Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 29.09.2010, Az. 5 C 20/09

5. Senat | REWIS RS 2010, 2908

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Gegenstand

Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit durch beantragten Erwerb einer anderen Staatsangehörigkeit; Kenntnis der deutschen Staatsangehörigkeit


Leitsatz

1. Für die Anforderungen, die im Einzelnen an die Kenntnis der deutschen Staatsangehörigkeit als Voraussetzung für ihren Verlust nach § 25 Abs. 1 RuStAG a.F. (§ 25 Abs. 1 Satz 1 StAG) zu stellen sind, kommt es maßgeblich auf das (wie auch immer erlangte) Bewusstsein der deutschen Staatsangehörigkeit an.

2. Rechtliche oder tatsächliche Zweifel am (Fort-)Bestand der deutschen Staatsangehörigkeit berühren die erforderliche zurechenbare Kenntnis der deutschen Staatsangehörigkeit nur und erst dann, wenn sie dem Betroffenen auch bekannt und bei einer objektiven Betrachtung geeignet sind, sich auf sein Bewusstsein auszuwirken, dass die deutsche Staatsangehörigkeit (fort-)besteht (Fortentwicklung der Urteile vom 10. April 2008 - BVerwG 5 C 28.07 - BVerwGE 131, 121 und vom 29. April 2010 - BVerwG 5 C 5.09 - NVwZ-RR 2010, 658).

Tatbestand

1

Die Parteien streiten im Revisionsverfahren, in dem die Klägerin weiterhin eine Spätaussiedlerbescheinigung begehrt, um Rechtsfragen des Verlusts der [X.] Staatsangehörigkeit beim Erwerb einer fremden Staatsangehörigkeit.

2

Die am 21. Oktober 1957 in der [X.] geborene Klägerin erhielt am 20. August 1969 eine vertriebenenrechtliche Übernahmegenehmigung, reiste aber erst im Jahre 2000 ins [X.] ein und beantragte am 30. Mai 2003 die Ausstellung einer Spätaussiedlerbescheinigung nach § 15 Abs. 1 [X.]. Zur Begründung berief sie sich unter anderem darauf, dass ihr am 22. Juni 1925 in [X.] geborener Vater [X.] die [X.] Staatsangehörigkeit im Oktober 1938 durch Sammeleinbürgerung erworben habe und sie als dessen eheliche Tochter ebenfalls die [X.] Staatsangehörigkeit besitze. Ihr Vater habe während des [X.] in der [X.] [X.] als Soldat gedient. Zum Nachweis legte die Klägerin Kopien des Arbeitsbuchs ihres [X.] vom 14. Juni 1940, in dem unter Staatsangehörigkeit "[X.]" vermerkt ist, und seines Soldbuches der [X.], das zugleich als [X.] diente, vor. Auf Aufforderung legte die Klägerin auch einen Erlass des Bezirksnationalausschusses [X.] ([X.]) vom 13. April 1950 nebst Übersetzung vor. Darin wird ihrem Vater gemäß § 3 des Dekrets Nr. 33/1945 [X.] und § 1 der Anordnung Nr. 252/1949 [X.] die [X.] Staatsbürgerschaft zurückgegeben.

3

Mit Bescheid vom 28. März 2007 lehnte die Beklagte die Ausstellung einer Spätaussiedlerbescheinigung ab, weil die Klägerin weder eine [X.] Volkszugehörige sei noch die [X.] Staatsangehörigkeit besitze. Durch den antragsgemäßen Erwerb der [X.]n Staatsbürgerschaft im Jahre 1950 habe ihr Vater die [X.] Staatsangehörigkeit verloren. Folglich habe er der 1957 geborenen Klägerin die [X.] Staatsangehörigkeit nicht mehr vermitteln können. Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 26. Juni 2007 zurück.

