Bundesfinanzhof, Urteil vom 27.08.2014, Az. VIII R 16/13

8. Senat | REWIS RS 2014, 3267

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Gegenstand

Örtliche Zuständigkeit für die gesonderte Feststellung von Einkünften aus selbständiger Arbeit bei Büros in mehreren Städten - Vorgreiflichkeit des Feststellungsverfahrens im Einkommensteuerveranlagungsverfahren


Tenor

Auf die Revision des [X.] wird das Urteil des [X.] vom 31. Januar 2013  4 K 985/11 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Finanzgericht zurückverwiesen.

Die Kostenentscheidung bleibt dem Finanzgericht vorbehalten.

Tatbestand

1

I. Die Beteiligten streiten um die Inanspruchnahme des zulässigen [X.] nach § 7g Abs. 3 Satz 5 des Einkommensteuergesetzes in der für das Streitjahr 2003 geltenden Fassung (EStG).

2

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) war im Streitjahr unter anderem als selbständiger Steuerberater mit Büros in drei Städten in jeweils unterschiedlichen Bundesländern tätig und erzielte aus dieser Tätigkeit nach der Einkommensteuererklärung Einkünfte von insgesamt 102.636 € (Praxis 1 ./. 250.496 €, Praxis 2  127.140 €, Praxis 3  225.992 €). Zwei der Büros lagen außerhalb des Zuständigkeitsbereichs seines Wohnsitzfinanzamtes, insbesondere das Büro 3 mit den höchsten Umsätzen aus der selbständig ausgeübten Steuerberatertätigkeit lag im Bundesland X.

3

Nach den für die drei Einzelpraxen jeweils getrennt erstellten und vom Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt --[X.]--) in den drei für 2001 bis 2003 angelegten [X.] abgelegten Gewinnermittlungen nach § 4 Abs. 3 EStG sowie nach dem in den Bilanzheften abgelegten "Bericht" (für die Praxis 3) und den beiden "Gutachten" (für die Praxen 1 und 2) über die Inanspruchnahme der [X.] nach § 7g EStG zum 31. Dezember 2003 ergaben sich darüber hinaus folgende Gesamtbeträge der zum jeweiligen Jahresende in Anspruch genommenen Rücklagen nach § 7g Abs. 3 EStG:

4

Stand 

       Praxis 1

       Praxis 2

       Praxis 3

         Summe 

31.12.2001 

   131.000,00 DM

    143.651,27 DM

0,00 DM

      274.651,27 DM

31.12.2002

19.358,29 €

115.046,12 €

0,00 €

134.404,41 €

31.12.2003

150.558,29 €

154.000,00 €

    154.000,00 €

458.558,29 €

5

Das [X.] veranlagte den Kläger und dessen mit ihm zusammen veranlagte Ehefrau zunächst unter Vorbehalt der Nachprüfung erklärungsgemäß. Jedoch erhöhte das [X.] mit Einkommensteueränderungsbescheid vom 26. März 2009 die Einkommensteuer unter Ansatz von Einkünften des [X.] aus selbständiger Arbeit in Höhe von nunmehr 407.194 € auf 38.681 €.

6

Zur Begründung führte es aus, der Ansatz des [X.] für die [X.] nach § 7g EStG habe den Höchstbetrag von 154.000 € überschritten. Zu Unrecht habe der Kläger den Höchstbetrag für jede einzelne seiner Praxen in Anspruch genommen. Denn er habe nicht nachgewiesen, dass die drei Praxen jeweils eigenständige Betriebe i.S. des § 7g Abs. 3 EStG seien. Den dagegen erhobenen Einspruch wies das [X.] durch Einspruchsentscheidung vom 22. März 2011 als unbegründet zurück.

7

Die daraufhin erhobene Klage (gegen den angefochtenen Bescheid in Gestalt des zwischenzeitlich ergangenen Änderungsbescheids vom 29. Januar 2013) wies das Finanzgericht ([X.]) mit seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte 2013, 672 veröffentlichten Urteil vom 31. Januar 2013  4 K 985/11 als unbegründet ab.

8

Mit der Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts.

9

Der Kläger beantragt sinngemäß, das angefochtene Urteil des [X.] sowie den Einkommensteueränderungsbescheid für 2003 vom 26. März 2009 in Gestalt des Änderungsbescheids vom 29. Januar 2013 und die Einspruchsentscheidung vom 22. März 2011 aufzuheben.

Das [X.] beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Alle drei Praxen des [X.] bildeten einen einheitlichen Betrieb. Damit könne die [X.] insgesamt nur bis zu der [X.]regelung in § 7g Abs. 3 Satz 5 EStG beansprucht werden.

Entscheidungsgründe

II. Die Revision ist begründet; das angefochtene Urteil ist schon aus verfahrensrechtlichen Gründen aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--).

Zu Unrecht hat das [X.] über die Rechtmäßigkeit des angefochtenen [X.] für das Streitjahr 2003 entschieden, ohne zuvor das Verfahren nach § 74 [X.]O bis zu einer gesonderten Feststellung der freiberuflichen Einkünfte des [X.] durch das dafür nach §§ 179 Abs. 1, 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. [X.]. § 18 Abs. 1 Nr. 3 der Abgabenordnung [X.]) zuständige Finanzamt auszusetzen.

Dies hat das [X.] im zweiten Rechtsgang nachzuholen.

