BT-Drucksache 18/9657

Subsidiärer Schutz und Einschränkung des Familiennachzugs bei syrischen Flüchtlingen

Vom 16. September 2016


Deutscher Bundestag Drucksache 18/9657
18. Wahlperiode 16.09.2016

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Jan Korte, Harald Petzold (Havelland),
Halina Wawzyniak und der Fraktion DIE LINKE.

Subsidiärer Schutz und Einschränkung des Familiennachzugs bei syrischen
Flüchtlingen

Immer mehr syrischen Schutzsuchenden wird seit dem Frühjahr 2016 nur noch
ein subsidiärer Schutzstatus statt eines Flüchtlingsstatus nach der Genfer Flücht-
lingskonvention erteilt. Trotz erwiesener Schutzbedürftigkeit wird ihnen damit
nach der Neuregelung des Asylpakets II ein Familiennachzug bis zum März 2018
versagt. Dabei hatte die SPD ursprünglich erklärt, dass syrische Flüchtlinge
von dieser Einschränkung des fundamentalen Rechts auf Familienzusammenle-
ben nicht betroffen sein sollten (vgl. www.proasyl.de/news/fluechtlingsschutz-
verweigert-familiennachzug-fuer-syrer-wird-weiter-beschraenkt/). Auch durch
die langen Wartezeiten bei der Visumvergabe wird die Familienzusammenfüh-
rung mit in Deutschland lebenden syrischen Flüchtlingen erheblich erschwert
(vgl. Bundestagsdrucksache 18/9133).

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Wie waren die Asylentscheidungen (bitte in absoluten und relativen Zahlen

angeben und nach gewährtem Status differenzieren) im bisherigen Jahr 2016
bei syrischen Asylsuchenden, deren Asylgründe im Rahmen einer persönli-
chen Anhörung (das heißt nicht in einem nur schriftlichen Verfahren) geprüft
wurden, und welchen Anteil (bitte in absoluten und relativen Zahlen ange-
ben) hatten Entscheidungen im schriftlichen Anhörungsverfahren an allen
Entscheidungen bei syrischen Asylsuchenden (bitte jeweils im Monatsver-
lauf getrennt darstellen)?

2. Wie erklärt die Bundesregierung den Anstieg der Gewährung des subsidi-
ären Schutzes für syrische Flüchtlinge nach einer inhaltlichen Asylanhö-
rung von 1,4 Prozent im Januar 2016 auf 59,2 Prozent im Juni 2016 (Nach-
beantwortung des Auswärtigen Amts vom 3. August 2016 auf die Antwort
der Bundesregierung auf Bundestagsdrucksache 18/9303), obwohl sich die
Lage in Syrien in dieser Zeit substantiell nicht geändert hat und obwohl es
auch keine Änderungen der Rechtsprechung gegeben hat, wonach syri-
schen Asylsuchenden in der Regel schon deshalb ein Flüchtlingsstatus, und
nicht nur subsidiärer Schutz, erteilt werden muss, weil sie bei einer Rück-
kehr Verfolgung und unmenschliche Behandlung durch das syrische
Regime zu befürchten haben (bitte ausführlich begründen; vgl. auch:
www.proasyl.de/wp-content/uploads/2015/12/Rechtspolitisches-Papier_
Familiennachzug_aktuell_final.pdf)?

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3. Wie bewertet die Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flücht-
linge und Integration, Aydan Özoğuz, den enormen Anstieg der Gewährung
lediglich subsidiären Schutzes für syrische Flüchtlinge, und welche Initiati-
ven hat sie diesbezüglich innerhalb der Bundesregierung unternommen, auch
vor dem Hintergrund, dass sie bei der Verabschiedung des sogenannten zwei-
ten Asylpakets im Deutschen Bundestag erklärt hatte, dass die Einschrän-
kung des Familiennachzugs zu subsidiär Schutzberechtigten „nur eine kleine
Gruppe“ betreffe (Plenarprotokoll 18/158, Seite 15478; im Jahr 2015 erhiel-
ten 1 700 Menschen einen subsidiären Schutz, bis August 2016 waren es be-
reits 60 954 Personen, www.bmi.bund.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/
DE/2016/09/asylantraege-august-2016.html)?

