Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 11.01.2011, Az. 1 ABR 104/09

1. Senat | REWIS RS 2011, 10656

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Gegenstand

(Mitbestimmung des Betriebsrats nach § 87 Abs 1 Nr 7 BetrVG - Unterweisung zum Arbeitsschutz )


Leitsatz

Beschließt die Einigungsstelle Regelungen über Art und Inhalt der Unterweisung nach § 12 ArbSchG, hat sie die Erkenntnisse einer Gefährdungsbeurteilung nach § 5 ArbSchG zu berücksichtigen und die konkrete arbeitsplatz- oder aufgabenbezogene Unterweisung daran auszurichten. Sie kann sich nicht darauf beschränken, allgemeine Bestimmungen über die Unterweisung zu Gefahren am Arbeitsplatz zu beschließen.

Tenor

Die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats gegen den Beschluss des [X.] vom 19. Februar 2009 - 1 [X.] 1871/08 - wird zurückgewiesen.

Gründe

1

A. Die [X.]eteiligten streiten über die Wirksamkeit eines [X.] zum Arbeitsschutz.

2

Die Arbeitgeberin ist ein Unternehmen mit bundesweit 44 [X.]etrieben, das Aufzüge, Fahrtreppen und andere Transportsysteme herstellt, vertreibt, einbaut und wartet. Der überwiegende Teil ihrer [X.]eschäftigten arbeitet im [X.] im [X.]ereich Service und Neubaumontage. Für den [X.]etrieb der Region [X.] ist der zu 2) beteiligte [X.]etriebsrat errichtet.

3

Nachdem sich die [X.]etriebsparteien nicht über den Abschluss einer [X.]etriebsvereinbarung zu Fragen des Arbeitsschutzes einigen konnten, setzte das [X.] [X.]erlin-[X.]randenburg durch [X.]eschluss vom 7. Juni 2007 (- 18 Ta[X.]V 569/07 -) eine Einigungsstelle mit dem Regelungsgegenstand „Umsetzung der Anforderungen des Arbeitsschutzes“ ein.

4

Einen in einem anderen Einigungsstellenverfahren zur Regelung arbeitsschutzrechtlicher Fragen ergangenen Einigungsstellenspruch griff die Arbeitgeberin mit dem Antrag an, festzustellen, dass der Gesamtbetriebsrat für die Ausübung des Mitbestimmungsrechts nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 [X.]etrVG entsprechend dem Regelungsgegenstand der Einigungsstelle zuständig sei. Dieser Antrag wurde vom [X.] [X.]erlin-[X.]randenburg durch [X.]eschluss vom 29. April 2008 (- 12 Ta[X.]V 134/08 -) rechtskräftig abgewiesen. [X.]ereits am 30. April 2008 fasste die im [X.]etrieb des [X.]eteiligten zu 2) gebildete Einigungsstelle den streitgegenständlichen Teilspruch zur Unterweisung der [X.]eschäftigten über Sicherheit und [X.] bei der Arbeit.

5

Die Arbeitgeberin hat geltend gemacht, der [X.] sei unwirksam, weil für den Regelungsgegenstand der Gesamtbetriebsrat zuständig gewesen sei. Weiterhin habe die Einigungsstelle ohne vorherige Gefährdungsbeurteilung keine Regelungen zur Unterweisung der [X.]eschäftigten über den Arbeitsschutz beschließen dürfen.

6

Die Arbeitgeberin hat beantragt

        

festzustellen, dass der Teilspruch vom 30. April 2008, zugestellt am 7. Mai 2008, betreffend die Regelungen der Unterweisung nach § 12 [X.] sowie die in diesem Zusammenhang umgesetzten Regelungen aus den [X.] der §§ 3 Abs. 2, 4 [X.] für den [X.]etrieb Region [X.] der Antragstellerin unwirksam ist.

7

Der [X.]etriebsrat hat die Zurückweisung des Antrags begehrt.

8

Das Arbeitsgericht hat den Antrag der Arbeitgeberin zurückgewiesen. Das [X.] hat den [X.]eschluss des Arbeitsgerichts abgeändert und die Unwirksamkeit des [X.] der Einigungsstelle festgestellt. Mit seiner Rechtsbeschwerde verfolgt der [X.]etriebsrat seinen Abweisungsantrag weiter. Der in den Vorinstanzen beteiligte Gesamtbetriebsrat hat seine Rechtsbeschwerde vor der Anhörung zurückgenommen. Das Verfahren ist insoweit eingestellt worden.

