Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 02.09.2015, Az. 2 StR 239/15

2. Strafsenat | REWIS RS 2015, 5959

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 [X.]15
vom
2. September
2015
in dem Sicherungsverfahren
gegen

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Der 2. Strafsenat des [X.] hat nach Anhörung des Generalbun-desanwalts
und des Beschuldigten am 2. September 2015 gemäß §
349 Abs.
4 StPO beschlossen:

Auf die Revision des Beschuldigten wird das Urteil des [X.] vom 19.
Februar 2015 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Gründe:
Das [X.] hat die Unterbringung des Beschuldigten in einem psy-chiatrischen Krankenhaus angeordnet. Hiergegen richtet sich die auf die Sachrüge gestützte Revision des Beschuldigten. Das
Rechtsmittel hat Erfolg.

I.
Nach den Feststellungen des [X.] leidet der Beschuldigte an [X.]. Im Frühjahr 2014 befand er sich in einer mani-schen Phase. Er mietete am 15. Mai 2014 ein Hotelzimmer, wobei er die Hotel-angestellte an der Rezeption fragte, ob sie mit ihm ausgehen wolle, was diese aber verneinte. Über die Zurückweisung ärgerte sich der Beschuldigte so sehr, 1
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dass er später ein Plisseerollo am Badezimmerfenster des Hotelzimmers aus der Verankerung riss, einen Vorhang in Brand setzte, den Inhalt eines Aschen-bechers im [X.] verstreute und das Bett verrückte. Den [X.] löschte er alsbald.
Das [X.] hat darin zwei rechtswidrige Taten der Sachbeschädi-gung gesehen, bei denen die Steuerungsfähigkeit
des Beschuldigten aufgeho-ben gewesen war. Es hat ferner angenommen, weitere erhebliche rechtswidrige Taten des Beschuldigten seien zu erwarten. Kurz nach den genannten [X.] habe der Beschuldigte am Flughafen in H.

erneut mit einem Feu-erzeug
hantiert und einen Computermonitor in Brand gesetzt. Später habe er seinen Vater geschlagen und seine Mutter getreten. Der Beschuldigte werde immer dann gefährlich, wenn er unter wahnhaften Ängsten leide. Der gerichtli-che Sachverständige habe unter Anwendung der HCR-20-Checkliste dargelegt, dass bei ihm ein mittelgradig erhöhtes Risiko für Gewalttaten bestehe. Vor die-sem Hintergrund sei die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus auch verhältnismäßig, obwohl die [X.] die [X.] noch nicht überschritten hätten.

