BT-Drucksache 18/9920

Wirtschaftliche Situation der Unternehmen in der privaten Krankenversicherung

Vom 4. Oktober 2016


Deutscher Bundestag Drucksache 18/9920
18. Wahlperiode 04.10.2016

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Harald Weinberg, Sabine Zimmermann (Zwickau),
Katja Kipping, Dr. Petra Sitte, Azize Tank, Kathrin Vogler, Birgit Wöllert,
Pia Zimmermann und der Fraktion DIE LINKE.

Wirtschaftliche Situation der Unternehmen in der privaten Krankenversicherung

Die Unternehmen der privaten Krankenversicherung (PKV) müssen für jede pri-
vat Krankenversicherte und jeden privat Krankenversicherten Alterungsrückstel-
lungen bilden, um das höhere Krankheitsrisiko im Alter und damit höhere Bei-
träge durch Alterung abzufedern. Die Mittel für die Rückstellungen legt die PKV
auf den Kapitalmärkten an. Der zu erwartende zukünftige Zins und Zinseszins
wird zur Deckung der kalkulierten erwarteten Kosten in die Beitragsberechnung
einbezogen. Von der Höhe des Rechnungszinses und des darüber hinaus erzielten
Überzinses hängt ab, wie hoch der Beitrag in jüngeren Jahren sein muss, damit
die angestrebte Höhe der Alterungsrückstellungen auch erreicht werden kann.
Damit wird deutlich, wie stark die PKV von den Auswirkungen der langanhal-
tenden Niedrig- und Null-Zinsphase betroffen ist. Niedrige Zinsen bedeuten für
die Unternehmen geringe Erträge bei der Kapitalanlage der angesparten Rück-
stellungen. Durch die Absenkung des Rechnungszinses haben Unternehmen wie
der AXA Konzern AG und die Deutsche Krankenversicherung AG (DKV) ihre
Beiträge bereits stark erhöht (TAGESSPIEGEL Online vom 2. März 2016,
„DKV-Beiträge steigen um bis zu 130 Euro im Monat“; Versicherungsbote vom
19. November 2015). Aufgrund des niedrigen Zinsniveaus werden bei den Unter-
nehmen der PKV weitere Beitragserhöhungen erwartet (Süddeutsche Zeitung
vom 24. Juni 2016). Eine Untersuchung der ASSEKURATA Assekuranz Rating-
Agentur GmbH von Juni 2016 schätzt ein, dass kurz- bis mittelfristig ein Rech-
nungszins von 2 Prozent für den Großteil der PKV-Unternehmen realistisch sei
(vgl. Marktausblick zur privaten Krankenversicherung 2016/17).
In den vergangenen Monaten wurde viel über die Probleme der PKV-Unterneh-
men in den Medien berichtet: Der Bestand der PKV-Unternehmen im Kernge-
schäft der Vollversicherungen sei weiterhin rückläufig (ÄrzteZeitung vom
23. Juni 2016, „PKV-Anbieter gewinnen kaum Kunden für Vollversicherung“),
privat Krankenversicherte müssen mit deutlich steigenden Beiträgen rechnen
(Süddeutsche Zeitung vom 24. Juni 2016, „Höhere Preise für Privatversicherte“),
die Anzahl der privat Versicherten in den preislich gedeckelten und vom Leis-
tungsangebot begrenzten Basis- oder Standardtarif sei erheblich gestiegen (die
Zahl hat sich in den letzten fünf Jahren um fast ein Viertel auf knapp 75 000 Ver-
sicherte erhöht, Frankfurter Rundschau vom 31. Mai 2016) und das zweitgrößte
PKV-Unternehmen, die DKV, verliere im Zeitraum vom 1. Januar 2015 bis 1. Ja-
nuar 2016 über 20 000 Mitglieder (DIE WELT vom 11. August 2016).

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Uwe Laue, Vorsitzender des PKV-Verbandes, erläuterte, dass die Versicherten-
zahl in der Krankenvollversicherung im vergangenen Jahr erneut um 47 100 oder
0,5 Prozent gesunken sei (versicherungswirtschaft-heute.de vom 24. Juni 2016).
Die Einnahmen durch Versicherungsbeiträge fielen folglich niedriger aus.
Weiterhin sind die Leistungsaufwendungen im Jahr 2015 deutlich stärker gestie-
gen als die Beitragseinnahmen (ÄrzteZeitung vom 24. Juni 2016, „Rechen-
schaftsbericht: PKV mit deutlichem Ausgabenanstieg“). Die wirtschaftliche Situ-
ation der PKV-Unternehmen scheint sich demnach weiter zu verschlechtern. Es
liegt auf der Hand, dass damit auch die Prämienbelastungen für die privat Kran-
kenversicherten steigen werden.
Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) übt die Aufsicht
über die privaten Krankenversicherungen aus. Aufgrund vieler gesetzlicher Re-
gelungen, die die PKV betreffen und der Kontrolle durch die BaFin unterstehen,
liegen ihr daher umfangreiche Daten über die Branche vor.
Falls wettbewerbsrelevante Daten aus Gründen des Datenschutzes nicht genannt
werden, bitten die Fragestellerinnen und Fragesteller um aggregierte Daten in der
öffentlichen Antwort sowie um Übermittlung der geheimhaltungsbedürftigen Da-
ten an die Geheimschutzstelle des Deutschen Bundestages.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Wie viele Versicherte waren nach Kenntnis der Bundesregierung in den ein-

