Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 09.03.2011, Az. IV ZB 16/10

IV. Zivilsenat | REWIS RS 2011, 8807

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
IV ZB
16/10
vom

9. März 2011

in der
Nachlasssache

Nachschlagewerk: ja

[X.]Z:

nein

[X.]R: ja

BGB §§ 2078 Abs. 2, 2283 Abs. 2

Die Jahresfrist für die Anfechtung eines Erbvertrages nach § 2283 Abs. 2 BGB beginnt in den Fällen des Irrtums nach §
2078 Abs. 2 BGB mit dem [X.]punkt, in welchem der Erblasser von dem Anfechtungsgrund Kenntnis erlangt.

Ein Rechtsirrtum ist hierbei nur beachtlich, wenn er die Unkenntnis einer die An-fechtung begründenden Tatsache zur Folge hat, dagegen unbeachtlich, wenn es sich nur um eine rechtsirrtümliche Beurteilung des [X.] selbst handelt (hier: Rechtsirrtum bei Änderung der Vermögensverhältnisse nach dem Tod des Vertragserblassers mit überschuldetem Nachlass durch spä-teren Vermögenserwerb des [X.]).

[X.], Beschluss vom 9. März 2011 -
IV ZB 16/10 -
OLG [X.]

AG Aachen

-
2
-

Der IV.
Zivilsenat des [X.] hat durch [X.], [X.], die Richterin [X.], [X.] und die Richterin Dr.
Brockmöller

am 9.
März 2011
beschlossen:

Der Senat beabsichtigt, die Rechtsbeschwerde der Betei-ligten zu
1 und 2 gegen den Beschluss des 2.
Zivilsenats des [X.] vom 21.
Juli 2010 durch [X.] nach §
74a FamFG zurückzuweisen.

Die Beteiligten erhalten Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum

30. März 2011.

Gründe:

[X.] Die Beteiligten zu
1 und 2 beantragen die Erteilung eines ge-meinschaftlichen Erbscheins, wonach
sie jeweils zu 1/2 Erben ihrer
am 11.
Juli 2009 verstorbenen Schwester
geworden sind. Die
Erblasserin
war in erster Ehe verheiratet mit [X.]

, mit dem sie am 10.
Juli 1975 einen notariell beurkundeten Erbvertrag schloss. In diesem setzten
der Ehemann die Erblasserin zur Alleinerbin und die Erblasserin die beiden Kinder des Ehemannes aus dessen erster Ehe -
die Beteiligte zu 3 sowie eine vorverstorbene Schwester
-
zu ihren Erben ein. Ferner vermachte die Erblasserin den Beteiligten zu
1 und 2 die "[X.]
-
3
-

beteiligung"
an einem ihr gehörenden Grundstück. Die Vertragsparteien behielten sich ein einseitiges
Rücktrittsrecht
vom Erbvertrag nicht vor. Nach dem Tod ihres Ehemannes am 9.
Januar 1988 schlug die Erblasse-rin die Erbschaft wegen Überschuldung des Nachlasses aus. Im Dezem-ber 1994 heiratete sie erneut und schloss mit ihrem zweiten Ehemann verschiedene Erbverträge. Nach dem Tod ihres zweiten Ehemannes [X.] die Erblasserin am 10.
Mai 2001 ein notarielles Testament, in welchem sie die Beteiligten zu
1 und 2
als Erben zu je 1/2 einsetzte.
Das Amtsgericht hat den [X.] zurückgewiesen. Die hiergegen gerichtete Beschwerde der Beteiligten zu
1 und 2 ist
erfolglos
geblieben. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde.

I[X.] Die Voraussetzungen für eine Zurückweisung der Rechtsbe-schwerde nach §
74a Abs.
1 FamFG
sind gegeben.

1. Sollte das Beschwerdegericht eine Beschränkung der Zulassung der Rechtsbeschwerde zu der Frage beabsichtigt haben, wie die [X.] zwischen einem beachtlichen und einem unbeachtlichen Rechtsirr-tum im Rahmen der Erbvertragsanfechtung zu beurteilen sind, wäre dies unzulässig.
Eine teilweise Zulassung der Rechtsbeschwerde
kommt nur in Betracht,
wenn -
wie hier nicht
-
abtrennbare Verfahrensgegenstände vorhanden sind (vgl. [X.] in Bork/[X.]/[X.], FamFG §
70 Rn.
19; [X.] in [X.]/[X.], FamFG/RPflG 12.
Aufl.
§
70 Rn.
13).

2. Die Voraussetzungen zur Zulassung der Rechtsbeschwerde nach §
70 Abs.
2 Satz
1 Nr.
2 FamFG zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung liegen nicht vor.

