BT-Drucksache 18/9923

Pläne für ein "Fusionszentrum" von Polizeien und Geheimdiensten in der Europäischen Union

Vom 4. Oktober 2016


Deutscher Bundestag Drucksache 18/9923
18. Wahlperiode 04.10.2016

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Andrej Hunko, Jan van Aken, Annette Groth, Dr. André Hahn,
Inge Höger, Ulla Jelpke, Jan Korte, Katrin Kunert, Alexander Ulrich,
Kathrin Vogler und der Fraktion DIE LINKE.

Pläne für ein „Fusionszentrum“ von Polizeien und Geheimdiensten in der
Europäischen Union

Die Europäische Kommission regt an, ein „Drehkreuz für den Informationsaus-
tausch“ unter europäischen Polizei- und Geheimdienstbehörden einzurichten
(Ratsdokument 12307/16). Als Vorbild könnten „Fusionszentren“ dienen, mit de-
nen einige Mitgliedstaaten die polizeilich-geheimdienstliche Zusammenarbeit er-
weitern. In einer Mitteilung an den Generalsekretär des Rates schreibt die Euro-
päische Kommission, die „systematischere Interaktion zwischen diesen Stellen“
sollte nicht auf Terrorismus beschränkt bleiben, sondern könnte auch die schwere
grenzüberschreitende Kriminalität umfassen. Dem Vorschlag der Kommission
zufolge könnte ein „Fusionszentrum“ bei der „Counter Terrorism Group“ (CTG)
des sogenannten Berner Clubs angesiedelt werden. Dort organisieren sich die In-
landsgeheimdienste aller EU-Mitgliedstaaten, Norwegens und der Schweiz. Die
beteiligten Dienste betreiben seit dem 1. Juli 2016 ein interaktives Informations-
system, um sich in Echtzeit über Vorfälle oder Operationen zu unterrichten.
Der Kommission zufolge könnte die polizeilich-geheimdienstliche Zusammenar-
beit über die Polizeiagentur Europol erfolgen. Europol betreibt in Den Haag seit
Januar dieses Jahres selbst ein „Europäisches Zentrum zur Terrorismusbekämp-
fung“ (ECTC), das als Informations-, Analyse- und Koordinationsdrehscheibe für
die an der Terrorismusbekämpfung beteiligten Staatsschutzreferate der Mitglied-
staaten dient. Im April 2016 hielten Europol-Bedienstete bei der CTG einen
Vortrag über die Strukturen zur Terrorismusbekämpfung (Ratsdokument 8881/16).
Die CTG-Geheimdienstgruppe kündigte daraufhin an, „Mechanismen einer
strukturellen Zusammenarbeit“ mit Europol zu prüfen. Die Bundesregierung
hatte hingegen erklärt, eine direkte Zusammenarbeit des ECTC und der CTG solle
nicht erfolgen (Bundestagsdrucksache 18/7930).
Die Europäische Union verfügt im Lissabon-Vertrag über kein Mandat zur Koor-
dination der Geheimdienste. Die Kommission will deshalb nach „praktischen Lö-
sungen“ für eine Zusammenarbeit suchen, ohne dass die EU-Verträge geändert
werden müssten. Beispielsweise könnten die CTG und das ECTC zwar „getrennt
bleiben, aber miteinander verknüpft werden“.
Die Mitgliedstaaten sollen nun laut der Kommission überlegen, inwiefern sie ei-
ner „Öffnung“ der CTG für die „Interaktion mit Strafverfolgungsbehörden“ zu-
stimmen könnten. Die Kommission ruft die Mitgliedstaaten auf, ihre „positiven
Erfahrungen“ gemeinsamer Zentren zu teilen und zu diskutieren. Das Bundesmi-
nisterium des Innern betreibt beispielsweise ein „Gemeinsames Terrorismusab-
wehrzentrum“ in Berlin-Treptow, das wegen des Trennungsgebots von Polizei
und Diensten als „Kooperations- und Kommunikationsplattform“ firmiert

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(www.verfassungsschutz.de). Es vereint sämtliche Kriminalämter und Geheim-
dienste des Bundes und der Länder sowie die Bundespolizei, das Zollkriminalamt
und das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Aus welchen Erwägungen stimmt die Bundesregierung der Einschätzung der

Europäischen Kommission zu oder nicht zu, wonach „dringend eine prakti-
sche Lösung für die Lücke zwischen der nebeneinander verlaufenden Arbeit
der Strafverfolgungsstellen und der Nachrichtendienste“ gefunden werden
muss (Ratsdokument 12307/16)?

