Bundesfinanzhof, Urteil vom 22.11.2023, Az. XI R 22/23 (XI R 2/20), XI R 22/23, XI R 2/20

11. Senat | REWIS RS 2023, 10317

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Gegenstand

Differenzbesteuerung für Kunstgegenstände; innergemeinschaftlicher Erwerb der Kunstgegenstände; Berechnung der Marge; kein Abzug der Umsatzsteuer auf den innergemeinschaftlichen Erwerb


Leitsatz

Bei der Differenzbesteuerung gemäß § 25a UStG mindert die auf den innergemeinschaftlichen Erwerb entfallende Umsatzsteuer nicht die Bemessungsgrundlage, obwohl dies der Systematik und dem Zweck der Regelung widerspricht (Nachfolgeentscheidung zum EuGH-Urteil Mensing II vom 13.07.2023 - C-180/22, EU:C:2023:565).

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des [X.] - 5 K 177/16 U aufgehoben.

Die Sache wird an das [X.] zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.

Diesem wird die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens übertragen.

Tatbestand

I.

1

Streitig ist, ob bei Anwendung der Differenzbesteuerung auf Lieferungen von Kunstgegenständen, die vom Kläger und [X.] (Kläger) zuvor von den Künstlern [X.] erworben wurden, die Steuer für den [X.]en Erwerb die zu besteuernde Handelsspanne [X.]) mindert.

2

Der Kläger ist Kunsthändler. Er betreibt Galerien in mehreren [X.] Städten. Im Laufe des Jahres 2014 (Streitjahr) bezog er auch Kunstgegenstände von Künstlern, die im übrigen Gemeinschaftsgebiet ansässig waren. Diese Lieferungen wurden von den Künstlern in ihren Ansässigkeitsstaaten jeweils als steuerbefreite [X.]e Lieferungen behandelt. Der Kläger versteuerte die [X.]en Erwerbe gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 13 Buchst. a des Umsatzsteuergesetzes (UStG) mit dem ermäßigten Steuersatz.

3

Mit einem Einspruch gegen einen geänderten Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheid für den Voranmeldungszeitraum Dezember 2014 machte der Kläger geltend, dass § 25a Abs. 7 Nr. 1 Buchst. a UStG, wonach die Differenzbesteuerung keine Anwendung auf die Lieferung eines Gegenstands findet, den der Wiederverkäufer [X.] erworben hat, wenn auf die Lieferung des Gegenstands an den Wiederverkäufer die Steuerbefreiung für [X.]e Lieferungen im übrigen Gemeinschaftsgebiet angewendet worden ist, unionsrechtswidrig sei. Mit Einspruchsentscheidung vom 22.12.2015 wies der Beklagte und Revisionskläger (Finanzamt --[X.]--) den Einspruch als unbegründet zurück.

4

In der am 17.12.2015 beim [X.] eingereichten Umsatzsteuer-Jahreserklärung für das Streitjahr erfasste der Kläger die streitbefangenen Umsätze unter Anwendung der Differenzbesteuerung. Es ergab sich ein Erstattungsbetrag zu seinen Gunsten.

5

Später revidierte das [X.] die Anwendung der Differenzbesteuerung. Im nachfolgenden Klageverfahren machte der Kläger wiederum geltend, dass § 25a Abs. 7 Nr. 1 Buchst. a UStG nicht unionsrechtskonform sei. Er berief sich auf die unmittelbare Anwendung von Art. 316 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2006/112/[X.] über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem ([X.] --[X.]--).

6

Mit Beschluss vom 11.05.2017 - 5 K 177/16 U (Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 2017, 1222) hatte das Finanzgericht (FG) Münster dem [X.] ([X.]) gemäß Art. 267 Abs. 2 des Vertrags über die Arbeitsweise der [X.] folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

"1. Ist Art. 316 Abs. 1 Buchst. b [X.] dahingehend auszulegen, dass steuerpflichtige Wiederverkäufer die Differenzbesteuerung auch auf die Lieferung von Kunstgegenständen anwenden können, die ihnen vom Urheber oder von dessen Rechtsnachfolger, bei denen es sich nicht um Personen i.S.v. Art. 314 [X.] handelt, [X.] geliefert wurden?

