Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 22.04.2020, Az. 10 B 19/19, 10 B 19/19 (10 C 2/20)

10. Senat | REWIS RS 2020, 3868

© Bundesverwaltungsgericht, Foto: Michael Moser

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Tenor

Die Beschwerde der Beklagten wird zurückgewiesen.

Auf die Beschwerde der Beigeladenen wird die Entscheidung des [X.] über die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil vom 29. März 2019 aufgehoben. Die Revision wird zugelassen.

Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Endentscheidung vorbehalten.

Der Wert des Streitgegenstandes wird vorläufig auf 5 000 € festgesetzt.

Gründe

I

1

Der Kläger, eine bundesweit tätige, nach § 3 UmwRG anerkannte Umweltvereinigung, begehrt vom [X.] und digitale Infrastruktur Einsicht in von der [X.]eigeladenen dem Ministerium überlassenen Unterlagen, die die Frage zu zu niedrig angegebener CO2-Emissionen von Fahrzeugen betreffen.

2

Die Klage hatte vor dem Verwaltungsgericht Erfolg. Die [X.]erufungen der [X.]eklagten und der [X.]eigeladenen hat das Oberverwaltungsgericht zurückgewiesen und die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen. Hiergegen richten sich die [X.]eschwerden der [X.]eklagten und der [X.]eigeladenen.

II

3

Die auf § 132 Abs. 1 Nr. 1 VwGO gestützte [X.]eschwerde der [X.]eigeladenen ist begründet. Die auf § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 3 VwGO gestützte [X.]eschwerde der [X.]eklagten bleibt erfolglos.

4

1. Die [X.]eschwerde der [X.]eigeladenen ist begründet. Die Revision ist auf deren [X.]eschwerde wegen grundsätzlicher [X.]edeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zuzulassen. Das Revisionsverfahren kann voraussichtlich zur näheren [X.]estimmung der Schutzgüter des [X.] nach § 8 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 [X.] und der Anforderungen an die Darlegung nachteiliger Auswirkungen auf die betroffenen Schutzgüter beitragen.

5

2. Die [X.]eschwerde der [X.]eklagten bleibt dagegen erfolglos.

6

2.1 Die von der [X.]eklagten als rechtsgrundsätzlich aufgeworfene Frage, ob § 2 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 [X.]uchst. a [X.], wonach oberste [X.]undesbehörden nicht zu den informationspflichtigen Stellen gehören, soweit und solange sie im Rahmen der Gesetzgebung tätig werden, neben der Tätigkeit auf [X.] auch die Gesetzgebungstätigkeit auf [X.] der [X.] erfasst, kann nicht zur Zulassung der Revision führen.

7

Ist die vorinstanzliche Entscheidung auf mehrere selbständig tragende und gleichwertige [X.]egründungen gestützt, so kann die Revision nur zugelassen werden, wenn hinsichtlich jeder dieser [X.]egründungen ein Revisionszulassungsgrund aufgezeigt wird und vorliegt. Wenn nur bezüglich einer [X.]egründung ein Zulassungsgrund gegeben ist, kann diese [X.]egründung nämlich hinweggedacht werden, ohne dass sich der Ausgang des Verfahrens ändert (stRspr, vgl. etwa [X.], [X.]eschluss vom 2. Oktober 2019 - 4 [X.] 37.19 - juris Rn. 3 m.w.N.).

8

Eine solche Mehrfachbegründung liegt hier vor. Das Oberverwaltungsgericht hat die Tatbestandsvoraussetzungen des § 2 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 [X.]uchst. a [X.] zum einen deshalb als nicht erfüllt erachtet, weil die Ausnahmeregelung auf die nationale Gesetzgebungsebene beschränkt sei. Zum anderen ("von ... abgesehen") jedoch auch deshalb, weil es an einem funktional-inhaltlichen Zusammenhang der im Streit stehenden Unterlagen mit einem Gesetzgebungsverfahren fehle.