4. Inwiefern sieht die Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flücht-
linge und Integration ihre Kritik bestätigt, wonach das BAMF „jetzt schon
heillos überlastet“ sei (im November 2015) und „zustätzliche Einzelfallprü-
fungen für Tausende Syrer […] die Beamten überfordern“ würden (taz. die
tageszeitung vom 10. November 2015: „Sigmar Gabriels Hintertürchen“),
und wie begründet sie ihre Einschätzung?

5. Inwieweit ist der Umstand, dass das BAMF im Jahr 2016 statt der geplanten
1 Million Asylentscheidungen nach Einschätzung des Behördenleisters
Frank-Jürgen Weise nur etwa 700 000 Entscheidungen schaffen wird (www.
tagesschau.de/inland/bamf-129.html), auch damit zu erklären, dass das
schriftliche Anhörungsverfahren (insbesondere für syrische Asylsuchende)
abgeschafft wurde, und welcher personelle und zeitliche Mehraufwand ist
mit dieser Rückkehr zu inhaltlichen Asylanhörungen in allen Fällen verbun-
den (bitte ausführen)?

6. Was hat die Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend,
Manuela Schwesig, unternommen, nachdem sie sich öffentlich gegen die
Einschränkung des Familiennachzugs für syrische Flüchtlinge ausgespro-
chen und erklärt hatte: Sie verlasse sich auf das Wort von Flüchtlingskoordi-
nator Peter Altmaier, dass sich an der bisherigen Praxis nichts ändere
(www.tagesschau.de/inland/fluechtlingspolitik-schutzstatus-syrer-103.html),
und nachdem sich die bisherige Praxis nun doch fundamental geändert hat,
und in welcher Form hat Peter Altmaier ihr diesbezüglich wann welche Zu-
sicherung gegeben bzw. zurückgenommen (bitte ausführen)?

7. Was wurde in der Bundesregierung aufgrund welcher Koalitionsvereinba-
rung wann und zwischen wem vereinbart zur Einschränkung des Familien-
nachzugs, auch in Bezug auf subsidiär Schutzberechtigte aus Syrien, nach-
dem Bundesminister des Innern, Dr. Thomas de Maizière, nach Protesten der
SPD am Abend des 7. November 2015 erklärt hatte: „Im Lichte der Entschei-
dung der Koalition gestern zum Familiennachzug gibt es aber Gesprächsbe-
darf in der Koalition. Und deswegen bleibt es jetzt so wie es ist, bis es eine
neue Entscheidung gibt“ – unter welchen Umständen, wann und aus welchen
Gründen wurde also diese angekündigte neue Entscheidung von wem getrof-
fen (www.tagesschau.de/inland/familiennachzug-syrien-fluechtlinge-109.
html)?

8. Welche Anweisungen, Vorgaben, Änderungen von Textbausteinen oder
Länderbeurteilungen, mündliche Vorgaben usw. gab es zu welchem Zeit-
punkt in diesem Jahr seitens des Bundesministeriums des Innern gegenüber
dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) bzw. intern im
BAMF (bitte gesondert auflisten, mit Datum, Inhalt und Anlass und Begrün-
dung der Änderung bzw. Vorgabe) zu der Frage, unter welchen Bedingungen
ein subsidiärer Status erteilt werden soll, insbesondere in Bezug auf Syrien,
aber auch generell?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/9657
9. Gegen wie viele Bescheide des BAMF, mit denen ein Flüchtlingsstatus für
Asylsuchende abgelehnt, ein subsidiärer Schutzstatus jedoch anerkannt
wurde, haben Betroffene im Jahresverlauf 2016 bislang Klage erhoben (bitte
absolute und relative Angaben machen und im Monatsverlauf darstellen,
bitte jeweils auch für die fünf wichtigsten betroffenen Herkunftsländer in
dieser Weise darstellen), in wie vielen Fällen wurden diese Klagen bereits
entschieden (mit welchem Ergebnis, bitte auch vorläufige, nicht rechtskräf-
tige Entscheidungen miteinbeziehen), und welche Angaben kann die Bun-
desregierung dazu machen, inwieweit diese aktuellen Entscheidungen ein
Abweichen von der Rechtsprechung vom Herbst 2014 rechtfertigen, nach der
bei syrischen Flüchtlingen ein Flüchtlingsstatus, und kein subsidiärer Schutz
erteilt werden muss (siehe: www.proasyl.de/wp-content/uploads/2015/12/
Rechtspolitisches-Papier_Familiennachzug_aktuell_final.pdf, S. 2ff)?

