Bundesfinanzhof, Urteil vom 25.01.2017, Az. II R 19/15

2. Senat | REWIS RS 2017, 16741

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Gegenstand

Einheitlicher Erwerbsgegenstand im Grunderwerbsteuerrecht


Leitsatz

1. Ist der Erwerber eines Grundstücks beim Abschluss des Grundstückskaufvertrags hinsichtlich des "Ob" und "Wie" der Bebauung gebunden, wird das erworbene Grundstück erst dann im bebauten Zustand Gegenstand des Erwerbsvorgangs, wenn der Bauerrichtungsvertrag geschlossen wird.

2. Der Abschluss des Bauerrichtungsvertrags ist ein nachträgliches Ereignis, welches die Bemessungsgrundlage der Grunderwerbsteuer auf den Zeitpunkt des Grundstückserwerbs dahingehend verändert, dass zu den Kosten des Grundstückserwerbs nunmehr auch die Baukosten hinzutreten.

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des [X.] vom 13. Oktober 2014  7 K 158/14 aufgehoben.

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des gesamten Verfahrens haben die Kläger zu tragen.

Tatbestand

I.

1

Die Kläger und [X.] (Kläger) erwarben mit notariell beurkundetem Kaufvertrag vom 30. Juli 2012 von der [X.] ein Grundstück, welches als eines von sieben Reihenhausgrundstücken von der [X.] auf der Grundlage eines entsprechenden Bebauungsplans erschlossen wurde. Der Kaufvertrag wurde --unter Gestattung eines Insichgeschäfts-- von den Klägern als Grundstückskäufer und gleichzeitig als Vertreter ohne Vertretungsmacht für die [X.] als Grundstücksverkäuferin sowie die [X.] als Bauunternehmerin der zu errichtenden Reihenhäuser geschlossen.

2

In der Vorbemerkung des Kaufvertrags war ausgeführt, der Rat der [X.] habe die Vergabe der Reihenhausgrundstücke an den Architekten A auf der Basis der vorgelegten [X.] beschlossen. Die Vermarktung und Bauausführung führe für ihn die [X.] aus. Sie errichte nach den Plänen des Architekten A die Reihenhauszeile und trete in den Kaufverträgen als Beteiligte auf, damit gewährleistet sei, dass für den Fall, dass ein Kaufvertrag rückabgewickelt werde, das Bauprojekt insgesamt nicht verzögert werde. In einem solchen Fall sei vorgesehen, dass die [X.] entweder kurzfristig einen neuen Erwerber benenne oder selber als Erwerber auftrete. In dem Kaufvertrag war außerdem geregelt, dass der Kaufpreis für das Grundstück 36.936 € betrage und die Erwerber zur Bebauung mit einem Reihenhaus auf der Grundlage der dem Vertrag als Anlage beigefügten Bauzeichnungen des Architekten A innerhalb von zwei Jahren nach Vorliegen der Baureife verpflichtet seien.

3

Am 10. August 2012 teilte der Notar dem Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt --[X.]--) mit, dass der Kaufvertrag am 1. August 2012 durch die [X.] und am 9. August 2012 durch die [X.] genehmigt worden war.

4

Mit Bescheiden vom 23. August 2012 setzte das [X.] gegen die Kläger Grunderwerbsteuer für den Erwerb des Grundstücks in Höhe von jeweils 831 € fest. Als Bemessungsgrundlage wurde jeweils die Hälfte des Kaufpreises zu Grunde gelegt.

5

Am 29. September 2012 schlossen die Kläger mit der [X.] als Generalunternehmerin einen Bauvertrag über die Errichtung eines Reihenhauses (Bauerrichtungsvertrag) gemäß der Leistungsbeschreibung und den Bauzeichnungen des Architekten A vom 15. August 2012 und einem Angebot der [X.] ebenfalls vom 15. August 2012 zu einem Festpreis von 211.635 €.