zelnen PKV-Unternehmen versichert (bitte in Jahres-Schritten für die Jahre
ab 2010 gliedern)?

2. Wie hoch waren nach Kenntnis der Bundesregierung die Gewinne der ein-
zelnen Versicherungsunternehmen und der gesamten PKV jeweils in den
vergangenen zehn Jahren (bitte nach PKV-Unternehmen einzeln und in Jah-
res-Schritten gliedern)?

3. Wie hat sich nach Kenntnis der Bundesregierung das Beitragsaufkommen
pro Versicherten in der PKV in den Jahren seit 2010 entwickelt (bitte nach
PKV-Unternehmen einzeln, in absoluten Zahlen und in Steigerungsraten in
Jahres-Schritten angeben)?

4. Welche Beitragssteigerungen hat es nach Kenntnis der Bundesregierung seit
2010 in den PKV-Unternehmen pro Versicherten gegeben (bitte die Steige-
rung in Prozent pro Jahr und nach PKV-Unternehmen einzeln gliedern)?

5. Wie groß ist nach Kenntnis der Bundesregierung der Anteil der Leistungs-
ausgaben am Beitragsaufkommen in den Jahren seit 2010 (bitte nach PKV-
Unternehmen einzeln und in Jahres-Schritten gliedern)?

6. Wie hoch sind nach Kenntnis der Bundesregierung die Zahl und der Anteil
der Personen, bei denen der Versicherungsvertrag nach einem Aufnahmean-
trag nur mit Risikozuschlägen oder Leistungsausschlüssen zustande kommt
(bitte in Jahresschritten ab 2010 angeben)?

7. Wie hoch sind nach Kenntnis der Bundesregierung die Zahl und der Anteil
der Personen, bei denen ein PKV-Antrag abgelehnt wurde (bitte in Jahres-
schritten ab 2010 angeben)?
Welches sind die Gründe hierfür?

8. Wie oft wurden nach Kenntnis der Bundesregierung Ratenzahlungen bei der
Zahlung der Versicherungsbeiträge vereinbart?

9. Wie viele der privat Versicherten sind nach Kenntnis der Bundesregierung
seit der Einrichtung des Notlagentarifs in diesem versichert (bitte nach ein-
zelnen PKV-Unternehmen und Jahr bzw. Quartal oder Monat (falls verfüg-
bar) gliedern)?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/9920

10. Wie oft wurden nach Kenntnis der Bundesregierung seit 2010 Anträge für

Sozialhilfeleistungen bei Sozialämtern zur Zahlung der Versicherungsbei-
träge für PKV-Unternehmen von Versicherten gestellt (bitte in Jahres-Schrit-
ten gliedern)?

11. Wie oft wurden nach Kenntnis der Bundesregierung seit 2010 Anträge auf
Grundsicherung im Alter zur Zahlung der Versicherungsbeiträge für PKV-
Unternehmen von Versicherten gestellt (bitte in Jahres-Schritten gliedern)?

12. Wie oft wurden nach Kenntnis der Bundesregierung seit 2010 Anträge auf
Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (Hartz IV) zur Zah-
lung der Versicherungsbeiträge für PKV-Unternehmen gestellt (bitte in Jah-
res-Schritten gliedern)?

13. Wie viele Personen sind nach Kenntnis der Bundesregierung im Basistarif
bzw. Standardtarif versichert, und wie vielen davon wird eine Beitragsreduk-
tion wegen Hilfebedürftigkeit gewährt (bitte jeweils für die Jahre seit 2009
angeben)?

14. Wie hoch sind nach Kenntnis der Bundesregierung die bei der PKV aufge-
laufenen Beitragsschulden, und wie haben diese sich seit 2008 entwickelt
(bitte in Jahres-Schritten)?

15. Wie viele Personen sind nach Kenntnis der Bundesregierung seit Bestehen
des Notlagentarifs in diesem versichert, und wie viele sind in einen anderen
Tarif zurückgekehrt (bitte nach Monaten aufschlüsseln, falls möglich)?

16. Wie hoch ist nach Kenntnis der Bundesregierung die durchschnittliche jähr-
liche Abschmelzung der Alterungsrückstellungen bei im Notlagentarif Ver-
sicherten (bitte absolut und relativ angeben)?

