BT-Drucksache 18/9639

Tests von Drohnen und Satellitenüberwachung über der Nordsee

Vom 14. September 2016


Deutscher Bundestag Drucksache 18/9639
18. Wahlperiode 14.09.2016

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Andrej Hunko, Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken,
Christine Buchholz, Annette Groth, Dr. André Hahn, Inge Höger, Ulla Jelpke,
Katrin Kunert, Niema Movassat, Dr. Alexander S. Neu, Harald Petzold (Havelland),
Kersten Steinke, Jörn Wunderlich und der Fraktion DIE LINKE.

Tests von Drohnen und Satellitenüberwachung über der Nordsee

In mehreren Durchläufen testet das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt
e. V. (DLR) über der Nordsee die Nutzung von ferngesteuerten Luftfahrzeugen
und von Satellitenüberwachung für Sicherheitsaufgaben (Pressemitteilung DLR
vom 2. September 2016). Im Projekt EMSec (Echtzeitdienste für die Maritime
Sicherheit – Security) wird die Entführung einer Fähre simuliert. Das Schiff wird
gezwungen, vom Kurs abzuweichen und (neben anderen Szenarien) auf eine „ma-
ritime kritische Infrastruktur“ zuzufahren. Dabei wird das AIS-Signal (Automatic
Identification Signal) des Schiffes „Bayreuth“ der Bundespolizei See verfolgt und
mit anderen, angeforderten „schiffsspezifischen Informationen“ abgeglichen. In
einem weiteren Szenario wird das GNSS-Signal (GNSS: Globales Navigations-
satellitensystem) gestört, so dass bordseitige Positions- und Lageinformations-
systeme nur eingeschränkt verfügbar sind. Ein im EMSec-Projekt entwickelter
Demonstrator soll die Störquelle des GNSS aufspüren und lokalisieren.
Die Durchführung einer echten Störung ist jedoch mit Gefahren verbunden: In
einem ähnlichen, von der NATO durchgeführten Manöver zur „elektronischen
Kampfführung“ sollen unbeabsichtigt Transpondersignale von zivilen Flugzeu-
gen neutralisiert worden sein (Bundestagsdrucksache 18/2131). Anderen Berich-
ten zufolge ist die Ursache der Störung eine in der Tschechischen Republik an-
gesiedelte Firma für Passiv-Radargeräte gewesen (https://twitter.com/
tagesschau/status/606490483897077761). Die Firma beliefert auch das Drohnen-
programm „Alliance Ground Surveillance“ der NATO.
Für die Aufklärung wertet EMSec unterschiedliche Datenquellen aus, darunter
Informationen „in nahezu Echtzeit von Satelliten aus dem Weltraum und von Ka-
meras an Bord von Flugzeugen“. Dies betrifft die Abfrage von Produkten der Ra-
darsatelliten TerraSAR-X, Radarsat 2 oder Sentinel 1 sowie der optischen Satel-
liten Landsat 8, RapidEye oder World View. Die weltraumgestützten Bilddaten
werden mit „auswählbarer luftgestützter Sensorik“ angereichert, die von „Klein-
Flugzeugen“ aufgenommen werden. Genannt werden Flugzeuge „im bemannten
sowie unbemannten automatischen Flug“, diese könnten auch „im Verbund“ auf-
steigen. Abrufbereit seien demnach Flugzeuge der Typen „Diamond DA42“ von
AIRBUS DS Airborne Solutions mit einem maritimen Radarsystem und AIS-
Empfang sowie eine „Do 228“ des DLR mit dem optischen Kamerasystem
MACS. Mithilfe der Flugzeuge wird auch die Erkennung einer Verschmutzung
durch flüssige und schwimmende Gefahrenstoffe erprobt. So soll die Driftrich-
tung eines mit „50 Kubikmeter Popcorn“ simulierten Gefahrstoffteppichs abge-
schätzt werden. Es ist unklar, welche Software zur Auswertung der Datenquellen