2. Falls die Frage 1 bejaht wird: Erfordert es Art. 322 Buchst. b [X.], dem Wiederkäufer das Recht auf Vorsteuerabzug aus dem [X.]en Erwerb der Kunstgegenstände zu versagen, auch wenn es keine nationale Vorschrift gibt, die eine entsprechende Regelung enthält?"

7

Der [X.] hat mit seinem Urteil [X.] vom 29.11.2018 - [X.]/17, [X.]:C:2018:968 über das Vorabentscheidungsersuchen entschieden und die Vorlagefragen wie folgt beantwortet:

"1. Art. 316 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2006/112/[X.] vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem ist dahin auszulegen, dass ein steuerpflichtiger Wiederverkäufer für die Anwendung der Differenzbesteuerung auf eine Lieferung von Kunstgegenständen optieren kann, die er zuvor im Rahmen einer steuerbefreiten [X.]en Lieferung vom Urheber oder dessen Rechtsnachfolgern erworben hat, obwohl diese nicht zu den in Art. 314 der Richtlinie aufgeführten Personengruppen gehören.

2. Ein steuerpflichtiger Wiederverkäufer kann nicht sowohl für die Anwendung der in Art. 316 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2006/112/[X.] vorgesehenen Differenzbesteuerung auf eine Lieferung von Kunstgegenständen, die er zuvor im Rahmen einer steuerbefreiten [X.]en Lieferung erworben hat, optieren als auch in Fällen, in denen ein Vorsteuerabzug nach Art. 322 Buchst. b der Richtlinie, der nicht in nationales Recht umgesetzt wurde, ausgeschlossen ist, Anspruch auf einen solchen Abzug erheben."

8

Das [X.] gab daraufhin der Klage statt (Urteil vom 07.11.2019 - 5 K 177/16 U, [X.], 408). Nach dem im Streitfall ergangenen [X.]-Urteil [X.] vom 29.11.2018 - [X.]/17, [X.]:C:2018:968 müsse die Differenzbesteuerung auf die streitbefangenen Umsätze angewandt werden und sei die die [X.]en Erwerbe betreffende Steuer margenmindernd als Bestandteil der Einkaufspreise zu berücksichtigen. Die Ermittlung der Bemessungsgrundlage folge dem Unionsrecht; den Regelungen des Art. 317 Satz 1 i.V.m. Art. 316, 315 und 312 [X.] sei zu entnehmen, dass zum Einkaufspreis bei der Margenbesteuerung auch die Umsatzsteuer gehöre.

9

Mit seiner Revision rügt das [X.] die Verletzung materiellen Rechts. Es bringt im [X.] vor, die Umsatzsteuer für den [X.]en Erwerb mindere [X.] nicht.

Das [X.] beantragt,
das angefochtene Urteil des [X.] vom 07.11.2019 - 5 K 177/16 U aufzuheben und die Klage als unbegründet zurückzuweisen.

Der Kläger beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Der erkennende Senat hat das Verfahren ausgesetzt und mit Beschluss vom 20.10.2021 - XI R 2/20 ([X.], 330, BStBl II 2022, 503) dem [X.] folgende Rechtsfragen zur Auslegung der [X.] zur Vorabentscheidung vorgelegt:

"1. Ist unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens, in denen sich ein Steuerpflichtiger aufgrund des [X.]-Urteils [X.] vom 29.11.2018 - [X.]/17 ([X.]:C:2018:968) darauf beruft, dass auch die Lieferung von Kunstgegenständen, die er zuvor im Rahmen einer steuerbefreiten [X.]en Lieferung vom Urheber (oder dessen Rechtsnachfolgern) erworben hat, unter die Differenzbesteuerung der Art. 311 ff. [X.] fällt, nach Rz 49 dieses Urteils die Bemessungsgrundlage ausschließlich nach Unionsrecht zu bestimmen, so dass die Auslegung einer Vorschrift des nationalen Rechts (hier: § 25a Abs. 3 Satz 3 UStG), dass die auf den [X.]en Erwerb entfallende Steuer nicht zur Bemessungsgrundlage gehört, durch das letztinstanzliche nationale Gericht nicht zulässig ist?