2. Was ist der Bundesregierung über Pläne des Rates der Europäischen Union
und/oder der Europäischen Kommission bekannt, ein „Drehkreuz für den In-
formationsaustausch“ unter europäischen Polizei- und Geheimdienstbehör-
den einzurichten (Ratsdokument 12307/16)?

3. Inwiefern ist die Bundesregierung selbst tätig geworden, Diskussionen über
die Einrichtung eines solchen „Drehkreuzes“ oder „Fusionszentrums“ auf
EU-Ebene zu initiieren?

4. In welchen Ratsarbeitsgruppen wurden entsprechende Anregungen, Vor-
schläge oder Pläne bereits diskutiert?

5. Inwiefern könnte aus Sicht der Bundesregierung das „Gemeinsame Terroris-
musabwehrzentrum“ in Berlin-Treptow als Vorbild für die Einrichtung eines
„Drehkreuzes“ oder „Fusionszentrums“ auf EU-Ebene dienen?

6. Welche Haltung vertritt die Bundesregierung zur Frage, inwiefern eine „sys-
tematischere Interaktion zwischen diesen [polizeilichen und geheimdienstli-
chen] Stellen“ nicht auf Terrorismus beschränkt bleiben, sondern auch die
schwere grenzüberschreitende Kriminalität umfassen könnte?

7. Auf welche Weise wird die Bundesregierung dem Aufruf der Europäischen
Kommission an die Mitgliedstaaten folgen, ihre „positiven Erfahrungen“ ge-
meinsamer Zentren zu teilen, und wo sollen diese erörtert werden?

8. Welche Haltung vertritt die Bundesregierung zur Frage, inwiefern ein „Fusi-
onszentrum“ bei der CTG des sogenannten Berner Clubs angesiedelt werden
könnte und eine dort bereits errichtete geheimdienstliche „Plattform“ für die
„Interaktion mit Strafverfolgungsbehörden“ geöffnet werden könnte?

9. Sofern die Bundesregierung eine solche „Öffnung“ für erwägenswert erach-
tet, aus welchen Gründen hat sich ihre Haltung vom März 2016 geändert,
wonach keine direkte Zusammenarbeit der „Plattform“ der CTG mit polizei-
lichen EU-Strukturen erfolgen soll (Bundestagsdrucksache 18/7930)?

10. Mit welchen „relevanten Akteuren“ stand die CTG nach Kenntnis der Bun-
desregierung seit März 2016 in Kontakt (etwa dem Rat, der Kommission,
Agenturen, dem Anti-Terrorismuskoordinator oder einzelnen Mitgliedstaa-
ten), um „Möglichkeiten für eine engere Zusammenarbeit zu sondieren“
(Bundestagsdrucksache 18/7930)?

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11. Auf welche Weise hat sich nach Kenntnis der Bundesregierung auch der

Ständige Ausschuss für die operative Zusammenarbeit im Bereich der inne-
ren Sicherheit (COSI) oder das dort vertretene bayerische Staatsministerium
des Innern (Bundesratsdrucksache 400/15) bereits mit der Frage von „prak-
tischen Lösungen“ für einen besseren Informationsaustausch unter Polizei-
und Geheimdienstbehörden (insbesondere der CTG) befasst (Ratsdokument
12307/16)?
a) Was ist der Bundesregierung über den aktuellen Zeitplan zur Höherakkre-

ditierung des Europol-Informationsaustauschnetzwerks SIENA auf „VS –
Vertraulich“ (EU Confidential) bekannt, der bis Ende des Jahres 2016 avi-
siert war (Bundestagsdrucksache 18/7246), und inwiefern wird auch der
Nutzerkreis von SIENA erweitert?

b) Was ist der Bundesregierung über die Entwicklung der Anzahl von über
SIENA verschickten Nachrichten bekannt (bitte für die letzten zwölf Mo-
nate pro Quartal darstellen)?

12. Was ist der Bundesregierung darüber bekannt, in welchen Abteilungen des
Europäischen Zentrums zur Terrorismusbekämpfung bei Europol im
Jahr 2017 die 90 zusätzlichen Stellen angesiedelt werden sollen (Ratsdo-
kument 12307/16)?

