Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 19.09.2011, Az. V ZB 212/11

V. Zivilsenat | REWIS RS 2011, 3276

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
V ZB
212/11

vom

19. September 2011

in der Abschiebungshaftsache

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Der V.
Zivilsenat des [X.] hat am 19.
September 2011 durch [X.] [X.], die Richter
Prof.
Dr.
Schmidt-Räntsch
und Dr.
Czub und die Richterinnen Dr. [X.] und Weinland

beschlossen:

Die Vollziehung der mit Beschluss des Amtsgerichts [X.] vom 8.
Juli 2011 angeordneten und mit Beschluss der 9.
Zivilkammer des [X.] vom 8.
September 2011 aufrechterhaltenen [X.] wird einstweilen
ausgesetzt.

Gründe:

I.
Der Betroffene, ein [X.] Staatsangehöriger, wurde am 7. Juli 2011 in [X.] durch die Polizei festgenommen. Einen Aufenthaltstitel für das [X.] besitzt er nicht.
Am 8.
Juli 2011 hat auf Antrag der beteiligten Behörde vom gleichen Tag das Amtsgericht gegen den Betroffenen für die Dauer von drei Monaten die Haft zur Sicherung der Abschiebung angeordnet. Zwischenzeitlich ist die Abschiebung für den 27.
September 2011 geplant. Die gegen die Haftanord-nung gerichtete Beschwerde des Betroffenen hat das [X.].
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Mit der Rechtsbeschwerde will der Betroffene zunächst die vorläufige Aussetzung des Vollzugs der aufrechterhaltenen Haft im Wege der einstweili-gen Anordnung erreichen.

II.
Nach Ansicht des [X.] liegen die Voraussetzungen für die Anordnung der [X.] vor. Der Abschiebung stehe insbesondere das Beteiligungserfordernis der Staatsanwaltschaft nach §
72 Abs. 4 [X.] nicht entgegen. In einem vor der Antragstellung geführten Telefonat eines [X.] der beteiligten Behörde mit der zuständigen Staatsanwältin habe [X.] keine Bedenken gegen die Abschiebung des Betroffenen geäußert. Es seien die Haftgründe des §
62 Abs. 2 Satz 1 Nrn. 1, 2 und 5 [X.] gegeben, und die Ausländerbehörde habe dem in Haftsachen zu beachtenden [X.] getragen.

III.
1. Der Aussetzungsantrag ist in entsprechender Anwendung von § 64 Abs. 3 FamFG statthaft (st. Rspr., siehe nur Senat, Beschluss vom 14. April 2011

[X.]/11 Rn. 5, juris; Beschluss vom 18. August 2010

[X.], [X.] 2010, 440) und zulässig.
2. Er ist auch begründet. Bei der gebotenen summarischen Prüfung ([X.], Beschluss vom 14. Oktober 2010 -
V [X.], [X.] 2011, 26 Rn. 10; Beschluss vom 18. August 2010 -
[X.], [X.] 2010, 440) ist davon auszugehen, dass die Rechtsbeschwerde Erfolg haben wird, weil die Haftan-3
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ordnung auf einer rechtsfehlerhaften Anwendung der §§ 62 Abs. 2
Satz 4, 72 Abs. 4 [X.] beruhen dürfte. Daher ist die weitere Vollstreckung der Haftanordnung auszusetzen.
a) Zweifelhaft ist, ob die zuständige(n) Staatsanwaltschaft(en) allgemein oder im Einzelfall ihr Einvernehmen mit der Abschiebung nach § 72 Abs. 4 Satz
1 [X.] erklärt hat (haben). Nach dem Akteninhalt ist

was der Be-troffene rügt -
zweifelhaft, ob sich die Erklärung der Beteiligten zu 2 in dem Haftantrag vom 8.
Juli 2011, die Staatsanwaltschaft "habe gegen die Einleitung der Abschiebung keine Bedenken geäußert", auf sämtliche gegen den [X.] geführte Ermittlungsverfahren bezieht. Nach dem gerichtlichen Vermerk vom 31.
August 2011 war Anlass der telefonischen Rücksprache des Mitarbei-ters der beteiligten Behörde bei der Staatsanwaltschaft
die "illegale Einreise"
des Betroffenen. Von den weiteren gegen den Betroffenen geführten drei straf-rechtlichen Ermittlungsverfahren wegen des Vorwurfs der Körperverletzung, der gefährlichen Körperverletzung und der Bedrohung hatte der Mitarbeiter dage-gen
nach eigenen Angaben keine Kenntnis. Er könne

