BT-Drucksache 18/9406

Entschädigungszahlungen für tschechische Opfer des Völkermords an Sinti und Roma

Vom 15. August 2016


Deutscher Bundestag Drucksache 18/9406
18. Wahlperiode 15.08.2016

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Wolfgang Gehrcke, Annette Groth, Andrej Hunko,
Katrin Kunert, Niema Movassat, Petra Pau, Harald Petzold (Havelland) und
der Fraktion DIE LINKE.

Entschädigungszahlungen für tschechische Opfer des Völkermords an Sinti und
Roma

Tschechische Roma, die den Völkermord durch die deutschen Besatzer während
des Zweiten Weltkrieges überlebt haben, sollen eine Einmalzahlung durch die
Bundesrepublik Deutschland in Höhe von 2 500 Euro erhalten (www.tagesschau.
de vom 5. August 2016 und zahlreiche andere Medien).
Nur ungefähr 600 von rund 6000 tschechischen Roma hatten den Völkermord
damals überlebt. Heute wird von ungefähr 10 bis 15 Überlebenden ausgegangen.
Die tschechischen Verhandlungsführer werden mit den Worten zitiert, die „un-
klare Rechtslage“ in Deutschland habe den Verhandlungsprozess „ungemein in
die Länge gezogen“ (Czech Radio vom 5. August 2016 unter Berufung auf Jiri
Sitler, den ehemaligen Beauftragten der tschechischen Regierung für Holocaust-
Angelegenheiten). Nach Angaben von „Prague Daily Monitor“ unter Berufung
auf eine Sprecherin des tschechischen Außenministeriums hingegen, dauerten die
Verhandlungen nur mehrere Monate.
Die Rechtsgrundlage, auf der die Entschädigungszahlungen basieren sollen, wird
in den genannten Artikeln unterschiedlich dargestellt. Zum einen ist die Rede von
einem 50-Millionen-Euro-Topf, der für Entschädigungszahlungen an Deutsche
gewidmet ist, die während oder infolge des Krieges zu Zwangsarbeit herangezo-
gen wurden, genannt wird aber auch ein „German fund for non-Jewish victims of
Nazi persecution“, bei dem es sich um den Fonds für rassisch Verfolgte nichtjü-
dischen Glaubens handeln könnte, der vom Bundesministerium der Finanzen ver-
waltet wird.
Die Fragesteller begrüßen die Tatsache, dass tschechische Roma, die den Völker-
mord durch das Deutsche Reich überlebt haben, eine Entschädigung erhalten, und
bedauern zugleich außerordentlich, dass diese Entschädigung so spät kommt und
viel zu gering ist. Aus ihrer Sicht wäre eine monatliche Zahlung in Anlehnung an
jüdische Opfer, die 336 Euro monatlich erhalten, angezeigt gewesen. In der tsche-
chischen Berichterstattung wird hervorgehoben, dass die tschechische Seite dies
auch angestrebt hatte. Die Fragesteller sind zudem der Ansicht, dass auch Über-
lebende dieses Völkermordes in den anderen vom Deutschen Reich besetzten
bzw. ihm angegliederten oder von ihm beeinflussten Staaten eine Entschädigung
erhalten sollten, welche die bisherigen (Leistungen der Stiftung „Erinnerung,
Verantwortung und Zukunft“ (EVZ), Ghettorente) ergänzt.

Drucksache 18/9406 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wer hat zu welchem Zeitpunkt die Verhandlungen über die Entschädigung
tschechischer Roma mit welcher Begründung angeregt, und wie hat sich der
Verhandlungsprozess aus Sicht der Bundesregierung gestaltet?

2. Worin genau lag aus Sicht der Bundesregierung die zu schließende Entschä-
digungslücke, und wann und infolge welcher Umstände oder Hinweise hatte
sie diese erstmals erkannt?