13. Was ist der Bundesregierung über Einzelheiten zu dem Vorschlag bekannt,
bei Europol ein „Governance-Instrument“ für die interne Arbeit des Europä-
ischen Zentrums zur Terrorismusbekämpfung einzusetzen, das laut der Kom-
mission als „Steuerungsmechanismus“ Aspekte wie das Arbeitsprogramm,
die Arbeitsmethoden oder bewährte Verfahren behandeln könnte (Ratsdoku-
ment 12307/16)?

14. Welchen Mehrwert hätte ein solches „Governance-Instrument“ aus Sicht der
Bundesregierung, und inwiefern beträfe dies auch die Zusammenarbeit Euro-
pols mit Geheimdiensten?

15. Inwiefern sollten die Fluggastdaten bei den Passagierdatenzentralstellen in
den Mitgliedstaaten (etwa beim Bundeskriminalamt) oder bei Europol aus
Sicht der Bundesregierung auch automatisiert auf verdächtige Reisemuster
untersucht werden, und worin bestehen oder bestünden solche Muster?

16. Was ist der Bundesregierung darüber bekannt, inwiefern auch die internati-
onale Polizeiorganisation daran arbeitet (ähnlich wie es laut der neuen Euro-
pol-Verordnung 2016/794 des Europäischen Parlaments und des Rates vom
11. Mai 2016 möglich ist), mit Internetunternehmen Personendaten zu Nut-
zerkonten sozialer Medien an Polizeibehörden auszutauschen?
a) Welche weiteren Details kann die Bundesregierung zu „Gemeinsamen

Aktionstagen“ am 31. August und 1. September 2016 der „Meldestelle für
Internetinhalte“ bei Europol mitteilen, an denen sich deutsche Behörden
beteiligten und in deren Verlauf 1 677 Inhalte und Accounts sozialer Me-
dien bei Internetanbietern zur Entfernung gemeldet wurden (Ratsdoku-
ment 12282/16)?

b) Nach welcher Maßgabe haben die beteiligten deutschen Behörden dabei
entschieden, ob es sich um „extremistisches Propagandamaterial“ han-
delte?

17. Was ist der Bundesregierung darüber bekannt, inwiefern Europol im Rahmen
seiner Tätigkeiten (insbesondere bei Einsätzen in Hotspots in Griechenland
oder Italien) auch Gesichtserkennungssysteme einsetzt, um Asylantragsteller
mit Lichtbildern mutmaßlicher „ausländischer Kämpfer“ abzugleichen, die
in sozialen Medien gefunden wurden?

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18. Was ist der Bundesregierung darüber bekannt, inwiefern Europol mittler-

weile Gemeinsame Ermittlungsteams (JIT) mit US-Behörden plant oder
betreibt, und welche Kriminalitätsphänomene (etwa „Terrorismus“ oder
„Migrantenschmuggel“) werden davon erfasst?

19. Inwiefern werden die im Rahmen der Zusammenarbeit Europols mit US-Be-
hörden getauschten Daten nach Kenntnis der Bundesregierung auch mit
„Plattformen“ zum Informationsaustausch in den USA abgeglichen, an de-
nen Geheimdienste beteiligt sind?

20. Was ist der Bundesregierung über teilnehmende Länder einer „Gruppe der
elf am meisten vom Phänomen ausländischer Kämpfer betroffenen Mitglied-
staaten“ (G11) bekannt, und wie grenzt sich diese von der „Gruppe der Neun“
(EU9-Gruppe) ab, die ebenfalls „eine stärkere Koordination der EU-Mitglied-
staaten zu denjenigen Aspekten des Themenbereiches foreign fighters [zu]
erreichen [soll], die sowohl eine enge Kooperation zwischen den EU-Mit-
gliedstaaten als auch innerhalb des Rates der Europäischen Union erfordern“
(Bundestagsdrucksache 18/4017)?
a) Welche Aktivitäten der „Gruppe der Neun“ waren für welche EU-Maß-

nahmen „impulsgebend“?
b) Zu welchen der Treffen der „Gruppe der Neun“ bzw. der „G11“ wurden

nach Kenntnis der Bundesregierung weitere EU-Agenturen bzw. Behör-
den und Regierungen von Drittstaaten eingeladen, und um welche Behör-
den handelte es sich dabei?

Berlin, den 4. Oktober 2016

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

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