Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 04.06.2013, Az. 4 StR 180/13

4. Strafsenat | REWIS RS 2013, 5353

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 180/13

vom
4. Juni
2013
in der Strafsache
gegen

wegen Mordes

-
2
-
Der 4.
Strafsenat des [X.] hat nach Anhörung des [X.] und des Beschwerdeführers am 4.
Juni
2013
gemäß §
349 Abs.
4 StPO beschlossen:

1.
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 19.
November 2012 mit den [X.] aufgehoben.
2.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgerichtskammer zuständige Strafkammer des Land-gerichts zurückverwiesen.

Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten wegen Mordes (Mordmerkmal: Heimtücke) zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Mit seiner Revision beanstandet der Angeklagte neben der Beweiswürdigung des [X.]s vor allem die Annahme einer heimtückischen Tötung. Das Rechtsmittel hat Erfolg.
I.
Nach den Feststellungen verschaffte sich der Angeklagte bereits seit [X.] nicht geringe Einnahmen dadurch, dass er Frauen aus Osteuropa nach [X.] einschleuste und hier der Prostitution zuführte. Dabei hatten die Frauen Teile ihrer Einnahmen an den Angeklagten abzuführen. Das spätere 1
2
-
3
-
[X.]

[X.]

lernte der Angeklagte im [X.] 2007 in der [X.]
kennen. Sie kam im Dezember 2007 nach [X.], um hier für eine [X.] durch die Ausübung der Prostitution Geld zu verdienen und anzusparen. Nach ihrer Rückkehr wollte sie von den hier erworbenen Mitteln eine Eigen-tumswohnung kaufen. Kurze [X.] nachdem

[X.]

nach [X.]
gekommen war, begann zwischen ihr und dem Angeklagten eine sexuelle Be-ziehung, in deren Verlauf sie sich in den Angeklagten verliebte. Dabei war ihr bekannt, dass der Angeklagte verheiratet war und
Kinder hatte. Gleichwohl wünschte sie sich eine feste Partnerschaft mit ihm.
In der [X.] vom 7.
Februar 2008 bis zum 14.
Dezember 2009 verbüßte der Angeklagte in der [X.], Außenstelle
[X.], eine Freiheitsstrafe aus einer Verurteilung wegen gewerbsmäßigen Einschleusens von Ausländern, Menschenhandel und anderem. Er war [X.] und arbeitete bei einer Dachdeckerfirma, zu der er mit seinem Pkw fuhr. Im Februar 2009 war er nur wenige Tage an seiner Arbeitsstelle. Daneben suchte er Bordelle auf, in denen Frauen für ihn tätig waren,
und führte seine Beziehung mit

[X.]

weiter.
Am Morgen des 19.
Februar 2009 verließ der Angeklagte um 6.30
Uhr die Justizvollzugsanstalt. Nachdem er an einer Tankstelle gefrühstückt und sich Wodka gekauft hatte, suchte er die Räumlichkeiten eines Nachtclubs in

S.

auf, in dem sich zu dieser [X.]

wie der Angeklagte wusste

keine
weiteren Personen aufhielten. Kurz nach 9.30
Uhr kam auch

[X.]

in
den Club. Der Angeklagte hatte inzwischen 600
ml Wodka getrunken und eine Zigarette mit Cannabis geraucht. Beide hielten sich zunächst
in
der Küche des Clubs auf, tranken Kaffee und unterhielten sich. Schließlich gingen sie
auf ein 3
4
-
4
-
Zimmer, wobei

[X.]

annahm, dass es dort zum einvernehmlichen
Geschlechtsverkehr kommen würde.
Spätestens jetzt entschloss sich der Angeklagte,

[X.]

zu töten.
Das Motiv vermochte das [X.] nicht festzustellen. Es hält es für möglich, dass

[X.]