2. Falls die Frage 1 bejaht wird: Sind die Art. 311 ff. [X.] dahingehend zu verstehen, dass bei Anwendung der Differenzbesteuerung auf Lieferungen von Kunstgegenständen, die zuvor vom Urheber (oder dessen Rechtsnachfolgern) [X.] erworben wurden, die auf den [X.]en Erwerb entfallende Steuer die Handelsspanne [X.]) mindert, oder liegt insoweit eine planwidrige Lücke des Unionsrechts vor, die nicht von der Rechtsprechung im Wege der Rechtsfortbildung, sondern nur vom Richtliniengeber geschlossen werden darf?"

Der [X.] hat darauf mit Urteil [X.] II vom 13.07.2023 - [X.]/22, [X.]:C:2023:565 nur geantwortet:

"Die Art. 312 und 315 sowie Art. 317 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112/[X.] vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem sind dahin auszulegen, dass die Mehrwertsteuer, die ein steuerpflichtiger Wiederverkäufer auf den [X.]en Erwerb eines Kunstgegenstands entrichtet hat, dessen spätere Lieferung der Differenzbesteuerung nach Art. 316 Abs. 1 dieser Richtlinie unterliegt, Teil der Steuerbemessungsgrundlage dieser Lieferung ist."

Der Senat hat anschließend das Revisionsverfahren unter dem Aktenzeichen XI R 22/23 (XI R 2/20) fortgesetzt.

Das [X.] sieht sich durch das [X.]-Urteil in seiner Rechtsauffassung bestätigt.

Der Kläger trägt vor, dass der [X.] nur die Frage 2 im Vorlagebeschluss des [X.] ([X.]) beantwortet habe, die allerdings unter der Bedingung gestellt worden sei, dass der [X.] die Frage 1 bejaht hat. Die Frage 1 sei unbeantwortet geblieben, so dass es nach der Entscheidung des [X.] in der Rechtssache [X.] II nicht unzulässig sei, dass der [X.] seine Entscheidung im anhängigen Verfahren nach dem für den Kläger günstigeren nationalen Recht treffe. Nach § 25a Abs. 3 Satz 3 UStG gehöre die beim [X.] gezahlte Umsatzsteuer nicht zur Bemessungsgrundlage. Das [X.] Recht ermögliche daher, einen Verstoß gegen das Neutralitätsprinzip und systematischen Wettbewerbsverzerrungen zu vermeiden. Des Weiteren teilt er mit, dass im Falle des Misserfolgs der Klage nur der Weg bleibe, sein Begehren im Wege eines Antrags auf eine Billigkeitsentscheidung des [X.] nach §§ 163, [X.] zu verfolgen.

Mit Schreiben vom [X.] hat das [X.] mitgeteilt, dass es den angefochtenen Umsatzsteuerbescheid für das Streitjahr durch Änderungsbescheid vom 18.11.2022 geändert habe. Mit dem beiliegenden Umsatzsteuerbescheid wurde die festgesetzte Umsatzsteuer für 2014 erheblich erhöht. Die Änderungen sind nach den Erläuterungen zu dem Bescheid Folge einer Betriebsprüfung. Die Beteiligten haben sich dazu nicht weiter geäußert und der Kläger hat seinen Antrag nicht an den neuen Bescheid angepasst.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist aus verfahrensrechtlichen Gründen begründet; sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das [X.] (§ 127 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--). Es ist nicht auszuschließen, dass sich aufgrund des Änderungsbescheids im Streitfall tatsächliche oder rechtliche Fragen stellen, die bisher nicht geklärt sind.

