Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 19.11.2014, Az. 1 StR 219/14

1. Strafsenat | REWIS RS 2014, 1237

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1
StR 219/14

vom
19. November
2014
in der Strafsache
gegen

wegen Steuerhinterziehung

-
2
-
Der 1.
Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 19.
November
2014 gemäß §
349 Abs.
4 StPO beschlossen:

Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Land-gerichts [X.] vom 22.
November 2013 mit den [X.] aufgehoben, soweit es die Angeklagte S.

betrifft.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Wirtschafts-strafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Gründe:
Das [X.] hat die Angeklagte S.

wegen Steuerhinterziehung in 18
Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und drei Monaten verurteilt; den Angeklagten B.

hat es wegen Beihilfe zur Steuerhinterzie-hung zu einer Geldstrafe von 90
Tagessätzen verurteilt. Gegen dieses Urteil hat die Angeklagte Revision eingelegt, die sie auf [X.] der Verletzung sachlichen und des Verfahrensrechts stützt. Das Rechtsmittel
hat mit der Sachrüge Erfolg. Auf die [X.] der Verletzung formellen Rechts kommt es nicht mehr an.
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[X.]
Das [X.] hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
1.
Die Angeklagte S.

handelte als Zwischenhändlerin mit Ver-brauchsgüternr-klingen und Getränkedosen. Zu diesem Zweck betrieb sie im Tatzeitraum zwi-schen Januar 2009 bis Juli 2010 das Einzelunternehmen E.

und ab August 2010 bis Mai 2011 als einzige Gesellschafterin und Geschäftsführerin die E.

GmbH.
In dem genannten Tatzeitraum waren die beiden Firmen der Angeklagten aufgebaute betrügerische Umsatzsteuerkettengeschlag folgendes Muster zugrunde: Die Angeklagte erwarb die tatsächlich existie-rende Ware von jeweils einem von insgesamt drei in das System eingebunde-nen inländischen Zwischenhändlern mit Sitz in [X.], die die Funktion eines sogenannten [X.] einnahmen. Diese hatten die Ware von in anderen [X.] ansässigen Händlern als innergemeinschaftliche Lieferung erworben und veräußerten sie anschließend zu unauffälligen Preisen unter ge-sondertem Ausweis der Umsatzsteuer an die Firmen der Angeklagten. Dabei unterhielten die von den Initiatoren des [X.] gesteuerten mis-sing trader

keinen Geschäftsbetrieb und entfalteten keine Geschäftstätigkeit; sie gaben gegenüber dem Finanzamt gar keine oder falsche Erklärungen ab und waren nur für einen begrenzten Zeitraum aktiv. Die Angeklagte verkaufte einen einzigen Kunden. Ab Anfang 2011 war vor dem Erwerb durch die Firmen der Angeklagten noch jeweils ein weiterer buffer

in die Lieferkette eingebun-2
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den, von dem die Angeklagte die Waren erwarb. Als solche zwischengeschalte-k-

Weise die vom inländischen Erwerber infolge des Weiterverkaufs mitüberwie-sene Umsatzsteuer für sich zu vereinnahmen. Sie bemühten sich jedoch da-d-
z-steuerbetrug, sie hielt eine solche jedoch zumindest für möglich und billigte sie, um durch den Weiterverkauf einen schnellen Gewinn zu erwirtschaften.
Dennoch machte sie in der [X.] und in den Um-satzsteuervoranmeldungen für die Monate Januar 2010 bis Mai 2011 die in den Rechnungen der [X.]

ausgewiesenen Umsatzsteuerbeträge in Höhe von insgesamt 5.844.667,97
Euro als Vorsteuer geltend.
I[X.]
Der Schuldspruch gegen die Angeklagte S.