17. Wie hoch sind nach Kenntnis der Bundesregierung die im Notlagentarif ge-
forderten Beiträge im Durchschnitt, und wie hoch sind sie mindestens und
höchstens?

18. Welche Leistungen sind nach Kenntnis der Bundesregierung jeweils im Ba-
sis- und Standardtarif gegenüber gesetzlich Krankenversicherten einge-
schränkt, worin bestehen die Unterschiede in den Leistungen dieser beiden
Tarife, wie begründen sich diese Leistungseinschränkungen jeweils recht-
lich?

19. Welche inhaltlichen Gründe verhindern, dass die Bundesregierung statt eines
mit der gesetzlichen Krankenversicherung vergleichbaren Versicherungs-
schutzes einen gleichen Versicherungsschutz ohne diese Leistungseinschrän-
kungen gesetzlich zu regeln beabsichtigt?

20. Wie viele Personen sind nach Kenntnis der Bundesregierung in Tarifen mit
Selbstbehalten versichert?
Was ist der Bundesregierung über die Höhe dieser Selbstbehalte bekannt?

21. Wie hoch ist nach Kenntnis der Bundesregierung der Anteil der Basistarif-
versicherten, die Tarife mit Selbstbehalten gewählt haben?
Was ist der Bundesregierung über Verteilung der Basistarifversicherten auf
die verschiedenen Höhen von 300, 600, 900 und 1 200 Euro bekannt?

22. Gibt es nach Kenntnis der Bundesregierung Schätzungen oder Studien, wie
viele privat Versicherte Schwierigkeiten bei der Aufbringung der Selbstbe-
halte haben und deswegen medizinische Leistungen nicht in Anspruch neh-
men?

23. Wie viele PKV-Versicherte haben nach Kenntnis der Bundesregierung seit
dem 1. April 2012 ihren PKV-Vertrag innerhalb der ersten fünf Jahre gekün-
digt?

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24. Wie oft haben Versicherungsvermittlerinnen und Versicherungsvermittler

eine zu Beginn erhaltene Abschlussprovisionen anteilig oder vollumfänglich
an ein PKV-Unternehmen im Fall einer Kündigung seitens der Versicherten
innerhalb der ersten fünf Jahre nach Kenntnis der Bundesregierung zurück-
gezahlt (Stornohaftung)?

25. Wie bewertet die Bundesregierung die Entwicklung der Beitragserhöhungen
bei den PKV-Unternehmen, die durch das aktuell niedrige Zinsniveau aus-
gelöst wurden und werden?

26. Was unternimmt die Bundesregierung, um privat Versicherte vor möglichen
anstehenden Beitragserhöhungen zu schützen?

27. Wie viele Beschwerden über private Krankenversicherungen sind in den letz-
ten fünf Jahren bei der BaFin oder dem Ombudsmann der PKV eingegangen
(bitte nach Versicherungsunternehmen und Jahr auflisten)?

28. Erwartet die Bundesregierung in absehbarer Zeit eine wesentliche Änderung
des Niedrigzinsumfeldes?

29. Welche Nettoverzinsung haben die einzelnen PKV-Unternehmen nach
Kenntnis der Bundesregierung seit 2010 erzielt (bitte nach PKV-Unterneh-
men einzeln und in Jahres-Schritten gliedern)?

30. Wie hoch war nach Kenntnis der Bundesregierung der Überzins bei den ein-
zelnen PKV-Unternehmen, und wie war die tatsächliche Aufteilung der
Überzinsen auf Grundlage des § 12a des Versicherungsaufsichtsgesetzes bei
den einzelnen PKV-Unternehmen seit 2010 (bitte nach PKV-Unternehmen
einzeln und in Jahres-Schritten gliedern)?

31. Welche PKV-Unternehmen mussten nach Kenntnis der Bundesregierung seit
Einführung des Verfahrens des aktuariellen Unternehmenszins (AUZ) ihren
individuellen Rechnungszins auf unter 3,5 Prozent senken?
Auf welchen Wert wurde jeweils gesenkt, und für welchen Zeitraum gilt
bzw. galt dies?

32. Teilt die Bundesregierung die Einschätzung der ASSEKURATA Assekuranz
Rating-Agentur GmbH von Juni 2016, dass kurz- bis mittelfristig ein Rech-
nungszins von 2 Prozent für den Großteil der PKV-Unternehmen realistisch
sei (bitte begründen)?

33. Wie viele Unternehmen konnten nach Kenntnis der Bundesregierung in den
Jahren 2015 und 2016 insgesamt den von ihnen verwendeten ursprünglichen
Rechnungszins nicht mehr mit dem Verfahren zum AUZ nachweisen, und
wie viele Versicherte haben diese Unternehmen in der Vollversicherung?

Berlin, den 30. September 2016

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

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