4

Die von der Klägerin erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht abgewiesen. Das Oberverwaltungsgericht hat dagegen die Beklagte verpflichtet, der Klägerin eine Spätaussiedlerbescheinigung nach § 15 [X.] zu erteilen. Die Klägerin falle unter die Übergangsregelung des § 100 Abs. 4 [X.] und könne nach § 1 Abs. 2 Nr. 3 [X.] a.F. anerkannt werden. Sie habe als [X.] Staatsangehörige [X.] verlassen. Ihr Vater sei als Sudeten[X.]r im Jahr 1938 rechtswirksam eingebürgert worden und habe die [X.] Staatsangehörigkeit beim Erwerb der [X.]n Staatsbürgerschaft im Jahr 1950 nicht verloren. Zwar beruhe der Erwerb der [X.]n Staatsbürgerschaft auf einem Antrag, weil nach § 2 der [X.] vom 29. November 1949 über die Rückgabe der [X.] Staatsbürgerschaft an Personen [X.] Nationalität (Nr. 252/1949 [X.]) ein "Gesuch" zwingend erforderlich gewesen sei. Für eine willentliche Entscheidung des [X.] über die Annahme der [X.]n Staatsangehörigkeit spreche auch der Vermerk auf dem Erlass vom 13. April 1950, wonach er [X.] abgelegt habe. Der Verlust der [X.] Staatsangehörigkeit trete bei Annahme einer ausländischen Staatsbürgerschaft aber nur ein, wenn der Besitz der [X.] Staatsangehörigkeit dem Betreffenden bekannt war oder bekannt sein musste, was nur bei grober Fahrlässigkeit anzunehmen sei. Hierfür genüge die bloße Kenntnis der die Staatsangehörigkeit begründenden Tatsachen nicht. Erforderlich sei auch eine gewisse Rechtskenntnis, die das Niveau einer "Parallelwertung in der [X.]" nicht unterschreiten dürfe. Da keinerlei Nachforschungsobliegenheit bestehe, wirke sich jede Unkenntnis der [X.] Rechtslage zugunsten des Betroffenen aus. Der Vater der Klägerin habe jedoch im Jahr 1950 nicht mit Sicherheit wissen können, ob er die [X.] Staatsangehörigkeit noch besitze. Denn bis zum Inkrafttreten des [X.] am 26. Februar 1955 sei die Wirksamkeit der unter der [X.] angeordneten Sammeleinbürgerungen umstritten gewesen. Es habe hinsichtlich der Anerkennung dieser Sammeleinbürgerungen eine unterschiedliche Behörden- und Gerichtspraxis gegeben. Deshalb sei auch der Gesetzgeber von einer unklaren Rechtslage ausgegangen (BTDrucks 2/44 S. 6, BTDrucks 2/849 S. 1). Daher habe sich dem Vater der Klägerin die Fortgeltung seiner [X.] Staatsangehörigkeit im Jahr 1950 nicht aufdrängen müssen.

5

Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 25 RuStAG (a.F.). Das Oberverwaltungsgericht habe sowohl an die Kenntnis als auch an das Kennenmüssen der [X.] Staatsangehörigkeit überzogene Anforderungen gestellt. Hinsichtlich der Kenntnis könne nicht gefordert werden, dass der Betroffene im Besitz einer Staatsangehörigkeitsurkunde der [X.] sei oder über Rechtskenntnisse verfüge. Vielmehr müsse es genügen, wenn der Betreffende um die Tatsachen wisse, aus denen sich für ihn die Bewusstseinslage ergebe, [X.]r Staatsangehöriger zu sein.

6

Die Klägerin verteidigt das angefochtene Urteil.

Entscheidungsgründe

7

Die Revision der Beklagten ist begründet. Das angefochtene Urteil des [X.] steht mit Bundesrecht nicht im Einklang (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Es beruht auf einer unrichtigen Auslegung und Anwendung des § 25 Abs. 1 des [X.] und Staatsangehörigkeitsgesetzes in der Fassung vom 22. Juli 1913 ([X.]; im Folgenden: Ru[X.] a.F.), der im vorliegenden Zusammenhang mit § 25 Abs. 1 Satz 1 [X.] übereinstimmt.