10. Wie viele unbegleitete minderjährige Asylsuchende haben in diesem Jahr ei-
nen nur subsidiären Schutzstatus erhalten (bitte nach Monaten und den fünf
wichtigsten Herkunftsstaaten aufschlüsseln), in wie vielen Fällen wurde seit
Inkrafttreten des Asylpakets II ein Familiennachzug zu unbegleiteten min-
derjährigen subsidiär Schutzberechtigten im Wege von Einzelfallentschei-
dungen nach § 22 des Aufenthaltsgesetzes ermöglicht, wie viele Fälle sind
an das Auswärtige Amt herangetragen worden (bitte nach Herkunftsländern
aufschlüsseln), und wie wird die Zahl der ermöglichten Einreisen von Fami-
lienangehörigen zu unbegleiteten minderjährigen subsidiär Schutzberechtig-
ten im humanitären Ausnahmefall von der Bundesregierung einerseits bzw.
von der Integrationsbeauftragten der Bundesregierung andererseits bewertet
vor dem Hintergrund der Koalitionseinigung zu diesem Thema (www.
tagesschau.de/inland/familiennachzug-einzelfallpruefungen-101.html)?

11. Wie sind die aktuellen Wartezeiten beim Familiennachzug zu anerkannten
syrischen Schutzberechtigten in Deutschland in den deutschen Visastellen in
der Region um Syrien, wie viele Termine für wie viele Personen wurden ver-
geben, wie lange sind die jeweiligen durchschnittlichen Bearbeitungszeiten,
wie viele Fälle sind aktuell noch in Bearbeitung, und wie viele entsprechende
Visa wurden in diesem Jahr bereits erteilt (bitte jeweils nach Visastellen ge-
trennt auflisten)?

12. In welche Länder der Welt dürfen syrische Staatsangehörige nach Kenntnis
der Bundesregierung derzeit visumfrei einreisen, und wie viele Visa zum
Nachzug zu in Deutschland anerkannten syrischen Schutzberechtigten wur-
den von deutschen Visastellen insbesondere in diesen Ländern bzw. insge-
samt außerhalb der direkten Herkunftsregion bislang erteilt (bitte nach Län-
dern auflisten)?

13. Wie viele Visaanträge beim Familiennachzug zu anerkannten syrischen
Schutzberechtigten in Deutschland wurden bislang in Berlin bearbeitet, wie
hat sich diesbezüglich die Schaffung eines neuen Postens ab Juli 2016 aus-
gewirkt (vgl. Bundestagsdrucksache 18/9133, Antwort zu Frage 23), und in-
wieweit ist an eine Ausweitung dieser Bearbeitung in Deutschland gedacht
(bitte ausführen)?

14. Welche weiteren personellen oder baulichen Aufstockungsmaßnahmen sind
geplant, um das Recht auf Familiennachzug zu anerkannten Flüchtlingen in
Deutschland wirksam, d. h. in angemessener Zeit durchzusetzen?

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15. Welche Integrationshemmnisse für hier lebende, anerkannte Flüchtlinge

sieht die Bundesregierung, wenn der Nachzug der Kernfamilienangehörigen
(die zudem mehrheitlich unter prekären oder Kriegsbedingungen leben) erst
mit einer Verzögerung von ein bis drei Jahren möglich ist (bitte ausführen,
etwa in Bezug auf Konzentrationsschwierigkeiten beim Spracherwerb
und die Bedeutung der Familienzusammenführung für die Integration ins-
gesamt, vgl. den vierten Erwägungsgrund der Richtlinie 2003/86/EG vom
22. September 2003)?

Berlin, den 16. September 2016

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

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