Bundesfinanzhof, Urteil vom 23.01.2013, Az. XI R 50/10

11. Senat | REWIS RS 2013, 8790

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Gegenstand

Kein Kindergeld für --später rechtskräftig verurteiltes-- inhaftiertes und vom Studium beurlaubtes Kind - Aufhebung oder Änderung einer Kindergeldfestsetzung wegen Änderung der Verhältnisse


Leitsatz

1. Die Durchführung einer Berufsausbildung i.S. von § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG setzt voraus, dass auf die Ausbildung gerichtete Maßnahmen tatsächlich durchgeführt werden.    

2. Eine kindergeldschädliche Unterbrechung der Berufsausbildung ist gegeben, wenn ein später rechtskräftig verurteiltes Kind sich in Haft befindet und sich während dieser Zeit von seinem Studium hat beurlauben lassen.

Tatbestand

1

I. Die Beteiligten streiten darum, ob die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) einen Anspruch auf Kindergeld für ihren am [X.] geborenen [X.] hat, der sich von seinem [X.]tudium der Rechtswissenschaften vorübergehend hatte beurlauben lassen und sich während dieser [X.] in Untersuchungshaft und anschließend in Haft befand.

 

2

[X.] der Klägerin war seit dem Wintersemester 2002/2003 zum [X.]tudium der Rechtswissenschaften an der [X.] immatrikuliert. Er war nach den Feststellungen des Finanzgerichts ([X.]) vom Wintersemester 2003/2004 bis einschließlich [X.]ommersemester 2005 beurlaubt. [X.]eit dem Wintersemester 2005/2006 war [X.] nicht mehr beurlaubt und hat sein [X.]tudium fortgesetzt.

3

Er wurde am 12. August 2004 vom [X.] (LG) [X.] wegen unerlaubten Handelns mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von 3 Jahren und 6 Monaten verurteilt. Ausweislich der Urteilsgründe war er in den Drogenhandel mit Haschisch eingebunden und hatte am 26. Juni 2003 Haschisch und Ecstasytabletten mit einem Marktwert von 100.000 € von A nach [X.] befördert. [X.] der Klägerin war am selben Tag festgenommen worden, befand sich zunächst in Untersuchungshaft und ab dem 26. Januar 2005 in [X.]trafhaft. Ab August 2005 war er im sog. "offenen Vollzug". Das [X.] setzte mit Beschluss vom 17. Januar 2006 den Rest der [X.]trafe vorzeitig zur Bewährung aus. Mit Beschluss vom 5. Februar 2009 wurde die ausgesetzte Reststrafe erlassen.

4

Die Beklagte und Revisionsbeklagte (Familienkasse) hob die Kindergeldfestsetzung mit Bescheid vom 19. April 2007 für den [X.]raum Juli 2003 bis [X.]eptember 2005 nach § 70 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes (E[X.]tG) auf und forderte überzahltes Kindergeld in Höhe von ... € von der Klägerin zurück. Das außergerichtliche Rechtsbehelfsverfahren blieb ohne Erfolg.

5

Das [X.] wies die hiergegen erhobene Klage ab. [X.]ein Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte ([X.]) 2011, 152 veröffentlicht. Das [X.] führte im Wesentlichen aus, dass für den streitbefangenen [X.]raum eine Unterbrechung der Berufsausbildung vorliege, was zum Wegfall der Voraussetzungen des [X.] gemäß § 63 Abs. 1 [X.]atz 1 Nr. 1 i.V.m. § 32 Abs. 4 [X.]atz 1 Nr. 2 Buchst. a E[X.]tG führe. Denn auf die Ausbildung gerichtete Maßnahmen hätten trotz der Immatrikulation wegen der Beurlaubung während der Haft nicht stattgefunden. Der vorliegende [X.]achverhalt sei auch nicht mit dem Fall vergleichbar, über den der [X.] ([X.]) in seiner Entscheidung vom 20. Juli 2006 III R 69/04 ([X.]/NV 2006, 2067) befunden habe, in dem das in Untersuchungshaft befindliche Kind später von jedem strafrechtlichen Tatvorwurf freigesprochen worden sei. Demgegenüber sei das Kind im [X.]treitfall für die vorsätzliche Begehung einer schwerwiegenden [X.]traftat verurteilt worden; somit sei nicht erst die Anordnung der Untersuchungshaft oder die Vollziehung der [X.]trafhaft ursächlich für die Unterbrechung der Ausbildung gewesen. Die vom [X.] vertretene [X.]ichtweise werde im Übrigen auch von anderen Finanzgerichten geteilt ([X.] des Landes [X.]achsen-Anhalt, Urteil vom 12. Februar 2008  4 K 435/06, [X.] 2008, 1393; [X.] Nürnberg, Urteil vom 20. Januar 2006 V 114/2005, nicht veröffentlicht --n.v.--, juris).