, die als Prostituierte gute Einnahmen erzielte, dem Ange-
klagten einen größeren Geldbetrag zur Aufbewahrung gegeben hatte und nun dessen Herausgabe forderte, um das Geld bei ihrer für März 2009 geplanten Heimreise mitzunehmen; der Angeklagte aber zur Rückgabe des Geldes [X.] nicht imstande oder nicht willens
war. Auch ist es für das [X.]

[X.]

wollte, sich von ihr unter Druck gesetzt fühlte, weil sie möglicherweise
von ihm erwartete, dass er sich von seiner Frau trennt. Vielleicht drohte

[X.]

dem Angeklagten auch, seine Frau von dem Verhältnis in Kenntnis zu
setzen, was er um jeden Preis verhindern wollte. Gegebenenfalls spielten auch andere
Gründe eine Rolle.
Der Angeklagte nutzte die Gelegenheit, seinen [X.] umzuset-zen.

[X.]

rechnete an diesem Morgen weder mit einem lebensbe-
drohlichen, noch mit einem gegen ihre körperliche Integrität gerichteten schwe-ren oder doch
erheblichen Angriff seitens des Angeklagten. Dieser fügte ihr am linksseitigen Scheitel-/Hinterhauptbereich eine Verletzung zu, die auf einer stumpfen Gewalteinwirkung beruhte. Wie der Angeklagte seinem Opfer diese Verletzung beibrachte, vermochte das [X.] nicht festzustellen. Als [X.] kommen beispielhaft ein Schlag mit einem harten Gegenstand oder der Faust, aber auch ein Stoß mit dem Kopf gegen eine Wand oder Ähnliches in Betracht.

[X.]

war hierdurch in ihrer Wahrnehmungsfähigkeit
zumin-
dest eingeschränkt. Im [X.] daran legte ihr der Angeklagte zwei 75
cm 5
6
-
5
-
lange und 1
cm breite Kabelbinder über den
Pulloverkragen um den Hals,
sodass sich die Zugenden hinten befanden, und zog diese kräftig zu, bis der Tod durch Erdrosseln eintrat. Zu irgendwelchen Abwehrreaktionen war

[X.]

infolge der Einwirkung auf den [X.] und der Atemnot nicht in
der Lage.
Nach der Tat wickelte der Angeklagte die Leiche von

[X.]

in
einen Plastiksack und packte sie in einen Rollkoffer. Anschließend beseitigte er alle Spuren. Den Rollkoffer verstaute er am Folgetag in einer Gefriertruhe, die in der Garage des Clubs aufgestellt war und sich in Betrieb befand. Im Juli oder August 2009 verbrachte er die Gefriertruhe mit der Leiche von

[X.]

in
eine von ihm angemietete Garage. Die Gefriertruhe nahm er wieder in Betrieb. Die tiefgefrorene Leiche wurde am 27.
Februar 2012 bei einer Durchsuchung im Rahmen eines anderen Ermittlungsverfahrens aufgefunden.
II.
Die Revision des Angeklagten hat Erfolg, weil die Erwägungen,
mit de-nen das [X.] seine Überzeugung vom Vorliegen einer heimtückischen Tötung begründet hat,
auch unter Berücksichtigung des nur eingeschränkten revisionsrechtlichen Überprüfungsmaßstabs (vgl.
[X.], Urteil vom 12.
Januar 2012

4
StR
499/11, Rn.
5 mwN) rechtlicher Nachprüfung
nicht standhalten

261 StPO).
1.
Heimtückisch handelt, wer in feindlicher Willensrichtung die Arg-
und dadurch bedingte Wehrlosigkeit des Opfers bewusst zu dessen Tötung aus-nutzt. [X.] ist das [X.], wenn es bei Beginn des ersten mit Tötungsvor-satz geführten Angriffs nicht mit einem gegen seine körperliche Unversehrtheit 7
8
9
-
6
-
gerichteten schweren oder doch erheblichen Angriff rechnet ([X.],
Urteil vom 6.
September 2012