1. An die Stelle des angefochtenen [X.] vom 20.04.2016, über den das [X.] entschieden hat, ist während des Revisionsverfahrens der Änderungsbescheid vom 18.11.2022 getreten, der nach § 68 Satz 1, § 121 Satz 1 [X.]O Gegenstand des Revisionsverfahrens geworden ist. Da dem Urteil des [X.] ein nicht mehr existierender Bescheid zugrunde liegt, kann es keinen Bestand haben (vgl. [X.]-Urteile vom 21.01.2015 - XI R 12/14, [X.], 957; vom 16.06.2015 - XI R 18/13, [X.], 1607).

2. Von der Zurückverweisung kann zwar abgesehen werden, wenn der neue Bescheid keine gegenüber den bisherigen Belastungen verbösernde Entscheidung enthält oder die Änderung unstreitig ist, weshalb die Entscheidung nicht von weiteren, bisher nicht getroffenen Tatsachenfeststellungen abhängig sein kann (vgl. z.B. [X.]-Urteil vom 21.01.2015 - XI R 12/14, [X.], 957, Rz 28). Davon kann jedoch vorliegend mangels Angaben der Beteiligten zum Änderungsbescheid nicht ausgegangen werden, so dass eine Zurückverweisung geboten erscheint (vgl. [X.]-Urteile vom 24.02.2021 - XI R 30/20 (XI R 11/17), [X.], 259, [X.] 2023, 792, Rz 45; vom 20.10.2021 - XI R 24/20, [X.], 620, Rz 26).

III.

Für das weitere Verfahren weist der erkennende Senat darauf hin, dass nach dem [X.]-Urteil [X.] vom 13.07.2023 - [X.]/22, [X.]:C:2023:565 die auf den innergemeinschaftlichen Erwerb entfallende Steuer (systemwidrig) zur Bemessungsgrundlage der Umsätze im Rahmen der Differenzbesteuerung gehört.

1. Der nationale Gesetzgeber hat mit § 25a UStG eine Regelung getroffen, die nicht mit Unionsrecht vereinbar ist. Die Nichtanwendung der Differenzbesteuerung auf innergemeinschaftliche Lieferungen an einen inländischen Wiederverkäufer ist unionsrechtswidrig. Der Senat verweist dazu zur Vermeidung von Wiederholungen auf den [X.] vom 20.10.2021 - XI R 2/20 ([X.], 330, [X.] 2022, 503, Rz 22 ff.). Der Kläger darf daher die Differenzbesteuerung in Anspruch nehmen, was zwischen den Beteiligten inzwischen auch unstreitig ist.

2. Die vom Kläger auf den innergemeinschaftlichen Erwerb gezahlte Steuer ist aber nach dem [X.]-Urteil [X.] vom 13.07.2023 - [X.]/22, [X.]:C:2023:565 Teil der Marge.

a) Hierzu führt der [X.] in seiner Entscheidung [X.], [X.]:C:2023:565, Rz 28 bis 30 aus:

(Rz 28) "Insbesondere für den Begriff 'Einkaufspreis' ergibt sich daher, dass dieser nicht diejenigen [X.] umfasst, die der steuerpflichtige Wiederverkäufer nicht an den Lieferer, sondern an Dritte gezahlt hat, so dass dieser Einkaufspreis nicht die Mehrwertsteuer umfasst, die an den Fiskus für den innergemeinschaftlichen Erwerb des Gegenstands entrichtet wurde, auf den sich der in Rede stehende spätere Lieferumsatz bezieht.

