Bundesgerichtshof, Beschluss vom 05.04.2022, Az. 6 StR 99/22

6. Strafsenat | REWIS RS 2022, 2549

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Gegenstand

Schweigen des Angeklagten: Verwertung zu Lasten des Angeklagten bei Anordnung der Unterbringung und Entscheidung über die Strafaussetzung zur Bewährung


Tenor

Dem Angeklagten wird auf seinen Antrag und seine Kosten Wiedereinsetzung in den Stand vor Ablauf der Frist zur Begründung der Revision gegen das Urteil des [X.] vom 16. November 2021 gewährt.

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen versuchter besonders schwerer räuberischer Erpressung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten verurteilt und dessen Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO).

2

1. Dem Angeklagten ist auf seinen zulässigen Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Begründung der Revision zu gewähren (§ 44 Satz 1 StPO).

3

2. Der Schuldspruch hält revisionsgerichtlicher Überprüfung nicht stand.

4

a) Das [X.] hat festgestellt, dass der Angeklagte den achtjährigen Zeugen aufforderte, ihm Geld zu geben. Dabei hielt er „ein nach unten gerichtetes Messer in seiner Hand“ ([X.]), welches der Zeuge jedenfalls als spitzen Gegenstand erkannte. Wie von dem Angeklagten beabsichtigt, fühlte sich der Zeuge bedroht. Er flüchtete. Der Angeklagte folgte ihm zunächst, ließ dann aber von ihm ab und entfernte sich.

5

b) Das [X.] hat die Möglichkeit eines strafbefreienden Rücktritts(§ 24 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 StGB) nicht in Betracht gezogen. Der Umstand, dass der Verletzte dem Herausgabeverlangen des Angeklagten nicht entsprochen hat, begründet für sich genommen noch keinen Fehlschlag des Versuchs. Das [X.] hätte die insofern allein maßgebliche subjektive Sicht des Angeklagten nach Abschluss der letzten Ausführungshandlung feststellen müssen (st. Rspr.; vgl. [X.], Urteil vom 15. Juli 2020 – 6 StR 43/20, [X.], 618; Beschluss vom 2. November 2021 – 6 StR 485/21).

6

3. Der mit der Aufhebung des Schuldspruchs verbundene Wegfall der einzigen [X.] entzieht der [X.] nach § 63 StGB die Grundlage.

7

4. Eine etwaige erneute [X.] wird das zur Entscheidung berufene Tatgericht – naheliegend unter Hinzuziehung eines neuen Sachverständigen (§ 246a Abs. 1 StPO) – auf der Grundlage der neu zu treffenden Feststellungen zur Sache und zur Person, namentlich solchen zum Vorleben des Angeklagten, der Krankheitsentwicklung und einer hiermit etwa verbundenen Delinquenz, erneut zu prüfen haben. Im Übrigen weist der Senat auf Folgendes hin:

8

a) Soweit die [X.] ihren Feststellungen zur Sache zugrunde gelegt hat, dass der Angeklagte „in seiner Steuerungsfähigkeit erheblich vermindert“ gewesen sei, liegt mit den weiteren Feststellungen und Wertungen ein unlösbarer Widerspruch vor. Denn das [X.] hat an anderer Stelle ausgeführt, dass der hinzugezogene Sachverständige einerseits bekundet habe, dass „eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit … nicht ausgeschlossen werden“ könne, andererseits die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten „im Sinne des § 21 StGB sicher erheblich eingeschränkt“ gewesen sei. Diesem „umfassenden, in sich widerspruchsfreien und schlüssigen Gutachten des Sachverständigen“ hat sich die [X.] „nach eigener kritischer Würdigung angeschlossen“ ([X.]). Im Rahmen ihrer Strafzumessungserwägungen hat sie hierzu ferner ausgeführt, dass „eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit nicht ausgeschlossen werden“ könne ([X.] 10).

9

b) Auch wird der notwendige symptomatische Zusammenhang zwischen der diagnostizierten Erkrankung des Angeklagten und der festgestellten [X.] durch die Urteilsgründe nicht belegt. Die [X.] hat ihrer Bewertung im Ausgangspunkt einen fehlerhaften rechtlichen Maßstab zugrunde gelegt. Auf den von ihr dargestellten „symptomatische(n) Zusammenhang zwischen [X.] und den zu erwartenden Taten“ ([X.] 12) kommt es für die gesetzlichen Anordnungsvoraussetzungen des § 63 StGB nicht an. Möglicherweise auch deshalb ist die gebotene Auseinandersetzung des [X.]s mit der Tatmotivation des zur Tatzeit obdach- und erwerbslosen Angeklagten unterblieben. Das von der [X.] vermutete Tatmotiv der Geldknappheit für die einzige [X.] (§§ 253, 255, 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB) könnte auch normalpsychologisch zu erklären sein (vgl. [X.], Beschlüsse vom 26. Oktober 2021 – 2 [X.]; vom     5. September 2019 – 4 [X.]/19, NStZ-RR 2019, 372; vom 14. Juli 1999 – 3 [X.], [X.], 612).

c) Schließlich begegnet die Begründung der negativen Gefährlichkeitsprognose durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Das [X.] hat diese unter anderem damit begründet, dass der Angeklagte „keine Täterverantwortung“ und keine „Opferempathie“ gezeigt habe. Der Umstand, dass der Angeklagte, der von seinem Schweigerecht Gebrauch gemacht hat, keine Verantwortung für die Tat übernommen hat, durfte nicht zu seinem Nachteil gewertet werden (vgl. nur [X.], Beschlüsse vom 11. November 2020 − 1 [X.], [X.], 730 und vom 12. August 2020 – 4 StR 588/19). Dies gilt im Übrigen gleichermaßen für die auf die nämlichen Erwägungen gestützte Bewährungsentscheidung (st. Rspr.; vgl. [X.], Beschlüsse vom 27. Februar 1992 – 1 StR 61/92, [X.]R StGB § 56 Abs. 2 Umstände, besondere 12; vom 2. Juni 2021 – 6 [X.], [X.], 158).

Sander     

      

Feilcke     

      

Tiemann

      

Wenske     

      

von [X.]     

      

Meta

6 StR 99/22

05.04.2022

Bundesgerichtshof 6. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Hannover, 16. November 2021, Az: 34 KLs 16/21

§ 46 StGB, § 56 StGB, § 63 StGB, § 261 StPO, § 267 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 05.04.2022, Az. 6 StR 99/22 (REWIS RS 2022, 2549)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 2549

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