BT-Drucksache 18/9873

Mögliche Beschlagnahmung von Vermögen der Deutschen Bahn AG zur Entschädigung von NS-Opfern in Italien

Vom 27. September 2016


Deutscher Bundestag Drucksache 18/9873
18. Wahlperiode 27.09.2016

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Frank Tempel, Eva Bulling-Schröter,
Sevim Dağdelen, Jan Korte, Katrin Kunert, Birgit Menz,
Harald Petzold (Havelland), Dr. Petra Sitte, Dr. Kirsten Tackmann,
Halina Wawzyniak, Hubertus Zdebel und der Fraktion DIE LINKE.

Mögliche Beschlagnahmung von Vermögen der Deutschen Bahn AG zur
Entschädigung von NS-Opfern in Italien

Das Oberlandesgericht Florenz hat in einer Entscheidung vom 18. August 2016
(Sentenza n. 1334) entschieden, den Klageantrag der Bundesregierung zur Auf-
hebung des Exequatururteils n. 1696/2008 zurückzuweisen, mit dem die Zwangs-
vollstreckung in das Vermögen der Deutschen Bahn AG zur Entschädigung von
NS-Opfern betrieben wird. In dem Verfahren ging es um die Opfer des SS-Mas-
sakers von Distomo. In der griechischen Ortschaft hatte die SS am 10. Juni 1944
218 Einwohner ermordet. Den Überlebenden bzw. Angehörigen hatten griechi-
sche Gerichte Entschädigung in Höhe von rund 37,5 Millionen D-Mark zugespro-
chen. Weil die Bundesregierung diese Urteile nicht anerkennt und den Opfern
jegliche Entschädigung verweigert, begehren diese nun in Italien die Vollstre-
ckung ihrer Ansprüche. Dazu hatten sie beantragt, dass deutsches Staatsvermögen
beschlagnahmt wird.
Auch die Deutsche Bahn AG hatte sich vor dem Oberlandesgericht Florenz dem
Wiederaufnahmeantrag der Bundesregierung gegen die mögliche Heranziehung
ihres Vermögens angeschlossen. Dieser Antrag wurde zurückgewiesen, so dass
nunmehr nach Angaben des Rechtsanwalts der Klägerinnen und Kläger,
Dr. Joachim Lau, gegenüber den Fragestellerinnen und Fragestellern, die Voll-
streckung gegen das Bahnvermögen fortgesetzt werden kann.
Der Internationale Gerichtshof hat zwar auf Antrag der Bundesregierung am
3. Februar 2012 Urteile der italienischen Justiz, die Deutschland zu Entschädi-
gungszahlungen verpflichtet hatten, als Verstoß gegen die sog. Staatenimmunität
bezeichnet, das italienische Verfassungsgericht hat aber in seiner Entscheidung
n. 238 aus dem Jahr 2014 klargestellt, dass die Staatenimmunität nicht im Falle
von schweren Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit gilt.
Es hat vielmehr dem verfassungsmäßig geschützten Recht der Opfer auf gericht-
liche Überprüfung ihrer Rechte Geltung verschafft.
Nach Auffassung der Fragestellerinnen und Fragesteller sollte das neue Urteil des
Oberlandesgerichts Florenz der Bundesregierung Anlass sein, die Entschädi-
gungsrechte der Opfer endlich zu erfüllen. Es ist unwürdig, den Überlebenden
und Verwandten dieses Massakers einen jahrzehntelangen Rechtsstreit zuzumu-
ten.

Drucksache 18/9873 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welches sind aus Sicht der Bundesregierung die wichtigsten Bestandteile des
vorgenannten Urteils, und welche Schlussfolgerungen zieht sie hieraus?

2. Inwiefern war die Bundesregierung an dem Verfahren selbst beteiligt (nicht
nur im juristischen Sinn)?

3. Inwiefern stand die Bundesregierung diesbezüglich mit der Deutschen Bahn
AG in Kontakt?
a) Inwiefern hat sie diese bei der Prozessstrategie unterstützt?
b) Was war die Position der Deutschen Bahn AG?
c) Welche Schlussfolgerungen zieht die Deutsche Bahn AG nach Kenntnis

der Bundesregierung aus dem Urteil?
d) Ist beabsichtigt, Rechtsmittel gegen das Urteil einzulegen?

4. Treffen Informationen der Fragestellerinnen und Fragesteller zu, dass gegen-
wärtig bereits Vermögen der Deutschen Bahn AG beschlagnahmt ist, und
wenn ja, um welche Summe geht es dabei?

5. Beabsichtigt die Bundesregierung Schritte zu unternehmen, um der Verwer-
tung des Bahnvermögens zur Entschädigung von NS-Opfern entgegenzutre-
ten, und wenn ja, welche?

6. Hat die Deutsche Bahn AG oder die Bundesregierung mit der italienischen
Bahn Erörterungen angestellt, wie im Falle einer Vollstreckung ihres Ver-
mögens weiter verfahren werden soll, und wenn ja, welcher Art waren diese?
Inwiefern werden solche Erörterungen noch angestrebt?

7. Hat sich die Bundesregierung mit der italienischen Regierung in Verbindung
gesetzt, um über die Konsequenzen des Urteils zu beraten, und wenn ja, in-
wiefern ist dabei eine Einigung über das weitere Vorgehen erzielt worden?

8. Hat es seit Beantwortung der Kleinen Anfrage „Entschädigung der NS-Opfer
in Italien“ der Fraktion DIE LINKE. (Bundestagsdrucksache 18/7852) wei-
tere Verbalnoten der deutschen oder italienischen Seite bezüglich der Urteils-
praxis der italienischen Justiz oder in Zusammenhang mit der Entschädi-
gungsthematik gegeben, und wenn ja, was war jeweils deren Inhalt?

9. Inwiefern hat sich die auf Bundestagsdrucksache 18/7852 angesprochene Er-
wägung der Bundesregierung, ggf. erneut vor dem Internationalen Gerichts-
hof gegen die italienischen Urteile zugunsten der NS-Opfer vorzugehen, seit-
her konkretisiert?
Hat die Bundesregierung bereits eine juristische Überprüfung der Klagemög-
lichkeiten vorgenommen oder beauftragt (bitte ggf. präzisieren)?

10. Hat die Bundesregierung den Bericht des interfraktionellen Ausschusses des
griechischen Parlaments zur Geltendmachung der Forderungen aus deut-
schen Verbindlichkeiten zur Kenntnis genommen oder offiziell aus Grie-
chenland zugestellt bekommen, und wenn ja, welche Schlussfolgerungen
zieht sie daraus?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/9873

11. Ist die Bundesregierung bereit, dem Deutschen Bundestag eine vollständige

Übersicht aller Liegenschaften, Immobilien und sonstigen Vermögenswerte
zukommen zu lassen, über die Deutschland in Italien verfügt, und wenn nein,
warum nicht?

Berlin, den 26. September 2016

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

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