Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 12.11.2013, Az. 1 AZR 475/12

1. Senat | REWIS RS 2013, 1264

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Gegenstand

Vertrag zugunsten Dritter - Einstandspflicht für Sozialplanleistungen


Tenor

1. Die Revisionen der Klägerinnen und Kläger gegen das Urteil des [X.] vom 31. Januar 2012 - 1 [X.]/11 - werden zurückgewiesen.

2. Die Kosten der Revisionen haben die Klägerin zu 3. zu 1/3, die übrigen Klägerinnen und Kläger zu jeweils 1/6 zu tragen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten um Zahlungsansprüche im Zusammenhang mit der [X.]eendigung von Arbeitsverhältnissen.

2

Die Klägerinnen und Kläger waren mehr als zehn Jahre bei der [X.] als Arbeitnehmer beschäftigt. Die Arbeitsverhältnisse gingen durch [X.]etriebsübergang auf die m GmbH & Co. KG (m), eine Tochtergesellschaft der [X.], über. Die [X.]eklagte, die m und deren [X.]etriebsrat schlossen im Zusammenhang mit dem geplanten Verkauf von Geschäftsanteilen der m am 9. Dezember 2008 eine als „Absprache“ bezeichnete Vereinbarung ([X.]), in der es heißt:

„5. Zusagen der [X.]

Sollten innerhalb von drei Jahren nach Eigentümerwechsel betriebsbedingte Kündigungen nicht vermeidbar sein, sichert die [X.] folgendes zu:

• …

• Sollte es bis zum 31.12.2011 bei der Stammbelegschaft der m zu betriebsbedingten Kündigungen kommen, und die betroffenen Mitarbeiter keine andere [X.]eschäftigung innerhalb der [X.] finden, erhalten die Mitarbeiter, die zum Zeitpunkt des [X.] mindestens 10 Jahre dem Unternehmen angehören, eine Abfindung auf [X.]asis des [X.], nach der am [X.], bzw. an dem nächstgelegenen [X.] angewandten S-Sozialplanregelung.

Es gilt folgende Vereinbarung:

- bei einer Kündigung bis 31.12.2009 100 %

der Differenz zwischen dem [X.] der m und der am [X.] bzw. an dem nächstgelegenen [X.] geltenden Sregelung.“

3

Die m kündigte die Arbeitsverhältnisse der Klägerinnen und Kläger am 25. November 2009 aus betriebsbedingten Gründen. Der am 9. Dezember 2009 zwischen der m und ihrem [X.]etriebsrat vereinbarte Sozialplan ([X.] m) sah eine Abfindung vor, deren [X.]erechnung dem einschlägigen Sozialplan der [X.] am Standort [X.] entsprach (Nr. VI.1. [X.] m). Daneben konnten die von der m gekündigten Arbeitnehmer für längstens ein Jahr in eine Transfergesellschaft wechseln. Nach Nr. V.11. [X.] m verminderte sich der [X.] für diese Arbeitnehmer auf 70 % der Abfindung gemäß Nr. VI.1. [X.] m.

4

Die Klägerinnen und Kläger schlossen mit der m Aufhebungsverträge, nach denen das Arbeitsverhältnis aufgrund der ausgesprochenen Kündigungen endete, und begründeten ein Arbeitsverhältnis mit der Transfergesellschaft. Die m zahlte ihnen die in Nr. V.11. [X.] m vorgesehene reduzierte Abfindung.

5

Mit ihren Klagen verlangen die Klägerinnen und Kläger die Zahlung der Differenz zu der in Nr. VI.1. [X.] m vorgesehenen Abfindung.

6

Die Klägerin zu 1. hat beantragt,

die [X.]eklagte zu verurteilen, an die Klägerin zu 1. 18.083,98 Euro zuzüglich Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen [X.]asiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen;

der Kläger zu 2. hat beantragt,

die [X.]eklagte zu verurteilen, an den Kläger zu 2. 14.071,90 Euro zuzüglich Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen [X.]asiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen;

die Klägerin zu 3. hat beantragt,

die [X.]eklagte zu verurteilen, an die Klägerin zu 3. 26.308,14 Euro zuzüglich Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen [X.]asiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen;

die Klägerin zu 4. hat beantragt,

die [X.]eklagte zu verurteilen, an die Klägerin zu 4. 15.467,49 Euro zuzüglich Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen [X.]asiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen;

der Kläger zu 5. hat beantragt,

die [X.]eklagte zu verurteilen, an den Kläger zu 5. 14.071,90 Euro zuzüglich Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen [X.]asiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

7

Die [X.]eklagte hat beantragt, die Klagen abzuweisen.

8

Das Arbeitsgericht hat die Klagen abgewiesen. Das [X.] hat die Rechtsstreite verbunden und die [X.]erufungen der Klägerinnen und Kläger zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgen diese ihr Zahlungsbegehren weiter.

