Bundesfinanzhof, Urteil vom 10.05.2016, Az. IX R 4/15

9. Senat | REWIS RS 2016, 11651

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Gegenstand

Bindungswirkung der Feststellungen im Grundlagenbescheid - Anwendung des Halbeinkünfteverfahrens - Berichtigung wegen einer offenbaren Unrichtigkeit


Leitsatz

1. NV: Enthält ein Bescheid über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen keine Feststellungen zur Anwendbarkeit des Halbeinkünfteverfahrens, entfaltet er insoweit auch keine Bindungswirkung für die Einkommensteuerfestsetzung .

2. NV: Die Entscheidung über die Anwendung oder Nichtanwendung des Halbeinkünfteverfahrens im Folgebescheid setzt eine rechtliche Würdigung voraus die eine Berichtigung nach § 129 AO wegen einer offenbaren Unrichtigkeit ausschließt .

Tenor

Auf die Revision der Kläger werden das Urteil des [X.] vom 18. September 2014  16 K 2801/11 E und die Einspruchsentscheidung des Beklagten vom 22. Juli 2011 aufgehoben.

Die Einkommensteuer wird unter Abänderung des Einkommensteuerbescheids des Beklagten vom 24. August 2012 auf den Betrag festgesetzt, der sich bei einer Berücksichtigung von Einkünften aus privaten Veräußerungsgeschäften aus Grundstücken in Höhe von 1.045.896 € ergibt.

Die Berechnung der Steuer wird dem Beklagten übertragen.

Die Kosten des gesamten Verfahrens hat der Beklagte zu tragen.

Tatbestand

1

I. Streitig ist, ob hinsichtlich gesondert und einheitlich festgestellter Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften nach § 22 Nr. 2, § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) ein bestandskräftiger Einkommensteuerbescheid nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 der Abgabenordnung ([X.]) geändert oder nach § 129 [X.] berichtigt werden kann.

2

Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) wurden im Streitjahr 2007 beim Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt --[X.]--) zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. In ihrer am 27. Februar 2009 eingereichten Einkommensteuererklärung erklärten die Kläger auf der Rückseite der Anlage [X.] in den Zeilen 58 und 59 ("Anteile an Einkünften --einschließlich des steuerfreien Teils der Einkünfte, für die das Halbeinkünfteverfahren gilt--") unter der [X.] 55.134 einen Betrag von 2.095.500 €. In der Zeile 60, [X.] 55.136 ("In Zeile 59 enthaltene Einkünfte, für die das Halbeinkünfteverfahren gilt") war kein Eintrag enthalten. Die "Beteiligungen an privaten Veräußerungsgeschäften 2007" waren in einer gesonderten Anlage zur Einkommensteuererklärung wie folgt erläutert:

3

X-Straße

  558.707 €

[X.]

1.536.793 €

Summe 

        

2.095.500 €

4

In Bezug auf die übrigen Einkünfte des [X.] aus privaten Veräußerungsgeschäften waren die Angaben in den Zeilen 41 bis 50 der Anlage [X.] in einer insgesamt drei Seiten umfassenden "[X.] zur Anlage [X.]" näher erläutert. Dabei wurden detaillierte Angaben zu den einzelnen Beträgen, die "dem Halbeinkünfteverfahren unterliegen" und die "nicht dem Halbeinkünfteverfahren unterliegen" gemacht.

5

Mit Einkommensteuerbescheid 2007 vom 4. September 2009 wurde vom [X.] die Einkommensteuer auf 0 € festgesetzt. Die Einkünfte des [X.] aus privaten Veräußerungsgeschäften wurden mit 1.047.934 € angesetzt. Ursache für diesen --unstreitig fehlerhaften-- Ansatz war der Umstand, dass der in [X.] 55.134 eingetragene Betrag von 2.095.500 € durch den Bearbeiter irrtümlich auch unter der [X.] 55.136 ("In Zeile 59 enthaltene Einkünfte, für die das Halbeinkünfteverfahren gilt") erfasst wurde. Die Einkommensteuerveranlagung der Kläger war dabei nicht nur vom zuständigen Sachbearbeiter, sondern auch von der [X.] des [X.] überprüft worden.

6

Am 28. Dezember 2009 und am 9. September 2010 wurde der Einkommensteuerbescheid aus nicht streitigen Gründen geändert. Die Berücksichtigung der streitigen Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften mit dem Halbeinkünfteverfahren blieb bestehen.