9

Entgegen der Ansicht der [X.]eklagten ist der zweite [X.] nicht lediglich im Sinne einer Teil- oder Folgefrage auf die mit der Grundsatzrüge formulierte Rechtsfrage zur Anwendbarkeit des § 2 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 [X.]uchst. a [X.] auf die [X.] Tätigkeit auf [X.] der [X.] bezogen. Vielmehr stellt sich die Frage des funktional-inhaltlichen Zusammenhangs in gleicher Weise sowohl mit [X.]lick auf die nationale als auch die europäische Rechtsetzungsebene.

Ohne Erfolg beruft sich die [X.]eklagte des Weiteren auf eine Ausnahme von den besonderen Darlegungsanforderungen, die dann eingreift, wenn die Entscheidungsbegründungen wegen unterschiedlicher Rechtskraftwirkung nicht gleichwertig sind (siehe dazu [X.], [X.]eschlüsse vom 11. April 2003 - 7 [X.] - NJW 2003, 2255 <2256> und vom 20. Dezember 2016 - 3 [X.] 38.16 - [X.] 310 § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO Nr. 66 Rn. 4 f.). Dies trifft hier nicht zu. Der von der [X.]eklagten herausgestellte je unterschiedliche [X.] für die [X.]eantwortung der einen und der anderen Frage ändert nichts daran, dass mit beiden [X.]egründungen jeweils die tatbestandlichen Voraussetzungen des [X.] nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 [X.]uchst. a [X.] verneint werden.

Hiernach dringt die [X.]eklagte mit ihrer zum ersten [X.] erhobenen Grundsatzrüge schon deswegen nicht durch, weil die auf die zweite [X.]egründung bezogene Aufklärungsrüge ohne Erfolg bleibt (siehe hierzu 3.).

2.2 Eine weitere Grundsatzrüge zum Ablehnungsgrund nach § 8 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Alt. 3 [X.] hat die [X.]eklagte innerhalb der zweimonatigen [X.]eschwerdebegründungsfrist (§ 133 Abs. 3 Satz 1 VwGO) nicht erhoben.

Entgegen der nach Ablauf dieser Frist geäußerten Ansicht der [X.]eklagten enthält die auf die unterbliebene Vernehmung eines Vertreters der Staatsanwaltschaft bezogene und fristgerecht erhobene Aufklärungsrüge (siehe hierzu 3.) nicht zugleich eine Grundsatzrüge. Zwar können Verfahrensfragen auch Gegenstand einer Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher [X.]edeutung oder wegen Divergenz mit [X.]lick auf das insoweit anzuwendende Prozessrecht sein, sodass insoweit ein Austausch des [X.] in [X.]etracht kommt (siehe etwa [X.], [X.]eschluss vom 12. April 2001 - 8 [X.] 2.01 - [X.] 310 § 92 VwGO Nr. 13 S. 5). Darum geht es hier aber nicht.

Die Ausführungen der [X.]eklagten zu einer aus deren Sicht unzutreffenden Rechtsauffassung der Staatsanwaltschaft zur Reichweite von § 8 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Alt. 3 [X.] werden den Darlegungsanforderungen für die Geltendmachung der grundsätzlichen [X.]edeutung einer Rechtssache nach § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO nicht gerecht.

Grundsätzlich bedeutsam im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist eine Rechtssache dann, wenn in dem angestrebten Revisionsverfahren die Klärung einer bisher höchstrichterlich ungeklärten, in ihrer [X.]edeutung über den der [X.]eschwerde zugrunde liegenden Einzelfall hinausgehenden klärungsbedürftigen Rechtsfrage des revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 VwGO) zu erwarten ist. In der [X.]eschwerdebegründung muss dargelegt, also näher ausgeführt werden, dass und inwiefern diese Voraussetzungen vorliegen (stRspr, [X.], [X.]eschlüsse vom 2. Oktober 1961 - 8 [X.] 78.61 - [X.]E 13, 90 <91> und vom 24. Januar 2020 - 10 [X.] 17.19 - juris Rn. 5 m.w.N.).

