Bundesfinanzhof, Urteil vom 10.02.2015, Az. IX R 23/13

9. Senat | REWIS RS 2015, 15778

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Gegenstand

Privates Veräußerungsgeschäft - Verkauf unter aufschiebender Bedingung innerhalb der Veräußerungsfrist - Eintritt der Bedingung nach Ablauf der Frist


Leitsatz

1. Eine Veräußerung i.S. des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG liegt vor, wenn die rechtsgeschäftlichen Erklärungen beider Vertragspartner innerhalb der Veräußerungsfrist bindend abgegeben worden sind .

2. Ein nach § 158 Abs. 1 BGB aufschiebend bedingtes Rechtsgeschäft ist für die Parteien bindend. Der außerhalb der Veräußerungsfrist liegende Zeitpunkt des Eintritts der aufschiebenden Bedingung ist insoweit für die Besteuerung nach § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG unerheblich .

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des [X.] vom 22. Mai 2013  10 K 15/12 E aufgehoben.

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des gesamten Verfahrens hat der Kläger zu tragen.

Tatbestand

1

I. Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) erwarb mit Kaufvertrag vom 3. März 1998 von der [X.] ein Teilgrundstück --Betriebsanlage einer Eisenbahn-- in [X.]. In § 3 des Kaufvertrages wurde als Stichtag für den Besitzübergang der 1. April 1998 vereinbart. In § 4 des Kaufvertrages verpflichtete sich der Käufer für den Fall, dass das Kaufgrundstück oder Teile davon innerhalb von zehn Jahren nach der Umschreibung im Grundbuch einer höherwertigen Planung zugeführt würden, dem Verkäufer die sich daraus ergebende Wertsteigerung zu erstatten.

2

Das in der Folgezeit neu vermessene Grundstück wird seit dem [X.] unter "[X.]" geführt. Der Kläger vermietete das Grundstück an die Y-GmbH.

3

Am 30. Januar 2008 schloss der Kläger mit der [X.] über das bebaute Grundstück einen notariell beurkundeten Kaufvertrag mit folgenden Regelungen (Auszüge):

4

"§ 3 Kaufpreis/Fälligkeit

5

Der Kaufpreis beträgt ... €/qm, mithin auf der Grundlage von ... qm 309.632,00 € (...).
Der Kaufpreis ist fällig eine Woche nach Vorlage einer Bankbürgschaft in Höhe des Kaufpreises. Diese Bankbürgschaft muss dem Käufer vorliegen. (...)
Der Notar wird angewiesen, die Eigentumsumschreibung im Grundbuch erst dann zu beantragen, wenn ihm der Zahlungseingang des vollständigen Kaufpreises durch den Verkäufer mitgeteilt wird und die Entwidmung durch die [X.] vorliegt. (...)

6

§ 5 Besitzübergabe

7

Der Verkäufer hat dem Käufer den Vertragsgegenstand zu übergeben, und zwar am 24. Juli 2008. Mit diesem Zeitpunkt gehen dann, Besitz, Lasten und Nutzen sowie die Gefahr des zufälligen Unterganges auf den Käufer über. (...)

8

§ 7 Belehrung/Vollmacht

9

(...) Der Käufer wurde über die Risiken einer Kaufpreiszahlung bei schwebender Unwirksamkeit des Vertrages hingewiesen. Dennoch soll es bei der Kaufpreisfälligkeit, wie in § 3 dieses Vertrages vereinbart, verbleiben. (...)

§ 9

Dieser Vertrag wird nur dann wirksam (schwebend bedingt), wenn die [X.] bzw. die dafür zuständige Behörde/Amt die Entwidmung dieses Grundstücks erklärt hat.
Sollte die Entwidmung versagt werden, wird dieser Vertrag, soweit bereits abgewickelt (Kaufpreiszahlung), aufgehoben und rückabgewickelt. (...)"