6

Mit der hiergegen eingelegten --vom [X.] zugelassenen-- Revision rügt die Klägerin die Verletzung materiellen Rechts. Nach ihrer Auffassung ist der [X.]treitfall entgegen der Ansicht des [X.] durchaus vergleichbar mit dem [X.]achverhalt, über den der [X.] in seinem Urteil in [X.]/NV 2006, 2067 befunden hat. Denn ihr [X.]ohn habe mit der Begehung der [X.]traftat keineswegs willentlich seine Ausbildung unterbrochen. Das [X.] habe insoweit eine "falsche und ihm nicht zukommende Gesinnungsbewertung" vorgenommen. Im Übrigen sei ihr [X.]ohn erstmals straffällig geworden und habe sich auch in der Haft weiter fortgebildet. Nicht einmal in einem [X.]trafurteil werde festgestellt, ob der Angeklagte die Tat mit dem Vorsatz begangen hätte, seine Ausbildung zu unterbrechen. Dies dürfe auch niemand schlicht unterstellen. Vielmehr sei der bei der Tatbegehung mehr als "blauäugige" und "naive" [X.]ohn der Klägerin als Heranwachsender vom Kopf einer Drogenbande als neuer Kurier rekrutiert und "verheizt" worden, was den Telefonauswertungen der Akten der Mittäter zu entnehmen sei. [X.]elbst bei einem Jurastudenten im zweiten [X.]emester sei nicht ohne weiteres anzunehmen, die Folgen seiner Tat hätten sich ihm in diesem Ausmaß aufdrängen müssen, zumal es große Unterschiede zwischen strafrechtlichen Betäubungsmittelverfahren und anderen [X.]trafverfahren gebe. Eine moralische Abwägung komme weder der Familienkasse noch dem [X.] zu, zumal die anwendbaren Rechtsnormen keine subjektiven Elemente aufwiesen.

7

Die Klägerin beantragt, das [X.]-Urteil sowie den Bescheid über die Aufhebung der Kindergeldfestsetzung vom 19. April 2007 und die hierzu ergangene Einspruchsentscheidung aufzuheben.

8

Die Familienkasse beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

9

[X.]ie hält die Entscheidung des [X.] für zutreffend.

Entscheidungsgründe

II. Die Revision der Klägerin ist unbegründet. Sie war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--).

Das [X.] hat zu Recht entschieden, dass die Klägerin in der [X.] von Juli 2003 bis September 2005 für ihren [X.] keinen Anspruch auf Kindergeld hat, so dass die Familienkasse berechtigt war, die entsprechende Kindergeldfestsetzung gemäß § 70 Abs. 2 EStG aufzuheben und das insoweit ausgezahlte Kindergeld nach § 37 Abs. 2 der Abgabenordnung ([X.]) wieder zurückzufordern.

1. Nach § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG wird ein Kind, das das 18., aber noch nicht das 27. Lebensjahr vollendet hat, bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen beim [X.] berücksichtigt, wenn es für einen Beruf ausgebildet wird.

a) Der Wortlaut des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG ("ausgebildet wird") stellt nach der Rechtsprechung des [X.] nicht auf das formale Weiterbestehen eines Ausbildungsverhältnisses ab, sondern darauf, dass auf die Ausbildung gerichtete Maßnahmen tatsächlich durchgeführt werden (vgl. [X.]-Urteile vom 15. Juli 2003 VIII R 47/02, [X.]E 203, 106, [X.] 2003, 848, unter [X.]; in [X.]/NV 2006, 2067, unter [X.]; vom 24. September 2009 III R 79/06, [X.]/NV 2010, 614, unter [X.] aa). Dabei kommt es nicht entscheidend darauf an, ob das Ausbildungsverhältnis vorläufig beendet ist oder ob es zwar bestehen bleibt, aber infolge Beurlaubung die Rechte und Pflichten ruhen ([X.]-Urteil in [X.]E 203, 106, [X.] 2003, 848, unter [X.]). Denn es tritt grundsätzlich eine Unterbrechung der Ausbildung ein, sobald es an Maßnahmen fehlt, die geeignet sind, dem Erwerb von Kenntnissen, Fähigkeiten und Erfahrungen im Hinblick auf die Ausübung des angestrebten Berufs zu dienen (vgl. [X.]-Urteile vom 14. Mai 2002 VIII R 61/01, [X.]E 199, 210, [X.] 2002, 807, unter [X.]; in [X.]/NV 2006, 2067, unter [X.], und in [X.]/NV 2010, 614, unter [X.] aa).

b) Im Streitfall hat das [X.] zutreffend angenommen, dass die Berufsausbildung des Kindes S durch die Untersuchungshaft mit anschließender Strafhaft für den streitbefangenen [X.]raum unterbrochen war. Denn der [X.] der Klägerin hat während dieser [X.] sein begonnenes Studium der Rechtswissenschaften, von dem er sich hatte beurlauben lassen, nicht fortgesetzt.