8

Das Oberverwaltungsgericht ist zwar zutreffend davon ausgegangen, dass die Klägerin die begehrte Spätaussiedlerbescheinigung nach § 15 [X.] beanspruchen könnte, wenn sie bei ihrer Übersiedlung im Jahr 2000 als [X.] Staatsangehörige Aufnahme im [X.] gefunden hätte (§ 100 Abs. 4 [X.] i.V.m. § 1 Abs. 2 Nr. 3 [X.] a.F.). Die Klägerin ist jedoch nicht mit ihrer Geburt im Jahr 1957 [X.] Staatsangehörige geworden, weil ihr Vater durch den antragsgemäßen Erwerb der [X.] Staatsbürgerschaft bereits im Jahr 1950 seine [X.] Staatsangehörigkeit verloren hatte. Er konnte ihr damit die [X.] Staatsangehörigkeit nach § 4 Abs. 1 Ru[X.] a.F. nicht mehr vermitteln.

9

1. Nach § 25 Abs. 1 Ru[X.] a.F. verlor ein [X.], der im Inland weder einen Wohnsitz noch einen ständigen Aufenthalt hatte, seine Staatsangehörigkeit mit dem Erwerb einer ausländischen Staatsangehörigkeit.

a) Dieser allgemeine Verlusttatbestand fand auch bei Sudeten[X.]n Anwendung, die - wie der Vater der Klägerin - im Wege der Sammeleinbürgerung nach dem "Vertrag zwischen dem [X.] und der [X.] über [X.]" vom 20. November 1938 ([X.]) die [X.] Staatsangehörigkeit erworben hatten. Im Gesetz zur Regelung von Fragen der Staatsangehörigkeit ([X.]) vom 22. Februar 1955 ([X.]) wurde nicht nur die Rechtswirksamkeit dieses Staatsangehörigkeitserwerbs bestätigt. In § 2 [X.] wurde auch die Möglichkeit des zwischenzeitlichen Verlustes der Staatsangehörigkeit klargestellt. Der Gesetzgeber hielt insbesondere den Verlust nach § 25 Ru[X.] a.F. beim antragsgemäßen Erwerb einer fremden Staatsangehörigkeit für möglich (BTDrucks 2/44 S. 8). In diesem Punkt sollte keinerlei unterschiedliche Behandlung der kollektiv eingebürgerten Personen gegenüber anderen [X.]n Staatsangehörigen erfolgen (vgl. BTDrucks 2/982 S. 2; [X.], [X.] Staatsangehörigkeitsrecht, 2. Aufl. 1971, S. 334 m.w.N.)

b) Der Vater der Klägerin hat die Tatbestandsmerkmale des § 25 Abs. 1 Ru[X.] a.F. erfüllt. Er hatte seinen Wohnsitz und ständigen Aufenthalt nicht in [X.]. Ferner hat das Oberverwaltungsgericht gemäß § 137 Abs. 2 VwGO in tatsächlicher Hinsicht bindend festgestellt, dass der Erwerb der [X.] Staatsangehörigkeit auf einem Antrag des [X.] der Klägerin beruhte und auch freiwillig erfolgt ist.

2. Der Verlust der [X.]n Staatsangehörigkeit scheidet auch nicht deshalb aus, weil der Vater der Klägerin beim Antragserwerb der [X.] Staatsangehörigkeit nicht die erforderliche Kenntnis vom Besitz der [X.]n Staatsangehörigkeit hatte. Die vom Oberverwaltungsgericht festgestellten Tatsachen lassen einen solchen Schluss nicht zu.