3. Wann haben die Verhandlungen begonnen, wann stand deren Ergebnis fest,
bzw. wann wurden sie endgültig abgeschlossen?

4. Welche Aspekte waren während der Verhandlungen bzw. im Vorfeld des of-
fiziellen Verhandlungsbeginns aus welchen Gründen besonders umstritten
(bitte darstellen), und inwiefern trifft es zu, dass Probleme hinsichtlich der
rechtlichen Einordnung auf deutscher Seite ausgeräumt werden mussten
(bitte erläutern)?

5. Welchen Charakter hat die mit der tschechischen Regierung getroffene Ver-
einbarung, und wer ist auf deutscher Seite Vertragspartner?

6. Welche Erwartungen hatte die tschechische Seite ursprünglich gestellt?
Trifft es zu, dass die tschechische Seite eine monatliche Zahlung für die Op-
fer angestrebt hatte, und wenn ja, in welcher Höhe?

7. Aus welchem Grund favorisiert die Bundesregierung eine Einmalzahlung
in – aus Sicht der Fragesteller – bescheidener Höhe und nicht eine monatli-
che Zahlung, wie sie etwa jüdischen Opfern infolge des Artikel-2-Fonds
bzw. des Mittel- und Osteuropafonds zusteht?
Wie begründet sie die konkrete Summe von 2 500 Euro?

8. Wie gestaltet sich das Antragsverfahren (von Umfang und Dauer, bitte mög-
lichst Antragsformulare und Merkblätter beilegen oder Link auf diese ange-
ben), und wer führt dieses durch?
a) Ist es bereits möglich, Anträge einzureichen, und wenn nein, warum nicht,

und bis wann soll die Möglichkeit eröffnet werden?
b) Ist eine Befristung der Antragstellung vorgesehen, und wenn ja, warum,

und bis wann?
c) Welche Voraussetzungen und Nachweise müssen die Antragsteller erfül-

len bzw. vorlegen?
d) Inwiefern ist eine Antragstellung durch Erben bzw. Auszahlung an diese

möglich?
9. Aus welchem Topf oder Fonds werden die Entschädigungszahlungen bestrit-

ten?
Falls kein neuer Topf oder Fonds aufgelegt wurde, wie fügt sich das Schick-
sal der tschechischen Roma in die bestehenden Regelungen inhaltlich ein?

10. In welchem Verhältnis steht die jetzt zu zahlende Entschädigung zu anderen
Entschädigungszahlungen, insbesondere der sog. Zwangsarbeiter-Entschädi-
gung durch die Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft (EVZ)
und der Ghettorente?
Inwiefern steht der Bezug einer Ghettorente oder der EVZ-Entschädigung
einer Auszahlung des jetzt vereinbarten Betrages entgegen?

11. Steht die jetzige Regelung in einem Zusammenhang zur Entschädigung für
ehemalige deutsche Zwangsarbeiter, und wenn ja, welcher Art ist der Zusam-
menhang?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/9406

12. Gilt die beschlossene Regelung auch für Roma, die während des Zweiten

Weltkrieges im besetzten Tschechien gelebt haben, heute aber auf dem Ge-
biet der Slowakei oder eines anderen Staates leben, und falls nicht, was will
die Bundesregierung unternehmen, um die Regelung auch diesen Betroffe-
nen zugänglich zu machen?

13. Inwiefern trifft es zu, dass, wie von „Czech Radio“ berichtet, eine analoge
Regelung auch für niederländische Sinti getroffen wurde (bitte ggf. ausfüh-
ren, wie diese Regelung beschaffen ist)?

14. Gibt es in der Bundesregierung Überlegungen oder gibt es bereits Verhand-
lungen, auch Roma-Überlebenden in anderen europäischen Staaten, die den
Völkermord überlebt haben, Entschädigungen nach dem tschechischen Mo-
dell zu gewähren?
Wenn ja, welche Staaten sind dies, und welchen Stand haben die Verhand-
lungen, wenn nein, warum nicht?

Berlin, den 15. August 2016

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

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