7

Das [X.] A-Stadt hatte unter der [X.]. … betreffend die "Grundbesitzgesellschaft [X.]" mit Feststellungsbescheid vom 22. Januar 2009 die auf den Kläger entfallenen Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften in Höhe von 1.536.793,50 € mitgeteilt. Das [X.] Z-Stadt stellte unter der [X.]. … betreffend die "[X.] u. D Grundstücksgemeinschaft" die Einkünfte mit Feststellungsbescheid vom 12. April 2010 fest. Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften wurden für den Kläger mit 558.707 € festgestellt. Hinweise oder Feststellungen zur Anwendung des Halbeinkünfteverfahrens enthielten beide Feststellungsbescheide nicht.

8

Am 16. März 2011 erließ das [X.] einen auf § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 [X.] gestützten Änderungsbescheid, in dem es die Einkünfte des [X.] aus privaten Veräußerungsgeschäften nur unter der [X.] 55.134 mit 2.095.684 € und damit ohne Anwendung des Halbeinkünfteverfahrens ansetzte. Der von den Klägern gegen den Änderungsbescheid eingelegte Einspruch blieb mit Einspruchsentscheidung vom 22. Juli 2011 ohne Erfolg.

9

Das Finanzgericht (FG) wies die von den Klägern erhobene Klage als unbegründet ab. Das [X.] habe zu Recht auf der Grundlage von § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 [X.] am 16. März 2011 einen geänderten Einkommensteuerbescheid erlassen und die Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften ohne Anwendung des Halbeinkünfteverfahrens angesetzt. Denn in den jeweiligen Feststellungsbescheiden sei mit Bindungswirkung für die Einkommensteuerbescheide konkludent negativ festgestellt worden, dass diese Einkünfte nicht dem Halbeinkünfteverfahren unterlägen. Es spreche einiges dafür, das Halbeinkünfteverfahren auf der Grundlage der "[X.]" bereits auf [X.] der [X.] zu berücksichtigen. Soweit nach der "Bruttomethode" Anteile i.S. des § 3 Nr. 40 EStG lediglich "nachrichtlich" vom [X.] dem Festsetzungsfinanzamt gemeldet werden und bei Letzterem die Entscheidung über die Anwendung des Halbeinkünfteverfahrens getroffen werde, sei dem nicht zu folgen. Vielmehr sei die "modifizierte Bruttomethode" vorzuziehen, wonach dem Halbeinkünfteverfahren unterfallende Anteile vom [X.] als andere Besteuerungsgrundlagen mit Bindungswirkung für das Festsetzungsfinanzamt festgestellt werden. Daher folge hier bereits aus den Feststellungsbescheiden, dass hinsichtlich der streitigen Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften die Anwendung des Halbeinkünfteverfahrens ausgeschlossen gewesen sei. Darüber hinaus habe aber auch die Befugnis des [X.] bestanden, den Fehler, der bei Erlass des erstmaligen Einkommensteuerbescheids unterlaufen sei, wegen einer offenbaren Unrichtigkeit nach § 129 Satz 1 [X.] zu berichtigen. Die zusätzliche Erfassung des nur in der [X.] 55.134 eingetragenen Betrags von 2.095.500 € auch unter der [X.] 55.136 habe nicht auf einem die Berichtigung ausschließenden Tatsachen- oder Rechtsirrtum, sondern auf einem rein mechanischen Versehen beruht. Spuren einer Willensbildung des Bearbeiters seien hierzu nicht ersichtlich. Vielmehr verdeutliche gerade der zeitliche Ablauf der Veranlagung, dass bei der Dateneingabe ein rein mechanisches Versehen vorgelegen habe.

Mit ihrer Revision bringen die Kläger vor: Die Entscheidung über die Anwendung des § 3 Nr. 40 EStG erfolge nicht im Verfahren der gesonderten und einheitlichen Feststellung, sondern auf [X.] des Steuerpflichtigen. Die gesonderte und einheitliche Feststellung beziehe sich nur auf die gemeinschaftlich verwirklichten Tatbestandsmerkmale. Im Grundlagenbescheid sei daher allenfalls nachrichtlich auf § 3 Nr. 40 EStG einzugehen. Denn bei der Anwendung handele es sich lediglich um einen Rechenschritt auf [X.] des Gesellschafters, der sich zwingend aus der Rechtsform des Gesellschafters und damit dessen persönlichen Voraussetzungen ergebe. Im Übrigen lägen die Voraussetzungen für eine Berichtigung nach § 129 Satz 1 [X.] mangels Offensichtlichkeit nicht vor. Ein [X.] könne vielmehr nicht ausgeschlossen werden. Dies zeige bereits die Tatsache, dass die Veranlagung durch die [X.] des [X.] geprüft worden sei.