Drucksache 18/9639 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
und zum Modellieren der verschiedenen Risikoprognosen genutzt wird. Ziel des
Projekts, an dem außer DLR und Bundespolizei See auch die Wasserschutzpoli-
zeien der Küstenländer und die Universität Rostock beteiligt sind, ist die Entwick-
lung von einem „Sensor-Verbund“ als „Komplettsystem“, um Bedrohungen, die
„im maritimen Bereich für die deutsche Küste relevant sind“, zu begegnen.
Das Verbundprojekt EMSec unter der Leitung der DLR-Programmkoordination
für Sicherheitsforschung wird innerhalb des Programms „Forschung für die Zi-
vile Sicherheit“ des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) ge-
fördert. Zu den Partnern gehören das Deutsche Fernerkundungsdatenzentrum
(DFD) des DLR sowie die Rüstungskonzerne ATLAS ELEKTRONIK und AIR-
BUS. Vermutlich kommen die Ergebnisse der in EMSec durchgeführten For-
schungen auch in EU-Projekten zum Tragen. Das DFD unterhält in Neustrelitz in
Mecklenburg-Vorpommern Antennenanlagen, über die ein großer Teil der „aktu-
ellen Satellitendaten, insbesondere aber die der nationalen und europäischen Mis-
sionen“ (TerraSAR-X, MODIS, Radarsat-2, Sentinel-1 A und Oceansat-2) emp-
fangen, innerhalb kurzer Zeit verarbeitet und für die Analysen in verschiedenen
Anwendungsbereichen zur Verfügung gestellt werden (Pressemitteilung des DLR
vom 26. August 2016). Im Rahmen des EU-Forschungsprojekts OPSSERVE ent-
wickelt das DFD Produkte und Verfahren zur Aktivitäts- und Schiffsdetektion
von „höchstaufgelösten optischen Satellitendaten“. Diese werden „in kürzester
Zeit“ der europäischen Agentur für maritime Sicherheit (EMSA) bereitgestellt
(Antwort auf die Schriftliche Frage 13 des Abgeordneten Alexander Ulrich auf
Bundestagsdrucksache 18/9595). In Kooperation mit der Grenzagentur
FRONTEX ist die EMSA für die Überwachung der Meere mithilfe von Drohnen
zuständig (Informationsdienst Flightglobal vom 17. August 2016). FRONTEX
hat das Überwachungssystem EUROSUR entwickelt, das auf Satelliten basiert
und beispielsweise Risikoprognosen für möglicherweise verdächtige Schiffsbe-
wegungen erstellt.
Obwohl es sich beim DLR um ein Forschungszentrum der Bundesrepublik
Deutschland handelt, ist das Bundesministerium des Innern nach eigenen Anga-
ben nur begrenzt über dessen Arbeit informiert. Zuletzt konnte das Bundesminis-
terium nicht angeben, auf welchem Verfahren die im Aufgabenbereich des Bun-
desministeriums des Innern entwickelte Anwendung des DLR zur „Detektion
von Gefahrenstoffen aus sicherer Entfernungen mittels Lasersystemen“ basiert
(Antwort auf die Schriftliche Frage 30 der Abgeordneten Inge Höger vom 30. Au-
gust 2016 auf Bundestagsdrucksache 9595). Auch die Forschungen „auf Basis
von DLR-Software zur Optimierung von Polizeibestreifungen“ entziehen sich der
Kenntnis des Bundesministeriums des Innern.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Welche Partner sind an den Tests ferngesteuerter Luftfahrzeuge und von Sa-

tellitenüberwachung für Sicherheitsaufgaben im Projekt EMSec nach Kennt-
nis der Bundesregierung beteiligt, und welche einzelnen Aufgaben überneh-
men sie dort (bitte auch für die Wasserschutzpolizeien der Küstenländer und
die Universität Rostock angeben)?