2
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4
-
4
-

a) Der Zulassungsgrund der Fortbildung des Rechts setzt voraus, dass der Einzelfall Veranlassung gibt, Leitsätze für die Auslegung von Gesetzesbestimmungen des materiellen oder formellen Rechts aufzustel-len oder Gesetzeslücken auszufüllen
([X.], Beschluss vom 27.
März 2003 -
V [X.], [X.]Z 154, 288, 292). Daran fehlt es hier, da die maßgeblichen Grundsätze geklärt sind.
Die Jahresfrist für die Anfech-tung nach §
2283 Abs.
2 BGB beginnt in den Fällen des Irrtums nach §
2078 BGB mit dem [X.]punkt, in welchem der Erblasser von dem [X.] Kenntnis erlangt. Ein Rechtsirrtum ist hierbei nur beacht-lich, wenn er die Unkenntnis einer die Anfechtung begründenden Tatsa-che zur Folge hat, dagegen unerheblich, wenn es sich nur um eine rechtsirrtümliche Beurteilung des [X.] selbst han-delt. Die rechtsirrtümliche Beurteilung eines den Tatsachen nach richtig erkannten [X.] geht, soweit es sich um das Anfech-tungsrecht und seine Ausübung handelt, zu Lasten
des Berechtigten ([X.], Urteil vom 3.
November 1969 -
III ZR 52/67, FamRZ
1970, [X.]; [X.], 1, 4
f.; [X.]/[X.], 5.
Aufl. §
2283 Rn.
4; Soergel/Wolf, BGB 13.
Aufl. §
2283 Rn.
2). Ein Anlass für die Entwicklung weiterer höchstrichterlicher Leitsätze besteht auf dieser Grundlage nicht. Wann ein beachtlicher Rechtsirrtum vorliegt, ist über den Einzelfall hinaus nicht verallgemeinerungsfähig. Eine weitergehende abstrakt-generelle Abgrenzung zwischen beachtlichem und unbeachtli-chem Rechtsirrtum erscheint nicht möglich.

b) Der Zulassungsgrund der Sicherung einer einheitlichen Recht-sprechung im Sinne einer Divergenz setzt voraus, dass die [X.] Entscheidung ein und dieselbe Rechtsfrage anders beantwortet als die Vergleichsentscheidung ([X.], Beschluss vom 27.
März 2003 -
V [X.], [X.]Z 154, 288, 292
f.). Daran fehlt es
ebenfalls. Das Be-5
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schwerdegericht stellt
den Rechtssatz auf, dass im Bereich des [X.] nach §
2078 Abs.
2 BGB kein beachtlicher Rechtsirrtum vorliegen könne.
Hierbei weicht es nicht von anderen Entscheidungen ab. Vielmehr nimmt
beispielsweise auch das
Bayerische Oberste Landesgericht
an, es liege kein beachtlicher Irrtum vor, wenn der Erblasser davon ausgehe, aufgrund veränderter Vermögensverhältnisse nicht mehr an einen frühe-ren Erbvertrag gebunden zu sein
(NJW-RR 1991, 454, 455).

3. Die Rechtsbeschwerde hat auch keine Aussicht auf Erfolg.

a) Ohne Erfolg machen die Beschwerdeführer geltend, der Erbver-trag sei dahin auszulegen, dass der Erblasserin konkludent ein Rück-trittsvorbehalt für den Fall eingeräumt worden sei, dass entgegen den Erwartungen der [X.] beim Tod des Ehemannes der Nachlass überschuldet sein werde, die Erblasserin die Erbschaft deshalb ausschlagen müsse und sie erst in der [X.] nach dem Tod des
Eheman-nes eigenes Vermögen erwerben werde.

aa) Für die Feststellung des in einem Erbvertrag erklärten Erblas-serwillens gelten die allgemeinen Auslegungsregeln der §§
133, 2084 BGB. Hiernach ist der wirkliche Wille des Erblassers zu erforschen und nicht an dem buchstäblichen Sinn des Ausdrucks zu haften (Senatsurtei-le
vom 8.
Dezember 1982 -
IVa ZR 94/81, [X.]Z 86, 41, 45; vom 24.
Juni 2009 -
IV ZR 202/07, NJW-RR 2009, 1455
Rn.
25).
Für die Auslegung vertragsmäßiger
Verfügungen i.S. von
§
2278 BGB gelten daneben und modifizierend die Auslegungsregeln für Verträge gemäß §§
133, 157 BGB. Maßgebend ist daher der gemeinsame Wille der Vertragsteile zum [X.]punkt der Errichtung des Erbvertrages ([X.]/Kanzleiter, BGB [2006] Einl. zu
§
2274
ff. Rn.
30).
Diese Aufgabe der Auslegung obliegt 7
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in erster Linie dem Tatrichter. Seine Auslegung kann mit der Revision bzw. Rechtsbeschwerde nur angegriffen werden, wenn sie gegen gesetz-liche Auslegungsregeln, allgemeine Denk-
und Erfahrungsgrundsätze oder Verfahrensvorschriften verstößt (Senatsurteil vom 24.
Februar 1993 -
IV ZR 239/91, [X.]Z 121, 357, 363).