Am 27. Oktober 2011 und am 24. August 2012 sind aus jeweils nicht streitigen Gründen [X.] zur Einkommensteuer 2007 erlassen worden. Im Änderungsbescheid vom 27. Oktober 2011 wurde der Wertansatz des Beteiligungsergebnisses der "[X.] u. D Grundstücksgemeinschaft" von 558.707 € auf 555.000 € korrigiert.

Die Kläger beantragen,
das Urteil des [X.] vom 18. September 2014  16 K 2801/11 E und die Einspruchsentscheidung vom 22. Juli 2011 aufzuheben und den Einkommensteuerbescheid 2007 vom 24. August 2012 dahingehend zu ändern, dass die [X.] aus privaten Veräußerungsgeschäften in Höhe von 2.091.793 € dem Halbeinkünfteverfahren unterworfen werden.

Das [X.] beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Das [X.] hält die Voraussetzungen für eine Änderung nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 [X.] und nach § 129 Satz 1 [X.] für erfüllt. Der Fehler im Einkommensteuerbescheid beruhe auf einer unrichtigen Umsetzung der Verfügung des Feststellungsbescheids und nicht auf einer fehlerhaften rechtlichen Würdigung im Einkommensteuerbescheid selbst. Es werde im Feststellungsbescheid konkludent negativ festgestellt, dass die Einkünfte aus § 23 EStG im Streitfall nicht dem Halbeinkünfteverfahren unterliegen. Die Feststellung "Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften i.S. des § 23 EStG" habe von allen Beteiligten bei zutreffender Auslegung nur so verstanden werden können, dass damit Einkünfte gemeint seien, die nicht dem Halbeinkünfteverfahren unterfielen.

Entscheidungsgründe

II. Die Revision ist begründet. Das Urteil ist aufzuheben und der Klage stattzugeben (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--).

Entgegen der Auffassung des [X.] konnte der Einkommensteuerbescheid vom 16. März 2011 weder nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 [X.] geändert (dazu unter 1.) noch nach § 129 Satz 1 [X.] (dazu unter 2.) berichtigt werden.

1. Die Änderung des Einkommensteuerbescheids vom 16. März 2011 nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 [X.] war nicht möglich.

a) Gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 [X.] ist ein Steuerbescheid zu ändern, soweit ein Grundlagenbescheid i.S. von § 171 Abs. 10 [X.], dem Bindungswirkung für diesen Steuerbescheid zukommt, geändert wird. Zu den Grundlagenbescheiden zählen gemäß § 171 Abs. 10 Satz 1, § 179 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 2 [X.] auch die Feststellungsbescheide nach § 180 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a [X.]. Die Bindungswirkung gemäß § 182 Abs. 1 Satz 1 [X.] verpflichtet das für den Erlass eines [X.]s zuständige Finanzamt, den Grundlagenbescheid umzusetzen (vgl. u.a. Urteile des [X.] --[X.]-- vom 28. Januar 2009 [X.], [X.], 1075, unter [X.], und vom 18. Juli 2012 [X.], [X.], 484, [X.], 444, unter [X.]). Denn Zweck des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 [X.] ist es, die Festsetzung der zutreffenden Steuer im [X.] sicherzustellen, wobei der materiellen Richtigkeit des [X.]s der Vorrang vor der Bestandskraft eines bereits früher ergangenen [X.]s eingeräumt wird (vgl. [X.]-Urteile vom 14. April 1988 IV R 219/85, [X.], 285, [X.] 1998, 711, unter 1.a; vom 17. Februar 1993 II R 15/91, [X.] 1994, 1, unter II.2.; vom 4. September 1996 XI R 50/96, [X.], 388, [X.] 1997, 261; in [X.], 1075, unter [X.]).