2. Welche Produkte, Geräte oder Dienstleistungen steuern die Projektbeteilig-
ten nach Kenntnis der Bundesregierung bei?
a) Mit welchen Verfahren wird das AIS-Signal des Bundespolizeischiffes

verfolgt?
b) Wie wird bei den verwendeten Verfahren oder Produkten sichergestellt,

dass die AIS-Signale nicht lahmgelegt werden, wenn diese zu häufig auf
eine Abfrage einer Empfangsstation antworten müssen?

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c) Wie viel Kubikmeter Popcorn wurden in EMSec verbraucht, und welche
Kosten entstanden dafür?

d) Mit welchem Ergebnis wurde geprüft, wie sich das Einbringen von Pop-
corn in die Nordsee auf Belange des Umweltschutzes auswirkt?

3. Mit welchen Produkten bzw. Verfahren wird das GNSS-Signal nach Kennt-
nis der Bundesregierung gestört?
a) Mit welchen Produkten bzw. Verfahren wird die GNSS-Störquelle aufge-

spürt und lokalisiert?
b) Auf welche Weise wurde in EMSec sichergestellt, dass durch die Störung

des GNSS-Signals keine Gefahr für andere Nutzer des Satellitenpositi-
onsdienstes ausgeht?

4. An welchen Verfahren zur Emitter‐Lokalisierung (etwa Lokalisierung durch
Winkelpeilung, durch Laufzeitdifferenz‐ und Frequenzdifferenzmessungen,
Fusion mit Kameras) haben welche Bundesbehörden bereits geforscht, und
welche Produkte welcher Hersteller kamen dabei zum Einsatz?
a) Welche der Systeme können an luftgestützte Plattformen montiert wer-

den?
b) Welche Verfahren oder Produkte zur Emitter‐Lokalisierung wurden von

welchen Bundesbehörden beschafft?
c) Inwiefern können die getesteten oder beschafften Systeme auch Mobil-

funkgeräte, Kommunikationsknoten oder Störer von Satellitennavigati-
onssystemen lokalisieren?

5. Mit welchen Produkten bzw. Verfahren werden in EMSec nach Kenntnis der
Bundesregierung die weiteren „schiffsspezifischen Informationen“ aus un-
terschiedlichen Datenquellen „in nahezu Echtzeit von Satelliten aus dem
Weltraum und von Kameras an Bord von Flugzeugen“ erhoben?
a) Mithilfe welcher Bodenstationen bzw. Dienstleister wird die Abfrage von

Produkten der Radarsatelliten TerraSAR-X, Radarsat 2 oder Sentinel 1
sowie der optischen Satelliten Landsat 8, RapidEye oder World View vor-
genommen?

b) Welche Kosten entstehen für die Abfrage und Verarbeitung der Satelli-
tendaten?

6. Mit welcher „luftgestützten Sensorik“ steigen nach Kenntnis der Bundesre-
gierung die bemannten sowie unbemannten „Klein-Flugzeuge“ auf?

7. Wie viele Flugstunden mit welchen bemannten sowie unbemannten „Klein-
Flugzeugen“ fallen nach Kenntnis der Bundesregierung innerhalb der Tests
an, und wie werden diese finanziert?
a) Wie viele Flugstunden erfolgen dabei im „automatischen Flug“?
b) Von wo werden die unbemannten Flugzeuge gesteuert, und wo werden

die Aufklärungsdaten empfangen und verarbeitet?
8. Inwiefern wurde in EMSec nach Kenntnis der Bundesregierung auch der un-

bemannte Flug „im Verbund mehrerer Flugzeuge“ getestet?
9. Auf welchem Verfahren basiert nach Kenntnis der Bundesregierung das in

der „Diamond DA42“ mitgeführte maritime Radarsystem von AIRBUS DS
Airborne Solutions, und welche Auflösung wird damit erzielt?

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10. Welche Software wird nach Kenntnis der Bundesregierung zur Auswertung
der Datenquellen und zum Modellieren der verschiedenen Risikoprognosen
genutzt?

11. Welche weiteren Produkte oder Verfahren welcher Hersteller könnten oder
sollten aus Sicht der Bundesregierung in die Entwicklung von einem „Sen-
sor-Verbund“ innerhalb von EMSec als „Komplettsystem“ einfließen?

