Bundesgerichtshof, Beschluss vom 12.07.2012, Az. IX ZR 210/11

9. Zivilsenat | REWIS RS 2012, 4773

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Eröffnung des Insolvenzverfahrens: Rechtsfolgen der Abtretung einer Forderung durch den Schuldner und Leistung des Drittschuldners an den Scheinzessionar


Leitsatz

Tritt der Schuldner nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder nach Erlass eines vorläufigen Verfügungsverbots eine ihm zustehende Forderung an einen anderen ab, wird der Drittschuldner durch die Zahlung an den Scheinzessionar nicht von seiner Verbindlichkeit befreit.

Tenor

Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des 9. Zivilsenats des [X.] vom 29. November 2011 wird auf Kosten der Nebenintervenientin zurückgewiesen.

Der Streitwert wird auf 1.942.909,15 € festgesetzt.

Gründe

I.

1

Der Kläger ist Verwalter in dem auf den Antrag vom 1. August 2003 über das Vermögen des [X.](nachfolgend: Schuldner) am 11. September 2003 eröffneten Insolvenzverfahren. Bereits am 14. August 2003 hatte das Insolvenzgericht den Kläger zum vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt und dem Schuldner ein allgemeines Verfügungsverbot auferlegt. Diese Maßnahmen wurden am 1. September 2003 veröffentlicht.

2

Dem Schuldner standen aus der Verwertung von Urheberrechten Forderungen erheblicher Höhe gegen die Nebenintervenientin zu, die nur in deren Einverständnis übertragen werden durften. Diese Forderungen trat der Schuldner nach dem 14. August 2003 an die Beklagte, seine Ehefrau, ab. Nach Vorlage der Abtretungsurkunde erklärte die Nebenintervenientin am 28. August 2003 ihr Einverständnis mit der Forderungsabtretung. Im Zeitraum der Jahre 2005/2006 zahlte die Nebenintervenientin 1.942.909,15 € an die Beklagte aus.

3

Der Kläger verlangt gestützt auf § 816 Abs. 2 BGB, § 82 [X.] von der Beklagten Erstattung dieses Betrages. Er macht ausdrücklich geltend, durch die Erhebung der vorliegenden Klage, den Zahlungsvorgang nicht genehmigen zu wollen. Das [X.] hat die erstinstanzlich erfolgreiche Klage abgewiesen. Mit der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision verfolgt die Nebenintervenientin für den Kläger dessen Begehren weiter.

II.

4

Die Beschwerde deckt keinen Zulassungsgrund auf. Die Sache ist im Übrigen nach der eindeutigen Rechtslage zutreffend entschieden. Ein Anspruch des Klägers gegen die Beklagte aus § 816 Abs. 2 BGB scheidet aus, weil die Nebenintervenientin durch die Zahlung an die Beklagte nicht mit Wirkung gegenüber dem Kläger von ihrer Verbindlichkeit befreit wurde.

5

1. Der Zahlung der Nebenintervenientin an die Beklagte kommt im Verhältnis zu dem Kläger keine schuldbefreiende Wirkung zu. Der zu beurteilende Leistungsvorgang wird nicht durch die Vorschrift des § 82 Satz 1 [X.] erfasst, die infolge des hier gegen den Schuldner angeordneten vorläufigen Verfügungsverbots nach § 24 Abs. 1, § 21 Abs. 2 Nr. 2 [X.] grundsätzlich anwendbar ist.