Voraussetzung für eine Änderung nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 [X.] ist, dass ein Grundlagenbescheid mit Bindungswirkung für den [X.] erlassen, aufgehoben oder geändert wird. Im Umfang der in § 182 Abs. 1 [X.] festgelegten Bindungswirkung muss es entweder zu einer erstmaligen Regelung oder zu einer inhaltlichen Veränderung des bisherigen Regelungszustandes kommen ([X.]-Urteil in [X.], 1075, unter II.2.). Die Bindung an den Feststellungsbescheid schließt es aus, über einen Sachverhalt, über den im Feststellungsverfahren entschieden worden ist, im [X.] in einem damit unvereinbaren Sinne anders zu entscheiden ([X.]-Urteil vom 18. April 2012 [X.], [X.]E 237, 135, [X.] 2012, 647, unter [X.]; vgl. [X.]/Ratschow, [X.], 12. Aufl., § 182 Rz 8).

Enthält ein Bescheid über die gesonderte und einheitliche Feststellung keine Feststellungen, so entfaltet der Bescheid auch keine Bindungswirkung für den oder die [X.]e. Die Bindungswirkung eines Feststellungsbescheids bestimmt sich nach seinen [X.]. Maßgeblich ist, in welchem Umfang und mit welchem Inhalt die Behörde Besteuerungsgrundlagen in den Tenor der Verwaltungsakte aufgenommen hat (ständige Rechtsprechung, vgl. u.a. [X.]-Urteile vom 22. August 2007 [X.], [X.]E 218, 503, [X.] 2008, 4; vom 8. November 2005 VIII R 11/02, [X.]E 211, 277, [X.] 2006, 253, unter [X.]; in [X.], 484, [X.], 444, unter [X.], m.w.N.; [X.] in [X.]/[X.]/[X.] --[X.]--, § 182 [X.] Rz 39; [X.]/Ratschow, [X.], 12. Aufl., § 182 Rz 5).

Für die hiernach erforderliche Abgrenzung zwischen den bindenden [X.] und deren (bloßer) Begründung bedarf es der Auslegung des Feststellungsbescheids. Hierbei ist entsprechend § 133 des Bürgerlichen Gesetzbuchs darauf abzustellen, wie ein verständiger Empfänger nach den ihm bekannten Umständen den Bescheid unter Berücksichtigung von Treu und Glauben verstehen musste (ständige Rechtsprechung, vgl. [X.]-Urteil in [X.], 484, [X.], 444, unter [X.], m.w.N.). Zur Auslegung des Verwaltungsakts ist auch das Revisionsgericht befugt, wenn die tatsächlichen Feststellungen des [X.] ausreichen (ständige Rechtsprechung, vgl. u.a. [X.]-Urteile in [X.]E 218, 503, [X.] 2008, 4, unter [X.]b [X.], und vom 10. Mai 2012 IV R 34/09, [X.]E 239, 485, [X.], 471, unter [X.] aa, jeweils m.w.N.).

b) Nach diesen Auslegungsmaßstäben konnte den Feststellungsbescheiden vom 22. Januar 2009 und vom 12. April 2010 nach den tatsächlichen Feststellungen des [X.] lediglich der Inhalt entnommen werden, dass der dort genannte Betrag sich auf die Einkünfte des [X.] aus privaten Veräußerungsgeschäften vor Anwendung des Halbeinkünfteverfahrens bezogen hat. Denn in den streitigen Feststellungsbescheiden werden lediglich "Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften i.S. des § 23 EStG" festgestellt. Ob und in welchem Umfang die festgestellten Einkünfte auf § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 oder Nr. 2 EStG und damit dem Halbeinkünfteverfahren unterfallen, lässt sich den Feststellungsbescheiden nicht entnehmen und ist damit von der Bindungswirkung nicht umfasst. Hat das [X.] daher --wie hier-- in einem bestandskräftigen Einkommensteuerbescheid gegenüber den Klägern zu Unrecht das Halbeinkünfteverfahren angewandt, so kann dieser Fehler nicht im Wege der ([X.] nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 [X.] berichtigt werden (vgl. [X.]-Urteil in [X.]E 218, 503, [X.] 2008, 4).

Das [X.] hatte die festgestellten Einkünfte zunächst zutreffend in der [X.] 55.134 im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung mit Einkommensteuerbescheid vom 4. September 2009 erfasst. Anschließend hat das [X.] mit der weiteren Erfassung der Einkünfte unter der [X.] 55.136 das Halbeinkünfteverfahren angewandt. Dadurch hat das [X.] eine rechtliche Wertung im [X.] getroffen, die von der Bindungswirkung der beiden Feststellungsbescheide vom 22. Januar 2009 und vom 12. April 2010 nicht umfasst wird.

