Bundesgerichtshof, Urteil vom 16.04.2015, Az. I ZR 27/14

1. Zivilsenat | REWIS RS 2015, 12562

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Gegenstand

Wettbewerbsverstoß: Prüfung der Neuartigkeit eines  aus dem Trockenextrakt einer Pflanzenwurzel bestehenden Nahrungsergänzungsmittels; Bindungswirkung der Statuserteilung "FS" im Novel-Food-Katalog für die nationalen Gerichte; sekundäre Darlegungslast des Beklagten im Hinblick auf die fehlende Neuartigkeit des Produkts - Bohnengewächsextrakt


Leitsatz

Bohnengewächsextrakt

1. Bei der Prüfung, ob es sich bei einem aus dem Trockenextrakt einer Pflanzenwurzel bestehenden Nahrungsergänzungsmittel um ein neuartiges Lebensmittel oder eine neuartige Lebensmittelzutat im Sinne von Art. 1 Abs. 2 der Verordnung (EG) 258/97 über neuartige Lebensmittel und neuartige Lebensmittelzutaten vom 27. Januar 1997 (ABl. Nr. L 43 vom 14. Februar 1997, S. 1, zuletzt geändert durch die Verordnung [EG] Nr. 596/2009 vom 18. Juni 2009 [ABl. Nr. L 188 vom 18. Juli 2009, S. 14] - Novel-Food-Verordnung) handelt, ist darauf abzustellen, ob entsprechende Nahrungsergänzungsmittel vor dem 15. Mai 1997 in der Gemeinschaft in erheblicher Menge für den menschlichen Verzehr verwendet wurden. Es kommt nicht darauf an, ob ein nennenswerter Verzehr der Pflanze oder von Produkten, die die Pflanze enthalten, erfolgt ist.

2. Ist ein Nahrungsergänzungsmittel im Novel-Food-Katalog der Europäischen Kommission mit dem Status "FS" eingetragen, stellt dies ein die Gerichte nicht bindendes Indiz dafür dar, dass es sich nicht um ein neuartiges Lebensmittel im Sinne von Art. 1 Abs. 2 Novel-Food-Verordnung handelt.

3. Hat der Kläger im Rahmen seiner primären Darlegungslast Veröffentlichungen vorgelegt, aus denen sich ergibt, dass ein Nahrungsergänzungsmittel als neuartiges Lebensmittel anzusehen ist, genügt der Beklagte allein mit der Berufung auf die Indizwirkung des Eintrags im Novel-Food-Katalog mit dem Status "FS" seiner ihm im Hinblick auf die fehlende Neuartigkeit des Produkts obliegenden sekundären Darlegungslast nicht.

Tenor

Die Revision gegen das Urteil des 13. Zivilsenats des [X.] vom 30. Januar 2014 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Die Beklagte ist ein pharmazeutischer Großhändler. Sie vertreibt das Nahrungsergänzungsmittel "[X.] 300 mg [X.] Kapseln", die [X.]-Trockenextrakt mit 40% Isoflavonen enthalten. Auf ihrer Internetseite teilt die Beklagte mit, dass es sich bei [X.] (lateinisch: pueraria lobata) um eine in [X.] wild wachsende oder kultivierte Pflanze handelt, die zu den Hülsenfrüchtlern zählt und eine enge Verwandtschaft mit einheimischen Bohnengewächsen aufweist. In der traditionellen [X.] Gesundheitskunde würden Blüten und Wurzeln seit über 2500 Jahren zur Unterstützung der Gesundheit von Menschen verwendet.

2

Der Kläger ist der [X.] Er ist der Ansicht, dass es sich bei dem Produkt der Beklagten um ein neuartiges Lebensmittel handelt, das mangels Zulassung oder Notifizierung nach der Verordnung ([X.]) Nr. 258/97 über neuartige Lebensmittel und neuartige Lebensmittelzutaten (ABl. Nr. L 43 vom 14. Februar 1997, [X.], zuletzt geändert durch die Verordnung [[X.]] Nr. 596/2009 vom 18. Juni 2009 [ABl. Nr. L 188 vom 18. Juli 2009, [X.]4]; im Weiteren: [X.]) in der [X.] nicht vertrieben und beworben werden darf.