Unter dem 10. Dezember 2008 erteilte das [X.] gegenüber der [X.] gemäß § 23 des Allgemeinen Eisenbahngesetzes einen Freistellungsbescheid, mit dem das Grundstück "[X.]" von [X.] freigestellt wurde.

In dem Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr 2008 vom 3. Januar 2011 berücksichtigte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --[X.]--) aufgrund der Veräußerung des Grundstücks Einkünfte des [X.] aus privaten Veräußerungsgeschäften in Höhe von 124.776 € und setzte die Einkommensteuer auf 65.525 € fest. Das [X.] führte aus, für die Berechnung des [X.] in § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) sei der Zeitpunkt maßgebend, in dem der obligatorische Vertrag abgeschlossen werde. Der Übergang von Nutzen und Lasten sei unerheblich. Der Einspruch blieb erfolglos.

Das Finanzgericht ([X.]) gab der Klage mit seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte 2013, 1336 veröffentlichten Urteil statt. Die zehnjährige Veräußerungsfrist sei überschritten. Im Zeitpunkt der Unterzeichnung des notariellen Kaufvertrages am 30. Januar 2008 liege keine Veräußerung vor, da der Vertrag zu diesem Zeitpunkt nicht zivilrechtlich wirksam gewesen sei. Er sei erst mit der Erteilung der Freistellungsbescheinigung durch das [X.] am 10. Dezember 2008 wirksam geworden, weil er unter der aufschiebenden Bedingung der Erteilung geschlossen worden sei.

Mit der Revision rügt das [X.] die Verletzung materiellen Rechts (§ 22 Nr. 2 i.V.m. § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG). Eine wirksame Veräußerung sei ab Unterzeichnung des notariellen Kaufvertrages am 30. Januar 2008 anzunehmen, da dies zu einem verbindlichen Vertrag für die Parteien geführt habe. Entscheidend sei, ob der Kläger selbst innerhalb der Frist die für die Veräußerung erforderlichen rechtsgeschäftlichen Erklärungen abgegeben habe, und ob beide [X.] am wirtschaftlichen Ergebnis des Rechtsgeschäfts festhalten wollen. Zudem wirke die erteilte Freistellung auf den Zeitpunkt des Kaufvertragsschlusses am 30. Januar 2008 zurück.

Das [X.] beantragt,
das angefochtene Urteil des [X.] aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Die Kaufvertragsparteien hätten sich im Zeitpunkt ihrer notariell beurkundeten Erklärungen am 30. Januar 2008 nicht gebunden, sondern ihre Erklärungen ausdrücklich aufschiebend bedingt abgegeben. In § 9 des Kaufvertrages sei klar formuliert worden: "Dieser Vertrag wird nur dann wirksam ...".

Entscheidungsgründe

II. Die Revision des [X.] ist begründet. Sie führt gemäß § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung ([X.]O) zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage. Entgegen der Auffassung des [X.] liegt ein privates Veräußerungsgeschäft (§ 22 Nr. 2 EStG i.V.m. § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG) vor.

1. Private Veräußerungsgeschäfte (§ 22 Nr. 2 EStG) sind gemäß § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG u.a. Veräußerungsgeschäfte bei Grundstücken, bei denen der Zeitraum zwischen Anschaffung und Veräußerung nicht mehr als zehn Jahre beträgt.

a) Für die Berechnung des Zeitraums zwischen Anschaffung und Veräußerung sind nach ständiger Rechtsprechung des [X.] ([X.]) grundsätzlich die Zeitpunkte maßgebend, in denen die obligatorischen Verträge abgeschlossen wurden (vgl. [X.]-Urteile vom 15. Dezember 1993 [X.], [X.]E 173, 144, [X.] 1994, 687; vom 8. April 2003 IX R 1/01, [X.]/NV 2003, 1171; vom 8. April 2014 IX R 18/13, [X.]E 245, 323, [X.] 2014, 826).

