BT-Drucksache 18/9297

Aufnahme des Totenscheins in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung

Vom 27. Juli 2016


Deutscher Bundestag Drucksache 18/9297
18. Wahlperiode 27.07.2016

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Harald Weinberg, Kathrin Vogler,
Sabine Zimmermann (Zwickau), Dr. Rosemarie Hein, Cornelia Möhring,
Azize Tank, Frank Tempel, Birgit Wöllert, Jörn Wunderlich, Pia Zimmermann
und der Fraktion DIE LINKE.

Aufnahme des Totenscheins in den Leistungskatalog der gesetzlichen
Krankenversicherung

Wenn ein Mensch stirbt, besteht die gesetzliche Pflicht, einen Arzt zur Feststel-
lung des Todes und zum Ausstellen eines Totenscheins heranzuziehen. Für
ca. eine halbe Million Menschen, die jährlich in der eigenen Wohnung, im Pfle-
geheim oder einer Hospizeinrichtung sterben, sind in aller Regel niedergelassene
Ärztinnen und Ärzte damit befasst.
Da mit dem Tod aber auch die Mitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversi-
cherung endet, muss diese ärztliche Leistung in der Regel von Angehörigen nicht
nur veranlasst, sondern auch bezahlt werden. Damit sind die trauernden Angehö-
rigen auch verantwortlich für die Prüfung der ärztlichen Rechnung. Maßgeblich
für die Rechnungslegung ist die Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ).
Diese GOÄ regelt die Abrechnung der ärztlichen Leistungen außerhalb der ver-
tragsärztlichen, d. h. durch Krankenkassen geregelten, Versorgung in Deutsch-
land. Meist kennen sich Angehörige in dieser Materie jedoch nicht aus, vor allem
wenn sie als gesetzlich Versicherte mit der Gebührenordnung und dieser Art der
Abrechnung mit Ärztinnen und Ärzten wenig Erfahrung gehabt hatten. Zudem
sind sie – abgesehen von ihrer Trauer – mit vielen anderen organisatorischen Fra-
gen beschäftigt, die der Tod von Angehörigen mit sich bringt.
In der GOÄ gibt es mehrere Möglichkeiten zur Ausdifferenzierung der ärztlichen
Vergütung. Neben der Nummer 100 (Todesfeststellung) kommt auch ein Wege-
geld in Betracht. Zudem waren in der Vergangenheit zumindest einige Ärztinnen
und Ärzte bestrebt, die ihrer Auffassung nach unterbezahlte Leistung durch die
Abrechnungsnummer 50 (Besuch, einschließlich Beratung und symptombezoge-
ner Untersuchung) aufzubessern (vgl. z. B. Rheinisches Ärzteblatt, Aus-
gabe 9/2006, S. 15 ff.). Es ist zwar seit 1998 gerichtlich geklärt (Amtsgericht
Herne/Wanne Az.: 2 C 380/98 und Amtsgericht Oberhausen Az.: 17 C 79/98),
dass dieses Verhalten nicht rechtgemäß ist, doch eine sachgerechte Prüfung durch
die Angehörigen erscheint insbesondere in der vorliegenden Situation realitäts-
fern. Dazu kommen dann noch die Möglichkeiten für die Ärztinnen und Ärzte,
Steigerungsfaktoren zu den Leistungspositionen zu berechnen. In der Regel kön-
nen sie dabei mehr oder minder frei zwischen dem 1- bis 2,3-Fachen wählen, bei
begründeten besonders aufwändigen Fällen besteht auch die Möglichkeit, den bis
zu 3,5-fachen Steigerungsfaktor anzuwenden. Einige Ärztinnen und Ärzte be-
rechnen auch einfach ohne Zuhilfenahme der GOÄ entgegen geltendem Recht
einen pauschalen Satz oder setzen – ebenfalls rechtswidrig – Zusatzentgelte etwa