3

Der Kläger hat zuletzt beantragt,

die Beklagte unter Androhung näher bezeichneter Ordnungsmittel zu verurteilen, es zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr das Mittel "[X.] 300 mg [X.] Kapseln" zu bewerben und/oder zu vertreiben, sofern für das Mittel keine Zulassung oder Notifizierung nach der [X.] (Verordnung [X.]/258/97) oder keine Festlegung gemäß Art. 1 Abs. 3 der [X.] besteht.

4

Darüber hinaus hat der Kläger von der Beklagten die Erstattung von Abmahnkosten in Höhe von 166,60 € nebst Zinsen verlangt.

5

Das Landgericht ([X.], Magazindienst 2012, 1194) hat der Klage stattgegeben. Das Berufungsgericht hat die Beklagte unter Zurückweisung ihrer Berufung nach dem vorstehend wiedergegebenen Antrag verurteilt ([X.], [X.], 346). Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision, deren Zurückweisung der Kläger beantragt, verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf Klageabweisung weiter.

Entscheidungsgründe

6

I. Das Berufungsgericht hat die Klage als aus §§ 8, 3, 4 Nr. 11 UWG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 2, Art. 3 Abs. 2 und Art. 4 der [X.] begründet angesehen und dazu ausgeführt:

7

Der Kläger sei gemäß § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG klagebefugt. Ihm gehöre eine erhebliche Anzahl von Gewerbetreibenden an, die Leistungen gleicher oder verwandter Art anböten. Der Vertrieb eines Erzeugnisses, das in den Anwendungsbereich der [X.] falle und ohne die nach dieser Verordnung erforderliche Genehmigung oder Notifizierung erfolge, stelle ein unlauteres und unzulässiges Wettbewerbsverhalten dar. Weder liege für das von der [X.] vertriebene Produkt eine Genehmigung nach Art. 3 Abs. 2 und Art. 4 der [X.] vor noch sei ein Notifizierungsverfahren nach Art. 5 in Verbindung mit Art. 3 Abs. 4 [X.] durchgeführt worden. Der Kläger habe dargelegt, dass das fragliche Nahrungsergänzungsmittel vor dem Inkrafttreten der [X.] am 15. Mai 1997 in der [X.] nur in nicht nennenswertem Umfang für den menschlichen Verzehr verwendet worden sei. Demgegenüber habe die Beklagte das Gegenteil nicht konkret dargelegt. Die Beklagte könne sich nicht mit Erfolg auf die Aufnahme von [X.] in den von der [X.] veröffentlichten [X.] mit dem Status "FS" berufen.

8

II. Die Revision ist uneingeschränkt zulässig. Das Berufungsgericht hat die Revision zur Klärung der Fragen zugelassen, ob die Aufnahme eines Nahrungsergänzungsmittels in den [X.] die nationalen Gerichte binde und ob aus dem Umstand, dass ein Nahrungsergänzungsmittel in dem [X.] mit dem Status "FS" versehen sei, folge, dass es bereits vor dem 15. Mai 1997 in der [X.] in nennenswertem Umfang für den menschlichen Verzehr verwendet worden sei. Damit hat das Berufungsgericht keine Beschränkung der Zulassung ausgesprochen, sondern lediglich deutlich gemacht, welche Gründe für die unbeschränkte Zulassung der Revision maßgeblich waren. Auf die von der Revision aufgeworfenen Fragen, ob die Klagebefugnis des [X.] ein abtrennbarer Teil des Streitstoffs sein kann und ob das Berufungsgericht die Prüfung der Klagebefugnis des [X.] wirksam von der Revisionszulassung hätte ausnehmen können, kommt es nicht an.

9

III. Die Revision hat keinen Erfolg. Das Berufungsgericht hat im Ergebnis zu Recht die auf Unterlassung und Erstattung der Abmahnkosten gerichtete Klage für begründet erachtet.

1. Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass der Kläger gemäß § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG klagebefugt ist.

a) Die Klagebefugnis eines Verbands nach § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG setzt voraus, dass dieser die Interessen einer erheblichen Zahl von Unternehmern wahrnimmt, die auf demselben Markt tätig sind wie der Wettbewerber, gegen den sich der Anspruch richtet. Der Begriff der Waren oder Dienstleistungen gleicher oder verwandter Art im Sinne des § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG ist weit auszulegen. Die beiderseitigen Waren oder Dienstleistungen müssen sich ihrer Art nach so gleichen oder nahestehen, dass der Absatz des einen Unternehmers durch irgendein wettbewerbswidriges Handeln des anderen beeinträchtigt werden kann. Es reicht aus, dass eine nicht gänzlich unbedeutende potentielle Beeinträchtigung mit einer gewissen, wenn auch nur geringen Wahrscheinlichkeit in Betracht gezogen werden kann. Ein entsprechendes Wettbewerbsverhältnis wird wesentlich durch die gemeinsame Zugehörigkeit zur selben Branche oder zu zumindest angrenzenden Branchen begründet. Dabei ist auf Seiten des in Anspruch Genommenen auf den Branchenbereich abzustellen, dem die beanstandete [X.] zuzurechnen ist (vgl. [X.], Urteil vom 16. März 2006 - [X.], [X.], 778 Rn. 19 = [X.], 1023 - [X.]; Urteil vom 16. November 2006 - I ZR 218/03, [X.], 610 Rn. 17 = [X.], 778 - Sammelmitgliedschaft V; Urteil vom 1. März 2007 - [X.], [X.], 809 Rn. 14 = [X.], 1088 - Krankenhauswerbung).

b) Das Berufungsgericht hat zutreffend angenommen, dem Kläger gehöre eine erhebliche Anzahl von Gewerbetreibenden an, die Leistungen gleicher oder verwandter Art wie die Beklagte anbieten.

aa) Das Berufungsgericht hat ausgeführt, abzustellen sei auf den Bereich der Nahrungsergänzungsmittel und der Gesundheitsernährung auf dem bundesweiten Markt, da die Beklagte die Kapseln im [X.] unter Hinweis auf die gesundheitsunterstützende Wirkung als Nahrungsergänzungsmittel vertreibe. Die Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln sei eng mit den Ernährungsgewohnheiten insgesamt verbunden, so dass auch Lebensmittelunternehmen, Lebensmittelhersteller und Unternehmen, die Naturheilmittel oder diätetische Mittel vertreiben, mit Waren verwandter Art handelten. Unter den Mitgliedern des [X.] befänden sich 13 Hersteller von Kosmetikprodukten und Nahrungsergänzungsmitteln, 37 Hersteller von Naturheilmitteln und Ökoprodukten, der [X.], zwei Sanitätshäuser, die Reformhaus- und Drogerieprodukte bundesweit im Versandhandel anböten, sowie 25 Hersteller, Einzel-, Groß- und Versandhändler von Nahrungsergänzungsmitteln, die bundesweit tätig seien.

bb) Diese Beurteilung lässt keinen Rechtsfehler erkennen. Das Berufungsgericht ist zutreffend von den vom Senat in ständiger Rechtsprechung vertretenen Grundsätzen ausgegangen. Es hat sich entgegen der Auffassung der Revision nicht auf eine Aufzählung von Unternehmen beschränkt, sondern zu deren Branchenzugehörigkeit und zur Wirtschaftsstufe Feststellungen getroffen. Angesichts des Umstandes, dass Hersteller, Einzel-, Groß- und Versandhändler in nennenswerter Zahl im Bereich der Nahrungsergänzungsmittel Mitglieder des [X.] sind, bedurfte es keiner gesonderten Ausführungen dazu, dass diese Mitglieder in ihrer Gesamtheit einen für die Annahme der Klagebefugnis des [X.] ausreichenden Umsatz erzielen.

cc) Das Berufungsgericht hat bei der Würdigung der vom Kläger vorgelegten Mitgliederliste entgegen der Auffassung der Revision nicht grundlegend verkannt, dass die Voraussetzungen des § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG noch in der letzten mündlichen Verhandlung vorliegen und dass die von der Rechtsprechung geforderten Daten in diesem Zeitpunkt noch aktuell sein müssen. Die vom Kläger in der ersten Instanz vorgelegte Mitgliederliste stammt vom 1. September 2012. Angesichts des Umstands, dass die Beklagte seine Aktivlegitimation in der Berufungsinstanz erneut bestritten hat, hat der Kläger mit der [X.] eine aktualisierte Liste vom 2. September 2013 vorgelegt. Diese Liste war hinreichend aktuell, um die Klageberechtigung des [X.] zum Schluss der mündlichen Verhandlung am 14. Januar 2014 zu belegen. Ohne Rechtsfehler hat das Berufungsgericht die pauschalen Einwendungen der [X.] gegen die inhaltliche Richtigkeit der Liste nicht berücksichtigt. Angesichts der konkreten Angaben in der Mitgliederliste der [X.] musste es der allgemein gehaltenen Beanstandung der [X.] nicht nachgehen, die Mitglieder seien möglicherweise nicht mehr in dem angegebenen Bereich tätig.

