Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 02.05.2016, Az. 4 StR 133/16

4. Strafsenat | REWIS RS 2016, 11987

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[X.]:[X.]:[X.]:2016:020516B4STR133.16.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 133/16

vom
2. Mai
2016
in der Strafsache
gegen

wegen
des Verdachts des sexuellen Missbrauchs unter Ausnutzung eines

Beratungs-, Behandlungs-
oder Betreuungsverhältnisses

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Der 4. Strafsenat des [X.] hat nach Anhörung der Beschwerde-führerin und des [X.] am 2.
Mai 2016 gemäß § 349 Abs. 2 StPO beschlossen:

Die Revision der Nebenklägerin gegen das Urteil des Land-gerichts [X.] vom 1.
September 2015 wird als unbegründet verworfen.
Die Beschwerdeführerin hat die Kosten ihres Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten vom Vorwurf des sexuellen [X.] unter Ausnutzung eines Beratungs-, Behandlungs-
oder Betreuungs-verhältnisses freigesprochen; wegen der Verletzung eines [X.] hat es ihn verwarnt und die Verurteilung zu einer Geldstrafe vorbehalten. [X.] den Freispruch wendet sich die Revision der Nebenklägerin mit der Sach-rüge. Das Rechtsmittel bleibt ohne Erfolg.
1.
Die Strafkammer hat
insoweit im Wesentlichen folgende Feststellun-gen getroffen:
Der Angeklagte ist Diplom-Psychologe und war in [X.] in einer auf [X.] spezialisierten Praxis tätig. Ab September 2013 nahm 1
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die damals zwölfjährige Tochter der Nebenklägerin, die an einer autistischen Störung leidet, wöchentlich zwei Förderstunden bei dem Angeklagten und des-n-

ihrem anfangs ebenfalls anwesenden Ehemann über den Verlauf der [X.] berichtete. Auch diese Gespräche rechnete der Angeklagte mit der Krankenkasse ab.
Bei dem Erstgespräch hatte die Nebenklägerin dem Angeklagten mitge-teilt, dass sie auch selbst an einer leichten Form des Asperger-Syndroms leide, und sich nach Therapieangeboten für Erwachsene erkundigt. Die Aufnahme einer Therapie seitens der Nebenklägerin hat das [X.] indes nicht fest-gestellt. Bei einem Bezugspersonengespräch berichtete die Nebenklägerin dem Angeklagten, dass sie beabsichtige, ein Informationsblatt für Jugendliche mit der Diagnose Asperger-Syndrom zu erstellen. Hierbei unterstützte der Ange-klagte die Nebenklägerin und es kam in diesem Zusammenhang zu nahezu wöchentlichen Treffen,
um gemeinsam an dem Text für die Broschüre zu arbei-ten. Bei einem dieser Treffen berichtete die Nebenklägerin dem Angeklagten, dass sie häufig Schwierigkeiten habe, Augenkontakt zu halten. Der Angeklagte riet ihr, zu versuchen, ihren Blick stattdessen auf
die Stirn ihres Gegenübers zu richten.
Der Kontakt zwischen dem Angeklagten und der Nebenklägerin wurde immer enger und es entwickelte sich schließlich aus beider Sicht ein Liebesver-hältnis. Ab März 2014 kam es einvernehmlich zu Zungenküssen und intimen
Berührungen zwischen dem Angeklagten und der Nebenklägerin. Nachdem der Ehemann der Nebenklägerin im Juni 2014 von dem Verhältnis erfahren hatte, beendete der Angeklagte den Kontakt.
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4
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2.
Auf der Grundlage dieser Feststellungen ist das [X.] rechtsfeh-lerfrei davon ausgegangen, dass die Voraussetzungen des §
174c Abs.
1 StGB nicht vorliegen. Die Nebenklägerin war dem Angeklagten, als es zu den [X.] kam, nicht wegen einer geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung zur Beratung, Behandlung oder Betreuung anvertraut.
Zwar setzt ein Anvertrautsein im Sinne des §
174c Abs.
1 StGB das [X.] einer rechtsgeschäftlichen Beziehung zwischen Täter und Op-fer nicht voraus. Es kommt auch nicht darauf an, ob das Verhältnis auf Initiative des Patienten, [X.] oder eines Dritten begründet wurde. Ohne Belang ist zu-dem, ob tatsächlich eine behandlungsbedürftige Krankheit oder eine Behinde-rung vorliegt, sofern nur die betroffene Person subjektiv eine Behandlungs-

oder Beratungsbedürftigkeit empfindet. Das Beratungs-, Behandlungs-
oder Betreuungsverhältnis muss auch nicht von einer solchen

zumindest beabsich-tigten

Intensität und Dauer sein, dass eine Abhängigkeit entstehen kann, die es dem Opfer zusätzlich, d.h. über die mit einem derartigen Verhältnis [X.] verbundene Unterordnung unter die Autorität des [X.] und die damit einhergehende psychische Hemmung
hinaus, erschwert, einen Abwehrwillen gegenüber dem Täter zu entwickeln und zu betätigen. Es ist ausreichend, wenn das Opfer
eine fürsorgerische Tätigkeit des [X.] entgegennimmt ([X.], Urteil vom 1.
Dezember 2011