(Rz 29) Zweitens ist, was die Höhe der auf die Handelsspanne als solche erhobenen Mehrwertsteuer - die gemäß Art. 315 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie und entsprechend Rn. 24 des vorliegenden Urteils von der durch den steuerpflichtigen Wiederverkäufer erzielten Differenz (Handelsspanne) abzuziehen ist - anbelangt, darauf hinzuweisen, dass es sich bei dieser Mehrwertsteuer, wie von der [X.] Regierung und auch vom Generalanwalt in Nr. 37 seiner Schlussanträge ausgeführt, um die Steuer handelt, die der steuerpflichtige Wiederverkäufer auf den von ihm getätigten Verkauf des Kunstgegenstands zu entrichten hat. Dagegen umfasst diese Mehrwertsteuer nicht die vom steuerpflichtigen Wiederverkäufer auf den innergemeinschaftlichen Erwerb des Kunstgegenstands entrichtete Steuer, die sich auf den Preis für den Erwerb dieses Gegenstandes bezieht.

(Rz 30) Angesichts des Wortlauts der Art. 312 und 315 sowie des Art. 317 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie ist daher die Mehrwertsteuer, die der steuerpflichtige Wiederverkäufer auf den innergemeinschaftlichen Erwerb eines Kunstgegenstands entrichtet hat, der später unter Anwendung der Differenzbesteuerung geliefert wird, kein Bestandteil des Einkaufspreises dieses Gegenstands im Sinne von Art. 312 Nr. 2 dieser Richtlinie, so dass kein Anlass besteht, den Betrag dieser Steuer von der Steuerbemessungsgrundlage jener späteren Lieferung auszunehmen."

b) Soweit dieses Ergebnis nach Auffassung des [X.], der [X.] und dem [X.]-Urteil [X.] vom 13.07.2023 - [X.]/22, [X.]:C:2023:565, Rz 31 f. weder mit den mit diesen Bestimmungen verfolgten Zielen noch mit ihrem [X.] vereinbar ist, hält der [X.] eine Abweichung vom klaren und unmissverständlichen Wortlaut der Richtlinie nicht für zulässig ([X.]-Urteil [X.] vom 13.07.2023 - [X.]/22, [X.]:C:2023:565, Rz 40), so dass ein Eingreifen des [X.] erforderlich sei ([X.]-Urteil [X.] vom 13.07.2023 - [X.]/22, [X.]:C:2023:565, Rz 35).

c) Ausgehend von dieser unionsrechtlichen Beurteilung, an die der Senat gebunden ist, kommt eine Anwendung des § 25a Abs. 3 Satz 3 UStG, der nach Auffassung des Senats einen Ausschluss der Berücksichtigung der auf den innergemeinschaftlichen Erwerb entfallenden Steuer im Wege unionsrechtskonformer Auslegung ([X.] vom 20.10.2021 - XI R 2/20, [X.], 330, [X.] 2022, 503, Rz 28) an sich erlauben würde, nicht in Betracht. Das Gebot unionsrechtskonformer Auslegung des nationalen Rechts (vgl. Beschluss des [X.] vom 08.04.1987 - 2 BvR 687/85, [X.] 75, 223, unter [X.] cc; [X.] vom 29.03.2022 - XI B 72/21, [X.], 923, Rz 6) führt dazu, dass der Senat die Auslegung wählen muss, die der Richtlinie (in der vom [X.] entschiedenen Auslegung) entspricht. Daher gehört auch im nationalen Recht die auf den innergemeinschaftlichen Erwerb entfallende Steuer zur Bemessungsgrundlage.

3. Die Sache ist nicht spruchreif. Das [X.] hat im zweiten Rechtsgang festzustellen, ob und gegebenenfalls in welcher Höhe die Handelsspanne der Differenzbesteuerung zu unterwerfen ist.

a) Der Senat kann nicht feststellen, in welcher Höhe für die innergemeinschaftlichen Erwerbe zwischen den Beteiligten Steuern entstanden sind. Zwar weist die Vorinstanz darauf hin, dass sich die nicht abziehbare Umsatzsteuer aus den innergemeinschaftlichen Erwerben unstreitig auf 59.243,14 € belaufe (s. Urteilsgründe S. 7). Diese zu berücksichtigende Umsatzsteuer wird aber in der Einspruchsentscheidung mit 60.148,63 € bemessen ([X.]. 4 der [X.]-Akte).