9

[X.]. Die Rechtsbeschwerde des [X.]etriebsrats ist unbegründet.

I. Der auf Feststellung der Unwirksamkeit des [X.] der Einigungsstelle gerichtete Antrag der Arbeitgeberin ist zulässig.

1. An dem Verfahren waren zuletzt nur die Arbeitgeberin als Antragstellerin und der [X.]etriebsrat des [X.]etriebs Region [X.] beteiligt (§ 83 Abs. 3 ArbGG), nachdem der Gesamtbetriebsrat seine Rechtsbeschwerde zurückgenommen hat. Es bedarf daher keiner Entscheidung, ob dieser von den Vorinstanzen zu Recht beteiligt worden ist.

2. Der Feststellungsantrag ist zulässig. Eine gerichtliche Entscheidung über die Wirksamkeit des Spruchs einer Einigungsstelle hat feststellende und nicht rechtsgestaltende Wirkung. Deshalb ist die Feststellung der Unwirksamkeit des Spruchs und nicht seine Aufhebung zu beantragen ([X.]AG 23. März 2010 - 1 A[X.]R 82/08 - Rn. 11, [X.] [X.]etrVG 1972 § 87 Lohngestaltung Nr. 135 = EzA [X.]etrVG 2001 § 50 Nr. 7).

II. Der Antrag der Arbeitgeberin ist begründet. Der [X.] vom 30. April 2008 ist insgesamt unwirksam.

1. Die Rechtsunwirksamkeit des [X.] der Einigungsstelle folgt entgegen der Auffassung der Arbeitgeberin allerdings nicht bereits aus der fehlenden Zuständigkeit des örtlichen [X.]etriebsrats zur Wahrnehmung der Mitbestimmungsrechte in Fragen der Unterweisung der Arbeitnehmer über Sicherheit und [X.] bei der Arbeit. Vielmehr steht aufgrund der Entscheidung des [X.]s [X.]erlin-[X.]randenburg vom 29. April 2008 (- 12 Ta[X.]V 134/08 -) rechtskräftig fest, dass hierfür die örtlichen [X.]etriebsräte zuständig sind. In jenem Verfahren, in dem der Gesamtbetriebsrat und alle im Unternehmen gebildeten [X.]etriebsräte beteiligt waren, hat das [X.] den Antrag der Arbeitgeberin festzustellen, dass der Gesamtbetriebsrat nach § 50 Abs. 1 [X.]etrVG für die Ausübung des Mitbestimmungsrechts nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 [X.]etrVG ua. zu Regelungen der Unterweisung nach § 12 [X.] zuständig sei, rechtskräftig abgewiesen. Da somit der Gesamtbetriebsrat für den im Antrag aufgeführten Regelungsgegenstand nicht zuständig ist, verbleibt es insoweit bei der Zuständigkeit der örtlichen [X.]etriebsräte, weshalb auch die Einigungsstelle auf [X.] zu bilden war.

2. [X.] vom 30. April 2008 ist unwirksam, weil die Einigungsstelle darin ihrem Regelungsauftrag nicht vollständig nachgekommen ist.

a) Der [X.]etriebsrat hat nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 [X.]etrVG bei betrieblichen Regelungen über den [X.] mitzubestimmen. Hierzu gehört auch die durch § 12 [X.] dem Arbeitgeber auferlegte Verpflichtung, die [X.]eschäftigten über Sicherheit und [X.] bei der Arbeit zu unterweisen ([X.]AG 8. Juni 2004 - 1 A[X.]R 13/03 - zu [X.] I 2 b cc der Gründe mwN, [X.]AGE 111, 36). Einigen sich die [X.]etriebsparteien nicht über Art und Inhalt der Unterweisung, hat das die Einigungsstelle zu regeln. Hierbei hat sie die Erkenntnisse einer Gefährdungsbeurteilung (§ 5 [X.]) zu berücksichtigen und die konkrete arbeitsplatz- oder aufgabenbezogene Unterweisung daran auszurichten. Sie kann sich nicht darauf beschränken, allgemeine [X.]estimmungen über die Unterweisung zu Gefahren am Arbeitsplatz aufzustellen.