Entsprechend dem Normzweck, innerhalb der Veräußerungsfrist realisierte Werterhöhungen eines bestimmten Wirtschaftsgutes im Privatvermögen der Einkommensteuer zu unterwerfen (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. [X.]-Urteile vom 27. August 1997 [X.], [X.]E 184, 385, [X.] 1998, 135; vom 2. Mai 2000 IX R 73/98, [X.]E 192, 435, [X.] 2000, 614), kann von einer Verwirklichung des [X.] nur gesprochen werden, wenn die Vertragserklärungen beider Vertragspartner innerhalb der Veräußerungsfrist bindend abgegeben worden sind ([X.]-Urteil vom 2. Oktober 2001 IX R 45/99, [X.]E 196, 567, [X.] 2002, 10; [X.]-Beschluss vom 18. September 2006 IX B 154/05, [X.]/NV 2007, 31; [X.]/[X.], Die Steuerberatung --[X.]-- 2002, 209, 211). Zwar hat der [X.] auch ein rechtlich bindendes Verkaufsangebot als Veräußerung i.S. des § 23 EStG gewertet. Dies geschah indes in Fällen, in denen mit dem Angebot der Verkauf durch den Übergang von Besitz, Gefahr sowie Nutzungen und Lasten wirtschaftlich bereits vollzogen war (vgl. [X.]-Urteile vom 23. September 1966 VI 147/65, [X.]E 87, 140, [X.]I 1967, 73; vom 7. August 1970 VI R 166/67, [X.]E 100, 93, [X.] 1970, 806; vom 19. Oktober 1971 VIII R 84/71, [X.]E 104, 513, [X.] 1972, 452). Ist aber --wie im [X.] bei Abgabe des [X.] die Gefahr noch nicht übergegangen und hat der Verkäufer dem Käufer noch kein wirtschaftliches Eigentum verschafft, so müssen beide Vertragserklärungen innerhalb der Frist abgegeben werden. Der Vertragsabschluss muss innerhalb der Veräußerungsfrist für beide Parteien bindend sein. Dem entspricht der für das Steuerrecht im Vordergrund stehende Grundsatz der Tatbestandsmäßigkeit (Gesetzmäßigkeit) der Besteuerung: Nur ein verwirklichter Tatbestand darf nach bestimmten Zeitabschnitten zugrunde gelegt werden (ständige Rechtsprechung, vgl. [X.]-Beschluss vom 5. März 1981 IV R 150/76, [X.]E 132, 563, [X.] 1981, 435; [X.]-Urteil in [X.]E 196, 567, [X.] 2002, 10).

b) Bei einem unbedingten und nicht genehmigungsbedürftigen Rechtsgeschäft ist eine solche Bindung regelmäßig mit dem Vertragsabschluss gegeben. Diese Voraussetzungen können aber auch bei einem Rechtsgeschäft vorliegen, dessen Rechtswirkungen von dem Eintritt einer Bedingung abhängen. Aus dem Wesen der Bedingung und dem Wortlaut des § 158 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs ([X.]) folgt, dass das aufschiebend bedingte Rechtsgeschäft tatbestandlich mit seiner Vornahme vollendet und voll gültig ist --die Parteien daher fortan bindet-- und seine Wirksamkeit mit dem Bedingungsfall ipso iure eintritt, ohne dass die Willenseinigung der Parteien noch bis dahin Bestand haben müsste; nur die Rechtswirkungen des bedingten Rechtsgeschäfts befinden sich bis zum [X.] in der Schwebe (einhellige Auffassung; vgl. Urteil des [X.] vom 21. September 1994 VIII ZR 257/93, [X.], 129; [X.]/Ellenberger, [X.], 73. Aufl., Einführung vor § 158 Rdnr. 8 und § 158 Rdnr. 2; [X.]/ [X.], [X.], 14. Aufl., § 158 Rz 3; [X.] in: jurisPK-[X.], 6. Aufl. 2012, § 158 [X.] Rz 45; Leenen, Festschrift [X.], Band I, 699, 703). Die Parteien eines bedingten Rechtsgeschäfts können die Vertragsbeziehungen nicht mehr einseitig lösen, vielmehr sind sie im Hinblick auf den aufschiebend bedingten Rechtserwerb (Anwartschaftsrecht) zur gegenseitigen Treupflicht und zur Beachtung der Schutzvorschriften der §§ 160 f. [X.] verpflichtet (vgl. [X.]-Urteil vom 8. Februar 2000 II R 51/98, [X.]E 191, 411, [X.] 2000, 318).