b) Durch die Zurückverweisung hat der Kläger die Möglichkeit, bei jedem einzelnen Liefervorgang auf die Differenzbesteuerung zu verzichten (§ 25a Abs. 8 Satz 1 UStG). Dieser Verzicht kann nach herrschender Auffassung bis zur Unanfechtbarkeit der Steuerfestsetzung erklärt werden (s. z.B. Abschn. 25a.1 Abs. 21 Satz 2 i.V.m. Satz 4 und Abschn. 9.1 Abs. 3 und 4 des [X.]; [X.] in [X.]/Söhn/[X.], § 25a UStG Rz 47a; [X.]/[X.], UStG, 22. Aufl., § 25a Rz 56; [X.]r, [X.], § 25a UStG Rz 100 (Stand 07.09.2023); vgl. auch [X.]-Urteil vom 11.12.1997 - V R 50/94, [X.], 82, [X.] 1998, 420, zu § 23 UStG a.F.). Auf die Bindungswirkung des § 25a Abs. 2 Satz 2 UStG hat der Verzicht dabei keine Auswirkung ([X.] in Wäger, UStG, 2. Aufl., § 25a Rz 67).

4. [X.] sind nicht Verfahrensgegenstand. Der Senat weist gleichwohl ohne Bindungswirkung darauf hin, dass eine für den Steuerpflichtigen ungünstige Rechtsfolge, die der Gesetzgeber bewusst angeordnet oder in Kauf genommen hat, zwar nach nationalem Recht keine Billigkeitsmaßnahme rechtfertigt (vgl. [X.]-Urteil vom [X.], [X.], 865; Beschluss des Großen Senats des [X.] vom 28.11.2016 - GrS 1/15, [X.]E 255, 482, [X.] 2017, 393, Rz 129); der [X.] scheint indes einen Anspruch auf [X.] auch in solchen Situationen für möglich zu halten (vgl. zum Direktanspruch zuletzt [X.]-Urteil [X.] vom 07.09.2023 - [X.]/22, [X.]:C:2023:639, zu §§ 163, [X.]). Im Streitfall könnte daher ein Teilerlass aus sachlichen Billigkeitsgründen zur Verhinderung einer Doppelbesteuerung im Sinne einer "Steuer auf die Erwerbsteuer" (vgl. [X.] vom 20.10.2021 - XI R 2/20, [X.], 330, [X.] 2022, 503, Rz 36) ermessensgerecht sein; denn die Umsatzsteuer auf den innergemeinschaftlichen Erwerb aus der Bemessungsgrundlage herauszurechnen (und dadurch die Veräußerung quasi in dieser Höhe nicht zu besteuern), entspricht sowohl der Systematik der Differenzbesteuerung als auch dem Grundsatz der steuerlichen Neutralität (vgl. [X.]-Urteil [X.] vom 03.03.2001 - [X.]/98, [X.]:[X.], Rz 44 und 46 f.; [X.] vom 13.07.2023 - [X.]/22, [X.]:C:2023:565, Rz 32 und 35; [X.] vom 20.10.2021 - XI R 2/20, [X.], 330, [X.] 2022, 503, Rz 36 und 38).

5. Die Übertragung der Kostenentscheidung auf das [X.] folgt aus § 143 Abs. 2 [X.]O.

Meta

XI R 22/23 (XI R 2/20), XI R 22/23, XI R 2/20

22.11.2023

Bundesfinanzhof 11. Senat

Urteil

vorgehend FG Münster, 11. Mai 2017, Az: 5 K 177/16 U, EuGH-Vorlage

Art 312 EGRL 112/2006, Art 315 EGRL 112/2006, Art 317 Abs 1 EGRL 112/2006, § 25a Abs 3 S 3 UStG 2005, § 25a Abs 7 UStG 2005, § 163 AO, § 227 AO, § 25a Abs 8 S 1 UStG 2005, UStG VZ 2014

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 22.11.2023, Az. XI R 22/23 (XI R 2/20), XI R 22/23, XI R 2/20 (REWIS RS 2023, 10317)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 10317

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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