dd) Die Revision macht ohne Erfolg geltend, die Entscheidung des Gerichtshofs der [X.] vom 19. April 2007 ([X.]/05 - Slg 2007, [X.] = [X.], 511 - [X.]/[X.]) stelle die Rechtsprechung des Senats zu einer weiten Auslegung des Begriffs der Waren oder Dienstleistungen in § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG in Frage.

(1) Die vorstehend genannte Entscheidung des Gerichtshofs der [X.] ist für das Verständnis des Mitbewerberbegriffs im Rahmen der Auslegung des § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG ohne Bedeutung. Bei § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG handelt es sich um eine nationale Regelung, deren Auslegung den nationalen Gerichten vorbehalten ist.

(2) Selbst wenn die Auslegung des Mitbewerberbegriffs durch den Gerichtshof der [X.] in diesem Zusammenhang zu berücksichtigen wäre, stellt sie die Senatsrechtsprechung nicht in Frage. Der Gerichtshof der [X.] geht davon aus, dass eine Mitbewerbereigenschaft gegeben ist, wenn ein Substitutionswettbewerb zwischen den in Rede stehenden Unternehmen stattfindet. Die Einstufung von Unternehmen als "Mitbewerber" beruht definitionsgemäß auf der Substituierbarkeit der Waren oder Dienstleistungen, die sie auf dem Markt anbieten ([X.], [X.], 511 Rn. 28 - [X.]/[X.]). Damit steht die Rechtsprechung des Senats bei der Beurteilung der Anspruchsberechtigung von Verbänden nach § 8 Abs. 3 Nr. 2, die von der Mitgliedschaft einer erheblichen Anzahl von Mitbewerbern abhängt, in Einklang. Der Senat geht davon aus, dass eine Mitbewerbereigenschaft von zwei Unternehmen gegeben ist, wenn die beiderseitigen Waren oder Dienstleistungen sich ihrer Art nach so gleichen oder nahestehen, dass der Absatz des einen Unternehmers durch irgendein wettbewerbswidriges Handeln des anderen beeinträchtigt werden kann.

2. Das Berufungsgericht hat zutreffend angenommen, dass der Vertrieb eines Erzeugnisses, das in den Anwendungsbereich der [X.] fällt, ohne die nach dieser Verordnung (vgl. Art. 3 Abs. 2 und 4 der [X.]) und nach § 3 Abs.1 und 2 der Verordnung zur Durchführung gemeinschaftsrechtlicher Vorschriften über neuartige Lebensmittel und Lebensmittelzutaten (in der Fassung der Bekanntmachung vom 27. Mai 2008, [X.] 919 - NLV) erforderliche Genehmigung oder Notifizierung ein gemäß §§ 3, 4 Nr. 11 UWG unlauteres und unzulässiges Wettbewerbsverhalten darstellt. Die genannten lebensmittelrechtlichen Bestimmungen regeln das Marktverhalten im Interesse der Marktteilnehmer, weil sie nach dem zweiten Erwägungsgrund der [X.] dem Schutz der Gesundheit der Verbraucher dienen ([X.], Urteil vom 22. November 2007 - [X.], [X.], 625 Rn. 11 = [X.], 924 - Fruchtextrakt mwN).

3. Die Revision wendet sich ohne Erfolg gegen die Annahme des Berufungsgerichts, die Beklagte habe gegen § 3 Abs. 1 und 2 NLV in Verbindung mit Art. 3 Abs. 2 und 4 [X.] verstoßen. Nach § 3 NLV dürfen Lebensmittel und Lebensmittelzutaten im Sinne von Art. 1 Abs. 2 [X.] nicht ohne eine nach Art. 3 Abs. 2 erteilte Genehmigung oder - soweit es um in Art. 3 Abs. 4 [X.] genannte Lebensmittel und Lebensmittelzutaten geht - nicht ohne eine Anzeige bei der [X.] in den Verkehr gebracht werden. Bei dem Produkt der [X.] handelt es sich um ein neuartiges Lebensmittel, für das unstreitig weder eine Genehmigung vorliegt noch eine Anzeige erfolgt ist.