Die [X.]eschwerde legt weder die über den Einzelfall hinausgehende [X.]edeutung einer hinreichend deutlich aufgeworfenen Rechtsfrage noch deren Klärungsbedürftigkeit dar. Vielmehr beschränkt sich das Vorbringen der [X.]eklagten zu § 8 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Alt. 3 [X.] auf die Darstellung der aus deren Sicht zugrunde zu legenden materiellen Rechtslage.

3. Die Revision der [X.]eklagten ist auch nicht wegen eines Verfahrensfehlers zuzulassen (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO). Die erhobenen Aufklärungsrügen (vgl. § 86 Abs. 1 VwGO) greifen nicht durch.

Die [X.]eschwerdebegründung lässt die gemäß § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO erforderliche [X.]ezeichnung von Tatsachen vermissen, aus denen sich die geltend gemachten Verfahrensmängel wegen zu Unrecht unterbliebener Zeugenvernehmungen ergeben sollen. Dazu gehören Ausführungen auch dazu, welches mutmaßliche Ergebnis eine vermisste [X.]eweisaufnahme im Einzelnen gehabt und inwiefern dieses Ergebnis - nach der materiell-rechtlichen Auffassung der Vorinstanz - zu einer dem [X.]eschwerdeführer günstigeren Entscheidung hätte führen können (vgl. nur [X.], Urteil vom 30. April 2009 - 1 C 6.08 - NVwZ 2009, 1162 Rn. 14 m.w.N.).

Dem wird das Vorbringen der [X.]eklagten nicht gerecht. Sie vermag nicht deutlich zu machen, aufgrund welcher Wahrnehmungen Vertreter der Staatsanwaltschaft, deren Vernehmung als Zeugen unterblieben ist, Tatsachen hätten bekunden können, die in [X.]ezug auf den Versagungsgrund des § 8 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 [X.] zu einer für die [X.]eklagte günstigeren Entscheidung hätten führen können. Mit dem Vortrag, die Zeugenvernehmung hätte bestätigt, dass die [X.]ekanntgabe der begehrten Unterlagen weiterhin nachteilige Auswirkungen auf die Durchführung strafrechtlicher Ermittlungen und auf das Recht der dort [X.]eteiligten auf ein faires Verfahren hätte, benennt die [X.]eklagte lediglich rechtliche Wertungen, nicht aber dem [X.]eweis zugängliche Tatsachen. Entsprechendes gilt, wenn die [X.]eklagte ergänzend darauf verweist, Vertreterinnen der Staatsanwaltschaft hätten bekundet, dass sie die Reichweite von § 8 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 [X.] verkannt und für das Strafverfahren wesentliche Aspekte außer Acht gelassen haben.

Darüber hinaus hat es die [X.]eklagte ausweislich der Niederschrift über die mündliche Verhandlung vor dem [X.]erufungsgericht unterlassen, auf die Erhebung eines Zeugenbeweises insbesondere durch die Stellung eines förmlichen [X.]eweisantrages hinzuwirken. Ein solches Versäumnis kann nicht durch eine Verfahrensrüge im Rechtsmittelverfahren kompensiert werden (vgl. nur [X.], [X.]eschluss vom 18. Dezember 2019 - 10 [X.] 14.19 - juris Rn. 21 m.w.N.).

Auch mit [X.]lick auf die unterbliebene Vernehmung des Zeugen [X.] - hinsichtlich dessen Einvernahme die [X.]eklagte ausweislich der Niederschrift über die mündliche Verhandlung vor dem [X.]erufungsgericht ebenfalls keinen förmlichen [X.]eweisantrag gestellt hat - legt sie einen Aufklärungsmangel nicht dar (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO). Wie soeben dargestellt, gehören hierzu auch Ausführungen, welches mutmaßliche Ergebnis eine vermisste [X.]eweisaufnahme im Einzelnen gehabt und inwiefern dieses Ergebnis zu einer dem [X.]eschwerdeführer günstigeren Entscheidung hätte führen können.