Entscheidungsgründe

9

Die Revisionen sind unbegründet. Das [X.] hat die [X.]erufungen gegen die klageabweisenden Urteile des Arbeitsgerichts zu Recht zurückgewiesen. Die Klagen sind unbegründet. Die Klägerinnen und Kläger haben keinen Anspruch aus der allein als Anspruchsgrundlage in [X.]etracht kommenden Nr. 5 [X.] auf eine weitere Zahlung gegen die [X.]eklagte. Das [X.]erufungsgericht hat unter [X.]erücksichtigung des in der Revisionsinstanz geltenden eingeschränkten [X.] eine Einstandspflicht der [X.] für die geltend gemachten Abfindungsdifferenzen zutreffend verneint.

1. Das [X.] hat in Nr. 5 [X.] einen zwischen dem [X.]etriebsrat der m und der [X.] abgeschlossenen Vertrag zugunsten Dritter gesehen, aus dem die bei der m beschäftigten Arbeitnehmer anspruchsberechtigt sein sollten. Dabei ist es davon ausgegangen, dass diese [X.]estimmung keine ausdrückliche Abrede über die Einstandspflicht der [X.] bei einem Wechsel eines anspruchsberechtigten Arbeitnehmers in eine Transfergesellschaft enthält. Es hat aus Sinn und Zweck von Nr. 5 [X.], die Arbeitnehmer hinsichtlich der [X.] für einen begrenzten Zeitraum den Arbeitnehmern der [X.] gleichzustellen, gefolgert, dass diese lediglich für solche Abfindungsdifferenzen einstehen sollte, die auf eine gegenüber dem [X.] unzureichende finanzielle Ausstattung des Sozialplans durch die m zurückzuführen waren. Einen solchen Fall hat das [X.] verneint, weil die gegenüber dem [X.] reduzierte Abfindung auf der Entscheidung der Arbeitnehmer für den Wechsel in die Transfergesellschaft beruht hat.

2. Dies lässt keinen revisiblen Rechtsfehler erkennen.

a) Das [X.] hat Nr. 5 [X.] zu Recht als echten Vertrag zugunsten Dritter (§ 328 [X.]G[X.]) angesehen.

Die [X.] ist zwar gemeinsam von der m, ihrem [X.]etriebsrat und der [X.] abgeschlossen worden. Die Nr. 5 [X.] enthält jedoch ausschließlich eine Vereinbarung zwischen der [X.] und der m. Die [X.]eklagte konnte als Gesellschafterin der m eine solche Abrede nicht mit deren [X.]etriebsrat als [X.]etriebsvereinbarung abschließen. In dieser Regelung hat die [X.]eklagte Arbeitnehmern, die ihrem Unternehmen zum Zeitpunkt des [X.]etriebsübergangs auf die m zumindest zehn Jahre angehört haben, die dort aufgeführten Leistungen zugesagt. Dieser Personenkreis sollte entsprechend den dort bestimmten Voraussetzungen von der Einstandspflicht der [X.] unmittelbar begünstigt werden.

b) Diese Auslegung von Nr. 5 [X.] durch das [X.] ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

aa) Die Auslegung nichttypischer Erklärungen ist regelmäßig den [X.] vorbehalten. [X.] nachprüfbar ist lediglich, ob gesetzliche Auslegungsregeln iSd. §§ 133, 157 [X.]G[X.], Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt sind oder wesentlicher Tatsachenstoff, der für die Auslegung von [X.]edeutung sein kann, außer [X.]etracht gelassen worden ist ([X.] 16. April 2013 - 9 [X.] 731/11 - Rn. 18). Für die revisionsrechtliche Überprüfung kommt es daher nicht darauf an, ob außer der vom [X.] vorgenommenen Auslegung auch andere Auslegungsergebnisse denkbar wären ([X.] 22. Juni 2005 - 7 [X.] 363/04 - zu II 2 a bb der Gründe).

bb) Die durch Nr. 5 [X.] begründete Einstandspflicht der [X.] beruht auf nichttypischen Erklärungen der Vertragsschließenden, die nur einer eingeschränkten revisionsrechtlichen Kontrolle unterliegen. Soweit die Klägerinnen und Kläger erstmals in der Revision geltend machen, bei Nr. 5 [X.] handele es sich um Allgemeine Geschäftsbedingungen, bei deren Auslegung die Unklarheitenregel des § 305c Abs. 2 [X.]G[X.] zu berücksichtigen sei, handelt es sich um neuen Tatsachenvortrag, der in der Revisionsinstanz nicht mehr berücksichtigungsfähig ist ([X.] 11. Juli 2013 - 2 [X.] 241/12 - Rn. 30). Es ist weder ersichtlich noch vom [X.] festgestellt, dass es sich bei Nr. 5 [X.] um von der [X.] gestellte, für eine Vielzahl von Verträgen vorformulierte Vertragsbedingungen handelt.

cc) Das [X.]erufungsgericht hat bei seiner Auslegung nicht gegen Denkgesetze verstoßen und den Tatsachenstoff vollständig verwertet.

