BT-Drucksache 18/9550

Umsetzung des Datenaustauschverbesserungsgesetzes

Vom 2. September 2016


Deutscher Bundestag Drucksache 18/9550
18. Wahlperiode 02.09.2016

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Frank Tempel, Jan Korte, Katrin Kunert,
Harald Petzold (Havelland), Martina Renner, Dr. Petra Sitte, Halina Wawzyniak
und der Fraktion DIE LINKE.

Umsetzung des Datenaustauschverbesserungsgesetzes

Mit dem „Datenaustauschverbesserungsgesetz“ wurden zu Beginn des Jahres die
Rechtsgrundlage für die Einführung eines „Ankunftsnachweises“ geschaffen und
wesentliche Änderungen im Gesetz über das Ausländerzentralregister (AZR-Ge-
setz) vorgenommen. Dadurch sollten die schnelle Registrierung der neu ankom-
menden Schutzsuchenden erleichtert und der Zugriff aller an Aufnahme, Unter-
bringung, Versorgung und Integration der Asylsuchenden beteiligten Behörden
auf die für sie erforderlichen Daten ermöglicht werden.
Bei der Anhörung des Innenausschusses des Deutschen Bundestages am 11. Ja-
nuar 2016 zum Entwurf des Datenaustauschverbesserungsgesetzes gab es an die-
sem Vorhaben in mehreren Punkten deutliche Kritik. So führte der Vorsitzende
Richter der 6. Kammer des Verwaltungsgerichts Wiesbaden Hans-Hermann
Schild aus, dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) aufgrund
der aktuellen Rechtslage innerhalb von sechs Tagen einen Asylantrag entgegen-
nehmen müsse. Damit erhielten die Asylsuchenden dann auch eine Aufenthalts-
gestattung (Ausschussdrucksache 18(4)472B). Der neu zu schaffende Ankunfts-
nachweis verlängere nur den für viele Asylsuchende vorherrschenden Schwebe-
zustand, da sie viele Monate auf einen Termin für die Asylantragstellung warten
müssten.
Der Flüchtlingsrat Berlin wies in einer Stellungnahme an den Innenausschuss da-
rauf hin (Ausschussdrucksache 18(4)477), dass die Ausstellung des Ankunfts-
nachweises statt einer Aufenthaltsgestattung dazu führe, dass die Betroffenen
viele soziale Rechte, etwa beim Arbeitsmarktzugang, nicht in Anspruch nehmen
könnten.
Diese Kritik blieb im Gesetzgebungsverfahren unberücksichtigt, obwohl sie nach
Auffassung der Fragesteller offenkundig berechtigt war (vgl. Vorbemerkung der
Bundesregierung auf Bundestagsdrucksache 18/7834), denn mit dem Integrati-
onsgesetz wurden die diesbezüglichen rechtlichen Lücken eingestanden und ge-
schlossen.
Besser wäre es nach Auffassung des Flüchtlingsrats Berlin e. V. und der Frage-
steller gewesen, statt eines weiteren, neuen Aufenthaltspapiers mit begrenzter
Gültigkeit (Ankunftsnachweis) gleich eine Aufenthaltsgestattung zu erteilen. Das
hätte allerdings dazu geführt, dass die überlangen und gegen EU-Recht versto-
ßenden Asyl-Verfahrensdauern offenkundig geworden wären, denn die Wartezeit
von der ersten Registrierung bis zur formellen Asylantragstellung wird derzeit
nicht erfasst. Die Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informations-

Drucksache 18/9550 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

freiheit Andrea Voßhoff merkte in ihrer Stellungnahme zur Anhörung (Aus-
schussdrucksache 18(4)472 F, S. 2) an, ein solch massiver Ausbau eines zentralen
Registers sei „insbesondere vor dem Hintergrund der Grundsätze der Datenver-
meidung und der Datensparsamkeit besonders kritisch zu betrachten“.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Wie viele Ankunftsnachweise sind seit Inkrafttreten des Datenaustauschver-

besserungsgesetzes ausgegeben worden?
2. Wie viele Personen hatten zum letzten Stand und zum Stand 30. Juni 2016

einen solchen Ankunftsnachweis (bitte nach Bundesländern, den 15 Haupt-
herkunftsländern, Geschlecht, Alter unter/über 18 Jahren differenzieren)?