12. In welchen Projekten hat die Bundespolizei seit dem Jahr 2014 Tests oder
Pilotprojekte zur Nutzung von Drohnen und Satellitenüberwachung über der
Nord- und Ostsee durchgeführt, und welche Firmen bzw. Institute waren da-
ran mit welchen Produkten beteiligt?

13. Inwiefern ist das DLR bzw. dessen Institute nach Kenntnis der Bundesregie-
rung an ähnlichen Forschungen zur maritimen Sicherheit auf EU-Ebene be-
teiligt, und mit welchen Partnern arbeitet das Institut dort zusammen?

14. Im Rahmen welcher Projekte kooperiert das DLR nach Kenntnis der Bun-
desregierung dabei mit den Rüstungskonzernen ATLAS ELEKTRONIK und
AIRBUS?

15. Welche EU-Agenturen nutzen nach Kenntnis der Bundesregierung die in
Neustrelitz befindlichen Antennenanlagen des DLR bzw. dort analysierte Sa-
tellitendaten (soweit bekannt, bitte auch die einzelnen Missionen angeben,
etwa FRONTEX-TRITON, EUNAVFOR MED)?

16. Welche der Agenturen bzw. Missionen erhalten nach Kenntnis der Bundes-
regierung lediglich Aufklärungsdaten der Satelliten TerraSAR-X, MODIS,
Radarsat-2, Sentinel-1 A und Oceansat-2 aus Neustrelitz, und für welche
Missionen übernimmt das DLR auch die Verarbeitung, Analyse und Inter-
pretation der anfallenden Bilder optischer oder radarbasierter Satelliten?

17. In welchen Fällen haben Bundeswehr, Bundespolizei oder das Bundeskrimi-
nalamt beim DLR in Neustrelitz analysierte Satellitendaten abgefragt, um
diese in EU-Missionen zur „Schleuserbekämpfung“ im Mittelmeer oder in
den Balkanländern zu nutzen?

18. Welche Produkte und Verfahren zur Aktivitäts- und Schiffsdetektion von
„höchstaufgelösten optischen Satellitendaten“ werden nach Kenntnis der
Bundesregierung vom DFD im Rahmen des EU-Forschungsprojekts
OPSSERVE entwickelt?

19. Welche Technik welcher Hersteller kommt dabei nach Kenntnis der Bundes-
regierung zum Einsatz?

20. Auf welche Weise werden die in Neustrelitz empfangenen und verarbeiteten
Daten nach Kenntnis der Bundesregierung „in kürzester Zeit“ der Europäi-
schen Agentur für maritime Sicherheit (EMSA) bereitgestellt?

21. Inwiefern werden die vom DLR in Neustrelitz empfangenen und weiterge-
leiteten Daten nach Kenntnis der Bundesregierung auch über die neue „Welt-
raumdatenautobahn“ von AIRBUS transportiert (Bundestagsdrucksache
18/8784)?

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22. Inwiefern ist die Bundesregierung in der Lage, bei ihrem Forschungszentrum
DLR Informationen über einzelne Projekte einzuholen (auch wenn das Bun-
desministerium des Innern an entsprechenden Forschungen nicht direkt be-
teiligt ist), und in welchen Fällen ist ihr dies nicht möglich (Antwort der Bun-
desregierung auf die Schriftliche Frage 30 der Abgeordneten Inge Höger
vom 30. August 2016 auf Bundestagsdrucksache 18/9595)?
a) Inwiefern kann das Bundesministerium des Innern nunmehr angeben, auf

welchen Verfahren bzw. Produkten die vom DLR erforschte „Detektion
von Gefahrenstoffen aus sicherer Entfernungen mittels Lasersystemen“
basiert?

b) Inwiefern kann das Bundesministerium des Innern nunmehr angeben, auf
welchen Verfahren bzw. Produkten die Forschungen „auf Basis von DLR-
Software zur Optimierung von Polizeibestreifungen“ basieren?

Berlin, den 14. September 2016

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com
Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de

anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

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