Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 06.12.2012, Az. 4 StR 369/12

4. Strafsenat | REWIS RS 2012, 633

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BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL
4 [X.]12
vom
6. Dezember
2012
in der Strafsache
gegen

wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort u. a.

-
2
-
Der 4. Strafsenat des [X.] hat in der Sitzung vom 6. Dezember
2012, an der teilgenommen haben:

[X.] am Bundesgerichtshof
Dr. Mutzbauer

als Vorsitzender,

[X.]in
am Bundesgerichtshof
Roggenbuck,
[X.] am Bundesgerichtshof
Cierniak,
[X.],
Reiter

als beisitzende [X.],

Staatsanwalt

als Vertreter des
Generalbundesanwalts,

Rechtsanwalt

als Verteidiger,

Justizangestellte

als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
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3
-
1.
Auf die Revisionen
der Staatsanwaltschaft und des [X.] wird das Urteil des [X.] vom 28.
März 2012 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere
[X.] des [X.]s zurückverwiesen.
2.
Die Revision des Angeklagten gegen das vorgenannte
Urteil wird verworfen.
Es wird davon abgesehen, dem Angeklagten Kosten und Auslagen seines Rechtsmittels aufzuerlegen; er hat jedoch die notwendigen Auslagen des [X.] zu tragen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten
wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr und wegen vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr in Tateinheit mit uner-laubtem Entfernen vom Unfallort und mit unterlassener Hilfeleistung unter Ein-beziehung einer anderen Jugendstrafe zu einer Einheitsjugendstrafe von zwei Jahren und acht Monaten verurteilt sowie Maßregeln nach §§
69, 69a StGB angeordnet.
Die Revision des Angeklagten gegen dieses Urteil ist mit der [X.] Sachrüge begründet. Die Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger erstreben mit ihren ebenfalls auf die Verletzung materiellen Rechts gestützten Revisionen in erster Linie Verurteilungen wegen fahrlässiger Körperverletzung 1
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und eines versuchten Tötungsdelikts.
Die Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft und des [X.] haben in vollem Umfang Erfolg, während dasjenige des Angeklagten unbegründet ist.
I.
Nach den Feststellungen des angefochtenen Urteils befuhr der stark an-getrunkene Angeklagte, der sich seiner Alkoholisierung und der damit zusam-menhängenden Beeinträchtigung seiner Fahrtüchtigkeit bewusst war, am 25.
September 2010 gegen 2.40
Uhr mit einer Geschwindigkeit von 40 bis 50
km/h die Hauptstraße in W.

in Richtung R.

. Die aus Fahrt-
richtung des Angeklagten linke Fahrspur war durch eine Baustelle versperrt, der Verkehr wurde mittels einer Lichtzeichenanlage geregelt. Auf dieser Fahrspur standen ein Pkw und der Nachtbus an der roten Ampel. Der dunkel gekleidete Nebenkläger R.

C.

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zusteigen. Er betrat schnellen Schrittes hinter dem Bus die dunkle Fahrbahn, ohne sich zu vergewissern, dass die Straße frei war. Der Angeklagte erfasste ihn ungebremst, so dass der Nebenkläger mit dem Becken auf die Motorhaube aufschlug und mit dem Kopf gegen die Windschutzscheibe prallte. Sodann [X.] er über das Fahrzeugdach von rechts vorne nach links hinten abgeworfen. Der Nebenkläger war erst eine Sekunde vor dem Anstoß zu sehen; der Ange-klagte hatte ihn gar nicht wahrgenommen, weil er sich nach einem herunter ge-fallenen Feuerzeug gebückt hatte. Der Angeklagte setzte seine Fahrt fort, wobei er billigend in Kauf nahm, einen Menschen angefahren zu haben, der seine
Hilfe benötigte.
Der Nebenkläger wurde schwer verletzt. Er erlitt u. a. ein ge-schlossenes Schädelhirntrauma Grad
I und eine epidurale Blutung sowie ein Kompartmentsyndrom am rechten Oberschenkel.
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Das [X.] hat den Angeklagten wegen der Autofahrt bis zum Un-fall der fahrlässigen Trunkenheit im Verkehr für schuldig befunden. Aufgrund jugendlicher Selbstüberschätzung und durch den Alkoholkonsum bedingter Fehleinschätzung habe er sich irrig für fahrtüchtig gehalten, obwohl ihm hätte bewusst sein müssen, dass er dies nicht ist. Den Tatbestand der Straßenver-kehrsgefährdung hat das [X.] verneint, weil die Alkoholisierung des [X.] für den Unfall nicht ursächlich gewesen sei.
Durch die Fortsetzung der Fahrt habe der Angeklagte den Tatbestand der vorsätzlichen Trunkenheit im Straßenverkehr erfüllt, weil er aus dem [X.] habe schließen müssen, dass er nicht fahrtüchtig sei. Die [X.] des versuchten Mordes und der Aussetzung lägen nicht vor, weil er [X.] Garantenstellung gegenüber dem Geschädigten gehabt habe. Die pflichtwid-rige Teilnahme am Straßenverkehr sei für den Unfall nicht ursächlich geworden.
Der
Angeklagte habe sich aber wegen unterlassener Hilfeleistung und uner-laubten Entfernens vom Unfallort strafbar gemacht.
II.
Die Nachprüfung des Urteils auf die Sachrüge hat keinen den Angeklag-ten [X.] Rechtsfehler ergeben.
III.
Die Revisionen
der Staatsanwaltschaft und des [X.] führen zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung.
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6
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1.
Die [X.] hat für den ersten [X.] rechtsfehlerhaft nur fahrlässige Trunkenheit im Verkehr, §
316 Abs.
2 StGB, bejaht. Aus den [X.] ergibt sich, dass sich der Angeklagte von Anfang an seiner [X.] bewusst war. Die Annahme der [X.], der Angeklagte [X.] sich aufgrund jugendlicher Selbstüberschätzung und auch durch den Alko-holkonsum bedingter Fehleinschätzung irrig für fahrtüchtig gehalten, wird von den Feststellungen nicht getragen. Der Angeklagte hat sich in seiner Einlas-sung nicht einmal selbst darauf berufen.
Darüber hinaus hat es die [X.] rechtsfehlerhaft unterlassen zu prüfen, ob sich der Angeklagte der fahrlässigen Körperverletzung schuldig gemacht hat.
Bei der Prüfung der Frage, ob ein Verkehrsunfall für einen alkoholbedingt fahruntüchtigen Kraftfahrer auf ein pflichtwidriges Verhalten zurückzuführen und vermeidbar war, ist nicht darauf abzustellen, ob der Fahrer in nüchternem Zu-stand den Unfall und die dabei eingetretenen Folgen bei Einhaltung derselben Geschwindigkeit hätte vermeiden können; vielmehr ist zu prüfen, bei welcher geringeren Geschwindigkeit er