Die [X.]eklagte legt nicht genügend dar, welches mutmaßliche konkrete Ergebnis eine Einvernahme des Zeugen [X.] in tatsächlicher Hinsicht zum [X.]eleg einer Tätigkeit der [X.]eklagten im Rahmen der Gesetzgebung (vgl. § 2 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 [X.]uchst. a [X.]) erbracht hätte. Vielmehr verweist sie zum einen lediglich abstrakt darauf, dass die [X.]efragung des Zeugen [X.] dazu beigetragen hätte, das Vorliegen des funktional-inhaltlichen Zusammenhanges mit der unionalen Gesetzgebung nachzuweisen. Zum anderen trägt die [X.]eklagte nur vor, der Zeuge hätte bekunden können, dass die angefragten Dokumente (Mit-)Auslöser der [X.] Gesetzgebungstätigkeit gewesen seien und für die konkrete Ausgestaltung der Gesetzgebungsakte verwendet wurden und werden. Eine tätige Mitwirkung der [X.]eklagten im Rahmen eines [X.] Gesetzgebungsprozesses unter Heranziehung der verfahrensgegenständlichen Unterlagen ergibt sich aus diesem Vortrag nicht.

Die Einvernahme des Zeugen [X.] musste sich dem [X.]erufungsgericht im Rahmen seiner Pflicht zur Amtsermittlung auch nicht aufdrängen. In das Wissen des Zeugen [X.] war seitens der [X.]eklagten nichts gestellt, was [X.] hätte, um einen funktional-inhaltlichen Zusammenhang der im Streit stehenden Unterlagen mit einem konkreten Normsetzungsverfahren zu bejahen. Ausschlaggebend für die Verneinung eines solchen Zusammenhanges war für das [X.]erufungsgericht, dass die Tätigkeit der [X.]eklagten, bei der die streitgegenständlichen Informationen dieser übermittelt worden seien, exekutivisch geprägt gewesen sei, weil mögliche Rechtsverstöße von Fahrzeugherstellern auf der Grundlage des bisher geltenden [X.] Rechts im Raum gestanden und Anlass zu der Prüfung gegeben hätten, ob und inwieweit ein Tätigwerden des Kraftfahrt-[X.]undesamtes angezeigt gewesen sei. Das wird durch die in das Wissen des Zeugen gestellten Tatsachen nicht in Zweifel gezogen.

Die Festsetzung des Streitwertes beruht für das [X.]eschwerdeverfahren der [X.]eklagten auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 2 GKG, für das Revisionsverfahren auf § 47 Abs. 1, § 52 Abs. 2 und § 63 Abs. 1 GKG.

Meta

10 B 19/19, 10 B 19/19 (10 C 2/20)

22.04.2020

Bundesverwaltungsgericht 10. Senat

Beschluss

Sachgebiet: C

vorgehend Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, 29. März 2019, Az: OVG 12 B 13.18, Urteil

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 22.04.2020, Az. 10 B 19/19, 10 B 19/19 (10 C 2/20) (REWIS RS 2020, 3868)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2020, 3868

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

10 B 18/19 (Bundesverwaltungsgericht)

Einsicht in Unterlagen zu CO2-Emissionen von Fahrzeugen


7 B 45/12 (Bundesverwaltungsgericht)

Zugang zu Umweltinformationen; Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse


8 B 64/12 (Bundesverwaltungsgericht)

Zurückweisung einer Nichtzulassungsbeschwerde


7 C 28/17 (Bundesverwaltungsgericht)

Zugang zu Umweltinformationen über Stuttgart 21


8 B 6/10 (Bundesverwaltungsgericht)

Ausschluss der Rückübertragung bei Veräußerung von Betriebsteilen oder Unternehmensgegenständen


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.