6

a) Die Bestimmung des § 82 [X.] schützt den Leistenden in seinem Vertrauen auf die Empfangszuständigkeit seines Gläubigers, wenn ihm die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über dessen Vermögen solange unbekannt geblieben ist, wie er den [X.] noch zu verhindern vermag ([X.], Urteil vom 16. Juli 2009 - [X.], [X.]Z 182, 85 Rn. 9). Der Schutz des § 82 [X.] beschränkt sich allerdings auf den guten Glauben des Leistenden in den Fortbestand der zum Zeitpunkt des Entstehens der Verbindlichkeit noch gegebenen, durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder den Erlass eines vorläufigen Verfügungsverbots nachträglich entfallenden Empfangszuständigkeit des Schuldners. Die Vorschrift greift hingegen nicht zugunsten des Leistenden ein, wenn durch eine von dem Schuldner nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder nach Erlass eines vorläufigen Verfügungsverbots getroffene Verfügung - gleich ob im Wege einer Forderungsabtretung (§§ 398 ff BGB) oder einer Einziehungsermächtigung (§ 362 Abs. 2 BGB, § 185 Abs. 1) - die Einziehungsbefugnis eines Dritten begründet werden soll. Verfügungen des Schuldners nach Verfahrenseröffnung oder nach Erlass eines vorläufigen Verfügungsverbots sind - abgesehen von Fällen eines grundbuchmäßigen Gutglaubensschutzes - gemäß § 81 Abs. 1 Satz 1 [X.] schlechthin unwirksam. Beruht das Einziehungsrecht eines Dritten auf einer solchen Verfügung, ist die Regelung des § 81 Abs. 1 Satz 1 [X.] mit der dort enthaltenen Nichtigkeitsfolge gegenüber § 82 [X.] vorrangig.

7

Ermächtigt danach der noch uneingeschränkt verfügungsbefugte Schuldner einen anderen zum Empfang einer Leistung (§ 362 Abs. 2, § 185 Abs. 1 BGB), wird ein Drittschuldner im Falle einer nach Verfahrenseröffnung an den Ermächtigten bewirkten Leistung gemäß § 82 Satz 1 [X.] von seiner Schuld befreit, wenn er keine Kenntnis von der Verfahrenseröffnung hatte. Erteilt der Schuldner die Ermächtigung hingegen erst nach Verfahrenseröffnung oder nach Erlass eines Verfügungsverbots (§ 81 Abs. 1 Satz 1, § 24 Abs. 1, § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 [X.]), ist die Ermächtigung als Verfügung unwirksam. Dann kommt einer Leistung auch des gutgläubigen Drittschuldners an den vermeintlich Ermächtigten keine schuldbefreiende Wirkung zu (MünchKomm-[X.]/[X.]/[X.], 2. Aufl., § 82 Rn. 3b; [X.]/Windel, [X.], § 82 Rn. 11; [X.] in Kübler/[X.], [X.] 2010, § 82 Rn. 5; BK-[X.]/v. [X.], 2011, § 82 Rn. 6).

8

b) Daran anknüpfend ist im Streitfall für eine schuldbefreiende Leistung der Nebenintervenientin an die Beklagte kein Raum, weil es an einem rechtsbeständigen Forderungserwerb durch diese fehlt (vgl. [X.], Z[X.] 2008, 16, 17 f). Die von dem Schuldner zugunsten der Beklagten erklärte Abtretung der gegen die Nebenintervenientin gerichteten Forderung ging infolge des ihm zuvor auferlegten Verfügungsverbots ins Leere (§ 81 Abs. 1 Satz 1, § 24 Abs. 1, § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 [X.]). Zahlungen der Nebenintervenientin als Drittschuldnerin an die Beklagte als vermeintliche [X.] konnten mangels eines gültigen Forderungserwerbs ebenso wie bei einer unwirksamen Ermächtigung keine Schuldbefreiung entfalten (vgl. [X.], 184, 189; [X.] 1913 Nr. 5 Sp. 395, 398; [X.], aaO; MünchKomm-[X.]/[X.]/[X.], aaO, § 82 Rn. 3d; [X.]/[X.], KO, 9. Aufl., § 7 Rn. 20; [X.] in Kübler/[X.], aaO, § 82 Rn. 4; BK-[X.]/v. [X.], aaO, § 82 Rn. 7; [X.] in [X.]/[X.]/Ringstmeier, § 82 [X.] Rn. 6).