6

Nachdem das [X.] Kenntnis von dem Abschluss des [X.] erhalten hatte, erließ es nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 der Abgabenordnung ([X.]) geänderte Bescheide vom 28. Februar 2013, in denen es die Baukosten für das Reihenhaus in die Bemessungsgrundlage einbezog und die Grunderwerbsteuer entsprechend erhöhte. Zur Begründung führte das [X.] aus, es bestehe ein derart enger sachlicher und zeitlicher Zusammenhang zwischen dem am 9. August 2012 rechtswirksam gewordenen Grundstückskaufvertrag und dem Abschluss des [X.] am 29. September 2012, dass [X.] das bebaute Grundstück gewesen sei. Der Abschluss des [X.] sei ein rückwirkendes Ereignis.

7

Die hiergegen gerichteten Einsprüche waren erfolglos.

8

Das Finanzgericht ([X.]) gab der Klage mit der Begründung statt, die bestandskräftigen Bescheide vom 23. August 2012 seien nicht mehr änderbar gewesen. Es lägen weder die Voraussetzungen des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 [X.] noch des § 173 Abs. 1 Nr. 1 [X.] vor. Bereits bei Abschluss des Kaufvertrags seien die Voraussetzungen des einheitlichen Vertragswerks gegeben und damit eine Einbeziehung der Baukosten in geschätzter Höhe in die Bemessungsgrundlage der Grunderwerbsteuer veranlasst gewesen. Das Urteil des [X.] ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (E[X.]) 2015, 1741 veröffentlicht.

9

Mit seiner Revision rügt das [X.] eine Verletzung von § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und § 173 Abs. 1 Nr. 2 [X.].

Das [X.] beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kläger beantragen, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist begründet und führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung -[X.]O-). Entgegen der Auffassung des [X.] durfte das [X.] die ursprünglichen Grunderwerbsteuerbescheide ändern und die Bauerrichtungskosten in die Bemessungsgrundlage für die Grunderwerbsteuer einbeziehen.

1. Der Gegenstand des Erwerbsvorgangs, nach dem sich gemäß § 8 Abs. 1 i.V.m. § 9 Abs. 1 Nr. 1 des Grunderwerbsteuergesetzes ([X.]) die als Bemessungsgrundlage der Grunderwerbsteuer anzusetzende Gegenleistung richtet, wird zunächst durch das den Steuertatbestand des § 1 Abs. 1 Nr. 1 [X.] erfüllende zivilrechtliche Verpflichtungsgeschäft bestimmt. Ergibt sich jedoch aus weiteren Vereinbarungen, die mit diesem Rechtsgeschäft in einem rechtlichen oder zumindest objektiv sachlichen Zusammenhang stehen, dass der Erwerber das beim Abschluss des Kaufvertrags unbebaute Grundstück in bebautem Zustand erhält, bezieht sich der grunderwerbsteuerrechtliche Erwerbsvorgang auf diesen einheitlichen [X.] (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. Urteil des [X.] --BFH-- vom 6. Juli 2016 II R 5/15, [X.], 77, [X.], 895, Rz 12, m.w.N.).

a) Von einem solchen Zusammenhang zwischen dem Grundstückskaufvertrag und den [X.], die der Bebauung des Grundstücks dienen, ist auszugehen, wenn der Erwerber beim Abschluss des [X.] gegenüber der [X.] in seiner Entscheidung über das "Ob" und "Wie" der Baumaßnahme nicht mehr frei war und deshalb feststand, dass er das Grundstück nur in einem bestimmten (bebauten) Zustand erhalten werde (ständige Rechtsprechung, z.B. BFH-Urteile vom 28. März 2012 II R 57/10, [X.], 460, [X.], 920, Rz 12; vom 19. Juni 2013 II R 3/12, [X.], 173, [X.], 965, Rz 11, und vom 3. März 2015 II R 22/14, [X.], 1270, Rz 14, jeweils m.w.N.). Eine derartige Einschränkung der sonst für einen [X.] bestehenden Entscheidungsfreiheit kann sich aus vorherigen Absprachen oder aus faktischen Zwängen ergeben (BFH-Urteile vom 6. März 1991 II R 133/87, [X.], 117, [X.] 1991, 532, und vom 13. August 2003 II R 52/01, [X.] 2004, 663).

