Bundesfinanzhof, Urteil vom 30.06.2010, Az. XI R 22/08

11. Senat | REWIS RS 2010, 5321

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Gegenstand

Bereitstellungsentgelte als pauschalierte Entschädigung nicht umsatzsteuerbar


Leitsatz

So genannte Bereitstellungsentgelte, die ein Speditionsunternehmen erhält, wenn eine Zwangsräumung kurzfristig von dem Gerichtsvollzieher abgesagt wird, stellen eine pauschalierte Entschädigung dar und unterliegen mangels eines Leistungsaustauschs nicht der Umsatzsteuer   .

Tatbestand

1

I. Die Beteiligten streiten über die umsatzsteuerrechtliche Behandlung von sog. [X.] bei Zwangsräumungen.

2

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) betreibt ein Speditionsunternehmen in der Rechtsform einer GmbH. Sie führt u.a. im Auftrag von Gerichtsvollziehern Zwangsräumungen durch. Hierfür erhält sie --gestaffelt nach der Anzahl der zu räumenden [X.] ein Entgelt, das der Umsatzsteuer unterworfen wird. Werden Zwangsräumungen innerhalb von vier Tagen vor dem Räumungstermin vom zuständigen Gerichtsvollzieher abgesagt, so erhält sie von diesem 30 % des für eine tatsächlich durchgeführte Räumung vereinbarten Entgelts. Die Klägerin hat die sog. [X.] nicht der Umsatzsteuer unterworfen. Bestimmte Vorbereitungshandlungen für eine bevorstehende Wohnungsräumung, wie etwa Zurverfügungstellung von Personal, Fahrzeugen oder Räumlichkeiten, erbringt sie bis zum Kündigungstermin nicht.

3

Im Rahmen einer Außenprüfung für die Streitjahre 1995 bis 1999 vertrat der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --[X.]--) die Auffassung, dass auch die sog. [X.] der Umsatzsteuer zu unterwerfen seien. Den Einspruch der Klägerin wies das [X.] zurück.

4

Das Finanzgericht ([X.]) gab der Klage statt; die Klägerin habe keine steuerbaren Leistungen erbracht. Die Entscheidung ist veröffentlicht in Entscheidungen der Finanzgerichte 2008, 1073.

5

Zur Begründung seiner Revision trägt das [X.] vor, kennzeichnend für einen nicht steuerbaren Schadensersatz sei, dass die Vergütung für ein vertragswidriges Verhalten geschuldet und somit losgelöst vom ursprünglichen Rechtsgrund gezahlt werde. Die sog. [X.] würden dagegen nicht für eine vertragswidrige Auflösung gezahlt, sondern für eine Leistung innerhalb des vereinbarten Leistungsaustausches, denn es handele sich bei der Zahlung um einen für Zwangsräumungen typischen Vorgang und dieser beruhe nicht auf einem vom ursprünglichen Rechtsgrund losgelösten eigenen Rechtsgrund. Nach den Abrechnungen werde die von vornherein festgelegte [X.] für eine bestimmte und nach Anzahl der Wagen und Arbeitskräfte genau bezeichnete Leistung bezahlt.

6

Zu Unrecht sei das [X.] unter Verweis auf das Urteil des [X.] ([X.]) vom 27. August 1970 [X.] ([X.]E 100, 259, [X.] 1971, 6) davon ausgegangen, dass die Klägerin noch keine Leistung erbracht habe. Denn dort sei nicht, wie hier, eine sonstige Leistung Vertragsgegenstand gewesen, sondern eine Werklieferung, bei der der [X.] im Vordergrund stehe und damit die Verschaffung der Verfügungsmacht an der bestellten Sache. Gegenstand der sonstigen Leistung im Streitfall sei hingegen nicht nur die eigentliche Räumung, sondern seien auch etwaige "Vorleistungen", zu denen gehöre, dass die Klägerin durch organisatorische Maßnahmen sicherstelle, zum vereinbarten Termin über die notwendigen Kapazitäten zu verfügen.

7

Das [X.] beantragt sinngemäß,

die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

8

Die Klägerin beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

9

II. Die Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--). Zutreffend ist das [X.] zu dem Ergebnis gekommen, dass die sog. [X.] nicht im Rahmen eines [X.]S. des § 1 Abs. 1 Nr. 1 des Umsatzsteuergesetzes in der in den Streitjahren geltenden Fassung (UStG) gezahlt worden sind, weil ihnen keine Leistungen der Klägerin gegenüberstanden.