hält der [X.] Überprüfung nicht stand.
1.
Die fehlende Berechtigung zum Vorsteuerabzug der Angeklagten ist nicht in allen Fällen tragfähig begründet.
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5
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a)
Nach §
15 Abs.
1 Satz
1 Nr.
1 UStG kann ein Unternehmer die gesetz-lich geschuldete Steuer für Lieferungen und sonstige Leistungen, die von einem anderen Unternehmer für sein Unternehmen ausgeführt worden sind, abziehen. Die Ausübung des Vorsteuerabzugs setzt dabei voraus, dass der Unternehmer eine nach §§
14, 14a UStG ausgestellte Rechnung besitzt. Nach der Recht-sprechung des [X.] ist der Vorsteuerabzug dann zu versagen, wenn der Steuerpflichtige -
im unionsrechtlichen Sinne
-
selbst eine Steuerhinterziehung begeht oder wenn er wusste oder hätte wissen müssen, dass er sich mit sei-nem Erwerb an einem Umsatz beteiligt, der in eine Mehrwertsteuerhinterzie-hung einbezogen ist und er deswegen als an dieser Hinterziehung Beteiligter anzusehen ist ([X.], Urteil vom 6.
Juli 2006 in den Rechtssachen [X.]/04 und [X.], Rn.
53, 55
f.; [X.], Beschluss vom 1. Oktober 2013 -
1
StR
312/13, [X.], 331
ff. mwN).
Für die Frage, wann die Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug [X.] müssen, kommt es nicht auf den Zeitpunkt der Abgabe der [X.] an, in welcher der Vorsteuerabzug vorgenommen wird. Vielmehr ist ein Vorsteuerabzug gemäß §
15 Abs.
1 Satz
1 Nr.
1 UStG dann zulässig, wenn dessen Voraussetzungen zum Zeitpunkt der Ausführung der Lieferungen bzw. sonstigen Leistungen vorgelegen haben. Eine einmal bestehende Berechtigung zum Vorsteuerabzug entfällt auch nicht etwa deshalb nachträglich wieder, weil der Unternehmer später von Umständen Kenntnis erlangt, die einem [X.] entgegengestanden hätten, wenn er sie bereits beim Bezug der Waren gekannt hätte ([X.], Beschluss vom 1.
Oktober 2013 -
1
StR
312/13, [X.], 331, 334).
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b)
Diese Maßgaben hat das landgerichtliche Urteil nicht bedacht. [X.] lassen die Urteilsausführungen besorgen, dass es hinsichtlich der subjek-tiven Voraussetzungen für die fehlende Berechtigung zum Vorsteuerabzug [X.] auf einen späteren Zeitpunkt abgestellt hat.
Zwar stellt die [X.] im Rahmen der Sachverhaltsdarstellung fest, dass die Angeklagte S.

schon bei Abschluss der Geschäfte mit den mis-sing trader

die Einbindung ihrer Firmen in ein [X.] billigend in Kauf genommen hat. Dies wird jedoch von den beweiswürdigenden [X.] zum Vorstellungsbild der Angeklagten S.

nicht getragen. Denn dort ist als Ergebnis der von der [X.] angestellten Würdigung festgehalten, dass aufgrund der Gesamtheit der Indizien keine Zweifel daran bestünden, -berechtigten Vorsteuerabzug aus den Rechnungen der [X.] bzw.
buffer um ihrer Geschäfte willen zum

aa)
Bei den die Geschäftsbeziehungen zu jedem einzelnen missing tra-der

bzw. vorgeschalteten buffer

betreffenden Erwägungen
-
eine zusammen-fassende Würdigung findet sich insoweit nicht
-
ist dann für die Firmen D.

, [X.]

, [X.]

, IE.

aber nicht belegt, dass die Angeklagte S.

zum relevanten Zeitpunkt, näm-lich dem Bezug der jeweiligen Waren, um ihre fehlende Berechtigung zum [X.] wusste. Dies wird erhellt durch die Differenzierung hinsichtlich des Zeitpunkts des Vorliegens eines bedingten Vorsatzes der Angeklagten S.

. Konnte die [X.] sich betreffend Handelsbeziehungen zum [X.]

Ra.

davon überzeugen, dass der bedingte Vorsatz schon zu de-ren Beginn vorlag, so ist für die Feststellung zum Vorstellungsbild in Bezug auf 12
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-
die anderen [X.]

bzw. buffer

ein anderer, späterer Zeitpunkt ge-wählt.
bb)
Daneben lassen aber die von der [X.] im Rahmen ihrer [X.] Gesamtwürdigung herangezogenen Indizien ebenfalls besorgen, dass sie sich des rechtlich relevanten Zeitpunkts
für das Vorstellungsbild der Ange-klagten nicht bewusst war und sich mithin jedenfalls für die ersten
Lieferungen
auch keine entsprechende Überzeugung gebildet hat. So gründet sie ihre Über-zeugung maßgeblich auf Fehler und Mängel, die sich aus den Rechnungen der jeweils betroffenen Firmen ergeben.
Das [X.] stellt aber nicht fest, wann der Angeklagten diese Unterlagen zugegangen sind. Ob dies in der Gesamtheit tatsächlich vor sämtlichen Lieferungen erfolgte, ist weder festgestellt,
noch kann es den sonstigen Umständen der Handelstätigkeit der
Angeklagten, die die Wa-ren erst nach dem Weiterverkauf an ihre Kunden selber erwarb, entnommen werden.
cc)
Zwar ist für die Geschäftsbeziehungen zur als [X.]

agie-renden Firma Ra.

festgestellt, dass die Angeklagte schon zu Beginn der
Geschäftsbeziehungen die subjektiven Tatbestandsvoraussetzungen erfüllte
(oben
I[X.]1.b.aa). Dies entbehrt aber einer tragfähigen Grundlage. Denn die Überzeugung wird maßgeblich auf Fehler und Mängel in den Rechnungen der Ra.