b) Der objektiv sachliche Zusammenhang wird ebenfalls indiziert, wenn der Veräußerer dem Erwerber vor Abschluss des Kaufvertrags über das Grundstück aufgrund einer in bautechnischer und finanzieller Hinsicht konkreten und bis (annähernd) zur Baureife gediehenen Vorplanung ein bestimmtes Gebäude zusammen mit dem Grundstück zu einem im Wesentlichen feststehenden Preis angeboten hatte und der Erwerber dieses Angebot später unverändert oder mit geringen Abweichungen, die den Charakter der Baumaßnahmen nicht verändert haben, angenommen hat (BFH-Urteile vom 27. September 2012 II R 7/12, [X.], 154, [X.], 86, Rz 10; in [X.], 173, [X.], 965, Rz 11, und vom 26. Februar 2014 II R 54/12, [X.] 2014, 1403, Rz 10, jeweils m.w.N.).

c) Dabei können auf der [X.] mehrere Personen als Vertragspartner auftreten, so dass sich die Ansprüche des Erwerbers auf Übereignung des Grundstücks und auf Errichtung des Gebäudes zivilrechtlich gegen verschiedene Personen richten (vgl. BFH-Urteil in [X.], 77, [X.], 895, Rz 13, m.w.N.).

d) Ob ein objektiv sachlicher Zusammenhang zwischen dem Grundstückskaufvertrag und weiteren Vereinbarungen besteht, ist nach den Umständen des Einzelfalls zu ermitteln (vgl. BFH-Urteil in [X.], 1270, Rz 14, m.w.N.). Dabei ist grundsätzlich auf den Zeitpunkt des Abschlusses des [X.] abzustellen. Wird der Grundstückskaufvertrag durch einen Vertreter ohne Vertretungsmacht abgeschlossen, ist für die Beurteilung, ob ein sachlicher Zusammenhang zwischen dem Grundstückskaufvertrag und dem Bauerrichtungsvertrag besteht, der Zeitpunkt der Genehmigung maßgebend (vgl. BFH-Urteil vom 29. März 1995 II R 13/94, [X.], 217, [X.] 1995, 542). Zu dem jeweils maßgebenden Zeitpunkt muss der Erwerber entweder an das "Ob" und "Wie" der Bebauung gebunden sein oder die [X.] dem Erwerber ein bestimmtes Gebäude auf einem bestimmten Grundstück zu einem im Wesentlichen feststehenden Preis angeboten haben.

e) Das erworbene Grundstück wird jedoch erst dann im bebauten Zustand Gegenstand des Erwerbsvorgangs, wenn die auf der [X.] handelnden Personen auch zur Veränderung des körperlichen Zustands des Grundstücks verpflichtet sind (vgl. BFH-Urteile vom 27. November 2013 II R 56/12, [X.], 415, [X.] 2014, 534, Rz 12, und in [X.], 77, [X.], 895, Rz 15, m.w.N.). Dies setzt den Abschluss eines entsprechenden [X.] voraus.

Bei einem Angebot der [X.], ein bestimmtes Gebäude auf dem erworbenen Grundstück zu errichten, ist der sachliche Zusammenhang von Grundstückskaufvertrag und Bauerrichtungsvertrag nur gegeben, wenn der Erwerber das Angebot annimmt, also den Bauerrichtungsvertrag abschließt. Ist der [X.] aufgrund von Absprachen oder aus faktischen Zwängen an das "Ob" und "Wie" der Bebauung gebunden, ist das Grundstück ebenfalls erst mit dem Abschluss des [X.] in bebautem Zustand [X.]. Wird nach dem Kauf eines unbebauten, zur Bebauung vorgesehenen Grundstücks ein Bauerrichtungsvertrag nicht oder noch nicht geschlossen, ist [X.] nur das unbebaute Grundstück, selbst wenn beim Abschluss des [X.] eine Bindung des Erwerbers an das "Ob" und "Wie" der Bebauung vorgelegen haben sollte.

