BT-Drucksache 18/9629

Die Beteiligung Deutschlands am sogenannten Treaty-Prozess der Vereinten Nationen in Bezug auf Menschenrechtsverletzungen von internationalen Unternehmen

Vom 12. September 2016


Deutscher Bundestag Drucksache 18/9629
18. Wahlperiode 12.09.2016

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Inge Höger, Wolfgang Gehrcke, Christine Buchholz,
Annette Groth, Heike Hänsel, Andrej Hunko, Katrin Kunert, Niema Movassat,
Dr. Alexander S. Neu, Michael Schlecht, Katrin Vogler und der Fraktion
DIE LINKE.

Die Beteiligung Deutschlands am sogenannten Treaty-Prozess der Vereinten
Nationen in Bezug auf Menschenrechtsverletzungen von internationalen
Unternehmen

Die internationale Wirtschafts- und Finanzpolitik erlebt derzeit eine neue Welle
von Deregulierungs- und Liberalisierungsbemühungen. Im Zentrum stehen dabei
die Verhandlungen über diverse Handels- und Investitionsabkommen, allen voran
die Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP), die Transpa-
zifische Partnerschaft (TPP), das Trade in Services Agreement (TiSA) und das
umfassende Wirtschafts- und Handelsabkommen zwischen der Europäischen
Union und Kanada (CETA). Eine wesentliche Intention dieser Abkommen ist es,
die Marktzugänge für transnational agierende Unternehmen weltweit zu vergrö-
ßern und die Rechte ausländischer Investoren zu stärken.
Im Schatten dieser Verhandlungen hat in den letzten Jahren auch die internatio-
nale Debatte über die ökologische, soziale und menschenrechtliche Verantwor-
tung der Wirtschaft an Dynamik gewonnen. Grund dafür war nicht zuletzt die
wachsende öffentliche Kritik an transnationalen Konzernen (Transnational Cor-
porations, TNCs) und Banken wegen Umweltvergehen und Betrügereien (z. B.
Manipulation der Abgaswerte durch Volkswagen), Missachtung grundlegender
Arbeits- und Menschenrechtsstandards (z. B. bei der Textilproduktion in Bangla-
desch oder in der chinesischen IT-Fabrikation), massiven Bestechungsvorwürfen
bis hin zur Kritik an Steuervermeidungspraktiken von Konzernen.
Deutsche transnational agierende Unternehmen (TNC) stehen dabei Unterneh-
men aus anderen Ländern aus Sicht der Fragesteller in nichts nach (www.
tagesspiegel.de/politik/deutsche-unternehmen-im-ausland-spitzenrang-bei-
menschenrechtsverletzungen/11733036.html). Im August 2001 wurden für eine
Kaffeeplantage des Hamburger Konzerns Neumann rund 4 000 Kleinbauern und
ihre Familien in Uganda von ihrem Land durch die ugandische Armee gewaltsam
vertrieben. Die vertriebenen Farmer klagen seit dem Jahr 2002 in Uganda gegen
das Tochterunternehmen des deutschen Kaffeekonzerns (www.fian.de/themen/
hunger/interview-mit-gertrud-falk/). Im Norden des Sudan wurden im Jahr 2008
mehr als 4 700 Familien bei der Errichtung der Merowe-Talsperre zwangsweise
vertrieben, da ihre Dörfer geflutet wurden. Betroffene versuchen bis heute, das an
der Planung beteiligte Ingenieurbüro Lahmeyer International aus Bad Vilbel zur
Rechenschaft zu ziehen (vgl. www.ecchr.eu/de/unsere-themen/wirtschaft-und-
menschenrechte/lahmeyer.html). Im September 2012 starben im pakistani-
schen Karachi 260 Menschen beim Brand einer Textilfabrik, die vor allem für
den Discounter KiK produzierte. Vier Betroffene des Brandes haben im März