a) Nach Art. 1 Abs. 2 [X.] sind Lebensmittel und Lebensmittelzutaten als neuartig anzusehen und fallen in den Anwendungsbereich der [X.], wenn sie in der [X.] noch nicht in nennenswertem Umfang für den menschlichen Verzehr verwendet worden sind. Abzustellen ist dabei auf alle Merkmale des in Rede stehenden Lebensmittels und des hierfür verwendeten [X.]s (vgl. [X.], Urteil vom 15. Januar 2009 - [X.]/07, [X.], [X.] = [X.] 2009, 233 Rn. 26 ff. - [X.]). Bei der Beurteilung der Frage, ob ein Lebensmittel oder eine Lebensmittelzutat in der [X.] bisher noch nicht in nennenswertem Umfang für den menschlichen Verzehr verwendet worden ist, muss auf die Verhältnisse am 15. Mai 1997 - dem Zeitpunkt des Inkrafttretens der [X.] - abgestellt werden (vgl. [X.], Urteil vom 9. Juni 2005 - [X.]/03 und andere, Slg. 2005, [X.] = [X.], 863 Rn. 87 - [X.] [X.] und [X.]). Dabei ist eine Prüfung anhand aller Umstände des Einzelfalls vorzunehmen ([X.], [X.], 863 Rn. 83-85, [X.] [X.] und [X.]; [X.], Urteil vom 4. Dezember 2008 - [X.], [X.], 413 Rn. 30 = [X.], 300 - Erfokol-Kapseln).

Die seinen Anspruch begründenden Tatsachen hat grundsätzlich der Kläger darzulegen und zu beweisen. Dazu gehören die Darlegung und der Beweis der negativen Tatsache, dass es sich bei dem beanstandeten Produkt der [X.] um Lebensmittel oder Lebensmittelzutaten handelt, die vor dem 15. Mai 1997 in der [X.] nicht in nennenswertem Umfang für den menschlichen Verzehr verwendet worden sind. Dabei trifft die Beklagte, soweit die Beweislast für die Neuartigkeit der beanstandeten Produkte beim Kläger liegt, eine sekundäre Darlegungslast. Der Kläger muss auf einen substantiierten Vortrag der [X.] seinerseits sein Vorbringen konkretisieren und auf den gegenteiligen Vortrag der [X.] - gegebenenfalls unter Beweisantritt - eingehen (vgl. [X.], [X.], 863 Rn. 88 - [X.] [X.] und [X.]; [X.], [X.], 625 Rn. 18 - Fruchtextrakt).

b) Das Berufungsgericht hat angenommen, der Anwendungsbereich der [X.] sei eröffnet. Es komme darauf an, ob ein nennenswerter Verzehr von [X.] oder kudzuhaltigen Produkten vor dem 15. Mai 1997 in den Mitgliedstaaten nicht erfolgt sei. Der Kläger habe substantiiert dargelegt, dass ein Nahrungsergänzungsmittel, das ein Extrakt der [X.]wurzel enthalte, vor dem Stichtag in keinem Mitgliedstaat in erheblicher Menge für den menschlichen Verzehr verwendet worden sei. Er habe auf [X.], Fachliteratur und das Kompendium der [X.] hingewiesen. Darin seien Extrakte und Teile der Pflanze nicht als Lebensmittel oder Nahrungsergänzungsmittel erwähnt. Der Kläger habe eine Untersuchung des [X.] vorgelegt, die zu dem Ergebnis komme, dass nur die Verwendung von [X.] in Nahrungsergänzungsmitteln vor dem 15. Mai 1997 bekannt gewesen sei. Demgegenüber habe die Beklagte nicht vorgetragen, die Pflanze sei vor dem Stichtag in nennenswertem Umfang als Lebensmittel oder Nahrungsergänzungsmittel in einem der Mitgliedstaaten verzehrt worden. Vergeblich berufe sich die Beklagte darauf, dass die [X.]-Pflanze im [X.] mit dem Status "FS" aufgeführt werde. Die Aufnahme in den [X.] sei für die nationalen Gerichte nicht bindend, da Art. 13 [X.] nur ein behördeninternes Verfahren beschreibe. Das Vorliegen des Ausnahmetatbestandes des Art. 1 Abs. 2 Buchst. e Halbs. 2 [X.] habe die Beklagte nicht ausreichend dargetan. Auf die Anmeldung nach § 5 der Verordnung über Nahrungsergänzungsmittel ([X.] - [X.]) bei dem [X.] könne sich die Beklagte nicht stützen.