9

2. [X.] ist weder gemäß § 407 Abs. 1, § 408 Abs. 1 und 2 BGB noch nach Maßgabe des § 409 Abs. 1 BGB durch die Zahlung an die Beklagte von ihrer Verbindlichkeit frei geworden.

a) Nach Insolvenzeröffnung oder dem Erlass eines Verfügungsverbots (§ 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 [X.]) kommt eine Schuldbefreiung nach Maßgabe der §§ 407, 408 BGB nur in Betracht, soweit diese Regelungen nicht mit § 81 Abs. 1 Satz 1, § 82 Satz 1 [X.] kollidieren. § 82 [X.] bietet wie die im Wesentlichen inhaltsgleiche (BT-Drucks. 12/2443, [X.]) Vorgängerregelung des § 8 KO eine besondere, abschließende Vergünstigung ([X.], Urteil vom 12. November 1998 - [X.], [X.]Z 140, 54, 59; vom 16. Juli 2009, aaO, Rn. 13). Sonstige Befreiungstatbestände sind darum nach Eingreifen insolvenzrechtlicher Verfügungsverbote grundsätzlich nicht mehr beachtlich (vgl. [X.], Urteil vom 24. April 1986 - [X.], [X.] 1986, 720).

b) Auch aus § 409 Abs. 1 BGB kann die Nebenintervenientin im Blick auf die Zahlung an die Beklagte keine Rechte herleiten.

Diese Vorschrift geht davon aus, dass der Gläubiger, der die Abtretungsanzeige oder Abtretungsurkunde ausstellt, über die Forderung verfügen kann; nur dann ist es nämlich gerechtfertigt, ihn trotz der Unwirksamkeit der angezeigten Abtretung an seiner Erklärung festzuhalten. Die Erklärung eines nicht verfügungsberechtigten Gläubigers kann diese Wirkung ebenso wenig haben wie eine Erklärung, die ein Nichtgläubiger abgibt ([X.], Urteil vom 5. Februar 1987 - [X.], [X.]Z 100, 36, 46). Die Regelung des § 409 BGB ist also unanwendbar, wenn der angezeigten Abtretung ein Abtretungsverbot entgegensteht ([X.], Urteil vom 5. Juli 1971 - [X.], [X.]Z 56, 339, 345). Im Streitfall ist § 409 Abs. 1 BGB danach nicht anwendbar, weil der Schuldner infolge der Anordnung nach § 21 Abs. 2 Nr. 2 [X.] nicht mehr verfügungsbefugt war (MünchKomm-[X.]/[X.]/[X.], aaO; [X.], aaO; BK-[X.]/v. [X.], aaO; [X.], [X.], 13. Aufl., § 82 Rn. 10).

3. Vor diesem Hintergrund scheitert die Rüge einer Verletzung des Art. 103 Abs. 1 GG bereits an der fehlenden Entscheidungserheblichkeit, weil die Nebenintervenientin auch im Falle ihrer Gutgläubigkeit nicht schuldbefreiend an die Beklagte geleistet hat.

[X.]                                 Fischer

                      Grupp                                    [X.]

Meta

IX ZR 210/11

12.07.2012

Bundesgerichtshof 9. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZR

vorgehend Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, 29. November 2011, Az: 9 U 69/11

§ 81 Abs 1 S 1 InsO, § 82 InsO, § 407 Abs 1 BGB, § 408 Abs 1 BGB, § 409 Abs 1 BGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 12.07.2012, Az. IX ZR 210/11 (REWIS RS 2012, 4773)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 4773

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

IX ZR 210/11 (Bundesgerichtshof)


IX ZR 121/20 (Bundesgerichtshof)

Insolvenzeröffnungsverfahren: Ermächtigung des Drittschuldners zur schuldbefreienden Zahlung an einen Dritten durch Fortsetzung der Geschäftsbeziehung; schuldbefreiende …


IX ZR 230/15 (Bundesgerichtshof)

Insolvenzverfahren: Kondizierung einer Sicherungsgrundschuld durch den Insolvenzverwalter nach Abtretung der Grundschuld an einen neuen Sicherungsnehmer; …


IX ZR 213/11 (Bundesgerichtshof)

Insolvenzverfahren: Anspruch des Verwalters auf Erstattung einer durch den vom Schuldner eingesetzten Treuhänder an einen …


IX ZR 230/15 (Bundesgerichtshof)


Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.