so der Vermerk
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auch nicht sagen, wie die Staatsanwaltschaft ihre Entscheidung geprüft habe. Dies wird gestützt durch den Umstand, dass die Mitteilungen der Staatsanwaltschaft vom 25.
Juli 2011 nach Nr. 42 MiStrA über die weiteren Ermittlungsverfahren erst am 26.
Juli 2011 bei der Beteiligten zu 2 eingegangen sind. Zu einem Ein-vernehmen nach §
72 Abs. 2 Satz 1 [X.] verhalten sich diese Mitteilungen jedoch nicht. Es spricht daher viel dafür, dass zumindest im Zeitpunkt der [X.] das alle Ermittlungsverfahren umfassende Einverneh-men der Staatsanwaltschaft(en) nicht vorgelegen hat. Dies bedarf im Ausset-zungsverfahren keiner abschließenden Entscheidung. Jedenfalls rechtfertigen die zumindest zweifelhafte Rechtslage sowie die nachfolgenden Erwägungen die beantragte Aussetzung.
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b) Die [X.] darf nämlich nicht angeordnet werden, wenn fest-steht, dass die Abschiebung aus Gründen, die der Ausländer nicht zu vertreten hat, nicht innerhalb der nächsten drei Monate durchgeführt werden kann (§ 62 Abs. 2 Satz 4 [X.]). Die dazu erforderliche Prognose hat der Haftrichter grundsätzlich auf alle im konkreten Fall ernsthaft in Betracht kommenden Grün-de, die der Abschiebung entgegenstehen oder sie verzögern können, zu erstre-cken (vgl. zu den Anforderungen Senat, Beschluss vom 22. Juli 2010 -
V [X.], [X.] 2011, 27, 29 Rn. 22). Hierzu sind konkrete Angaben zum Ab-lauf des Verfahrens und zu dem Zeitraum, in welchem die einzelnen Schritte unter
normalen Bedingungen durchlaufen werden können, erforderlich. Diese Prognose muss auch dann erfolgen, wenn der Betroffene

wie hier

bei der Beschaffung von Passersatzpapieren nicht mitwirkt (vgl. Senat, Beschluss vom 30. Juni 2011 -
V [X.], Rn. 6 juris; Beschluss vom 14. April 2011 -
[X.]/11, Rn. 8 juris). Die Entscheidung des [X.] wird diesen Grundsätzen -
bei summarischer Prüfung -
nicht gerecht. Feststellungen zu der üblichen Dauer der Abschiebung eines [X.] Staatsangehörigen fehlen. Die Beschwerdeentscheidung verhält sich hierzu ebenso wenig wie der Haftan-trag der Beteiligten zu 2. Der amtsgerichtlichen Entscheidung, auf die das [X.] ohnehin nicht Bezug nimmt, lassen sich ebenfalls keine [X.] Angaben dazu entnehmen. Sie enthält lediglich die pauschalen An-gaben, das Rückübernahmeverfahren nehme erfahrungsgemäß eine entspre-chende Dauer in Anspruch, und es müsse noch ein Heimreisedokument be-sorgt werden.
c) Die an die Prognose zu stellenden Anforderungen sind nicht deshalb herabgesetzt, weil die Abschiebung des Betroffenen inzwischen für den 27.
September 2011, und damit innerhalb der angeordneten Haftdauer von drei Monaten, geplant ist. Auch bei einer von Anfang an angeordneten Haftdauer von weniger als drei Monaten ist eine Feststellung darüber zu treffen, ob die 8
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Abschiebung bei realistischer Betrachtung innerhalb dieser Zeit erfolgen kann (Senat, Beschluss vom 11.
Mai 2011

V
ZB
265/10, [X.] 2011, 201 Rn. 9).
d) Es ist nach dem derzeitigen Stand aufgrund des bisherigen tatsächli-chen Ablaufs auch nicht ersichtlich, dass sich die fehlende Prognose im [X.] nicht auswirken wird. Zwar kann aus den späteren Abläufen grundsätzlich auf den mutmaßlichen Inhalt einer gebotenen, aber unterlassenen Prognose geschlossen werden (Senat, Beschluss vom 11.
August 2011

V
ZB
178/11, Rn. 9 juris; Beschluss vom 22. Juli 2010 -
V [X.] [X.] 2011, 27, 29 Rn. 24). Ob die Annahme, dass der Betroffene am 27.
September 2011 abgescho-ben werden kann, realistisch ist, kann aber nicht überprüft werden. Denn es fehlt an Feststellungen zu den erforderlichen weiteren Maßnahmen der [X.] zu 2 bis zur Abschiebung des Betroffenen und zu dem Zeitraum, der hierfür 10
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üblicherweise benötigt wird. Festgestellt ist lediglich, dass die Beteiligte zu 2 am 13.
Juli 2011 veranlasst hat, dass der Betroffene einen Antrag auf Ausstellung eines [X.] ausfüllt.
Krüger

Schmidt-Räntsch

Czub

Dr. [X.]

Weinland

Vorinstanzen:
AG [X.], Entscheidung vom 08.07.2011 -
7 [X.] 8/11 -

LG [X.], Entscheidung vom 08.09.2011 -
9 [X.]/11 -

Meta

V ZB 212/11

19.09.2011

Bundesgerichtshof V. Zivilsenat

Sachgebiet: ZB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 19.09.2011, Az. V ZB 212/11 (REWIS RS 2011, 3276)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 3276

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V ZB 211/10

V ZB 261/10

V ZB 29/10

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