aa) Dem steht nicht entgegen, dass eine Unterbrechung der Ausbildung infolge Erkrankung oder Mutterschaft für den Anspruch auf Kindergeld als unschädlich angesehen wird (vgl. Abschn. 63.3.2.8 Abs. 1 und 3 der Dienstanweisung zur Durchführung des Familienleistungsausgleichs nach dem X. Abschnitt des Einkommensteuergesetzes --DA-FamEStG--; ebenso [X.]-Urteil in [X.]/NV 2006, 2067, unter [X.]c; [X.] des [X.], Urteil in E[X.] 2008, 1393; [X.] Baden-Württemberg, Urteil vom 30. März 2011  2 K 5243/09, E[X.] 2011, 1262; [X.] Münster, Urteil vom 8. Juni 2011  10 K 3649/09 Kg, E[X.] 2012, 339). Denn im Streitfall ist keiner dieser Ausnahmefälle gegeben.

bb) Auch die von der Klägerin zitierte Rechtsprechung des [X.], wonach ein in Untersuchungshaft genommenes Kind ausnahmsweise weiterhin als in Ausbildung befindlich zu behandeln ist, wenn es die begonnene Ausbildung in der Haft nicht fortsetzt ([X.]-Urteil in [X.]/NV 2006, 2067; entgegen Abschn. 63.3.2.7 Abs. 9 DA-FamEStG), ist im Streitfall nicht einschlägig.

Denn der [X.] hatte in seinem in [X.]/NV 2006, 2067 zu entscheidenden Fall maßgeblich darauf abgestellt, dass das seinerzeit in [X.] inhaftierte Kind die Unterbrechung seiner Ausbildung nicht zu vertreten hatte, weil es letztlich vom Tatvorwurf freigesprochen worden war (vgl. [X.]-Urteil in [X.]/NV 2006, 2067, unter [X.]c).

Demgegenüber hat das Kind S im Streitfall mit seiner Beteiligung am Drogenhandel eine Straftat begangen, für die es rechtskräftig zu einer mehrjährigen Freiheitsstrafe verurteilt wurde. Ein derartiger Sachverhalt ist unabhängig von der subjektiven Sicht des Kindes von vornherein nicht vergleichbar mit dem Fall, über den der [X.] in [X.]/NV 2006, 2067 befunden hat (im Ergebnis ebenso [X.] des [X.], Urteil in E[X.] 2008, 1393; [X.] Baden-Württemberg, Urteil in E[X.] 2011, 1262; [X.] Münster, Urteil in E[X.] 2012, 339; [X.], [X.]-PR 2006, 485, 486).

Diese Wertung steht im Ergebnis im Einklang mit der Rechtsprechung des [X.], wonach für behinderte Kinder, die sich in Strafhaft befinden, gleichfalls kein Anspruch auf Kindergeld nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG besteht (vgl. [X.]-Beschlüsse vom 25. Februar 2009 III B 47/08, [X.]/NV 2009, 929, und vom 8. November 2012 VI B 86/12, n.v., juris).

2. Das [X.] hat auch zutreffend das Vorliegen der Voraussetzungen von § 70 Abs. 2 EStG bejaht.

Nach dieser Vorschrift ist bei einer Änderung der für den Anspruch auf Kindergeld erheblichen Verhältnisse die Kindergeldfestsetzung mit Wirkung vom [X.]punkt der Änderung der Verhältnisse aufzuheben oder zu ändern. Die Familienkasse hat insoweit keinen Ermessensspielraum (vgl. z.B. [X.]-Entscheidungen vom 18. Dezember 1998 VI B 215/98, [X.]E 187, 559, [X.] 1999, 231; vom 25. Juli 2001 VI R 18/99, [X.]E 196, 260, [X.] 2002, 81).

Im Streitfall liegt die Änderung der Verhältnisse in der Unterbrechung der Ausbildung durch die Beurlaubung vom Studium und den Haftantritt des [X.]es der Klägerin.

3. Das [X.] hat überdies zu Recht angenommen, dass die Voraussetzungen von § 37 Abs. 2 [X.] vorliegen. Die Familienkasse war danach berechtigt, das für den streitbefangenen [X.]raum ausbezahlte Kindergeld zurückzufordern.

Meta

XI R 50/10

23.01.2013

Bundesfinanzhof 11. Senat

Urteil

vorgehend Finanzgericht Berlin-Brandenburg, 6. Juli 2010, Az: 10 K 10288/08, Urteil

§ 32 Abs 4 S 1 Nr 2 Buchst a EStG 2002, § 63 Abs 1 S 1 Nr 1 EStG 2002, EStG VZ 2005, § 70 Abs 2 EStG 2002

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 23.01.2013, Az. XI R 50/10 (REWIS RS 2013, 8790)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 8790

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Beschäftigungsverbot, Anspruch auf Kindergeld, Kindergeldfestsetzung, Bezug von Kindergeld, Einspruchsentscheidung, Vorläufige Vollstreckbarkeit, Während des Mutterschutzes


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2 K 2487/16

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