II.
Gegen diese Bewertung bestehen durchgreifende rechtliche Bedenken.
1. Die grundsätzlich unbefristete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß §
63 StGB ist eine außerordentlich belastende [X.], die einen besonders gravierenden Eingriff in die Rechte des Betroffenen darstellt. Sie setzt zunächst voraus, dass zweifelsfrei feststeht, dass der [X.] bei der Begehung der [X.] aufgrund eines psychischen 3
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Defektes schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung hierauf beruht (vgl. [X.], Beschluss vom 28. Januar 2015 -
4 [X.], [X.], 169 f.).
In den Urteilsgründen des [X.] bleibt schon unklar, weshalb die Steuerungsfähigkeit des Beschuldigten
bei der Begehung der rechtswidrigen Taten
aufgehoben gewesen sein soll. Immerhin löschte er den [X.] "relativ schnell". Auch ist nicht erkennbar, dass den Handlungen im [X.] eine paranoide Symptomatik zu Grunde gelegen hat; sein Randalieren könnte auch eine noch normalpsychologisch erklärbare Reaktion auf die Zu-rückweisung durch die Hotelangestellte gewesen sein. Deren Eindruck vom Erscheinungsbild des Beschuldigten ist in den Urteilsgründen nicht mitgeteilt worden, sondern nur der "Eindruck, den sie von dem Hotelzimmer gehabt ha-be".
2. Eine Unterbringung nach §
63 StGB kommt auch nur in Betracht, wenn im Urteilszeitpunkt eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades dafür be-steht, dass der Täter infolge seines Zustands in Zukunft Taten begehen wird, die eine schwere Störung des Rechtsfriedens zur Folge haben.
a) Die vom [X.] hervorgehobene Auswertung einer Checkliste durch den Sachverständigen besitzt dafür nur eine geringe Aussagekraft (vgl. [X.], Beschluss vom 1.
Oktober 2013 -
3 StR
311/13, [X.], 216 f.), zumal deren Resultate nicht näher erläutert wurden.
b) Die Prüfung des Grades der Wahrscheinlichkeit weiterer Taten und ih-rer Art ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des [X.], seines [X.] und der von ihm begangenen [X.] zu entwickeln. Die hierauf bezogenen Betrachtungen des [X.] sind jedoch nicht erschöpfend.
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Schizoaffektive Störungen verlaufen phasenhaft, wobei es auch zu [X.] vollständiger Remission kommen kann (vgl. [X.], Beschluss vom 28.
Januar 2015 -
4 [X.], [X.], 169, 170). Der vom [X.] gehörte Sachverständige hat sechs Krankheitsschübe bei dem [X.] im Zeitraum von 2006 bis Frühjahr 2014 unterschieden. In der ersten Phase war es zu einem Rückzugsverhalten gekommen, in der zweiten Phase zu belei-digendem Verhalten, in der dritten Phase wiederum zu einem Rückzug, in der vierten Phase zu einer versuchten Nötigung, in der fünften Phase war der Be-schuldigte "streitlustig". Bei dem sechsten Schub war es anfänglich während eines Aufenthalts in P.

nicht zu aggressivem Verhalten des Beschuldigten gekommen.
Nach den [X.] des vorliegenden Verfahrens, die keine erhebli-chen Taten im Sinne des §
63 StGB darstellen, reagierte der Beschuldigte auf das Erscheinen seines [X.] vor seiner Wohnung damit, dass er mit einem Messer oder Schraubendreher durch die Tür stach. Im Rahmen der vorläufigen Unterbringung kam es zu aggressivem Verhalten gegenüber Mitarbeitern des psychiatrischen Krankenhauses, das allerdings auch unter dem Blickwinkel der besonderen Situation in der Freiheitsentziehung zu beurteilen ist. Danach [X.] sich der Beschuldigte ab Oktober 2014 unauffällig. In der Hauptverhandlung war er "orientiert und aufnahmefähig. Seine Einlassung war verständlich".
Bei dieser Sachlage liegt es jedenfalls nicht auf der Hand, dass in Zu-kunft mit einer Wahrscheinlichkeit höheren Grades auch erhebliche rechtswidri-ge Taten des Beschuldigten zu erwarten sind. Dies wäre mit Blick auf die stö-rungsfreien Phasen sowie diejenigen Krankheitsschübe, die nicht zu rechtswid-rigen Taten oder allenfalls zu noch nicht erheblichen Taten geführt hatten, vom [X.] näher zu erörtern gewesen. Die Art der mit höherer Wahrschein-lichkeit zu erwartenden Taten wäre nach Möglichkeit zu konkretisieren. Aggres-10
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sive Handlungen gegen Sachen stellen oftmals keine erheblichen Taten dar. Ob Drohungen als erhebliche rechtswidrige Taten anzusehen sind, hängt davon ab, wie wahrscheinlich mit der Realisierung der Drohungen zu rechnen ist und wel-ches Gewicht die dann zu erwartenden Handlungen haben. Dies hat das [X.] nicht vertieft. Dies wäre aber geboten gewesen, zumal die [X.] selbst noch keine erheblichen rechtswidrigen Taten waren.
Eschelbach

Franke Ott

Zeng Bartel

Meta

2 StR 239/15

02.09.2015

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 02.09.2015, Az. 2 StR 239/15 (REWIS RS 2015, 5959)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 5959

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4 StR 514/14

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