BT-Drucksache 18/9412

Sicherheitslage für Erdogan-kritische Türken in Deutschland

Vom 15. August 2016


Deutscher Bundestag Drucksache 18/9412
18. Wahlperiode 15.08.2016

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Frank Tempel, Wolfgang Gehrcke,
Sevim Dağdelen, Dr. André Hahn, Andrej Hunko, Dr. Alexander S. Neu,
Kathrin Vogler und der Fraktion DIE LINKE.

Sicherheitslage für Erdoğan-kritische Türken in Deutschland

Nach dem gescheiterten Putschversuch in der Türkei hat die Regierung unter Prä-
sident Recep Tayyip Erdoğan weitreichende Repressivmaßnahmen ergriffen,
durch die demokratische Rechte erheblich eingeschränkt werden. Zehntausende
Beamte wurden entlassen, Hunderte Menschen verhaftet, Zeitungen und Institu-
tionen geschlossen. Die türkische Regierung hat explizit die Suspendierung der
Europäischen Menschenrechtskonvention angekündigt.
Das Klima von Repression, Angst und Einschüchterung droht sich auch auf tat-
sächliche oder vermeintliche Gegner des Erdoğan-Regimes in Deutschland aus-
zuweiten. Nach verschiedenen Medienberichten fühlen sich insbesondere in
Deutschland lebende türkische Staatsbürger aus dem Umfeld der Fethullah-Gü-
len-Bewegung sowie Angehörige der kurdischen Minderheit von Pro-Erdoğan-
Aktivisten bedroht. Auf Einrichtungen der Gülen-Bewegung wurden Totenköpfe
gesprüht, Fensterscheiben von Kindergärten wurden eingeworfen, Drohungen an
Schulfassaden geschmiert, in Moscheen werden „Verräter“ gewarnt, zudem kur-
sieren Gerüchte darüber, dass Erdoğan-Kritiker gezielt denunziert würden. Der
Zentralrat der Muslime in Deutschland (ZMD) e. V. zeigte sich über die Eskala-
tion der Auseinandersetzungen besorgt und forderte dazu, die „aufgebrachten
Diskussionen und Auseinandersetzung bis hin zu gegenseitigen Denunziationen“
müssten ein Ende haben. Auch der Bundesvorsitzende der Türkischen Gemeinde
in Deutschland sagte, die Stimmung unter den türkischstämmigen Menschen in
Deutschland sei sehr angespannt. Es würden Freundschaften aufgekündigt, und
der Riss gehe durch Familien hindurch (dpa, 29. Juli 2016).

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Wie schätzt die Bundesregierung die Problematik gewalttätiger Angriffe von

Erdoğan-Anhängern gegen tatsächliche oder vermeintliche Erdoğan-Gegner
in Deutschland generell ein, und welche Schlussfolgerungen zieht sie aus ih-
rer Einschätzung?

2. Welche konkreten Erkenntnisse hat die Bundesregierung über zunehmende
Spannungen zwischen Erdoğan-Anhängern und -Gegnern, die zunehmende
Verwendung von Hasssprache und beleidigende Äußerungen, Fälle von Aus-
grenzungen (etwa in Form eines Haus- oder Betretungsverbots für vermeint-
lich „verräterische“ Türken von Moscheen, Geschäften usw.)?

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3. Wie schätzt sie die Gefährdungslage von Einrichtungen bzw. deren Reprä-
sentanten oder Mitglieder, die – tatsächlich oder vermeintlich – Erdoğan-kri-
tisch orientiert sind, ein?
Welche Einrichtungen sieht sie als besonders gefährdet an?
a) Wie schätzt die Bundesregierung die Gefährdungslage für (tatsächliche

oder vermeintliche) Angehörige oder Unterstützer der Gülen-Bewegung
ein?

b) Wie viele Einrichtungen in Deutschland stehen nach Erkenntnissen der
Bundesregierung der Gülen-Bewegung nahe?

c) Wie schätzt die Bundesregierung die Gefährdungslage für (vermeintliche
oder tatsächliche) Angehörige der kurdischen Minderheit sowie insbeson-
dere Unterstützer der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) ein?