bb) Solche Auslegungsfehler hat die Rechtsbeschwerde nicht [X.] vermocht. Insbesondere kommt angesichts der eindeutigen [X.] VII des Erbvertrages
mit dem Ausschluss eines einseitigen Rücktrittsrechts keine Auslegung des Vertrages dahin in Betracht, dass
die [X.] gleichwohl der Erblasserin einen [X.] Rücktrittsvorbehalt für den Fall der Veränderung der Vermö-gensverhältnisse einräumen wollten. Ansonsten würde auch die vom [X.] vorgesehene Bindungswirkung des Erbvertrages vorschnell [X.]. Hinzu
kommt, dass den Vertragschließenden die prekäre [X.] Situation des Ehemannes keineswegs unbekannt war. Die [X.] haben selbst vorgetragen, dass die unternehmerische Tätigkeit des Ehemannes der Erblasserin im Ergebnis nicht erfolgreich verlief und der Erbvertrag erkennbar von der Absicht geprägt gewesen sei, das Vermögen der Eheleute dem Zugriff von Gläubigern zu entziehen.

b) Auch die von den Beschwerdeführern erklärte Anfechtung des Erbvertrages
greift nicht durch. Ob -
wie das Beschwerdegericht meint
-
im Bereich des [X.] nach §
2078 Abs.
2 BGB überhaupt kein be-achtlicher Rechtsirrtum vorliegen könne, kann offen bleiben. Jedenfalls im vorliegenden Fall ist das Beschwerdegericht zutreffend davon [X.], dass das Anfechtungsrecht der Erblasserin wegen eines [X.] [X.] im [X.]punkt der Anfechtungserklärung bereits erlo-schen war. Gemäß §
2283 Abs.
2 Satz
1 Halbsatz
2 BGB beginnt die 10
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Frist mit dem [X.]punkt, in welchem der Erblasser von dem [X.] Kenntnis erlangt. Die Beschwerdeführer machen als Motivirrtum geltend, die Erblasserin sei nicht von einer Bindungswirkung des [X.] für den Fall ausgegangen, dass der Nachlass der Eheleute selbst überschuldet war, sie die Erbschaft nach ihrem Ehemann ausschlagen musste und erst später selbst neues Vermögen hinzu erworben hat.

Im [X.]punkt des Todes ihres Ehemannes am 9.
Januar 1988 kannte die Erblasserin aber
alle für die Anfechtung maßgeblichen tat-sächlichen Umstände, nämlich
Bestand und Inhalt des Erbvertrages, [X.] und Überschuldung des Nachlasses.
Wenn sie gleich-wohl zu einer Fehleinschätzung der Bindungswirkung des Erbvertrages gelangte, weil sie irrig davon ausging, dass dieser sich nicht auf von ihr zukünftig erworbenes Vermögen beziehe oder durch die Änderung der Vermögensverhältnisse automatisch seine Wirkung verliere, so handelt es sich um einen unbeachtlichen
Rechtsirrtum. Entsprechendes gilt, falls die Erblasserin davon ausgegangen sein sollte, bereits durch die erklärte Ausschlagung sei die
Bindungswirkung des Erbvertrages erloschen. Ein Recht des Überlebenden, nach Ausschlagung seine Verfügung durch 12
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Testament aufzuheben, sieht §
2298 Abs.
2 Satz
3 BGB nur für den Fall vor, dass im Erbvertrag bereits ohnehin dessen Rücktritt vorbehalten war. Das war hier nicht der Fall.

[X.] [X.] [X.]

Dr.
Karczewski Dr. Brockmöller

Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 08.03.2010 -
74 M VI 1897/09 -

OLG [X.], Entscheidung vom 21.07.2010 -
2 Wx 81/10 -

Meta

IV ZB 16/10

09.03.2011

Bundesgerichtshof IV. Zivilsenat

Sachgebiet: ZB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 09.03.2011, Az. IV ZB 16/10 (REWIS RS 2011, 8807)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 8807

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IV ZB 16/10

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