1. Sonstige Leistungen, die ein Unternehmer im Inland gegen Entgelt im Rahmen seines Unternehmens ausführt, unterliegen gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG der Umsatzsteuer. Sonstige Leistungen sind Leistungen, die keine Lieferungen sind (§ 3 Abs. 9 Satz 1 UStG).

a) Für das Vorliegen einer entgeltlichen Leistung, die in Übereinstimmung mit Art. 2 Nr. 1 der [X.]/[X.] des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern ([X.]/[X.]) nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG steuerbar ist, sind nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der [X.] ([X.]), der sich der [X.] angeschlossen hat, im Wesentlichen folgende unionsrechtlich geklärten Grundsätze zu berücksichtigen:

Zwischen der Leistung und dem erhaltenen Gegenwert muss ein unmittelbarer Zusammenhang bestehen, wobei die gezahlten Beträge die tatsächliche Gegenleistung für eine bestimmbare Leistung darstellen, die im Rahmen eines zwischen dem Leistenden und dem Leistungsempfänger bestehenden Rechtsverhältnisses, in dem gegenseitige Leistungen ausgetauscht werden, erbracht wurde ([X.]-Urteile vom 18. Juli 2007 Rs. [X.]/05 --[X.] thermale d'Eugénie-les-Bains--, [X.]. 2007, [X.], [X.]/NV Beilage 2007, 424, Rz 19; vom 21. März 2002 Rs. [X.]/00 --Kennemer [X.], [X.]. 2002, [X.], [X.]/NV Beilage 2002, 95, Rz 39, und vom 3. März 1994 Rs. [X.]/93 --Tolsma--, [X.]. 1994, [X.], [X.] 1994, 399, Rz 13; [X.]-Urteile vom 19. Februar 2004 [X.], [X.]E 205, 495, [X.], 675; vom 5. Dezember 2007 [X.], [X.]E 219, 455, [X.], 486, jeweils m.w.N.; Schlosser-Zeuner in [X.]/Geist, UStG, 9. Aufl., § 1 Rz 14 ff., 28, m.w.N.).

Dabei bestimmt sich in erster Linie nach dem der Leistung zugrunde liegenden Rechtsverhältnis, ob die Leistung des Unternehmers derart mit der Zahlung verknüpft ist, dass sie sich auf die Erlangung einer Gegenleistung (Zahlung) richtet ([X.]-Urteil vom 18. Dezember 2008 [X.], [X.]E 225, 155, [X.], 749).

Echte Entschädigungs- oder Schadensersatzleistungen sind demgegenüber kein Entgelt im Sinne des Umsatzsteuerrechts, wenn die Zahlung nicht für eine Lieferung oder sonstige Leistung an den Zahlungsempfänger erfolgt, sondern weil der Zahlende nach Gesetz oder [X.] und seine Folgen einzustehen hat (vgl. [X.]-Urteil vom 10. Dezember 1998 [X.]/97, [X.]/NV 1999, 987).

b) Entsprechend diesen Grundsätzen hat der [X.] in seinem Urteil [X.] thermale d'Eugénie-les-Bains ([X.]. 2007, [X.], [X.]/NV Beilage 2007, 424) entschieden, dass die von einem Gast an einen Hotelbetreiber als Angeld geleisteten Beträge in Fällen, in denen der Erwerber von der ihm eröffneten Möglichkeit des Rücktritts Gebrauch macht und der Hotelbetreiber diese Beträge einbehält, als pauschalierte Entschädigung zum Ausgleich des infolge des Vertragsrücktritts des Gastes entstandenen Schadens --ohne direkten Bezug zu einer entgeltlichen Dienstleistung-- und als solche nicht als mehrwertsteuerpflichtig anzusehen sind.

Da die Zahlung des [X.] zum einen kein Entgelt für eine eigenständige, bestimmbare Leistung darstelle, die der Hotelbetreiber seinem Gast erbracht habe, und die Einbehaltung des [X.] nach einer Stornierung zum anderen den Zweck habe, die Folgen der Nichterfüllung des Vertrags auszugleichen, falle weder die Zahlung noch die Einbehaltung des [X.] unter Art. 2 Nr. 1 der [X.]/[X.] (Rz 35 des Urteils). Das Angeld sei keine Gegenleistung für eine der Mehrwertsteuer unterliegende Reservierungsleistung, die sich bereits direkt aus dem Beherbergungsvertrag ergebe, sondern eine pauschalierte Entschädigungszahlung, bei der es normal sei, dass der Betrag des entstandenen Schadens und das einbehaltene Angeld in den meisten Fällen nicht übereinstimmten (Rz 23 f. und 32 f. des Urteils).

2. Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze stellen die sog. [X.] eine pauschalierte Entschädigung und kein Entgelt für eine Dienstleistung dar.

a) Nach der zwischen der Klägerin und den Gerichtsvollziehern getroffenen Vereinbarung erhält sie 30 % der für eine tatsächlich durchgeführte Räumung vereinbarten Pauschale, wenn die Zwangsräumung innerhalb von vier Tagen vor dem Räumungstermin vom zuständigen Gerichtsvollzieher abgesagt wird.

Wird ein [X.] vorzeitig gekündigt, so behält der Unternehmer grundsätzlich den Anspruch auf die vereinbarte Vergütung. Er muss sich jedoch gemäß § 649 Satz 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs ([X.]) ersparte Aufwendungen oder dasjenige, was er durch anderweitige Verwendung seiner Arbeitskraft erzielt oder zu erwerben böswillig unterlässt, anrechnen lassen (vgl. z.B. Beschluss des [X.] vom 19. September 2005  2/9 [X.], [X.] 2006, 115).

Für den Fall der Kündigung eines [X.] ist in § 415 Abs. 2 des Handelsgesetzbuches (HGB) ausdrücklich geregelt, dass der Frachtführer entweder die vereinbarte Fracht unter Anrechnung bestimmter Beträge oder "ein Drittel der vereinbarten Fracht ([X.])" verlangen kann. Das Rechtsinstitut der "[X.]" (vgl. hierzu auch [X.]-Urteile vom 22. Januar 1970 [X.], [X.]E 98, 225, [X.] 1970, 363, und vom 27. August 1970 [X.]/66, [X.]E 100, 150, [X.] 1970, 856) versteht sich als eine gesetzlich festgelegte, pauschale Kündigungsentschädigung, die nach der Begründung der Bundesregierung zum Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Fracht-, Speditions- und Lagerrechts (Transportrechtsreformgesetz) weder Leistungsentgelt noch Schadensersatz ist (BTDrucks 13/8445, [X.]; vgl. auch MünchKommHGB/[X.], § 415 Rz 17). Die Bundesregierung hat den Vorteil der "[X.]" darin gesehen, dass auf diese Weise eine leicht handhabbare, zugleich streit- und prozessverhindernde Regelung geschaffen werden könne (BTDrucks 13/8445, [X.]).

Da ein Gerichtsvollzieher [X.] ist, unterliegt der [X.] nicht den Vorschriften des HGB, sondern des [X.]. Es steht den Vertragspartnern jedoch frei, den Inhalt ihres Rechtsverhältnisses einschließlich der Folgen eines eventuellen Rücktritts oder der etwaigen Nichterfüllung ihrer Verpflichtungen unter Beachtung zwingender Vorschriften und der öffentlichen Ordnung zu bestimmen ([X.]-Urteil [X.] thermale d'Eugénie-les-Bains in [X.]. 2007, [X.], [X.]/NV Beilage 2007, 424, Rz 28 f.). Dabei muss es ihnen insbesondere gestattet sein, eine Rechtsfolge, die der Gesetzgeber für Kaufleute für den Fall der Kündigung als vorteilhaft angesehen und deshalb wahlweise vorgesehen hat, ausdrücklich zu vereinbaren.

Die vertraglich vereinbarte pauschale Kündigungsentschädigung kann umsatzsteuerrechtlich nicht anders qualifiziert werden als die in § 415 Abs. 2 Nr. 2 HGB ausdrücklich geregelte (vgl. dazu [X.]-Urteile in [X.]E 98, 225, [X.] 1970, 363, und in [X.]E 100, 150, [X.] 1970, 856). Deshalb gilt für beide Fälle, dass es sich jedenfalls nicht um ein Leistungsentgelt handelt und die pauschale Entschädigung daher nicht der Umsatzsteuer unterliegt.

b) Die Entscheidung, dass die sog. [X.] nicht als Leistungsentgelte zu beurteilen sind, steht auch im Einklang mit der Rechtsprechung des [X.] in dem oben zitierten Urteil [X.] thermale d'Eugénie-les-Bains ([X.]. 2007, [X.], [X.]/NV Beilage 2007, 424). Das "Angeld" und die [X.] sind vergleichbar, so dass es sich in beiden Fällen um eine pauschalierte Kündigungsentschädigung ohne Entgeltcharakter handelt.

Meta

XI R 22/08

30.06.2010

Bundesfinanzhof 11. Senat

Urteil

vorgehend Niedersächsisches Finanzgericht, 3. April 2008, Az: 5 K 68/02, Urteil

§ 1 Abs 1 Nr 1 S 1 UStG, § 3 Abs 9 S 1 UStG, § 415 Abs 2 HGB, Art 2 Nr 1 EWGRL 388/77

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 30.06.2010, Az. XI R 22/08 (REWIS RS 2010, 5321)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 5321

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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