aa) Das Erfordernis der Durchführung einer Gefährdungsbeurteilung als Grundlage der Regelung einer Unterweisung iSd. § 12 [X.] folgt schon aus dem Wortlaut dieser [X.]estimmung. Nach § 12 Abs. 1 Satz 2 [X.] umfasst die Unterweisung Anweisungen und Erläuterungen, die eigens auf den Arbeitsplatz oder den Aufgabenbereich der [X.]eschäftigten ausgerichtet sind. Damit wird klargestellt, dass die Unterweisung sich nicht in allgemeinen Fragestellungen des Arbeitsschutzes erschöpfen darf, sondern gerade die konkreten Gefährdungen zum Gegenstand haben muss, welchen die Arbeitnehmer an den jeweiligen Arbeitsplätzen im Einzelnen ausgesetzt sind. Wer diese Gefahren nicht kennt, kann über diese auch nicht im Rahmen der Unterweisung aufklären. Die Einigungsstelle kann deshalb ihren Regelungsauftrag nur vollständig erfüllen, wenn sie die konkreten Gefahren am Arbeitsplatz in den [X.]lick nimmt und hiervon ausgehend konkrete, arbeitsplatzbezogene [X.]estimmungen beschließt(vgl. [X.]AG 8. Juni 2004 - 1 A[X.]R 4/03 - zu [X.] III 4 b bb der Gründe, [X.]AGE 111, 48).

bb) Dieses Normverständnis wird durch die Gesetzesmaterialien bestätigt. So wird in der Gesetzesbegründung zu § 5 [X.] ([X.]T-Drucks. 13/3540 S. 16 f.) ausdrücklich ausgeführt, dass sich erst aufgrund einer [X.]eurteilung der Arbeitsbedingungen erkennen lasse, welche Schutzmaßnahmen erforderlich seien. Dazu gehöre, dass eine Gefährdung als solche erkannt und hinsichtlich ihrer Schwere, dh. nach Art und Umfang des möglichen Schadens bewertet werde. Damit geht auch der Gesetzgeber davon aus, dass die Gefährdungsbeurteilung Grundlage der Unterweisung der Arbeitnehmer nach § 12 [X.] ist und denknotwendig vor einer solchen zu erfolgen hat.

cc) Erst eine solche Reihenfolge stellt die effektive Verwirklichung des Regelungszwecks des Arbeitsschutzgesetzes sicher. Dieses dient nach § 1 Abs. 1 [X.] dazu, Sicherheit und [X.] der [X.]eschäftigten bei der Arbeit zu sichern und zu verbessern. Die Gefährdungsbeurteilung ist ihr zentrales Element und notwendige Voraussetzung für die betriebliche Umsetzung der Arbeitsschutzpflichten des Arbeitgebers ( [X.] ArbSchR 4. Aufl. § 5 [X.] Rn. 1). Je genauer und wirklichkeitsnäher im [X.]etrieb die Gefährdungen ermittelt und beurteilt werden, umso zielsicherer können konkrete Maßnahmen zur Vermeidung von Gefahren getroffen werden ([X.]AG 8. Juni 2004 - 1 A[X.]R 13/03 - zu [X.] I 2 b bb (1) der Gründe, [X.]AGE 111, 36; 12. August 2008 - 9 [X.] 1117/06 - Rn. 23, [X.]AGE 127, 205). Dazu gehört auch die Unterweisung nach § 12 [X.], die dazu dient, die [X.]eschäftigten in die Lage zu versetzen, Gefährdungen und Gefahren rechtzeitig zu erkennen, Arbeitsschutzmaßnahmen nachzuvollziehen und sich an ihrer Durchführung aktiv zu beteiligen sowie sich sicherheits- und gesundheitsgerecht zu verhalten ( [X.] § 12 [X.] Rn. 1; [X.]/Kohte 3. Aufl. § 292 Rn.  30 ).

dd) Dem steht nicht entgegen, dass sich nach § 5 Abs. 3 Nr. 5 [X.] eine Gefährdung auch aus einer unzureichenden Unterweisung der [X.]eschäftigten ergeben kann. Damit ist lediglich klargestellt, dass bei späteren Gefährdungsbeurteilungen auch Unterweisungen einzubeziehen sind. Es wird jedoch nicht der Grundsatz in Frage gestellt, dass eine Einigungsstelle ihren Auftrag nur dann vollständig erfüllt, wenn sie die konkreten Gefahren an den Arbeitsplätzen in den [X.]lick nimmt und hierauf aufbauend arbeitsaufgabenbezogene Unterweisungen beschließt.