gestützt. Auch insoweit ist nicht festgestellt, wann diese der Ange-klagten vorgelegen haben und ob dies bereits vor Bezug der ersten Ware [X.] ist, mithin schon zu diesem Zeitpunkt Einfluss auf ihr Vorstellungsbild haben konnte.
2.
Daneben leidet das Urteil an der fehlenden Nachvollziehbarkeit der Steuerberechnung. Die Urteilsgründe müssen die für erwiesen erachteten Tat-14
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8
-
sachen mitteilen, in denen die gesetzlichen Merkmale der Straftat gefunden werden (vgl. [X.], Urteil vom 12.
Mai 1989 -
3
StR
55/89, [X.]R, StPO, §
267 Abs.
1 Satz
1 Sachdarstellung
4; Beschluss vom 19.
April 2007 -
5
StR
549/06, [X.], 595; Urteil vom 12.
Mai 2009 -
1
StR
718/08, [X.], 639, 640). Bei der Steuerhinterziehung, bei der die Strafvorschrift des §
370 AO durch die im Einzelfall anzuwendenden steuerrechtlichen Vorschriften materiell-rechtlich ausgefüllt wird, müssen die jeweiligen Umstände festgestellt werden, aus denen sich ergibt, welches steuerlich erhebliche Verhalten im Rahmen der jeweiligen Abgabenart zu einer Steuerverkürzung geführt hat. Dazu gehören insbesondere auch diejenigen Parameter, die maßgebliche Grundlage für die Steuerberech-nung sind ([X.], Beschluss vom 13.
Juli 2011 -
1
StR
154/11). Die auf den [X.] aufbauende Steuerberechnung ist Rechtsanwendung und daher Aufgabe des Tatrichters (Urteil vom 12.
Mai 2009 -
1
StR
718/08, [X.], 639, 640; Beschluss vom 25.
März 2010 -
1
StR
52/10, [X.], 228; Beschluss vom 13.
Juli 2011 -
1
StR
154/11; Beschluss vom 19.
Novem-ber 2013 -
1
StR
498/13
wistra 2014, 102).
Diesen Anforderungen wird das Urteil nicht in vollem Umfang gerecht, da es eine Auflistung der einzelnen Umsätze und deren Verteilung auf die [X.] Veranlagungszeiträume und die Bezugsquellen vermissen lässt. Soweit es stattdessen auf eine Berechnung durch einen zeugenschaftlich vernommenen Steuerfahnder verweist, ersetzt dies eine solche Darstellung nicht. Denn es er-möglicht dem Senat nicht, die Berechnung der von der Angeklagten hinterzo-genen Steuern nachzuvollziehen. Dies gilt insbesondere, soweit für die Berech-
erklärten Vorsteuern von den Buchhaltungsunterlagen den für die Angeklagte günstigsten Wert angenommen. Insoweit weist der [X.] in 17
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seiner Antragsschrift zu Recht darauf hin, dass es sich um eine [X.] handelt, die mangels Kenntnis ihrer Grundlagen nicht nachvollzogen wer-den kann. Soweit das Urteil darauf verweist, dass der Zeuge die Steuerverkür-zung berechnet habe, die auch der Anklageschrift zugrunde lag, weckt dies an-gesichts des von der Revision aufgezeigten Rechenfehlers für den Veranla-gungszeitraum
2011, der sich gleichlautend in der Anklageschrift findet, durch-greifende Zweifel an der Berechnungsweise.
Dieser Darstellungsmangel stellt einen Rechtsfehler dar, der sich auf den Schuldspruch auswirkt. Denn es kann angesichts der nicht nachvollziehbaren Berechnung nicht ausgeschlossen werden, dass in einem
Veranlagungszeit-raum kein unberechtigter Vorsteuerabzug erklärt wurde.
3.
Der Senat hebt das Urteil einschließlich sämtlicher Feststellungen auf; der nunmehr zur Entscheidung aufgeforderte Tatrichter kann so die [X.] Feststellungen insgesamt
neu treffen.
4.
Sollte das neu zuständige Tatgericht abermals zu dem Schluss kom-men, dass die Firmen der Angeklagten Waren von als missing

agieren-den Firmen bezogen, ohne aber mit diesen bzw. den Initiatoren des [X.] kollusiv zusammenzuwirken, wird es eine sorg-fältige Gesamtwürdigung der für und gegen die subjektiven Tatbestandsvoraus-setzungen sprechenden Umstände vorzunehmen haben. Soweit es hierfür den Umstand berücksichtigen möchte, dass bei der Geschäftskorrespondenz der Angeklagten mi

bzw. den vorgeschalteten buf-

teilweise identische Rechtschreibfehler und Mängel vorgelegen haben, so wird es die daraus resultierenden Folgerungen für das Vorstellungsbild der
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Angeklagten zu würdigen haben, allein der Hinweis darauf ersetzt eine solche Würdigung nicht.
Graf
Cirener
Radtke

Mosbacher
Fischer

Meta

1 StR 219/14

19.11.2014

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 19.11.2014, Az. 1 StR 219/14 (REWIS RS 2014, 1237)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 1237

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