3
StR
171/12, [X.], 371, Urteil vom 30.
August 2012

4
StR
84/12, Rn.
12; Urteil vom 20.
Januar 2005

4
StR
491/04, [X.], 691, 692; jeweils mwN). Hiervon ist auch das [X.] im Ansatz zu-treffend ausgegangen. Seine Ausführungen zur [X.]igkeit des [X.] sind jedoch lückenhaft, weil bedeutsame Gesichtspunkte, die gegen diese Annahme sprechen könnten, nicht in Erwägung gezogen worden sind.
a)
Das [X.] hat hierzu ausgeführt,

[X.]

habe am Tattag
nicht damit gerechnet, von dem Angeklagten angegriffen zu werden. Vielmehr sei sie davon ausgegangen, mit ihm Geschlechtsverkehr zu haben. [X.] für einen vorangegangenen Streit mit dem Angeklagten lägen nicht vor, ebenso wenig dafür, dass der Angeklagte ihr gegenüber jemals gewalttätig ge-worden ist
(UA
31). Die Aussagen der vernommenen Zeugen hätten keinen Hinweis auf Streitigkeiten oder körperliche Auseinandersetzungen im Verhältnis zwischen dem Angeklagten und

[X.]

in der [X.] vor der Tat ergeben.

Auch der Angeklagte selbst habe in dieser Hinsicht nichts angedeutet. Vielmehr habe er angegeben, dass

[X.]

akzeptiert hätte, dass er seine Familie
für sie nicht verlassen würde. Konkrete Anhaltspunkte für weiteres Konfliktpo-tential seien nicht vorhanden (UA
26). Das Fehlen jeglicher Abwehrverletzun-gen mache deutlich, dass

[X.]

keine entsprechenden Maßnahmen
gegen ein gewaltsames Vorgehen des Angeklagten traf (UA
31). Da sie keine Gewalteinwirkung von vorne und keine Abwehrverletzung aufgewiesen
habe, sei die Annahme lebensfremd, dass ihr der Angeklagte am Tattag offen in be-drohlicher und übergriffiger Weise gegenüber getreten sei
(UA
26
f.).
b)
Zwar liegt es nach den Umständen nahe, dass

[X.]

noch
nicht mit
einem Angriff rechnete, als sie mit dem Angeklagten auf [X.] 10
11
-
7
-
ging, um einvernehmlichen Geschlechtsverkehr zu haben, doch hätte sich das [X.] an dieser Stelle mit den Sachverhaltsvarianten auseinandersetzen müssen, die es selbst bei der Erörterung möglicher Tatmotive
und der Ursache für die Hinterhauptverletzung in Betracht gezogenen hat.
Sowohl die für möglich gehaltene Rückforderung von Geld, das der An-geklagte nicht mehr hatte oder nicht zurückgeben wollte, als auch die Drohung mit einer Offenlegung der außerehelichen sexuellen Beziehung, die der Ange-können zu einem Streit geführt ha-ben, der bei dem [X.] einen Verlust der [X.]igkeit zur Folge hatte.
Soweit das [X.] im Rahmen der Beweiswürdigung aus der Einlassung des [X.],

[X.]

hätte seine Entscheidung akzeptiert, für sie nicht die
Familie zu verlassen, abgeleitet hat, dass insoweit kein Konfliktpotential gege-ben war (UA
26), steht dies in einem inneren Widerspruch
zu der in die [X.] aufgenommenen Annahme, der Angeklagte könnte sich zur Tötung entschieden haben, weil er sich von der eine Trennung von seiner Frau erwar-tenden

[X.]

unter Druck gesetzt fühlte oder sogar von ihr mit einer
Offenbarung des außerehelichen Verhältnisses bedroht worden sei (UA
9). Auch hätte bei der Bewertung dieser Angaben des Angeklagten in Betracht [X.] werden müssen, dass er sich mit der Behauptung verteidigt hat,

