin nach § 60 Abs. 3 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zum Verfahren beizuladen. Nachdem ihrer Rechtsvorgängerin im Streitjahr ein Gewinn zugerechnet wurde, werden ihre steuerrechtlichen Interessen durch die Entscheidung berührt.

Zwar besteht die Klagebefugnis der Klägerin nach § 48 Abs. 1 Nr. 1 FGO fort, wie sie zu Recht geltend gemacht hat. Die ausgeschiedene [X.]erin wäre jedoch nach § 48 Abs. 1 Nr. 3 FGO klagebefugt gewesen (vgl. Gräber/von [X.], Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 48 Rz 33). Auch wenn ein [X.]er erst während eines bereits in Gang gesetzten Klageverfahrens ausscheidet, ist er notwendig beizuladen (vgl. [X.] vom 19. Juni 1990 [X.], [X.], 404, [X.] 1990, 1068, unter 1.a bis e der Gründe). Die Beiladung ist auch im Revisionsverfahren zulässig, wie sich aus § 123 Abs. 1 Satz 2 FGO ergibt. Sie ist vorliegend schon deshalb ermessensgerecht, weil die Voraussetzungen für die Beiladung (hier Ausscheiden aus der [X.]) erst während des Revisionsverfahrens eingetreten sind. Daran ändert auch die Kündigung der Klägerin zum 31. Dezember 2010 nichts, wie diese zu Recht geltend gemacht hat. Denn die Klägerin wird dadurch nicht vollbeendet (vgl. [X.] in [X.]/[X.]/[X.], § 48 FGO [X.], 101, m.w.N.).

2. Durch den vorliegenden Beiladungsbeschluss erhält die A die Stellung eines Beteiligten (vgl. § 57 Nr. 3 FGO; zur Stellung eines Beigeladenen vgl. Gräber/ Stapperfend, a.a.[X.], § 60 Rz 140 ff.).

Meta

IV R 32/07

01.10.2010

Bundesfinanzhof 4. Senat

Beschluss

§ 179 Abs 2 S 2 AO, § 180 Abs 1 Nr 2 Buchst a AO, § 48 Abs 1 Nr 1 FGO, § 48 Abs 1 Nr 3 FGO, § 57 Nr 3 FGO, § 60 Abs 3 S 1 FGO, § 123 Abs 1 S 2 FGO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 01.10.2010, Az. IV R 32/07 (REWIS RS 2010, 2757)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 2757

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