Das Oberverwaltungsgericht ist zwar im Ansatz zutreffend davon ausgegangen, dass ein [X.] seine Staatsangehörigkeit nur verliert, wenn ihm im Zeitpunkt des Antragserwerbs der ausländischen Staatsbürgerschaft der Besitz der [X.]n Staatsangehörigkeit bekannt war oder hätte bekannt sein müssen (Urteil vom 10. April 2008 - BVerwG 5 C 28.07 - BVerwGE 131, 121 Rn. 25). Diese Einschränkung gilt bei § 25 Abs. 1 Ru[X.] a.F. ebenso wie bei der derzeit geltenden Regelung des § 25 Abs. 1 Satz 1 [X.]. Das Berufungsgericht hat allerdings die bei der Prüfung dieser Kriterien anzulegenden Maßstäbe nicht richtig erfasst.

a) Die den Anwendungsbereich des § 25 Abs. 1 Satz 1 Ru[X.]/[X.] einschränkende Auslegung, nach der bei Erwerb einer ausländischen Staatsangehörigkeit auf Antrag die [X.] Staatsangehörigkeit nur verloren geht, wenn der Erwerber seine [X.] Staatsangehörigkeit kannte oder sie hätte kennen müssen, ergibt sich nicht nur aus der Vorschrift selbst, sondern ist zugleich mit Rücksicht auf den grundrechtlichen Schutz der Staatsangehörigkeit nach Art. 16 Abs. 1 Satz 1 GG geboten (Urteil vom 10. April 2008 a.a.[X.]). Der mit § 25 Abs. 1 Ru[X.] a.F. verbundene Verlust der [X.]n Staatsangehörigkeit ist verfassungsrechtlich nur unbedenklich, wenn der [X.] Staatsangehörige den Eintritt der gesetzlichen Rechtsfolge in zumutbarer Weise beeinflussen kann (s.a. [X.], Urteil vom 24. Mai 2006 - 2 BvR 669/04 - [X.]E 116, 24 <44>). Hierfür muss er auf der Grundlage eines freien Willensentschlusses selbstverantwortlich auch darüber bestimmen können, dass mit der Entscheidung für den antragsabhängigen Erwerb einer ausländischen Staatsangehörigkeit die daran geknüpfte gesetzliche Rechtsfolge des Verlusts der [X.]n Staatsangehörigkeit eintritt. Nur dann bringt der Antrag auf Erwerb einer ausländischen Staatsangehörigkeit objektiv die - die gesetzliche Verlustfolge legitimierende - selbstverantwortliche Entscheidung für die Hinwendung zu einer fremden Staatsangehörigkeit zum Ausdruck. Mit Rücksicht darauf ist die Kenntnis von der [X.]n Staatsangehörigkeit grundsätzlich Voraussetzung dafür, dass ein den Erwerb einer ausländischen Staatsangehörigkeit beantragender [X.]r Staatsangehöriger auf den Verlust seiner Staatsangehörigkeit Einfluss nehmen kann. Das Wissen um die [X.] Staatsangehörigkeit setzt ihn in die Lage, von der ihm in § 25 Abs. 2 Satz 1 Ru[X.] a.F. (= § 25 Abs. 2 Satz 1 [X.]) eingeräumten Möglichkeit Gebrauch zu machen, die Erteilung einer Beibehaltungsgenehmigung zu beantragen und bis zu deren Erhalt auf den Erwerb der ausländischen Staatsangehörigkeit zu verzichten oder im Falle der Ablehnung der Beibehaltungsgenehmigung seinen Schritt noch einmal zu überdenken (zuletzt Urteile vom 29. April 2010 - BVerwG 5 C 5.09 - NVwZ-RR 2010, 658 und - BVerwG 5 C 4.09 - juris Rn. 9).

