Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 02.12.2004, Az. 4 StR 452/04

4. Strafsenat | REWIS RS 2004, 413

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[X.]/04

vom 2. Dezember 2004 in der Strafsache gegen

wegen sexueller Nötigung u.a.
- 2 - Der 4. Strafsenat des [X.] hat nach Anhörung des [X.] und des Beschwerdeführers am 2. Dezember 2004 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen: 1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 1. Juli 2004 mit den [X.]) in den Aussprüchen über die im [X.] 2 der Ur-teilsgründe verhängte [X.] und die [X.], b) soweit die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet worden ist. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer [X.] und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere [X.] des Landge-richts zurückverwiesen. 3. Die weiter gehende Revision wird verworfen. Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten wegen sexueller Nötigung ([X.] 1), Nötigung ([X.] 2) sowie wegen Bedrohung ([X.] 3) zu einer Ge-samtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten verurteilt und seine Un-- 3 - terbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Der Angeklag-te rügt mit seiner Revision die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Sein Rechtsmittel hat zum Rechtsfolgenausspruch in dem aus der Be-schlußformel ersichtlichen Umfang Erfolg. Im übrigen hat die Überprüfung des Urteils aufgrund der [X.] keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. 1. Der Ausspruch über die im [X.] 2 verhängte [X.] von zehn Monaten Freiheitsstrafe hat keinen Bestand, weil das [X.] gegen das Verschlechterungsverbot (§§ 331 Abs. 1, 358 Abs. 2 StPO) verstoßen hat. Wegen der den Fällen III. 1 und 2 zugrundeliegenden Sachverhalte war zunächst Anklage zum [X.] erhoben worden. Das [X.] verurteilte den Angeklagten wegen beider Taten zu einer Gesamtfreiheits-strafe von zwei Jahren und neun Monaten, wobei es für die Nötigung ([X.] 2) eine [X.] von sechs Monaten Freiheitsstrafe festsetzte. Die Ent-scheidung des Amtsgerichts wurde durch Urteil des Berufungsgerichts gemäß § 328 Abs. 2 StPO aufgehoben und die Sache wurde an die erstinstanzlich zu-ständige große [X.] des [X.] verwiesen, weil das Be-rufungsgericht die Voraussetzungen für eine Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus für gegeben erachtete. Da sich nur der Angeklagte mit dem Rechtsmittel der Berufung gegen das Urteil des [X.] gewandt hatte, mußte das [X.] bei Bemessung der Strafe für die Taten, die bereits Gegenstand des amtsgerichtli-chen Urteils waren, das - im Revisionsverfahren von Amts wegen zu [X.] (vgl. [X.] in [X.]. § 358 Rdn. 23) - Verschlechterungsver-bot beachten. Es durfte deshalb für den Vorwurf der Nötigung keine höhere Strafe als sechs Monate Freiheitsstrafe verhängen. Der Rechtsfehler hat die Aufhebung der [X.] im [X.] 2 und der Gesamtstrafe zur Folge. 2. Auch der [X.] hält rechtlicher Überprüfung nicht stand. Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) kommt nur bei solchen Personen in Betracht, deren Schuldunfähigkeit oder erheblich verminderte Schuldfähigkeit durch einen positiv festgestellten, länger andauernden und nicht nur vorübergehenden Zustand im Sinne der §§ 20, 21 StGB hervorgerufen ist (st. Rspr., BGHSt 34, 22, 27). Dies ist nicht rechts-fehlerfrei dargelegt. a) Der vom [X.] hinzugezogene Sachverständige hat ausgeführt, beim Angeklagten liege eine "kombinierte Persönlichkeitsstörung mit paranoi-den und narzißtischen Zügen" vor, die bereits seit seinem Jugendalter bestehe, mit der sich der Angeklagte aber "arrangiert" habe. Erst die Mitteilung seiner Ehefrau - der Geschädigten -, daß sie sich vom Angeklagten trennen und scheiden lassen wolle, habe beim Angeklagten eine "psychische Krise" und eine Belastungsreaktion ausgelöst. Infolge des Zusammenspiels der Persön-lichkeitsstörung und der "abnormen Erlebnisreaktion" sei eine Destabilisierung seines seelischen Gefüges eingetreten. Hierdurch sei die Entscheidungs- und Handlungsmöglichkeit des Angeklagten bei Begehung der Taten zum Nachteil - 5 - seiner Ehefrau derart eingeengt gewesen, daß seine Steuerungsfähigkeit we-gen einer schweren anderen seelischen Abartigkeit erheblich im Sinne des § 21 StGB vermindert gewesen sei. Die "narzißtische Krise" des Angeklagten dauere weiterhin fort; sie habe sich im Laufe des Strafverfahrens allerdings dahin "verschoben", daß sich der Angeklagte als Opfer einer gegen ihn laufen-den Verschwörung sehe und nunmehr auch gegenüber [X.] reagiere. Das [X.] hat sich diesen Ausführungen des Sachver-ständigen angeschlossen ([X.] ff., 24 f.). b) Die bisherige Begründung des [X.]s belegt bereits nicht, daß beim Angeklagten bei Begehung der Taten eine schwere andere seelische [X.] bestanden hat. Die Diagnose "Persönlichkeitsstörung" läßt, was die [X.] an sich nicht verkannt hat, für sich genommen eine Aussage über die Frage der Schuldfähigkeit des [X.] nicht zu. Es bedarf vielmehr einer Gesamtschau, ob die Störungen beim Täter in ihrer Gesamtheit sein Leben vergleichbar schwer und mit ähnlichen Folgen belasten oder einengen wie krankhafte seelische Störungen (vgl. BGHR StGB § 21 seelische Abartigkeit 35). Für die Bewertung der Schwere der Persönlichkeitsstörung ist deshalb maßgebend, ob es auch im Alltag außerhalb der Straftaten zu Einschränkungen des beruflichen oder [X.] gekommen ist. Erst wenn das Muster des [X.], Fühlens und Verhaltens, das für gewöhnlich im frühen Erwachsenenalter in Erscheinung tritt, sich im Zeitverlauf als stabil erwiesen hat, können die psychiatrischen Voraussetzungen vorliegen, die rechtlich als schwere andere seelische Abartigkeit im Sinne des § 20 StGB angesehen werden (BGHSt 49, 45, 52 f. = BGHR StGB § 21 seelische Abartigkeit 39). - 6 - Diesen an die Gesamtwürdigung der Persönlichkeit des Angeklagten und dessen Entwicklung zu stellenden Anforderungen wird das Urteil nicht ge-recht. Das [X.] hätte sich nicht darauf beschränken dürfen, die Schwe-re der Persönlichkeitsstörung allein mit Auffälligkeiten des Angeklagten zu be-gründen, die im Rahmen seiner Beziehung zu seiner Ehefrau nach Kenntniser-langung von deren Scheidungsabsicht auftraten. Zur Beurteilung des [X.] der Störung sind diese Verhaltensauffälligkeiten, die nach den Feststellungen unter anderem auf übertriebene Kränkbarkeit und "Groll" des Angeklagten zurückzuführen sind ([X.]), nur eingeschränkt geeignet, da sie für sich genommen auch Verhaltensweisen sein können, die sich als unmittelbare Reaktion auf die vom Angeklagten erlebte akute Belastungssituation noch innerhalb der Bandbreite menschlichen Verhaltens bewegen, ohne daß hierdurch die Schuldfähigkeit "erheblich" im Sinne des § 21 StGB berührt wird. Zur Würdigung des Gewichts dieser Auffälligkeiten hätte es deshalb im besonderen Maße der Feststellung der Auswirkungen der "abnormen Erlebnisreaktion" auf das Leben des Angeklagten insgesamt bedurft. Solche Feststellungen enthält das Urteil nicht. Soweit die [X.] bei der Beurteilung der Schwere der Persönlichkeitsstörung darauf abstellt, diese habe sich beim Angeklagten bereits im Jugendalter manifestiert, ist diese Feststellung ebenfalls nicht mit Tatsachen belegt. c) Die Feststellungen ergeben darüber hinaus den für eine Unterbrin-gung in einem psychiatrischen