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für die dringliche Ausführung oder einen „Zuschlag für Leistungen an Samstagen,
Sonn- und Feiertagen“ auf die Rechnung (vgl. WELT am SONNTAG, 3. Juli
2016, „Arg gefleddert“). Angehörigen dürfte normalerweise unbekannt sein, dass
Zuschläge, etwa wegen der Tageszeit oder wegen ärztlicher Wochenendeinsätze
nicht zulässig sind. Bestattungsunternehmen haben zwar oft Sachkenntnis über
eine korrekte Berechnung, scheuen sich aber davor, fehlerhafte Rechnungen zu
monieren, da die Ärztin oder der Arzt den Angehörigen andere Unternehmen
empfehlen könnten (vgl. Stuttgarter Nachrichten, 20. Juni 2016, S. 17, „Rech-
nung für Totenschein weiterhin zu hoch“).
Eine Prüfung der Rechnungen durch die Krankenkasse der oder des Verstorbenen
könnte aus diesen Gründen sowohl effektiver und effizienter als auch entlastender
und pietätvoller für die Angehörigen sein als die derzeitige Regelung.
Bei Todesfällen im Krankenhaus stellt sich die Situation intransparent dar. Einige
Landesgesetze regeln, dass keine Gebühren erhoben werden dürfen (z. B. § 7 des
Thüringer Bestattungsgesetzes); in anderen ist dies nicht geregelt (z. B. § 8 des
Bestattungsgesetzes). Allerdings werden zusätzliche Kosten für die Kühlung des
Leichnams oft pauschal den Angehörigen berechnet.
Eine qualitative Verbesserungsmöglichkeit könnte in der Leichenschau durch
entsprechend in der Todesfeststellung spezialisierte Ärztinnen und Ärzte beste-
hen. Denn nach den derzeitigen Regelungen dürfen alle approbierten Ärztinnen
und Ärzte die Todesfeststellung inklusive der Ausstellung des Totenscheins vor-
nehmen, auch solche, die weder in ihrer Fachausbildung noch in ihrer beruflichen
Praxis regelhaft mit Toten und Sterbenden konfrontiert sind, z. B. Augenärztin-
nen und Augenärzte, Radiologinnen und Radiologen oder Gynäkologinnen und
Gynäkologen.
Bis 2003 konnten die Kosten für die Todesfeststellung durch das Sterbegeld, das
damals in Höhe von 525 bzw. 262,50 Euro von den gesetzlichen Krankenkassen
an die Angehörigen gezahlt wurde, meist mehr als kompensiert werden. Um die
Arbeitgeber in schwierigen wirtschaftlichen Zeiten zu entlasten, wurden das Ster-
begeld und andere Leistungen damals abgeschafft. Ein Jahr zuvor wurde es be-
reits halbiert. Einen Ersatz für den Wegfall des Sterbegeldes gibt es aber bis heute
nicht.
Als Alternativen bieten sich mehrere Varianten an: z. B: die Übernahme der To-
desfeststellung als Kassenleistung in den Katalog der gesetzlichen Krankenversi-
cherung. So könnten Überforderungen der Angehörigen bei der Rechnungsprü-
fung sowie unzulässig hohe Arztrechnungen rund um die Todesfeststellung zu-
mindest für gesetzlich Versicherte weitgehend vermieden werden. Möglich wäre
auch eine steuerfinanzierte und kommunal bzw. durch die Länder administrierte
Lösung, die dann auch ehemals privatversicherte Verstorbene einschlösse, deren
Angehörige vor dem gleichen Problem stehen.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Wie viele Mehrausgaben für die gesetzliche Krankenversicherung würde

nach Kenntnis der Bundesregierung eine honorarneutrale Übertragung der
nach Nummer 100 GOÄ berechnungsfähigen Gebühren, wenn möglich zu-
züglich der sonstigen berechnungsfähigen Nummern und Zuschläge, in den
Einheitlichen Bewertungsmaßstab in etwa verursachen, also beispielsweise
die Anzahl der nicht in Krankenhäusern stattfindenden Todesfälle mal den
2,3-fachen Satz der Nummer 100 GOÄ (bitte in bestmöglicher Näherung an-
geben, wenn keine validen Zahlen verfügbar sind)?

2. Wie hoch wäre dadurch nach Kenntnis der Bundesregierung die fiktive
Mehrbelastung für jedes Mitglied der gesetzlichen Krankenversicherung in
etwa unter der Annahme, die Krankenkassen würden diese Kosten auf ihren
Beitragssatz/Zusatzbeitrag umlegen?

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3. Wie hoch sind nach Kenntnis der Bundesregierung die Einsparungen der
Krankenkassen bei aktueller Zahl der Sterbefälle pro Jahr durch die Halbie-
rung des Sterbegeldes zum Jahr 2003 und den Wegfall des Sterbegeldes zum
Jahr 2004 (bitte absolute Zahl und Einsparung pro Mitglied und Jahr ange-
ben)?

4. Schätzt auch die Bundesregierung die Sachlage so ein, dass die Prüfmöglich-
keiten der Angehörigen bezüglich der ärztlichen Rechnung begrenzt sind,
erst recht bei Berücksichtigung der emotional belastenden Situation bei ei-
nem Todesfall von Angehörigen?

5. Welche Kenntnis hat die Bundesregierung über Beschwerden von Verbrau-
cherschutzorganisationen und anderen Vereinigungen über Missstände bei
der Höhe der Arztrechnungen für Todesfeststellungen, und welche Forde-
rungen sind der Bundesregierung dabei zu Ohren gekommen?