b) Für die Anforderungen, die im Einzelnen an die Kenntnis der [X.]n Staatsangehörigkeit im Rahmen des § 25 Abs. 1 Ru[X.] a.F. zu stellen sind, kommt es maßgeblich auf das (wie auch immer erlangte) Bewusstsein der [X.]n Staatsangehörigkeit an. Für die Entscheidung des Betroffenen ist wesentlich, dass er um seine [X.] Staatsangehörigkeit weiß, nicht wie er zu dieser Erkenntnis gelangt ist. Es kommt folglich nicht darauf an, dass der Antragsteller über ein vertieftes Wissen im Staatsangehörigkeitsrecht verfügt und zutreffend die rechtlichen Gründe für den Besitz der [X.]n Staatsangehörigkeit aufgrund einer juristischen Subsumtion oder Parallelwertung in der [X.] darlegen kann. Es genügt das aufgrund von Erfahrungs- oder Indiztatsachen gewonnene Bewusstsein der staatsbürgerlichen Zugehörigkeit zum [X.]n Staat. Denn die meisten Menschen gelangen zu der Überzeugung, die [X.] Staatsangehörigkeit zu besitzen, nicht aufgrund rechtlicher Kenntnisse und Überlegungen. Der Besitz der [X.]n Staatsangehörigkeit wird vielmehr regelmäßig aus Tatsachen gefolgert, wie vor allem aus dem Erhalt von amtlichen [X.]n Urkunden und Ausweispapieren, die eine Person als [X.]n Staatsangehörigen bezeichnen, oder z.B. aus Auskünften von Behörden, aber auch aus entsprechenden Belehrungen im Elternhaus und in der Schule, aus der Zugehörigkeit zu einer Familie mit [X.]r Staatsangehörigkeit oder aus der Zugehörigkeit zu einer Gruppe von kollektiv eingebürgerten Personen.

Das Bewusstsein, [X.]r Staatsangehöriger zu sein, erfordert als Voraussetzung dafür, auf den Verlust der Staatsangehörigkeit bei Erwerb einer ausländischen Staatsangehörigkeit Einfluss nehmen zu können, eine hinreichende Überzeugungsgewissheit. Das Bewusstsein der bloßen Möglichkeit oder einer geringen Wahrscheinlichkeit, im Besitz der [X.]n Staatsangehörigkeit zu sein, reicht nicht aus. Absolute Gewissheit hingegen muss nicht vorliegen. Gewisse Zweifel sind unschädlich. So bestanden zwar an der Rechtsgültigkeit der vom Staatsangehörigkeitsregelungsgesetz erfassten [X.] in der Nachkriegszeit objektiv rechtliche Zweifel. § 2 [X.] ist aber - wie gezeigt - gleichwohl von der Möglichkeit des Verlusts nach § 25 Abs. 1 Ru[X.] a.F. durch Antragserwerb ausgegangen. Dementsprechend wollte der Gesetzgeber für die zurechenbare Kenntnis der [X.]n Staatsangehörigkeit das Bewusstsein des Betroffenen ausreichen lassen, dass die durch eine Sammeleinbürgerung vermittelte [X.] Staatsangehörigkeit fortbesteht. Rechtliche oder tatsächliche Zweifel am (Fort-)Bestand der [X.]n Staatsangehörigkeit berühren die erforderliche zurechenbare Kenntnis der [X.]n Staatsangehörigkeit nur und erst dann, wenn sie dem Betroffenen auch bekannt und bei einer objektiven Betrachtung geeignet sind, sich auf sein Bewusstsein, dass die [X.] Staatsangehörigkeit (fort-)besteht, auszuwirken.

c) Diesen Maßstäben entspricht das Berufungsurteil nicht, soweit es im Hinblick auf denkbare Zweifel an der Rechtswirksamkeit der Sammeleinbürgerung des [X.] der Klägerin allein darauf abgestellt hat, dass die Rechtslage im Jahr 1950 in der Bundesrepublik [X.] noch ungeklärt und in der Rechtsprechung und Rechtspraxis der Besatzungszonen zwischen 1945 und 1955 umstritten war. Das Oberverwaltungsgericht hat damit allein objektive rechtliche Zweifel ausreichen lassen, ohne deren Eignung in den Blick zu nehmen, das subjektive Staatsangehörigkeitsbewusstsein des [X.] der Klägerin zu berühren.