[X.]

sei bei einem einvernehmlichen Geschlechtsverkehr, bei dem sie sich
selbst Kabelbinder als Drosselungswerkzeuge um den Hals gelegt habe, uner-wartet zu Tode gekommen. Eine Offenlegung von

möglicherweise gravieren-den

Streitigkeiten wäre mit dieser Verteidigungslinie nicht vereinbar.
Sollte sich

[X.]

die vor der Drosselung erlittene Hinterhaupt-
verletzung tatsächlich durch einen Sturz gegen eine Wand nach einem Stoß des Angeklagten zugezogen haben, wie es
das [X.] neben anderen 12
13
-
8
-
Geschehensvarianten ausdrücklich für möglich hält (UA
9), könnte dies für eine vorangegangene körperliche Auseinandersetzung sprechen. In diesem [X.] auch dem Umstand, dass diese Verletzung nicht (unmittelbar) auf einer Gewalteinwirkung von vorne beruht, keine durchgreifende Bedeutung mehr zu. Das vom [X.] herangezogene Fehlen von [X.] belegt nur, dass

[X.]

jedenfalls im [X.]punkt der Drosselung zu einer Ge-
genwehr nicht mehr in der Lage war, doch lässt dies noch nicht ohne weiteres den Schluss zu, dass diese Wehrlosigkeit auf einer vorgängigen [X.]igkeit beruhte.
2.
Die Sache bedarf daher neuer Verhandlung und Entscheidung. [X.] sich das [X.] rechtsfehlerfrei davon überzeugt hat, dass der An-geklagte

[X.]

zunächst die Hinterhauptverletzung beibrachte und sie
dann mit den beiden um ihren Hals gelegten Kabelbindern erdrosselte, hat der Senat davon abgesehen, die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen auf-rechtzuerhalten

353 Abs.
2 StPO), weil ein enger tatsächlicher
Zusammen-hang mit den rechtsfehlerhaften Feststellungen zur [X.]igkeit des [X.] besteht und zumindest teilweise dieselben Beweisanzeichen (Fehlen auf [X.] hindeutender
Spuren im Halsbereich, vollständig erhal-tene künstliche Fingernägel etc.) gewürdigt worden sind ([X.],
Urteil vom 27.
November 1959

4
StR
394/59, [X.]St 14, 30, 35).
Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat darauf hin, dass der Tatrichter nicht gehalten ist, zu Gunsten des Angeklagten Geschehensabläufe zu unterstellen, für deren Vorliegen es keine realen Anknüpfungspunkte gibt ([X.],
Urteil vom 20.
Mai 2009

2
StR
576/08, [X.], 630, 631). Für die Annahme einer heimtückischen Tötung ist es wesentlich, dass der Täter sein keinen Angriff erwartendes Opfer in
einer hilflosen Lage überrascht und 14
15
-
9
-
dadurch daran hindert, dem Anschlag auf sein Leben zu begegnen oder ihn wenigstens zu erschweren. Das Opfer kann daher auch dann arglos im Sinne des §
211 Abs.
2 StGB sein, wenn der Täter ihm offen feindselig entgegentritt, also etwa von vorne angreift, die [X.]spanne zwischen dem Erkennen der Ge-fahr und dem unmittelbaren Angriff aber so kurz ist, dass keine Möglichkeit bleibt, um dem Angriff noch irgendwie zu begegnen ([X.],
Urteil vom 16.
Februar 2012

3
StR
346/11, [X.], 245; Urteil vom 20.
Juli 2004

1
StR
145/04; Urteil vom 5.
Februar 1997

2
StR
509/96, [X.], 168).
Mutzbauer
Cierniak
Franke

Bender
Quentin

Meta

4 StR 180/13

04.06.2013

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 04.06.2013, Az. 4 StR 180/13 (REWIS RS 2013, 5353)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 5353

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