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2015 beim Landgericht Dortmund Klage auf Schadensersatz gegen KiK einge-
reicht (vgl. www.ecchr.eu/de/unsere-themen/wirtschaft-und-menschenrechte/
arbeitsbedingungen-in-suedasien/pakistan-kik.html). Am 30. August 2016 ge-
währte das Landgericht Dortmund den pakistanischen Klägern Prozesskosten-
hilfe für ein Klageverfahren.
Bislang setzen Politik und Wirtschaft auf nationaler und internationaler Ebene
fast ausschließlich auf freiwillige Initiativen. Eine besondere Rolle spielen dabei
die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte, die die Vereinten Na-
tionen im Juni 2011 verabschiedet haben. Auch diese Leitprinzipien blieben zu-
nächst unverbindlich und riefen Unternehmen lediglich dazu auf, „gebührende
Sorgfalt“ walten zu lassen. Angesichts der Schwächen der bisherigen Instrumen-
tarien machen sich inzwischen zahlreiche Regierungen, Nichtregierungsorga-
nisationen, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler und auch eine wachsende
Zahl von Wirtschaftsvertreterinnen und Wirtschaftsvertretern für rechtsverbind-
liche Unternehmensregeln für TNCs stark, zum Beispiel erließ die französische
Regierung im Jahr 2014 ein Gesetz für Sorgfaltspflichten von Unternehmen
(www.novethic.fr/isr-et-rse/actualite-de-la-rse/isr-rse/projet-sur-le-devoir-de-
vigilance-des-entreprises-deuxieme-round-143147.html) und England erließ
2015 ein Gesetz gegen moderne Arbeitssklaverei (www.legislation.gov.uk/
ukpga/2015/30/section/54/enacted).
Auf zwischenstaatlicher Ebene haben 85 Länder auf Initiative Ecuadors im
September 2013 im Menschenrechtsrat gefordert, endlich ein rechtsverbindliches
Instrument zu schaffen, das ermöglicht, Unternehmen für Menschenrechtsverge-
hen zur Verantwortung zu ziehen. Ecuador, die Afrikanische Gruppe, die Arabi-
sche Gruppe, Pakistan, Sri Lanka, Kirgistan, Kuba, Nicaragua, Bolivien, Vene-
zuela und Peru schlossen sich dieser Forderung an. Im Juni 2014 setzte der Men-
schenrechtsrat eine Arbeitsgruppe ein, die bis zum Jahr 2017 einen Vorschlag für
ein solches Rechtsinstrument formulieren soll (open-ended intergovernmental
working group – OEIWG – on transnational corporations and other business
enterprises with respect to human rights, www.ohchr.org/EN/HRBodies/
HRC/WGTransCorp/Pages/IGWGOnTNC.aspx). Damit besteht die historische
Chance, dass die Vereinten Nationen erstmals einen Menschenrechtsvertrag
zum Schutz gegen die Vergehen und Verbrechen von transnationalen Konzer-
nen und anderen Unternehmen schließen.
In einer Stellungnahme bezeichnete der US-Vertreter die Einsetzung der zwi-
schenstaatlichen Arbeitsgruppe als eine Bedrohung für die UN-Leitprinzipien
und kündigte an, die USA würden sich nicht daran beteiligen. Die Europäische
Union teilte diese Haltung. Die Mitglieder der Europäischen Union im Menschen-
rechtsrat stimmten als Block gegen die Einsetzung der zwischenstaatlichen Ar-
beitsgruppe.
Vom 24. bis 28. Oktober 2016 wird die zwischenstaatliche Arbeitsgruppe zum
zweiten Mal in Genf tagen. Bis zur dritten Tagung im Jahr 2017 soll der erste
Entwurf eines verbindlichen Rechtsinstruments vorliegen. Die Bundesregierung
hat sich bislang nicht an den Diskussionen der Arbeitsgruppe des Menschen-
rechtsrates beteiligt. Nach Ansicht von Umwelt-, Entwicklungs- und Menschen-
rechtsorganisationen hatten ihr demonstratives Fernbleiben und die Verweige-
rung der Gesprächsbereitschaft gegenüber den Mitgliedern der Arbeitsgruppe ne-
gative Signalwirkung und schadeten ihrer politischen Glaubwürdigkeit in anderen
Prozessen, insbesondere der Erarbeitung eines nationalen Aktionsplanes zur Um-
setzung der UN-Leitprinzipien in Deutschland.

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/9629

Wir fragen die Bundesregierung:

I. Ablehnung des sogenannten Treaty-Prozesses
1. Wie bewertet die Bundesregierung die bisherigen Verhandlungen zu einem

sogenannten Treaty im Rahmen der OEIWG?
2. Sieht die Bundesregierung eine Bedrohung für die UN-Leitprinzipien für

Wirtschaft und Menschenrechte durch ein international verbindliches Ab-
kommen?
Wenn ja, warum?

