Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 23.11.2016, Az. 2 StR 108/16

2. Strafsenat | REWIS RS 2016, 1965

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[X.]:[X.]:[X.]:2016:231116U2STR108.16.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

IM NAMEN [X.]S VOLKES

URTEIL
2 StR 108/16
vom
23. November
2016
in der Strafsache
gegen

wegen
gefährlicher Körperverletzung u.a.

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2
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[X.]er 2.
Strafsenat des [X.] hat in der Sitzung vom 23. November
2016, an der teilgenommen haben:
[X.] am [X.]
[X.]r. Appl

als Vorsitzender,

die [X.] am [X.]
Prof. [X.]r. [X.],
[X.],
die [X.]in am [X.]
[X.]r. [X.],
der [X.] am [X.]
[X.]r. [X.],

[X.] beim [X.]

als Vertreterin
der Bundesanwaltschaft,

Rechtsanwalt

als Verteidiger,

Justizangestellte

als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
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-
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 2. November 2015 mit den Feststellungen aufgehoben.

[X.]ie
Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkam-mer des [X.] zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe:
[X.]as [X.] hat den Angeklagten wegen Schuldunfähigkeit freige-sprochen und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus [X.]. [X.]en Vollzug der Maßregel hat es zur Bewährung ausgesetzt. [X.]ie auf die allgemeine Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat Erfolg.
1. Nach den Feststellungen begab sich der Angeklagte in den [X.] des 1.
Juni 2013 in die [X.] von [X.].

. Im Laufe des
Abends nahm er eine nicht näher bestimmbare Menge alkoholischer Getränke zu sich.
Gegen 23.35 Uhr näherte sich der [X.], aufgebrachte und erheblich alkoholisierte Angeklagte ([X.] 2,94 Promille) dem zu 1
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diesem [X.]punkt stark frequentierten Außenbereich eines Bistro und schrie laut
ohne erkennbaren Anlass dem an einem Bistrotisch sitzenden

ihm bis dato unbekannten

Gast L.

zu und trat gegen die Lehne des Stuhls, auf
dem der Geschädigte saß, wodurch dieser Schmerzen erlitt. Nachdem L.

aufgestanden war
und den Angeklagten aufgefordert hatte,
sich zu ent-
fernen, schrie dieser zunächst unverständliche Sätze. Sodann ging der Ange-klagte einige Meter
weiter, ergriff unvermittelt einen Stuhl aus Metall und schleuderte diesen ziellos durch die Luft; er traf den ihm unbekannten und un-beteiligten Gast K.

im Gesicht, der dadurch eine Augapfelprellung und wei-
tere Verletzungen im Gesicht erlitt; diese Verletzungen
nahm der Angeklagte zumindest billigend in Kauf.
Als der
Angeklagte bemerkte, dass er K.

getroffen hatte, entfernte er
sich zügigen Schrittes. Er wurde kurze [X.] später in der Nähe des [X.]. Hierbei zeigte er sich zunächst kooperativ und händigte seinen Personalausweis aus. Als
die Polizeibeamten aufgrund der vorherigen [X.] die dann durchzuführenden Standardmaßnahmen ankündigten, schlug das Verhalten des Angeklagten schlagartig um. Er warf sich zu [X.], klagte laut weinend über seine Familiensituation, sprang plötzlich
auf, be-schimpfte und beleidigte die Polizeibeamten. [X.]araufhin brachten
diese den [X.] zu [X.] und
fixierten ihn unter Mithilfe von zwei weiteren zur [X.] angeforderten Beamten. [X.]erweil wand sich der Angeklagte weiter [X.] und schrie lautstark, wobei er
die Beleidigungen und Beschimpfungen fortsetzte. Sodann verbrachten die Beamten den Angeklagten zum Polizeiprä-sidium S.

, wo er sich zunächst beruhigte. Nach erfolgter Blutentnahme
und Verbringung in eine Zelle erhielt das Verhalten des Angeklagten erneut ei-nen aggressiven Schub, was sich in 15-minütigen, dabei [X.] und [X.]
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ßerst [X.] und Stoßen mit der Schulter gegen die Zellentür äußerte.
Nach Überzeugung des [X.] war der Angeklagte zum [X.]punkt der Geschehnisse strafrechtlich nicht verantwortlich, da seine Fähigkeit, nach seiner Unrechtseinsicht zu handeln, zu den [X.] aufgrund einer un-behandelten bipolaren affektiven Störung und einer akuten Alkoholintoxikation nicht ausschließbar aufgehoben gewesen sei.
2. [X.]ie Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiat-rischen Krankenhaus hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
[X.]ie Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus als außeror-dentlich belastende Maßnahme, die einen besonders gravierenden Eingriff in die Rechte des Angeklagten darstellt, darf nur angeordnet werden, wenn zwei-felsfrei feststeht, dass die unterzubringende Person bei Begehung der [X.] aufgrund einer nicht nur vorübergehenden psychischen Störung schuldun-fähig oder vermindert schuldfähig war und die Begehung der Taten auf diesem Zustand beruht ([X.], Beschluss vom 26. September 2012

4 StR 348/12; [X.], Beschluss
vom 26. März 2015

2 StR 37/15). [X.]abei muss vom Tatgericht im Einzelnen dargelegt werden, wie sich die festgestellte, einem Merkmal von §§
20, 21 StGB unterfallende Erkrankung in der jeweiligen [X.] auf die Einsichts-
oder die Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat und warum die [X.] auf den entsprechenden psychischen Zustand zurückzuführen sind ([X.] jeweils aaO, siehe auch Senat, Beschluss vom 29. Mai 2012