3
StR
318/11, [X.], 440
f.).
a)
Eine solche fürsorgerische Tätigkeit hat der Angeklagte in Bezug auf eine objektiv vorliegende oder von der Nebenklägerin zumindest so [X.] Behandlungsbedürftigkeit ihres eigenen Asperger-Syndroms nicht entfaltet. Nach den Feststellungen ging die Nebenklägerin bei den Begegnungen mit dem Angeklagten hiervon auch nicht aus. Weder die bloße Erkundigung nach Therapieangeboten
noch der freundschaftliche Ratschlag betreffend die 6
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Schwierigkeiten beim Augenkontakt reichen aus, ein Anvertrautsein in diesem Sinne zu begründen. Erst recht gilt dies für die Unterstützung der Nebenkläge-rin bei ihrem ehrenamtlichen Engagement.
b)
Die Nebenklägerin war dem Angeklagten aber auch nicht deshalb we-gen einer geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung zur Beratung anvertraut im Sinne des §
174c
Abs.
1 StGB, weil ihr der Angeklagte im Rah-men sog. Bezugspersonengespräche regelmäßig über den Verlauf der Thera-pie
ihrer Tochter berichtete. Diese Gespräche dienten lediglich der Information der Eltern der Patientin und werden von §
174c StGB tatbestandlich nicht er-fasst.
aa)
Schon seinem Wortlaut nach erstreckt sich der Schutz des §
174c
StGB nicht auf bloße Informationsgespräche mit einem Dritten über den [X.]sverlauf eines Patienten. Denn die Vorschrift setzt voraus, dass das Opfer dem Täter wegen einer Krankheit oder Behinderung zur Beratung, [X.] oder Betreuung anvertraut ist. Somit ist tatbestandlich nicht erfasst, wer sich aus einem anderen Grund als einer eigenen Krankheit oder Behinde-rung beraten oder betreuen lässt (vgl. Senat, Urteil vom 14.
April 2011

4
StR 669/10, [X.],
663, 664
f.). So liegt der Fall hier, da
die Nebenklägerin le-diglich Informationen über die Behandlung ihrer Tochter entgegennahm. Offen bleiben kann, ob Familienangehörige eines Erkrankten oder Behinderten einem Psychologen oder Arzt dann selbst zur Behandlung bzw. Beratung im Sinne des §
174c Abs.
1 StGB anvertraut sind, wenn sie an einer Gruppen-
oder
Familientherapie teilnehmen. Nach
den
Feststellungen hatten die [X.] jedenfalls keinen therapeutischen Hintergrund, sondern dien-ten allein der Information.
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bb)
Der Schutzzweck des §
174c Abs.
1 StGB gebietet es auch nicht, den Anwendungsbereich der Vorschrift auf Fälle zu erstrecken, in denen ein Arzt oder Psychologe, der einen minderjährigen Patienten behandelt und die Erziehungsberechtigten über den [X.] informiert, mit einem Eltern-teil ein einverständliches sexuelles Verhältnis eingeht.
Die Vorschrift dient dem strafrechtlichen Schutz solcher Menschen vor sexuellen Übergriffen, die aufgrund ihrer generellen geistigen oder seelischen Verfassung unter Umständen nur in beschränktem Maße zur Entwicklung oder Betätigung eines Abwehrwillens imstande sind (BT-Drucks.
13/8267,
S.
4). Psychisch Kranke oder geistig oder seelisch Behinderte sollen wegen ihrer ge-steigerten Schutzbedürftigkeit vor sexuellen Übergriffen im
Rahmen von [X.], Behandlungs-
und Betreuungsverhältnissen geschützt werden (BT-Drucks.
13/8267, S.
6
f.). Die Vorschrift zielt danach auf den Schutz der sexuel-len Selbstbestimmung des aufgrund seiner Erkrankung oder Behinderung nur eingeschränkt abwehrfähigen Patienten ab. Vor dem Hintergrund der innerhalb von Beratungs-, Behandlungs-
und Betreuungsverhältnissen typischerweise bestehenden Vertrauens-
und Abhängigkeitsbeziehung (vgl. Senat, Urteil vom 14.
April 2011

4
StR
669/10, [X.], 663, 665)
soll ein Missbrauch der-selben auch durch einvernehmliche sexuelle Handlungen verhindert werden
(BT-Drucks.
13/8267,
S.
6
f.; BT-Drucks.
15/350,
S.
16). Eine solche gesteiger-te Schutzbedürftigkeit liegt bei Eltern minderjähriger, geistig oder seelisch kran-
11
12
-
7
-
ker oder behinderter Patienten, sofern sie

wie hier

nur informiert werden und nicht selbst in den Therapieverlauf eingebunden sind, nicht vor.
Sost-Scheible
Roggenbuck
Cierniak

Mutzbauer
Bender

Meta

4 StR 133/16

02.05.2016

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 02.05.2016, Az. 4 StR 133/16 (REWIS RS 2016, 11987)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 11987

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