3. Wie erklärt die Bundesregierung den Widerspruch zwischen der bisherigen
Nichtbeteiligung Deutschlands an der vom UN-Menschenrechtsrat einge-
setzten Arbeitsgruppe und der selbstgewählten Schwerpunktsetzung für die
Mitgliedschaft im UN-Menschenrechtsrat 2016 bis 2018, den Rat nicht nur
als Impulsgeber für neue Menschenrechtsstandards und Wahrer für alle Men-
schenrechtsvereinbarungen zu sehen, sondern auch in der Umsetzung von
Menschenrechtsstandards zu stärken?

II. Weitere Begleitung des sogenannten Treaty-Prozesses
4. Wird die Bundesregierung an der zweiten Sitzung der OEIWG teilnehmen

und damit die Bedeutung der Arbeit des Menschenrechtsrats entsprechend
ihrer Mitgliedschaft stärken?
Wenn nein, warum nicht?

5. Wie steht die Bundesregierung zu der Aufforderung durch das Europäische
Parlament vom Dezember 2015, sich an der Debatte für ein rechtsverbindli-
ches internationales Instrument zu Unternehmen und Menschenrechten zu
beteiligen?

6. Wird bzw. wie wird sich die Bundesregierung für eine Beteiligung der Euro-
päischen Union an der zweiten Sitzung der OEIWG einsetzen?

7. Worin sieht die Bundesregierung mögliche Vorteile eines international ver-
bindlichen Instruments für Wirtschaft und Menschenrechte gegenüber einem
Nationalen Aktionsplan?

8. Worin sieht die Bundesregierung mögliche Nachteile eines international ver-
bindlichen Instruments für Wirtschaft und Menschenrechte gegenüber einem
Nationalen Aktionsplan?

III. Unternehmen und Menschenrechte allgemein
9. Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus den aus Sicht der

Fragesteller offensichtlichen Schwächen der UN-Leitprinzipien für Wirt-
schaft und Menschenrechte?

10. Wie bewertet die Bundesregierung die oben genannte Entwicklung hin zu
unverbindlichen Vereinbarungen in Bezug auf die Einhaltung von Men-
schenrechten durch deutsche Unternehmen seit der Verabschiedung der UN-
Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte auf nationaler und inter-
nationaler Ebene?

11. Wie hat sich das Verhalten der deutschen Wirtschaft seit den UN-Leitprinzi-
pien für Wirtschaft und Menschenrechte nach Ansicht der Bundesregierung
entwickelt (bitte mit Begründung)?

12. Wie bewertet die Bundesregierung die Möglichkeiten der straf- und zivil-
rechtlichen Verfolgung von Menschenrechtsverletzungen deutscher Unter-
nehmen auf nationaler und internationaler Ebene?

Drucksache 18/9629 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

13. Wie bewertet die Bundesregierung die Möglichkeiten Betroffener von Men-

schenrechtsverletzungen durch deutsche Unternehmen im Ausland auf Zu-
gang zu „Abhilfe“ (gerichtliche und außergerichtliche Maßnahmen nach den
UN-Leitprinzipien)?

14. Wie wird die Bundesregierung in Handels- und Investitionsabkommen wie
CETA und TTIP die menschenrechtliche Sorgfaltspflicht gewährleisten?

15. Wie will die Bundesregierung angesichts der oben genannten Beteiligung
deutscher Unternehmen an Menschenrechtsverletzungen sicherstellen, dass
deutsche Unternehmen zukünftig menschenrechtliche Sorgfaltspflichten im
In- und Ausland einhalten?

16. Wie wird sich die Bundesregierung auf europäischer Ebene dafür einsetzen,
dass Unternehmen aller europäischen Länder Menschenrechtsstandards in
Zukunft verbindlich einhalten?

17. Wie möchte die Bundesregierung mit der verzögerten Erarbeitung eines Na-
tionalen Aktionsplans Wirtschaft und Menschenrechte das Ziel einer globa-
len Gleichbehandlung unterstützen, das die Einhaltung von Menschenrechts-
standards weltweit gewährleistet und Unternehmen, die eine Vorreiterrolle
einnehmen, im internationalen Wettbewerb nicht schlechter stellt?

18. Wie will die Bundesregierung transnational agierende Unternehmen zukünf-
tig für Menschenrechtsverletzungen verlässlich zur Rechenschaft ziehen?

Berlin, den 12. September 2016

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

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