4. Welche konkreten Erkenntnisse hat die Bundesregierung über nach deut-
schem Recht verübte Straftaten, die seit dem Putschversuch mutmaßlich von
Erdoğan-Anhängern gegen (tatsächliche oder vermeintliche) Erdoğan-Kriti-
ker verübt worden sind (bitte möglichst vollständig sowie aufgegliedert nach
Gewaltdelikten gegen Personen, Sachbeschädigungen, Beleidigungen und
sonstigen Straftaten angeben)?

5. Kann die Bundesregierung bestätigen, dass es Fälle von Plünderungen von
Geschäften gegeben hat, die angeblich zur Gülen-Bewegung gehören (THE
HUFFINGTON POST, 19. Juli 2016)?

6. Inwiefern stehen die Sicherheitsbehörden nach Kenntnis der Bundesregie-
rung im Zusammenhang mit zunehmenden Spannungen zwischen Erdoğan-
Anhängern und -Gegnern in Kontakt mit Vertretern türkischer bzw. kurdi-
scher Organisationen (diese bitte aufzählen), und was sind die von diesen
jeweils geäußerten Befürchtungen bzw. ihre Erwartungen an die Sicherheits-
behörden bzw. die Bundesregierung?
Inwieweit wird diesen Erwartungen entgegengekommen, und inwieweit
nicht (bitte begründen)?

7. Werden nach Kenntnis der Bundesregierung in den Ländern oder vom Bund
konkrete Maßnahmen zum Schutz von Erdoğan-Kritikern vor gewaltbereiten
Erdoğan-Anhängern ergriffen, und wenn ja, inwiefern?

8. Inwiefern beschäftigen sich die Sicherheitsbehörden des Bundes mit der
Problematik, und inwiefern stehen sie diesbezüglich in Kontakt mit den zu-
ständigen Landesbehörden?

9. Inwiefern ist gewährleistet oder zumindest angestrebt, dass die Sicherheits-
behörden des Bundes einen zeitnahen Überblick über Straftaten in Zusam-
menhang mit der Fragestellung erhalten, die von den zuständigen Landespo-
lizeibehörden erfasst und bearbeitet werden?
Welche Gremien sind ggf. zuständig, um einen solchen Austausch zu ge-
währleisten?
Falls dies nicht gewährleistet ist, aus welchem Grund hält die Bundesregie-
rung es nicht für notwendig, einen zeitnahen Überblick über diesbezügliche
Straftaten zu erhalten?

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10. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über Aufrufe, tatsächliche

oder vermeintliche Erdoğan-Gegner zu denunzieren?
Wer soll in solchen Fällen die Denunziationen entgegennehmen?
a) Wie schätzt sie die Bereitschaft von Erdoğan-Anhängern ein, solche Auf-

rufe zu befolgen?
b) Welchen Einfluss haben solche Aufrufe nach Einschätzung der Bundesregie-

rung auf die Stimmung unter türkischstämmigen Einwohnerinnen und Ein-
wohnern in Deutschland?

c) Inwiefern kann nach Rechtsauffassung der Bundesregierung die Denun-
ziation in Deutschland lebender vermeintlicher Erdoğan-Kritiker gegen-
über türkischen Regierungsstellen, insbesondere Geheimdiensten, einen
Straftatbestand erfüllen?

11. Inwieweit unterstützen türkische Behörden nach Kenntnis oder Einschätzung
der Bundesregierung türkischstämmige Einwohnerinnen und Einwohner in
Deutschland, sich an Kampagnen gegen Gegner des Erdoğan-Regimes zu
beteiligen, und inwieweit unterstützen sie (materiell oder politisch) auch Ge-
walttaten oder Einschüchterungsversuche gegen Gegner?

12. Inwiefern und in welchem Umfang versuchen nach Kenntnis der Bundesre-
gierung Erdoğan-Anhänger bzw. türkische Behörden, in Deutschland le-
bende Erdoğan-Gegner in Form von Strafanzeigen gegenüber deutschen
Strafverfolgungsbehörden wegen angeblicher Beteiligung am Putschversuch
oder der angeblichen Finanzierung von angeblich terrorverdächtigen Orga-
nisationen in Misskredit zu bringen?

Berlin, den 15. August 2016

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

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