3. Welche Erkenntnisse oder Einschätzungen fachkundiger Bundesbediensteter
hat die Bundesregierung oder kann sie sich durch entsprechende Nachfragen
verschaffen, wie lange sich Betroffene im Besitz eines Ankunftsnachweises
befinden, bis sie eine Aufenthaltsgestattung erhalten?

4. Wie hoch schätzt die Bundesregierung den Anteil der Inhaber eines An-
kunftsnachweises derzeit an allen Personen, die ein Asylgesuch gestellt ha-
ben, aber noch nicht in Besitz einer Aufenthaltsgestattung sind, bzw. was
sind die entsprechenden Einschätzungen fachkundiger Bundesbediensteter
hierzu?

5. Zu welchem Zeitpunkt war eine flächendeckende Ausgabe von Ankunfts-
nachweisen auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland gewährleistet,
wenn dies noch nicht gewährleistet ist, welche Gründe gibt es dafür?

6. Welche Kosten sind durch die Einführung des Ankunftsnachweises beim
Bund bislang entstanden, welche weiteren Kosten erwartet die Bundesregie-
rung gegebenenfalls?

7. Wie viele Stellen konnten für die Umsetzung des Ankunftsnachweises durch
externe bzw. interne Personalgewinnung (bitte getrennt angeben, differen-
ziert nach Laufbahn und Einsatzort) besetzt werden?

8. Konnte das Ziel, den Ankunftsnachweis zu Kosten von einem Euro/Stück
herstellen zu lassen (vgl. Bundestagsdrucksache 18/7043), erreicht werden,
und wenn nicht, warum, und was waren die real angefallenen Kosten?

9. Welche Kosten sind durch die Implementierung des neuen Kerndatensys-
tems im Ausländerzentralregister beim Bund bislang entstanden, welche
weiteren Kosten erwartet die Bundesregierung gegebenenfalls?

10. Lässt sich nach den bisherigen Erfahrungen die laut Gesetzentwurf ange-
peilte Höhe der Kosten des laufenden Betriebs für das Kerndatensystem im
Ausländerzentralregister von 4,5 Mio. Euro einhalten, wie hoch sind die ggf.
tatsächlichen Kosten, und was sind ggf. die Gründe für eine Abweichung
nach oben oder unten?

11. Wie lange dauert nach Einschätzungen fachkundiger Bundesbediensteter die
durchschnittliche Ausstellung eines Ankunftsnachweises pro Person, und in-
wiefern wäre es aufgrund der bisherigen praktischen Erfahrungen nicht sinn-
voller, statt eines Ankunftsnachweises direkt eine Aufenthaltsgestattung zu
erteilen, um die arbeitsaufwändige doppelte Bearbeitung und Ausstellung
von Dokumenten zu vermeiden (bitte ausführen)?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/9550

12. Wie ist die derzeitige Praxis in den Ankunftszentren bei der Ausstellung von

Ankunftsnachweisen, Aufenthaltsgestattungen oder Aufenthaltserlaubnis-
sen, insbesondere bei Asylsuchenden, bei denen ein schneller Abschluss des
Asylverfahrens zu erwarten ist („Cluster“ A und B)?
Werden, insbesondere nach der formellen Asylantragstellung in Ankunfts-
zentren, Aufenthaltsgestattungen erteilt, die dann bei einem in der Regel 48-
stündigen Verfahren in kürzester Zeit schon wieder hinfällig sind, weil ent-
weder eine Aufenthaltserlaubnis (nach Anerkennung) erteilt werden muss
oder entsprechende Ausreisepapiere (nach Ablehnung; bitte im Detail das
konkrete Verfahren darstellen)?

13. Wie viele Fast-ID-Geräte wurden im Zusammenhang mit dem neuen digita-
len Identitätsmanagement zur Registrierung und Identitätsprüfung von Asyl-
suchenden angeschafft (bitte so weit wie möglich nach den unterschiedlichen
Bedarfsträgern aufschlüsseln), welche Kosten sind dadurch entstanden und
in welcher Höhe werden Kosten für die weitere Anschaffung und die War-
tung der Geräte entstehen?