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StR 139/12, [X.], 306, 307). [X.]iesen Anforderungen wird das Urteil nicht gerecht.
a) Soweit die [X.] im [X.] an den Sachverständigen da-von ausgeht, dass
der Angeklagte an einer unbehandelten manisch-depressiven Störung (bipolare Störung/Affektstörung) und einer Alkoholabhän-5
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gigkeit leidet und die Affektstörung leitführend sei, werden die diese Bewertung tragenden Anknüpfungs-
und Befundtatsachen nicht in ausreichendem Umfang wiedergegeben (vgl. [X.], Beschlüsse vom 14. September 2010

5 [X.], vom 30. Juli 2013

4 StR 275/13, [X.], 36, 37). [X.]as [X.] beschränkt sich im Wesentlichen darauf, die Krankheitsgeschichte des Ange-klagten und das Ergebnis der gutachterlichen Einschätzung mitzuteilen, ohne jedoch zu erörtern, worauf diese im Einzelnen beruht. [X.]en insoweit knappen, formelhaft gefassten Urteilsgründen lassen sich weder hinreichend die die gut-achterliche [X.]iagnostik tragenden Befunde noch
die Symptome des [X.] oder deren Einwirkung auf den Angeklagten in der konkreten [X.] entnehmen. [X.]ie entsprechende [X.]arlegung war schon deshalb geboten, weil der Angeklagte nach den Urteilsfeststellungen bereits seit Februar 2012 ambulant
psychiatrisch behandelt wurde, die [X.]iagnose einer bipolaren affektiven Störung, einer Verhaltensstörung durch Alkohol und eines Abhängigkeitssyndroms aber erstmalig im Rahmen einer stationären Behandlung zwischen dem 18. Septem-ber und 24. Oktober 2013

also drei Monate nach den Taten

gestellt wurde und er seither nicht mehr strafrechtlich in Erscheinung getreten ist. Nicht [X.] dargelegt ist auch die Einschätzung des Sachverständigen, dass zwar von einer wechselseitigen Beeinflussung der beiden Krankheitsbilder des Angeklagten auszugehen sei, die Affektstörung gegenüber der Alkoholabhän-gigkeit des Angeklagten aber leitführend sei.
b) [X.]ass die [X.] darüber hinaus nach einer Gesamtschau aller Umstände davon ausgegangen ist, dass sich die vollständige Aufhebung der

11), [X.] noch nicht, dass für die Anordnung der Unterbringung die Voraussetzun-gen zumindest des §
21 StGB zum [X.]punkt der [X.] zweifelsfrei [X.] sind.
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c)
[X.]ie Begründung des [X.] für die Unterbringung des Ange-klagten in einem psychiatrischen Krankenhaus begegnet auch in einem weite-ren Punkt durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
Nach den in den Urteilsgründen referierten Ausführungen des
Sachver-ständigen
liegt es nahe, dass erst das Zusammenwirken der diagnostizierten Affektstörung mit der beim Angeklagten ebenfalls bestehenden akuten Alkoho-lintoxikation "nicht ausschließbar"
zu einer vollständigen Aufhebung der [X.] geführt hat. [X.]ass das [X.] hierüber ohne Erörterung hin-weggeht, lässt besorgen, dass es die besonderen Voraussetzungen für die Un-terbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus bei gleichzeitigem Vorliegen einer psychischen Störung und einer Suchterkrankung nicht bedacht und des-halb die in einem solchen Fall auch in Betracht kommende Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (§
64 StGB) von der [X.] überhaupt nicht in den Blick genommen hat.
d) Schließlich ist auch die Gefahrenprognose nicht tragfähig begründet. [X.]ie Unterbringung als außerordentlich beschwerende Maßnahme darf nur [X.] werden, wenn eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades besteht, dass der Täter infolge seines Zustands in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird (Senat, Beschluss
vom 2. September 2015

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StR 239/15). Bei der insofern vorzunehmenden Gesamtwürdigung des [X.] und der Symptom-tat sind etwaige Vortaten von besonderer Bedeutung ([X.], Beschluss vom 7.
Juni 2016

4 StR 79/16, [X.], 306, 307). Als gewichtiges Indiz gegen die Wahrscheinlichkeit künftiger Straftaten ist anzusehen, dass ein Täter trotz bestehenden [X.]efekts über Jahre hinweg keine erheblichen Straftaten be-gangen hat (Senat, Urteil
vom 10.
[X.]ezember 2014

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StR 170/14, [X.], 72, 73). [X.]er Umstand, dass die letzte Verurteilung des Angeklagten vom September 2011 datiert, hätte daher im Rahmen der individuellen Gefährlich-10
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keitsprognose Berücksichtigung finden müssen; das bloße Abstellen auf das statistische Rückfallrisiko bei Unterbleiben einer Behandlung genügt nicht.
3. Im Hinblick auf §
358 Abs.
2 Satz
2 StPO war der Senat durch den Umstand, dass allein der Angeklagte Revision eingelegt hat, nicht gehindert, den Freispruch aufzuheben.
Appl

[X.]

[X.]

[X.]

[X.]

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Meta

2 StR 108/16

23.11.2016

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 23.11.2016, Az. 2 StR 108/16 (REWIS RS 2016, 1965)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 1965

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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