Die Auslegung der beiden Feststellungsbescheide vom 22. Januar 2009 und vom 12. April 2010 auf der Grundlage der Feststellungen des [X.] ergibt, dass das [X.] im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung lediglich verpflichtet war, auf der Grundlage der Bindungswirkung der Feststellungsbescheide unter der [X.] 55.134 "Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften i.S. des § 23 EStG" und damit einen Betrag in Höhe von 2.091.793 € zu übernehmen. Dieser Verpflichtung war das [X.] aber bereits mit der Übernahme des Werts von 2.095.500 € in die Veranlagung im Einkommensteuerbescheid vom 4. September 2009 (größtenteils) nachgekommen. Weder aus den beiden Feststellungsbescheiden noch den dazu ergangenen Mitteilungen konnte das Festsetzungsfinanzamt den Schluss ziehen, das [X.] habe zur Frage der Anwendung oder Nichtanwendung des Halbeinkünfteverfahrens eine (verbindliche) Regelung getroffen. Eine Verpflichtung zur Erfassung oder Nichterfassung eines Betrags unter der [X.] 55.136 war in den beiden Feststellungsbescheiden daher nicht enthalten. Der --unstreitig fehlerhafte-- Ansatz der Einkünfte im Rahmen der [X.] 55.136 und der darauffolgende Ansatz der Einkünfte nur zur Hälfte stellt somit allein eine rechtliche Würdigung im [X.] dar, die mit dem Inhalt der Grundlagenbescheide nicht in Widerspruch steht und daher auch nicht nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 [X.] geändert werden kann. Die Änderung im angefochtenen Einkommensteuerbescheid vom 16. März 2011 beruht daher nicht --wie es für eine Änderung nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 [X.] erforderlich wäre-- auf einer unrichtigen oder unterlassenen Umsetzung einer von der Behandlung im Einkommensteuerbescheid abweichenden Regelung zum Halbeinkünfteverfahren, sondern auf einer fehlerhaften rechtlichen Würdigung im Einkommensteuerbescheid selbst.

c) Der [X.] lässt offen, ob auf der Grundlage des Wortlauts des § 3 Nr. 40 Satz 1 Buchst. a bis j EStG in der im Streitjahr 2007 geltenden Fassung die hälftige Steuerbefreiung bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen auch bereits im Rahmen der Einkünfteermittlung und damit auf [X.] des Feststellungsbescheids berücksichtigt werden kann und dann auch für den [X.] Bindungswirkung entfaltet ("[X.]", vgl. [X.], Der Betrieb 2003, 1811, 1815; [X.] in [X.]/[X.]/[X.], § 3 Nr. 40 EStG Rz 48, m.w.N.; a.[X.]/[X.], § 3 Nr. 40 EStG Rz 5; [X.]/[X.]/[X.], [X.] --[X.]-- 2010, 259, 264; [X.], [X.] 2005, 719, 729; [X.] [X.], Verfügung vom 28. Juni 2005 B/2-3-108/2005-S 2120, juris; offen [X.] in [X.], § 180 [X.] Rz 229a). Denn nach den tatsächlichen Feststellungen des [X.] waren im Feststellungsverfahren nur "Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften i.S. des § 23 EStG" festgestellt und damit keinerlei Angaben zur Anwendung des Halbeinkünfteverfahrens gemacht worden. Daher kann im hier anhängigen Verfahren auch keine Aussage dazu getroffen werden, ob derartige Feststellungen dort zu Recht erfolgt (oder ggf. in einem Ergänzungsbescheid nach § 179 Abs. 3 [X.] nachzuholen wären) und für den [X.] bindend sind. Der [X.] setzt sich daher auch nicht in Widerspruch zu der Entscheidung des [X.] in [X.], 484, [X.], 444. Denn diese betraf den Fall, dass im Bescheid über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen bindende Angaben zu den dem Halbeinkünfteverfahren unterfallenden Einkünften vorhanden waren. Dies ist nach den Feststellungen des [X.] hier aber nicht der Fall.