6. Könnten nach Einschätzung der Bundesregierung die Krankenkassen im Fall
einer Aufnahme der Todesfeststellung in den Leistungskatalog ärztliche
Rechnungen effizienter und effektiver kontrollieren als die Angehörigen?

7. Was spricht nach Ansicht der Bundesregierung dagegen, die Ausstellung des
Totenscheins als GKV-Leistung zu organisieren und das Versicherungsver-
hältnis nach dieser Leistung enden zu lassen?

8. Inwieweit ist der Bundesregierung der oben beschriebene Interessenskonflikt
der Bestattungsunternehmen bekannt, der oft dazu führt, dass fehlerhafte
ärztliche Rechnungen durch die Bestattungsunternehmen nicht moniert wer-
den?

9. Dürfen Ärztinnen und Ärzte bei der Feststellung des Todes nach Einschät-
zung der Bundesregierung Rechnungspositionen außerhalb der GOÄ berech-
nen, z. B. durch gesonderte Vereinbarungen, und wenn ja, in welchen Fällen?

10. Welche Nummer der GOÄ oder welcher sonstige Abrechnungsposten (z. B.
Zuschläge) darf nach Ansicht der Bundesregierung von ärztlicher Seite ne-
ben der Nummer 100 im Rahmen der Todesfeststellung berechnet werden?

11. Kann die Bundesregierung an drei Beispielen verständlich darstellen, welche
Nummern der GOÄ ein leichter, ein durchschnittlicher und ein schwerer Fall
einer Todesfeststellung ggf. samt Nebenkosten beinhalten darf und wie hoch
die exemplarische bzw. maximale Rechnungssumme dann wäre?

12. Was sind nach Ansicht der Bundesregierung die Voraussetzungen für die
Berechnung eines Wegegeldes, und wie berechnet sich dieses nach gelten-
dem Recht?
Sind hierbei Zuschläge etwa wegen der Tageszeit zulässig?

13. Was sind nach Ansicht der Bundesregierung die Voraussetzungen für die
Abrechnung der Nummer 50 (Hausbesuch)?

14. Ist nach Ansicht der Bundesregierung die Berechnung einer Gebühr für das
Ausstellen einer Bescheinigung (Nummer 75) im Rahmen der Todesfeststel-
lung nach Nummer 100 erlaubt?

15. In welchen Fällen ist nach Ansicht der Bundesregierung die Anwendung der
Nummern 102, 104, 105 und 107 zulässig, bzw. ist die Erbringung dieser
Leistungen zulasten der Angehörigen geboten?

16. Ist nach Auffassung der Bundesregierung der derzeit nach GOÄ berechnete
Gebührensatz leistungsadäquat (bitte begründen)?

17. Kann die Bundesregierung der Einschätzung der Bundesärztekammer fol-
gen, die die Abrechnungssätze für die Leichenschau als zu niedrig betrachtet
und 170 Euro für angemessen hält (vgl. WamS, 3. Juli 2016)?

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18. In welchen Bundesländern werden nach Kenntnis der Bundesregierung bei
Sterbefällen im Krankenhaus Gebühren für die Ausstellung des Totenscheins
erhoben und in welchen nicht?
Ist diese Ausdifferenzierung nach Ansicht der Bundesregierung sinnvoll, und
wenn ja, warum?

19. In welcher Höhe werden in manchen Bundesländern nach Kenntnis der Bun-
desregierung bei Sterbefällen im Krankenhaus Gebühren für die Ausstellung
des Totenscheins erhoben?

20. In welchen Fällen dürfen nach Ansicht der Bundesregierung Gebühren für
die Kühlung des Leichnams den Angehörigen in Rechnung gestellt werden?
Wo liegen hierbei die Grenzen des Angemessenen?

21. Wie wird die Bundesregierung als Verordnungsgeber der GOÄ auf die Ent-
schließung des 119. Deutschen Ärztetages (2016) reagieren, nach der die
Leichenschaugebühr in der GOÄ erhöht werden müsse (bitte begründen)?

22. Welche Facharztgruppen nehmen nach Kenntnis der Bundesregierung in
welcher Anzahl im nichtstationären Bereich die Todesfeststellung in wie vie-
len Fällen vor?

23. Wie steht die Bundesregierung zu Vorschlägen, die Qualität der Todesfest-
stellung mittels einer Beschränkung auf Ärztinnen und Ärzte mit entspre-
chender Aus- oder Weiterbildung zu verbessern (bitte begründen)?

24. Welche Optionen sieht die Bundesregierung, auch Angehörige von privat
Krankenversicherten vor überzogenen Arztrechnungen im Rahmen der Lei-
chenschau zu schützen?
Wie steht die Bundesregierung zu einer staatlichen Finanzierung der Todes-
feststellung?

Berlin, den 26. Juli 2016

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

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