abgesehen davon,
dass
er als Fahruntüchtiger überhaupt nicht am Verkehr teilnehmen durfte

noch seiner durch den Alko-holeinfluss herabgesetzten Wahrnehmungs-
und Reaktionsfähigkeit bei Eintritt der kritischen Verkehrslage hätte Rechnung tragen können, und ob es auch bei dieser Geschwindigkeit zu dem Unfall und den dabei eingetretenen Folgen [X.] wäre (vgl. [X.], Beschluss vom 26.
November 1970

4
StR
26/70, [X.]St 24, 31; Urteil vom 2.
Oktober 1964

4
StR
297/64, [X.] 1965 Nr.
41; BayObLG,
NStZ 1997, 388 m. Anm. Puppe; [X.], [X.], 276; [X.],
[X.] 1978, 294; [X.],
[X.], 25; [X.], 281; OLG
Zweibrücken,
[X.], 113, 114). Es liegt nahe, dass der Angeklagte bei einer 7
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7
-
seiner alkoholbedingt herabgesetzten Wahrnehmungs-
und Reaktionsfähigkeit angepassten geringeren Geschwindigkeit selbst im Falle eines auch dann un-vermeidbaren Anstoßes zumindest geringere Verletzungen
des
[X.] bewirkt hätte.
2.
Im zweiten [X.] beanstanden die Revisionsführer zu Recht, dass die [X.] eine Garantenstellung
des Angeklagten verneint hat.
Die [X.] hat auch in diesem [X.] für die Frage, ob die Pflichtwidrigkeit des Angeklagten für den Unfall ursächlich geworden ist, allein auf den Vergleich mit einem vorschriftsgemäß am Straßenverkehr [X.] abgestellt. Dieser Ausgangspunkt trifft nicht zu, wie oben darge-stellt. Es liegt nahe, dass der Angeklagte angesichts seines alkoholisierten [X.] zu schnell gefahren ist und dadurch pflichtwidrig den Unfall oder [X.] schwerere Verletzungen des [X.] verursacht hat. In diesem Fall wäre ohne weiteres eine Garantenstellung des Angeklagten gegeben (vgl. für den schuldlosen Kraftfahrer [X.], Urteil vom 6.
Mai 1986

4
StR
150/86, [X.]St 34, 82
m. Anm. [X.],
[X.] 1987, 162,
und [X.],
[X.] 1986, 986; vgl. auch [X.]/Freund, 2.
Aufl., §
13 Rn.
126).
10
11
-
8
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Zur Frage möglicher Verdeckungsabsicht verweist der Senat auf seinen Beschluss vom 30.
Juni 2011

4
StR
241/11, [X.], 334.
Mutzbauer
Roggenbuck
Cierniak

[X.]
Reiter
12

Meta

4 StR 369/12

06.12.2012

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 06.12.2012, Az. 4 StR 369/12 (REWIS RS 2012, 633)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 633

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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4 StR 369/12

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