2. Das [X.] ist weiter zu Unrecht davon ausgegangen, dass der bestandskräftige Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr vom 4. September 2009 nach § 129 [X.] berichtigt werden konnte.

a) Nach § 129 [X.] können Schreibfehler, Rechenfehler und ähnliche offenbare Unrichtigkeiten, die beim Erlass eines Verwaltungsakts unterlaufen sind, jederzeit berichtigt werden. [X.] Unrichtigkeiten in diesem Sinne sind mechanische Versehen wie beispielsweise Eingabe- oder Übertragungsfehler. Dagegen schließen Fehler bei der Auslegung oder Nichtanwendung einer Rechtsnorm, eine unrichtige Tatsachenwürdigung oder die unzutreffende Annahme eines in Wirklichkeit nicht vorliegenden Sachverhalts die Annahme einer offenbaren Unrichtigkeit aus. An einer offenbaren Unrichtigkeit fehlt es daher u.a. dann, wenn [X.] nicht oder falsch angewendet worden sind (ständige Rechtsprechung, vgl. u.a. [X.]-Urteile vom 7. November 2013 IV R 13/11, [X.] 2014, 657, unter [X.]b, und vom 16. September 2015 IX R 37/14, [X.]E 250, 332, [X.] 2015, 1040, unter [X.]).

b) Nach den Feststellungen des [X.] ist die Erfassung der streitigen Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften unter der [X.] 55.136 ("In Zeile 59 enthaltene Einkünfte, für die das Halbeinkünfteverfahren gilt") auf alleinige Veranlassung des Sachbearbeiters des [X.] erfolgt. Anhaltspunkte für einen Eingabefehler in Gestalt eines Schreib- oder Rechenfehlers hat das [X.] nicht festgestellt. Auch Anhaltspunkte für ein Versehen der Kläger, das vom [X.] ohne weitere Prüfung in den Steuerbescheid übernommen worden ist, sind nach den Feststellungen des [X.] nicht ersichtlich. Denn hiernach ergaben sich Anhaltspunkte für eine Erfassung auf der Grundlage des Halbeinkünfteverfahrens weder aus den eingereichten Einkommensteuerformularen der Kläger noch aus den von den Klägern beigefügten Anlagen zur Einkommensteuererklärung. Der Entscheidung, die streitigen Einkünfte nicht nur unter der [X.] 55.134, sondern auch unter der [X.] 55.136 zu erfassen, liegt vielmehr allein eine willentliche Entscheidung des Sachbearbeiters des [X.] hinsichtlich der Anwendung des Halbeinkünfteverfahrens und damit zwingend eine rechtliche Würdigung zugrunde (vgl. auch [X.]-Urteil in [X.]E 218, 503, [X.] 2008, 4, unter II.2.). Ohne die --unstreitig unzutreffende-- Annahme der Anwendbarkeit des Halbeinkünfteverfahrens seitens des Bearbeiters lässt sich nicht erklären, dass --wie vom [X.] festgestellt-- der Bearbeiter unter dieser [X.] einen ergänzenden Eintrag vorgenommen hat.

3. Die Sache ist spruchreif. Das angefochtene Urteil und die Einspruchsentscheidung vom 22. Juli 2011 sind aufzuheben. Die Einkommensteuer 2007 wird unter Abänderung des Einkommensteuerbescheids des [X.] vom 24. August 2012 auf den Betrag festgesetzt, der sich bei einer Berücksichtigung eines Ansatzes der Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften in Höhe von 2.091.793 € sowohl unter der [X.] 55.134 als auch der [X.] 55.136 und damit bei einer Berücksichtigung von Einkünften aus privaten Veräußerungsgeschäften aus Grundstücken in Höhe von 1.045.896 € ergibt. Die Berechnung der Einkommensteuer wird dem [X.] übertragen.

4. [X.] beruht auf § 135 Abs. 1 [X.]O. Die Übertragung der Berechnung der festzusetzenden Steuer auf das [X.] beruht auf § 121 Satz 1, § 100 Abs. 2 Satz 2 [X.]O.

Meta

IX R 4/15

10.05.2016

Bundesfinanzhof 9. Senat

Urteil

vorgehend FG Düsseldorf, 18. September 2014, Az: 16 K 2801/11 E, Urteil

§ 129 S 1 AO, § 175 Abs 1 S 1 Nr 1 AO, § 179 Abs 1 AO, § 180 Abs 1 S 1 Nr 2 Buchst a AO, § 182 Abs 1 AO, § 3 Nr 40 EStG 2002, § 23 EStG 2002, EStG VZ 2007

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 10.05.2016, Az. IX R 4/15 (REWIS RS 2016, 11651)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 11651

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