14. In wie vielen Fällen wurden Daten von Asylsuchenden nach § 73 Absatz 1a
des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) über das Bundesverwaltungsamt zur
Feststellung von aufenthaltsrechtlichen Versagensgründen oder zur Prüfung
von sonstigen Sicherheitsbedenken an den Bundesnachrichtendienst, das
Bundesamt für Verfassungsschutz, den Militärischen Abschirmdienst, das
Bundeskriminalamt und das Zollkriminalamt zum Zweck des „Sicherheits-
abgleichs“ abgefragt bzw. übermittelt?
a) Wurden solche Übermittlungen im Vorgriff auf die kommende Regelung

bereits vor Inkrafttreten vorgenommen, und wenn ja, in welchem Um-
fang?

b) Wie viele Treffer wurden beim Datenabgleich nach § 73 Absatz 1a
AufenthG erzielt (bitte nach Behörden auflisten)?

c) In wie vielen Fällen wurden dem Bundesverwaltungsamt Versagens-
gründe oder sonstige Sicherheitsbedenken nach § 73 Absatz 3a AufenthG
mitgeteilt?

d) Inwieweit machen die in Frage 13 genannten Behörden von der Befugnis
in § 73 Absatz 3a Satz 4 AufenthG Gebrauch, die im Rahmen des Sicher-
heitsabgleichs an sie übermittelten Daten zu speichern und zu nutzen?
Was sind typische Fallkonstellationen, bei denen eine weitere Speiche-
rung und Nutzung erforderlich ist?

e) Inwieweit ist geplant, einen Sicherheitsabgleich retrograd, also für jene
Personen durchzuführen, die vor Inkrafttreten des Datenaustauschverbes-
serungsgesetzes eingereist sind, und was sind die Rechtsgrundlagen hier-
für?

15. Zu wie vielen Personen sind zum letzten Stand Daten nach
a) § 3 Absatz 2 AZR-Gesetz,
b) § 3 Absatz 3 AZR-Gesetz,
gespeichert gewesen (bitte nach Aufenthaltstitel und den 15 wichtigsten
Staatsangehörigkeiten auflisten)?

16. Werden die Daten nach § 3 Absatz 2 und 3 AZR-Gesetz nur für neu aufge-
nommene Personen nach Inkrafttreten der Neuregelungen im AZR-Gesetz
erhoben und gespeichert oder auch für alle weiteren Personen, die die Erhe-
bungsvoraussetzungen erfüllen, und in welchem Umfang ist dies ggf. bereits
gelungen?

Drucksache 18/9550 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

17. Inwieweit bzw. in welchem Umfang verfügen nach Einschätzung der Bun-

desregierung alle zugriffsberechtigten Behörden über die technischen Fähig-
keiten zum automatisierten Abruf und zur Änderung der Daten im Auslän-
derzentralregister?

18. Inwiefern ist es zutreffend, dass für die zusätzlich zum Kerndatenbestand
nach § 3 Absatz 1 AZR-Gesetz gespeicherten Datenbestände nach § 3 Absatz
2 und 3 bis auf die Daten zu Gesundheitsuntersuchungen und Impfungen
(§ 3 Absatz 2 Nummer 10 und 11 AZR-Gesetz) auch nach Abschluss des
Asylverfahrens unbefristet gespeichert bleiben?
Welche Erwägungen lagen der Entscheidung der Bundesregierung zugrunde,
für die bei der Registrierung als Asylsuchender u. a. für Integrationsmaßnah-
men erhobenen Daten keine klare Löschfristen vorzusehen und ersatzweise
auch nicht festzuschreiben, dass für diese Daten regelmäßig geprüft werden
muss, ob eine bundeszentrale Speicherung weiterhin erforderlich ist?

19. Inwiefern wurde die Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Infor-
mationsfreiheit an der Abfassung des Entwurfs für die Neufassung der
AZRG-Durchführungsverordnung beteiligt, und was war der Inhalt und Te-
nor ihrer Stellungnahme?

20. Inwiefern liegen der Bundesregierung bereits erste Erfahrungen vor, inwie-
weit die Ausdehnung der Speicheranlässe auf Personen, die bei unerlaubtem
Aufenthalt oder unerlaubter Einreise festgestellt wurden (§ 2 Absatz 1a
Nummer 2 und 3 AZR-Gesetz), dazu führt, dass nun regelmäßig Personen
im Ausländerzentralregister gespeichert werden, die sich nicht in Deutsch-
land aufhalten (beispielsweise, weil sie bei der Ausreise mit einem bereits
abgelaufenen Visum festgestellt wurden), und welche Schlussfolgerungen
und Konsequenzen zieht die Bundesregierung hieraus?

21. Welche Maßnahmen hat die Bundesregierung ergriffen, um die Sicherheit
der Daten im Ausländerzentralregister zu erhöhen, und welche Kosten sind
hierdurch entstanden oder noch zu erwarten?

Berlin, den 2. September 2016

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com
Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de

anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.