d) Auch die Annahme des Berufungsgerichts, dem Vater der Klägerin hätte sich die Fortgeltung seiner [X.]n Staatsangehörigkeit im Jahr 1950 nicht aufdrängen müssen, beruht auf diesem rechtlich unzutreffenden Ansatz. Die Bewertung des [X.], der Vater der Klägerin habe bei Erwerb der [X.] Staatsangehörigkeit keine Kenntnis seiner [X.]n Staatsangehörigkeit gehabt, erweist sich auch nicht aus einem anderen Grund als zutreffend. Vielmehr lassen die vom Berufungsgericht festgestellten Tatsachen nur den Schluss zu, dass der Vater der Klägerin bei der Beantragung der [X.] Staatsangehörigkeit in dem Bewusstsein gehandelt hat, noch die [X.] Staatsangehörigkeit zu besitzen.

aa) Der Vater der Klägerin war nach den Feststellungen des [X.] ein [X.]r Volkszugehöriger, der ausweislich der vorgelegten Schulzeugnisse die [X.] Sprache in Wort und Schrift beherrschte. Ob er im [X.] als Dreizehnjähriger die Annexion des [X.] bewusst miterlebt hat und ob ihm bereits in der [X.]n Schule das Bewusstsein vermittelt worden ist, nunmehr zum [X.] zu gehören und die [X.] Staatsangehörigkeit zu besitzen, ist nicht festgestellt. Der Besitz der [X.]n Staatsangehörigkeit musste sich dem Vater der Klägerin jedenfalls als Fünfzehnjährigem nach Abschluss des Schulbesuches aufdrängen, weil in seinem Arbeitsbuch unter Staatsangehörigkeit "[X.]" vermerkt war. Die Einberufung zur [X.] war ein weiteres Indiz. Schließlich wurde ihm in seinem Soldbuch, das als [X.] diente, der Besitz der [X.]n Staatsangehörigkeit bescheinigt. Ist aber ein [X.]r Volkszugehöriger - wie der Vater der Klägerin - im Besitz von Dokumenten, die ihn als [X.]n Staatsangehörigen ausweisen, dann lässt dies regelmäßig den Schluss zu, dass er das Bewusstsein hat, [X.]r Staatsangehöriger zu sein. Auch das Oberverwaltungsgericht ist davon ausgegangen, dass der Vater des [X.] während des [X.] um seine [X.] Staatsangehörigkeit wusste.

bb) Bei dieser Sachlage, die mit den vom Senat bislang entschiedenen Sachverhalten nicht vergleichbar ist, kann die nach den Umständen anzunehmende Kenntnis des [X.] der Klägerin, [X.]r Staatsangehöriger zu sein, nur dann in einer für die Anwendung des § 25 Abs. 1 Ru[X.] a.F. beachtlichen Weise berührt werden, wenn sich aus anderen Tatsachen nicht nur objektiv, sondern auch aus Sicht des Betroffenen hinreichend gewichtige Zweifel am Fortbestand der bisherigen ([X.]n) Staatsangehörigkeit ergeben. Solche Zweifel sind hier aber weder geltend gemacht noch erkennbar. Insbesondere musste sich bei [X.]n Staatsangehörigen, die - wie der Vater der Klägerin - nach dem Ende des [X.] in der [X.] verblieben sind, die Frage nach dem Fortbestand der [X.]n Staatsangehörigkeit nicht ernsthaft stellen. Die [X.] ging nämlich, wie das Oberverwaltungsgericht festgestellt hat, selbst von der Wirksamkeit der [X.]n [X.] aus und betrachtete die verbliebenen [X.] nicht als [X.] Staatsbürger. Aus dem Verhalten der [X.] Behörden kann sich daher gegenüber dem Vater der Klägerin kein Indiz für den Verlust der [X.]n Staatsangehörigkeit ergeben haben.

Auch aus den Zweifeln, die sich vor allem in der [X.] am Fortbestand der [X.]n Staatsangehörigkeit ergeben hatten, die aber z.B. in der [X.] nicht geteilt wurden (s. etwa [X.], [X.], 273 <299 f.>; s.a. [X.], [X.] 1952, 403 <405>; [X.], NJW 1950, 98), lässt sich entgegen der Auffassung des [X.] nicht herleiten, dass der Vater der Klägerin hiervon Kenntnis hatte und dass dies sein Bewusstsein, [X.] zu sein, erschüttert haben könnte.