b) Daran gemessen ist der Teilspruch vom 30. April 2008 unwirksam, weil die Einigungsstelle ihrem Regelungsauftrag nicht ausreichend nachgekommen ist und mangels vorheriger Durchführung der Gefährdungsbeurteilung auch nicht nachkommen konnte.

aa) [X.] regelt die aufgabenbezogenen Unterweisungen nur unvollständig, indem er unter Nr. 3.4 bestimmt, dass sich deren Dauer nach den [X.]esonderheiten der Tätigkeit richtet und von den [X.]etriebsparteien noch vereinbart werden muss. Zur umfassenden Erfüllung des [X.], „Umsetzung der Anforderungen des Arbeitsschutzes“ hätte die Dauer der Unterweisung jedoch unter [X.]erücksichtigung der Gefahren nach Art der jeweiligen Tätigkeit oder der einzelnen Arbeitsplätze (§ 5 Abs. 2 [X.]) näher bestimmt werden müssen. Dazu hätte es einer Gefährdungsbeurteilung der einzelnen Arbeiten bedurft, weil nur auf dieser Grundlage eine an den konkreten Gefahren ausgerichtete aufgabenbezogene Unterweisung möglich ist. Die unter Nr. 3.6 des Spruchs vorgesehene Evaluierung der Unterweisung, die durch eine regelmäßige Überprüfung der Lernziele und der Durchführung der Unterweisungen erfolgen soll, setzt gleichfalls eine an den konkreten Gefahren ausgerichtete aufgabenbezogene Unterweisung voraus. Ohne vorherige Gefährdungsbeurteilung kann nicht beurteilt werden, ob die erfolgte Unterweisung Sicherheit und [X.] der [X.]eschäftigten bei der Arbeit verbessert hat. Soweit der Teilspruch unter Nr. 3.8 vorsieht, dass die Personen, welche die Unterweisung durchführen, die Gefährdungsbeurteilung und ihre [X.]edeutung für Führungsaufgaben kennen müssen, stellt er wegen der fehlenden Gefährdungsbeurteilung unerfüllbare Anforderungen an die Unterweisenden. [X.]ereits dies macht deutlich, dass es sich bei dem durch den Spruch geregelten Komplex „Unterweisung“ faktisch nicht um einen abgrenzbaren Teil der gesamten streitigen Regelungsmaterie handelt, sondern um eine Regelung „ins [X.]laue hinein“, die den darauf bezogenen Konflikt der [X.]etriebsparteien keiner vollständigen Lösung zuführt und auch nicht zuführen kann.

bb) Die Teilunwirksamkeit der von der Einigungsstelle beschlossenen Regelungen zur aufgabenbezogenen Unterweisung führt nach dem der Vorschrift des § 139 [X.]G[X.] zugrunde liegenden Rechtsgedanken zur Unwirksamkeit des gesamten [X.], da der verbleibende Teil ohne die unwirksamen [X.]estimmungen keine sinnvolle und in sich geschlossene Regelung enthält (vgl. dazu [X.]AG 8. Juni 2004 - 1 A[X.]R 4/03 - zu [X.] III 4 b cc (1) der Gründe, [X.]AGE 111, 48). Auch wenn man davon ausgeht, dass [X.]estimmungen zur Grundunterweisung ohne vorangehende Gefährdungsbeurteilung beschlossen werden konnten, bleibt zu berücksichtigen, dass eine Grundunterweisung ohne eine zeitnahe aufgabenbezogene Unterweisung keinen Sinn macht. [X.]eide Formen der Unterweisung stehen nicht beziehungslos nebeneinander, sie bauen vielmehr aufeinander auf und stehen damit in einem inneren Zusammenhang.

        

    Schmidt    

        

    Koch    

        

    Linck    

        

        

        

    Münzer    

        

    Hayen    

                 

Meta

1 ABR 104/09

11.01.2011

Bundesarbeitsgericht 1. Senat

Beschluss

Sachgebiet: ABR

vorgehend ArbG Berlin, 6. August 2008, Az: 17 BV 8384/08, Beschluss

§ 87 Abs 1 Nr 7 BetrVG, § 5 ArbSchG, § 12 Abs 1 ArbSchG

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 11.01.2011, Az. 1 ABR 104/09 (REWIS RS 2011, 10656)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 10656

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Referenzen
Wird zitiert von

6 TaBV 21/17

7 TaBV 3/17

7 TaBV 83/15

7 TaBV 45/14

10 TaBV 41/11

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