f) Mit Abschluss des [X.] steht fest, dass das Grundstück in bebautem Zustand [X.] ist und damit die Baukosten in die Bemessungsgrundlage der Grunderwerbsteuer einzubeziehen sind. Vor Abschluss des [X.] kommt eine Erhöhung der Bemessungsgrundlage für den Kauf des Grundstücks um die Baukosten nicht in Betracht. Bis dahin ist das Grundstück in seinem tatsächlichen, unbebauten Zustand Gegenstand des Erwerbsvorgangs. Erst mit Abschluss des [X.] verändert sich der Gegenstand des Erwerbsvorgangs nachträglich, und zwar i.S. des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. [X.] rückwirkend auf den Zeitpunkt des Erwerbs (BFH-Urteil in [X.], 460, [X.], 920, Rz 22).

2. Da das [X.] von einer anderen Ansicht ausgegangen ist, war die Vorentscheidung aufzuheben. Die Sache ist spruchreif.

Das Grundstück war sowohl beim Wirksamwerden des Kaufvertrags durch Erteilung der erforderlichen Genehmigungen als auch beim Erlass der Bescheide vom 23. August 2012 in seinem tatsächlichen, unbebauten Zustand Gegenstand des Erwerbsvorgangs. Die Kläger waren zwar nach den vom [X.] getroffenen Feststellungen (§ 118 Abs. 2 [X.]O) beim Wirksamwerden des Kaufvertrags gegenüber der [X.] an das "Ob" und "Wie" der Bebauung gebunden. Dies genügte aber nicht für die Annahme, das Grundstück sei bereits in bebautem Zustand Gegenstand des Erwerbsvorgangs gewesen. Die auf der [X.] handelnden Personen waren nämlich noch nicht zur Veränderung des körperlichen Zustands des Grundstücks verpflichtet.

Vielmehr haben sich die Vertragsparteien in dem Grundstückskaufvertrag lediglich verpflichtet, einen entsprechenden Bauerrichtungsvertrag zu schließen, und Schadenersatz-, Rücktritts- und Eintrittsrechte/-pflichten vereinbart, falls es nicht zum Abschluss dieses Vertrags kommen würde. Die endgültige zivilrechtliche Verpflichtung der [X.] zur Bebauung des Grundstücks und damit zur körperlichen Veränderung des unbebauten Grundstücks trat erst durch den Abschluss des [X.] am 29. September 2012 ein. Erst in diesem Vertrag wurde vereinbart, dass die [X.] das Grundstück mit der [X.] zu dem von den Klägern zu entrichtenden Festpreis von 211.635 € bebauen werde. Mit Abschluss dieses Vertrags veränderte sich der Gegenstand des Erwerbsvorgangs dahingehend, dass das Grundstück nunmehr in bebautem Zustand Gegenstand des Erwerbsvorgangs war, und zwar rückwirkend auf den Zeitpunkt der Steuerentstehung (§ 14 Nr. 2 [X.]).

Die Klage war somit abzuweisen. Die angefochtenen Änderungsbescheide vom 28. Februar 2013 sind sowohl in materiell-rechtlicher als auch in verfahrensrechtlicher Hinsicht rechtmäßig. Das [X.] hat in den Bescheiden die Baukosten zu Recht in die Bemessungsgrundlage der Grunderwerbsteuer einbezogen.

3. [X.] beruht auf § 135 Abs. 1 [X.]O.

Meta

II R 19/15

25.01.2017

Bundesfinanzhof 2. Senat

Urteil

vorgehend Niedersächsisches Finanzgericht, 13. Oktober 2014, Az: 7 K 158/14, Urteil

§ 8 Abs 1 GrEStG 1997, § 9 Abs 1 Nr 1 GrEStG 1997, § 175 Abs 1 S 1 Nr 2 AO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 25.01.2017, Az. II R 19/15 (REWIS RS 2017, 16741)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 16741

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