c) Diese Beurteilung ist zwar nicht frei von [X.]. Diese wirken sich im Ergebnis jedoch nicht aus.

aa) Zutreffend hat das Berufungsgericht angenommen, dass der Anwendungsbereich der [X.] eröffnet ist. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts ist davon auszugehen, dass es sich bei dem von der [X.] beworbenen und vertriebenen Produkt um ein Lebensmittel handelt, bei dem ein Trockenextrakt als eine aus der [X.]-Pflanze isolierte Lebensmittelzutat im Sinne des Art. 1 Abs. 2 Buchst. e der [X.] verwendet wird.

bb) Allerdings kommt es entgegen der Annahme des Berufungsgerichts nicht darauf an, ob ein nennenswerter Verzehr von [X.] oder kudzuhaltigen Produkten vor dem 15. Mai 1997 in den Mitgliedstaaten erfolgt ist. Abzustellen ist vielmehr darauf, ob zum maßgeblichen Zeitpunkt ein nennenswerter Verzehr von Nahrungsergänzungsmitteln stattgefunden hat, die dem in Streit stehenden, von der [X.] vertriebenen Nahrungsergänzungsmittel entsprechen. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der [X.] ist bei der Beurteilung eines Lebensmittels oder einer Lebensmittelzutat das hierfür verwendete Herstellungsverfahren zu berücksichtigen, weil der [X.] in der Struktur eines Lebensmittels zu physikalischen, chemischen oder biologischen Änderungen der verwendeten Zutaten mit möglicherweise schwerwiegenden Folgen für die öffentliche Gesundheit führen kann. Die Prüfung, welche Folgen dieser Vorgang hat, ist bei Anwendung der [X.] selbst dann geboten, wenn das [X.] aus Zutaten besteht, die jeweils für sich genommen die Voraussetzung des Art. 1 Abs. 2 der Verordnung Nr. 258/97 erfüllen oder unbedenklich sind ([X.], [X.] 2009, 233 Rn. 27 - [X.]). Nach diesen Grundsätzen kommt es für die Entscheidung des Streitfalls nicht darauf an, ob die [X.]-Pflanze oder Teile hiervon in nennenswertem Umfang in der [X.] vor dem Stichtag für den menschlichen Verzehr verwendet wurden. Entscheidend ist vielmehr allein, ob dies für das von der [X.] vertriebene, weiterverarbeitete Produkt gilt.

cc) Das Berufungsgericht hat zu Recht angenommen, dass der Kläger seiner primären Darlegungslast genügt und hinreichend konkret vorgetragen hat, dass ein Nahrungsergänzungsmittel, das einen Trockenextrakt der [X.]wurzel enthält, vor dem Stichtag in keinem Mitgliedstaat in erheblicher Menge für den menschlichen Verzehr verwendet worden ist.

Der Kläger hat auf mehrere Nachschlagewerke auf dem Gebiet der Nahrungsergänzungsmittel verwiesen, die nach dem Stichtag erschienen sind und die [X.]-Präparate nicht erwähnen. Er hat sich außerdem auf das Kompendium der [X.] über "Pflanzliche Materialien und Zubereitungen" aus dem [X.] berufen. Gegenstand dieser Veröffentlichung sind aus Pflanzen, Algen, Pilzen oder Flechten gewonnene pflanzliche Stoffe und pflanzliche Zubereitungen, die in Form von Nahrungsergänzungsmitteln auf dem Markt der [X.] erhältlich sind. Dieses Kompendium weist eine Liste von rund 900 pflanzlichen Stoffen und pflanzlichen Zubereitungen mit verschiedenen Risikoeinstufungen auf. In dieser Liste werden kudzuhaltige Präparate nicht angeführt. Schließlich hat der Kläger die Risikobewertung von Pflanzen und pflanzlichen Zubereitungen des [X.] aus dem [X.] vorgelegt, die ausführlich die [X.]wurzel und [X.]-Wurzelextrakte behandelt. In dieser Veröffentlichung kommt das [X.] zu dem Ergebnis, dass [X.] vor dem 15. Mai 1997 in der [X.] nicht in nennenswerter Menge als Lebensmittel verwendet wurden; nur eine Verwendung von [X.] in Nahrungsergänzungsmitteln sei vor diesem Zeitpunkt bekannt gewesen. Informationen zur Menge und zur Dauer des Verzehrs in der [X.] lägen nicht vor. Daten, die belegten, dass eine Exposition in großen Bevölkerungsgruppen über viele Jahre stattgefunden habe, ohne dass schädliche Wirkungen aufgetreten seien, seien nicht verfügbar.