1. Nach §§ 179 Abs. 1, 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. [X.] sind die Einkünfte aus freiberuflicher Tätigkeit im Wege gesonderter Feststellung von Besteuerungsgrundlagen festzustellen, wenn das für die gesonderte Feststellung zuständige Finanzamt nicht auch für die Steuern vom Einkommen zuständig ist.

Diese Voraussetzung ist im Streitfall gegeben. Denn das im Streitfall beklagte und für die Einkommensbesteuerung des [X.] als Wohnsitzfinanzamt zuständige [X.] ([X.]) ist nicht für die Feststellung der Besteuerungsgrundlagen hinsichtlich der freiberuflichen Tätigkeit des [X.] zuständig.

Vielmehr ist dies das für die Praxis in [X.] zuständige Finanzamt, weil der Kläger seine freiberufliche Tätigkeit dort --wegen der dort erzielten höchsten Umsätze aus seiner steuerberatenden [X.] § 18 Abs. 1 Nr. 3 AO "vorwiegend" ausübt (zur Maßgeblichkeit der Umsätze Urteil des [X.] --BFH-- vom 10. Juni 1999 IV R 69/98, [X.], 8, [X.] 1999, 691).

2. Eine Heilung des Mangels nach § 127 AO kommt nicht in Betracht; denn die Verletzung der §§ 18, 19 AO in der gemäß § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. [X.] getroffenen Zuordnung ist ein nicht heilbarer Rechtsfehler (vgl. BFH-Urteil vom 11. Dezember 1987 III R 228/84, [X.], 27, [X.] 1988, 230).

3. Wegen der danach [X.] gesonderten Feststellung, für die die Feststellungsverjährung nach § 181 Abs. 5 Satz 1 AO wegen Rechtshängigkeit des nicht festsetzungsverjährten angefochtenen Bescheids noch nicht eingetreten ist, wird die Sache an das [X.] zurückverwiesen.

Dieses muss das Verfahren mit Blick auf die nachzuholende Feststellung nach § 74 [X.]O aussetzen (vgl. BFH-Urteil vom 26. Juli 1983 VIII R 28/79, [X.], 335, [X.] 1984, 290; [X.] vom 3. August 2000 III B 179/96, [X.], 255, [X.] 2001, 33; vom 13. Dezember 2011 [X.], [X.], 601).

Die Beachtung der Vorgreiflichkeit des Feststellungsverfahrens im Einkommensteuerveranlagungsverfahren hinsichtlich der gesondert festzustellenden Besteuerungsgrundlagen gehört zu der auch im Revisionsverfahren von Amts wegen zu wahrenden Grundordnung des Verfahrens (vgl. BFH-Urteile in [X.], 335, [X.] 1984, 290; vom 14. Februar 1984 VIII R 126/82, [X.], 124, [X.] 1984, 580, und vom 19. Juli 1990 IV R 11/89, [X.] 1991, 649, sowie [X.] gesonderten und einheitlichen Feststellung-- BFH-Urteile vom 14. Februar 2008 IV R 44/05, [X.] 2008, 1156; vom 16. Dezember 2009 IV R 18/07, [X.] 2010, 1419).

4. Die nach Erlass des gesonderten Feststellungsbescheids vorzunehmende Änderung der angefochtenen Einkommensteuerveranlagung für das Streitjahr nach Maßgabe des § 175 AO wird sodann Gegenstand der Entscheidung des [X.] im zweiten Rechtsgang sein.

5. Bei dieser Sach– und Rechtslage ist es dem Senat verwehrt, zu der Streitfrage Stellung zu nehmen, ob

-       

der Kläger die Rücklage nach § 7g Abs. 3 EStG für jede seiner drei Praxen im Umfang des Höchstbetrages nach § 7g Abs. 3 Satz 5 EStG mit Blick darauf geltend machen kann, dass die Fördermaßnahme des § 7g EStG nach der ausdrücklichen Auffassung sowohl des Gesetzgebers (BTDrucks 12/4487, 33) als auch der ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung (vgl. BFH-Urteil vom 19. März 2014 X R 46/11, [X.], 36; [X.] vom 22. August 2012 X R 21/09, [X.], 153, [X.] 2014, 447, m.w.[X.]) nicht personen-, sondern betriebsbezogen ausgestaltet ist, und

-  

im Streitfall die dafür erforderliche Selbständigkeit der drei Praxen gegeben ist.

Denn zum einen hat über diese Frage das im Streitverfahren nicht beteiligte Finanzamt [X.] im Rahmen seiner Feststellung der gesonderten Besteuerungsgrundlagen zu den freiberuflichen Einkünften des [X.] zu entscheiden. Zum anderen ist diese zu treffende Entscheidung vom Kläger ggf. als Grundlagenbescheid in einem gesonderten Verfahren und damit nicht im Rahmen des anhängigen [X.] gegen den [X.] anzufechten.

6. [X.] ist dem [X.] vorbehalten (§ 143 Abs. 2 [X.]O).

Meta

VIII R 16/13

27.08.2014

Bundesfinanzhof 8. Senat

Urteil

vorgehend Hessisches Finanzgericht, 31. Januar 2013, Az: 4 K 985/11, Urteil

§ 179 Abs 1 AO, § 180 Abs 1 Nr 2 Buchst b AO, § 18 Abs 1 Nr 3 AO, § 127 AO, § 74 FGO, § 126 Abs 3 S 1 Nr 2 FGO, § 7g Abs 3 S 5 EStG 2002, § 19 AO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 27.08.2014, Az. VIII R 16/13 (REWIS RS 2014, 3267)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 3267

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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