(1) Entgegen der Auffassung der Revision musste sich das [X.] bei der Auslegung von Nr. 5 [X.] nicht auf dessen Wortlaut beschränken, sondern durfte den Zweck der Vereinbarung heranziehen. Dies folgt schon aus § 133 [X.]G[X.]. Danach ist bei der Auslegung einer Willenserklärung der wirkliche Wille zu erforschen und nicht an dem buchstäblichen Sinne des Ausdrucks zu haften. Daher sind bei der Auslegung alle den Parteien erkennbaren [X.]egleitumstände, die für den Erklärungsinhalt von [X.]edeutung sein können, zu berücksichtigen. Hierzu gehören insbesondere die Entstehungsgeschichte und der Zweck der Vereinbarung sowie die bei Vertragsschluss bestehende Interessenlage ([X.] 19. November 2008 - 10 [X.] 671/07 - Rn. 20).

(2) Es hält sich im Rahmen des tatrichterlichen Ermessensspielraums, wenn das [X.]erufungsgericht den Zweck der von der [X.] abgegebenen Zusage in einer Gleichstellung der auf die m übergegangenen [X.]elegschaft mit den bei der [X.] beschäftigen Arbeitnehmern ansieht. Dies wird auch von der Revision nicht in Zweifel gezogen. Hierfür spricht insbesondere das Abstellen auf den [X.] am Standort [X.] bei der [X.]. Ausgehend von diesem Regelungszweck und unter [X.]erücksichtigung der Interessenlage nach dem Gesellschafterwechsel ist die weitere Annahme des [X.]s naheliegend, dass die [X.]eklagte nur dann eine Einstandspflicht übernehmen wollte, wenn die [X.] in dem bei der m zu vereinbarenden Sozialplan nicht die an ihrem Standort [X.] geltenden Abfindungsregelungen erreicht.

(3) Soweit die Revision meint, die [X.]eklagte treffe eine Einstandspflicht auch dann, wenn die Arbeitnehmer von dem im Sozialplan eingeräumten Wahlrecht Gebrauch gemacht und sich für einen Wechsel in die Transfergesellschaft entschieden haben, setzt sie lediglich die von ihr vertretene Sichtweise an die Stelle derjenigen des [X.]s. Damit kann jedoch die Auslegung nichttypischer Willenserklärungen durch das [X.]erufungsgericht revisionsrechtlich nicht mit Erfolg angegriffen werden. Das Auslegungsergebnis des [X.]s erweist sich vielmehr wegen des Zwecks der von der [X.] gegebenen Zusage als naheliegend. Die Einstandspflicht sollte sich nicht auf Sozialplanleistungen erstrecken, bei denen die den Arbeitnehmern gewährte Abfindung durch andere Sozialplanleistungen ergänzt wird. Ein solches Verständnis der Zusage ist nach dem in Nr. 5 [X.] zum Ausdruck gebrachten Willen der Parteien und dem Vertragszweck ausgeschlossen. Die Gleichstellung in der Zusage ist auf die [X.] beschränkt. Über eine Einstandspflicht in [X.]ezug auf ein bestimmtes Sozialplanvolumen verhält sich Nr. 5 [X.] hingegen nicht. Die auf die [X.] im [X.] beschränkte Zusage diente einerseits der [X.]egrenzung der Einstandspflicht der [X.] und andererseits sollten die auf die m übergegangenen Arbeitnehmer hinsichtlich der [X.] so gestellt werden, als wären sie zum Kündigungszeitpunkt noch bei der [X.] beschäftigt. Die beabsichtigte Gleichstellung zwischen beiden [X.]elegschaften kann aber nur erreicht werden, wenn die jeweils geltenden Abfindungsregelungen übereinstimmen. Ein Vergleich zwischen einer ausschließlich auf Abfindungen beschränkten Entschädigungsregelung mit Sozialplanleistungen, die neben Abfindungen weitere Entschädigungen für den Arbeitsplatzverlust vorsehen, ist nicht möglich. Auch dies spricht gegen die von der Revision vertretene Auslegung von Nr. 5 [X.].

(4) Das [X.] musste bei seiner Auslegung auch nicht die am 26. August 2008 zwischen der [X.] und ihrem Gesamtbetriebsrat abgeschlossene [X.] berücksichtigen. Diese war für die Gleichstellung der von der Zusage der [X.] begünstigten Arbeitnehmer unbeachtlich. Die als Rahmenregelung abgeschlossene Vereinbarung bedurfte einer Umsetzung durch die örtlichen [X.]etriebsräte. Eine solche haben die [X.]etriebsparteien des Standorts [X.] der [X.] weder bei Abschluss der [X.] noch des [X.] 2009 vereinbart.

        

    Linck    

        

    Spelge    

        

    Koch    

        

        

        

    Klebe    

        

    Hann    

                 

Meta

1 AZR 475/12

12.11.2013

Bundesarbeitsgericht 1. Senat

Urteil

Sachgebiet: AZR

vorgehend Arbeitsgericht Bremen-Bremerhaven, 18. Mai 2011, Az: 2 Ca 2524/10, Urteil

§ 133 BGB, § 157 BGB, § 328 BGB

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 12.11.2013, Az. 1 AZR 475/12 (REWIS RS 2013, 1264)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 1264

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Wird zitiert von

11 Sa 431/15

11 Sa 437/15

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11 Sa 446/15

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