dd) Angesichts dieses substantiierten Vortrages des [X.] oblag es der [X.] aufgrund der sekundären Darlegungslast dazu vorzutragen, dass das von ihr vertriebene Produkt in nennenswertem Umfang in der [X.] vor dem Stichtag für den menschlichen Verzehr verwendet wurde. Diesen Anforderungen hat die Beklagte nicht genügt. Das Vorbringen des [X.] zur Neuartigkeit des von der [X.] vertriebenen Produkts ist daher als nicht ausreichend bestritten und somit als zugestanden anzusehen.

(1) Bei den Anforderungen an den von ihr zu haltenden Vortrag ist zu berücksichtigen, dass die Beklagte ein Lebensmittelunternehmer im Sinne des Art. 3 Nr. 3 der Verordnung ([X.]) Nr. 178/2002 vom 28. Januar 2003 zur Festlegung der allgemeinen Grundsätze und Anforderungen des Lebensmittelrechts, zur Errichtung der [X.] und zur Festlegung von Verfahren zur Lebensmittelsicherheit (ABl. Nr. L 31 vom 1. Februar 2002, [X.], zuletzt geändert durch die Verordnung [[X.]] Nr. 652/2014 [ABl. [X.] vom 27. Juni 2014, [X.]]) ist und daher gemäß Art. 19 dieser Verordnung Verantwortung für von ihr beworbene und vertriebene Lebensmittel trägt.

(2) Die Eintragung von [X.] unter seinem [X.] Namen [X.] im [X.] der [X.] mit dem Status "FS" stellt ein Indiz dafür dar, dass es sich bei dem von der [X.] vertriebenen Nahrungsergänzungsmittel nicht um ein neuartiges Lebensmittel im Sinne der [X.] handelt.

Die Arbeitsgruppe "Novel Food", die regelmäßig von der [X.] einberufen wird, befasst sich mit der Frage, ob Lebensmittel oder Lebensmittelzutaten als neuartig eingestuft werden. Die Arbeitsergebnisse werden im [X.] gesammelt und seit Juni 2008 von der [X.] im [X.] in [X.] veröffentlicht. Wird ein Lebensmittel oder eine Lebensmittelzutat mit dem Status "FS" gekennzeichnet, bedeutet dies nach den Erläuterungen der [X.], dass nach den vorliegenden Informationen, welche von den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten erteilt wurden, dieses Produkt nur als oder in Nahrungsergänzungsmitteln ("food supplements") vor dem 15. Mai 1997 verwendet wurde. Jeder andere Gebrauch dieses Produktes als Lebensmittel muss nach der [X.] zugelassen werden. Da es im Streitfall um ein von der [X.] [X.] Nahrungsergänzungsmittel geht, stellt der Eintrag in den [X.] mit dem Status "FS" ein Indiz für dessen fehlende Neuartigkeit dar (so auch BVerwG, [X.] 2012, 505, 516; aA: [X.], Beschluss vom 20. November 2013 - 6 W 31/13, unveröffentlicht; [X.], Magazindienst 2013, 162). Für diese Auffassung spricht, dass die Anforderungen an die sekundäre Darlegungslast nicht so hoch sein dürfen, dass es im Ergebnis zu einer Umkehr der Beweislast zu Lasten des beklagten Handelsunternehmens kommt (so auch [X.], [X.] 2012, 317, 322 f.).

(3) Entgegen der Ansicht der Revision bindet der Eintrag mit dem Status "FS" im [X.] die Gerichte nicht. Das Berufungsgericht hat insoweit zutreffend darauf abgestellt, dass es sich bei dem [X.] ausweislich der Erläuterungen der [X.] um einen nicht abschließenden Katalog handelt, der lediglich der Orientierung dient, ob ein Produkt unter die [X.] fällt. Gegen eine Bindungswirkung des Eintrags spricht auch der Umstand, dass nicht einmal ausdrückliche Verbotsentscheidungen der [X.] auf der Grundlage von Art. 7 der [X.] über das konkrete Zulassungsverfahren hinaus Bindungswirkungen haben ([X.], Urteil vom 14. April 2011 - C-327/09, [X.], [X.] = [X.] 2011, 339 Rn. 36 - Mensch und Natur).