Krankenhaus erforderlichen länger andauern-den Zustand der zumindest verminderten Schuldfähigkeit nicht (vgl. BGHSt 34, 22, 27; 42, 385 f.). - 7 - Die beim Angeklagten diagnostizierte kombinierte Persönlichkeitsstö-rung hat die [X.] für sich allein nicht als ausreichend erachtet, eine verminderte Schuldfähigkeit zu begründen, vielmehr hat sie ihr diese Bedeu-tung erst "im Zusammenspiel" mit einer "abnormen Erlebnisreaktion" nach Mit-teilung der Scheidungsabsicht durch seine Ehefrau beigemessen. Diese Begründung läßt besorgen, daß die [X.] eine auf die [X.] zurückzuführende Disposition des Angeklagten, in be-stimmten Belastungssituationen wegen mangelnder Fähigkeit zur Impulskon-trolle in den Zustand erheblich verminderter Steuerungsfähigkeit zu geraten, als ausreichend für eine Unterbringung erachtet hat. Eine solche Disposition vermag jedoch einen für die Unterbringung nach § 63 StGB dauernden Zu-stand nicht zu begründen (vgl. [X.], 142; BGHR StGB § 63 Zu-stand 27). Daß sich, wie die [X.] meint, die "abnorme Erlebnisreakti-on" auf der Grundlage der vorhandenen Persönlichkeitsstörung zu einem [X.] Zustand im Sinne der §§ 20, 21 StGB entwickelt und zu einer dauer-haften "seelischen Destabilisierung" des Angeklagten geführt hat, wird durch die bisherigen Feststellungen nicht belegt. Vielmehr sprechen diese eher dafür, daß der Angeklagte erst dann in den von der [X.] angenommenen Zustand erheblich verminderter Schuldfähigkeit gerät, wenn er ganz konkreten Belastungssituationen ausgesetzt ist. So beging er die erste Tat anläßlich ei-nes Streits mit seiner Ehefrau in der sich zuspitzenden Trennungssituation, die zweite Tat alsbald nach der Trennung und die dritte Tat anläßlich der [X.] vor dem [X.] in dem gegen ihn geführten Strafver-fahren. Auch dem Umstand, daß der Angeklagte an [X.] einen Brief mit beleidigendem Inhalt schrieb, kann in die-sem Zusammenhang nach den bisherigen Feststellungen nicht die von der - 8 - [X.] angenommene maßgebliche Bedeutung beigemessen werden, zumal es sich um einen einmaligen Vorfall von geringer krimineller Intensität handelte. Weitere Anhaltspunkte, die einen dauerhaften Zustand des Ange-klagten im Sinne der §§ 20, 21 StGB belegen könnten, ergeben die Urteils-gründe nicht. Rechtlich bedenklich ist schließlich auch die von der [X.] zur Begründung ihrer Auffassung angestellte Erwägung, die nach wie vor vorhan-dene "Intensität und Dynamik" der abnormen Erlebnisreaktion zeige sich auch in dem "völligen Fehlen von Einsicht oder Reue" und dem "Leugnen jeglichen strafbaren Verhaltens" des Angeklagten ([X.]). Dies läßt besorgen, daß die [X.] aus dem [X.] des Angeklagten, der die Taten bestritten hat, in unzulässiger Weise nachteilige Schlüsse gezogen hat (vgl. BGHR StGB § 46 Abs. 2 Nachtatverhalten 24). d) Der [X.] kann daher nicht bestehen bleiben. Der [X.] kann nicht in der Sache selbst entscheiden, weil sich möglicherweise noch Feststellungen treffen lassen, die die Maßregelanordnung tragen können. 3. Bei der gegebenen Sachlage ist auszuschließen, daß beim Angeklag-ten zum Zeitpunkt der Taten die Voraussetzungen des § 20 StGB vorlagen. Der - 9 - Schuldspruch kann deshalb bestehen bleiben. Dies gilt in den Fällen III. 1 und 3 auch für den Strafausspruch, da durch die Annahme des § 21 StGB der An-geklagte bei der Strafzumessung nicht beschwert ist. Tepperwien

Maatz [X.]

Solin-Stojanovi

Sost-Scheible

Meta

4 StR 452/04

02.12.2004

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 02.12.2004, Az. 4 StR 452/04 (REWIS RS 2004, 413)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2004, 413

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