2. Da das [X.]-Urteil diesen Grundsätzen nicht entspricht, ist es aufzuheben. Die Sache ist spruchreif. Die Klage ist abzuweisen.

a) Entgegen der Auffassung des [X.] war bei der Veräußerung des Grundstücks die zehnjährige Veräußerungsfrist nicht abgelaufen. Die Anschaffung erfolgte unstreitig am 3. März 1998. Die Veräußerung liegt in dem am 30. Januar 2008 abgeschlossenen Kaufvertrag. Da mit den beiderseitigen Willenserklärungen innerhalb der Haltefrist der [X.] für die Vertragspartner zivilrechtlich bindend wurde und damit gemäß dem Normzweck des § 23 EStG die Voraussetzungen für eine Realisierung der Wertsteigerungen verbindlich eintraten, ist es entgegen der Auffassung des [X.] unerheblich, dass der Zeitpunkt des Eintritts der aufschiebenden Bedingung außerhalb der Veräußerungsfrist lag (gl.A. im Erg. [X.]/[X.], § 23 EStG Rz 169; [X.]/[X.], [X.] 2002, 209, 211; a.[X.] in [X.]/[X.]/[X.], § 23 EStG Rz 53 a.E.; [X.] in Kirchhof, EStG, 13. Aufl., § 23 EStG Rz 17). Dementsprechend wurde auch der Kaufpreis dem Kläger schon vor dem vereinbarten Rechtsübergang überwiesen.

b) Dieses Ergebnis steht im Einklang mit den im Urteil des [X.] in [X.]E 196, 567, [X.] 2002, 10 dargelegten Rechtsgrundsätzen. Dort hat der [X.] bei einem wegen vollmachtloser Vertretung auf der [X.] schwebend unwirksamen --genehmigungsbedürftigen-- Rechtsgeschäft (vgl. § 177 Abs. 1, § 184 Abs. 1 [X.]) auf den Zeitpunkt der Genehmigung und nicht auf den Zeitpunkt der zivilrechtlich rückwirkenden Wirksamkeit des Vertragsabschlusses abgestellt. Anders als im Streitfall lagen dort aber keine bindenden Vertragserklärungen beider Vertragspartner innerhalb der Spekulationsfrist vor. Denn die erforderliche beidseitige schuldrechtliche Bindung ist bei einem Handeln des Vertreters ohne Vertretungsmacht gerade nicht gegeben, da der Vertretene die Genehmigung jederzeit ablehnen kann.

3. [X.] beruht auf § 135 Abs. 1 [X.]O.

Meta

IX R 23/13

10.02.2015

Bundesfinanzhof 9. Senat

Urteil

vorgehend FG Münster, 22. Mai 2013, Az: 10 K 15/12 E, Urteil

§ 22 Nr 2 EStG 2002, § 23 Abs 1 S 1 Nr 1 EStG 2002, § 158 Abs 1 BGB, § 160 BGB, § 161 BGB, § 177 Abs 1 BGB, § 184 Abs 1 BGB, EStG VZ 2008

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 10.02.2015, Az. IX R 23/13 (REWIS RS 2015, 15778)

Papier­fundstellen: NJW 2015, 2367 REWIS RS 2015, 15778

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10 K 2075/18

7 U 139/20

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