(4) Das Berufungsgericht hat im Ergebnis zu Recht angenommen, dass im Streitfall die Beklagte mit ihrem Hinweis auf die Indizwirkung des "FS"-Status von [X.] im [X.] der ihr obliegenden sekundären Darlegungslast nicht genügt hat. Der Inhalt der vom Kläger vorgelegten Veröffentlichungen, insbesondere die Publikation der [X.] und die Stellungnahme des [X.], spricht dafür, dass [X.] als neuartige Lebensmittel anzusehen sind. Damit ist die Indizwirkung der Eintragung von [X.] im [X.] mit dem Status "FS" widerlegt. Es wäre deshalb weiterer Vortrag der [X.] dazu erforderlich gewesen, dass das in Streit stehende Nahrungsergänzungsmittel in einem Mitgliedstaat der [X.] vor dem 15. Mai 1997 in nennenswertem Umfang verzehrt worden ist. Dass die Beklagte in den Tatsacheninstanzen hierzu vorgetragen hätte, macht die Revision nicht geltend.

(5) Es kommt deshalb nicht mehr darauf an, dass der Erwähnung der [X.]-Pflanze im [X.] mit dem Status "FS" nur eine geringe Indizwirkung für die fehlende Neuartigkeit des von der [X.] vertriebenen Produkts zukommen dürfte. Der [X.] enthält einen hervorgehobenen Hinweis darauf, dass Extrakte von Wurzeln, Blättern und Blüten von [X.] den Regelungen der [X.] unterliegen können. Weiter kommt es nicht mehr darauf an, dass ausweislich der Beschreibung im [X.] [X.] ein Sammelbegriff für mehrere Pueraria-Arten und aus diesen Arten hervorgegangene Hybriden ist; welche Pueraria-Art im Produkt der [X.] enthalten ist, ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.

(6) Der Umstand, dass die Beklagte das vom Kläger beanstandete Nahrungsergänzungsmittel mit Schreiben vom 14. September 2009 beim [X.] nach der [X.] (§ 5 [X.]) angezeigt hat und dieses in den darauf folgenden Jahren keine Beanstandungen gegen die Rechtmäßigkeit des Vertriebs durch die Beklagte erhoben hat, ist nicht entscheidungserheblich. Daraus folgt nicht, dass das in Streit stehende Produkt vor dem 15. Mai 1997 in nennenswertem Umfang in der Europäischen [X.] verzehrt worden ist.

ee) Gegen die Annahme des Berufungsgerichts, dass ein ausreichender Vortrag der [X.] zum Vorliegen des Ausnahmetatbestandes des Art. 1 Abs. 2 Buchst. e Halbs. 2 [X.] fehle, wendet sich die Revision genauso wenig wie gegen die Ansicht des Berufungsgerichts, die Beklagte könne sich nicht auf § 54 Abs. 1 [X.] stützen, weil die Vorschrift im Streitfall keine Anwendung finde. Rechtsfehler sind insoweit auch nicht ersichtlich.

4. Den geltend gemachten Anspruch auf Erstattung von Abmahnkosten hat das Berufungsgericht zutreffend nach § 12 Abs. 1 Satz 2 UWG für begründet erachtet.

IV. Danach ist die Revision der [X.] mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.

Büscher     

        

Koch   

        

     Löffler

        

Schwonke     

        

Richter am [X.] Feddersen ist
im Urlaub und daher gehindert
zu unterschreiben.

        
                          

Büscher

        

Meta

I ZR 27/14

16.04.2015

Bundesgerichtshof 1. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend OLG Celle, 30. Januar 2014, Az: 13 U 183/12, Urteil

§ 4 Nr 11 UWG, § 8 Abs 3 Nr 2 UWG, Art 1 Abs 2 EGV 258/97, Art 3 Abs 2 EGV 258/97, Art 3 Abs 4 EGV 258/97, § 3 Abs 1 NLV, § 3 Abs 2 NLV

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 16.04.2015, Az. I ZR 27/14 (REWIS RS 2015, 12562)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 12562

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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