Die Klägerin hat auch selbst keine Umstände vorgetragen, die darauf schließen ließen, dass ihr Vater im Jahr 1950 das Bewusstsein verloren hätte, die [X.] Staatsangehörigkeit wahrscheinlich noch zu besitzen. Weder sie noch das Berufungsgericht haben behauptet oder gar belegt, dass der Vater der [X.] von der rechtlichen Diskussion in [X.] über die generelle Rechtmäßigkeit der [X.] Kenntnis gehabt und sich die umstrittene Auffassung von der Völkerrechtswidrigkeit der [X.] zu eigen gemacht hätte.

cc) Selbst wenn aufgrund von - von dem Oberverwaltungsgericht nicht angenommenen und auch sonst nicht ersichtlichen - besonderen Umständen Rechtskenntnisse dahin unterstellt werden könnten, dass eine nach Besatzungszonen divergierende rechtliche Bewertung der auf einer Sammeleinbürgerung im [X.] gründenden [X.]n Staatsangehörigkeit in der Nachkriegszeit bekannt gewesen ist, reichte dies für sich allein nicht aus. Denn dann wäre für den Regelfall davon auszugehen, dass eine Person, die aufgrund der Sammeleinbürgerung in der [X.] Zone mit Schwierigkeiten bei der Anerkennung der [X.]n Staatsangehörigkeit rechnete, auch darum wusste, dass z.B. in der [X.] ihre Anerkennung als [X.]r Staatsangehöriger ohne weiteres zu erwarten war.

e) Im Übrigen ginge es hier ausnahmsweise nicht zu Lasten der Beklagten, wenn insoweit nicht ausräumbare Unklarheiten bestünden. Zwar gilt im Staatsangehörigkeitsrecht, dass der Bürger grundsätzlich für den Erwerb der [X.]n Staatsangehörigkeit beweispflichtig ist, während die Behörde in der Regel die objektive Beweislast für den Verlust der [X.]n Staatsangehörigkeit trägt (Beschluss vom 16. Januar 1992 - BVerwG 9 B 192.91 - NVwZ-RR 1992, 439 <441>; BayVGH, Urteil vom 22. März 1999 - 11 [X.] - DVBl 1999, 1218). Diese Verteilung der Darlegungs- und Beweislast ist allerdings in Bezug auf Tatsachen, die sich in der für behördliche Ermittlungen nur schwer zugänglichen Sphäre des Einzelnen bewegen, jedenfalls dann nicht sachgerecht, wenn dem Erwerber positiv bekannt gewesen ist, die [X.] Staatsangehörigkeit besessen zu haben, und nur zu beurteilen ist, ob er in der Folgezeit aufgrund objektiv feststellbarer Umstände an deren Fortbestand beachtliche Zweifel gehabt hat. Zumindest in dieser besonderen Fallkonstellation kann der Behörde die Darlegungs- und Beweislast für den Nachweis der Kenntnis vom Besitz der [X.]n Staatsangehörigkeit allenfalls dann auferlegt werden, wenn bereits beachtliche Zweifel des Erwerbers an deren Fortbestand dargelegt und bewiesen sind. Letzteres wäre aber hier - wie dargelegt - nicht der Fall.

f) Auf die nur im Fall der fehlenden Kenntnis zu prüfende Frage, ob der Vater der Klägerin die [X.] Staatsangehörigkeit hätte kennen müssen (vgl. dazu Urteil vom 29. April 2010 a.a.[X.]), kommt es nicht mehr an.

Meta

5 C 20/09

29.09.2010

Bundesverwaltungsgericht 5. Senat

Urteil

Sachgebiet: C

vorgehend Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, 26. Oktober 2009, Az: 12 A 2739/08, Urteil

Art 16 Abs 1 GG, § 25 RuStAG

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 29.09.2010, Az. 5 C 20/09 (REWIS RS 2010, 2908)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 2908

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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Referenzen
Wird zitiert von

34 Wx 167/16

Zitiert

2 BvR 669/04

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x

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