BT-Drucksache 18/9222

Geheimhaltung wesentlicher Informationen zu einem als operative Plattform bezeichneten europäischen Geheimdienstzentrum in Den Haag

Vom 14. Juli 2016


Deutscher Bundestag Drucksache 18/9222
18. Wahlperiode 14.07.2016

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Andrej Hunko, Annette Groth, Dr. André Hahn, Ulla Jelpke,
Dr. Alexander S. Neu, Niema Movassat, Harald Petzold (Havelland),
Alexander Ulrich und der Fraktion DIE LINKE.

Geheimhaltung wesentlicher Informationen zu einem als operative Plattform
bezeichneten europäischen Geheimdienstzentrum in Den Haag

Europäische Inlandsgeheimdienste errichten derzeit ein „Anti-Terror-Zentrum“
im niederländischen Den Haag (Bundestagsdrucksache 18/7930). Das Zentrum
gehört zu der im Jahr 2001 gegründeten „Counter Terrorism Group“ (CTG) des
sogenannten Berner Clubs. Dort organisieren sich die Geheimdienste aller EU-
Mitgliedstaaten sowie Norwegens und der Schweiz. Die Teilnehmerstaaten sollen
jetzt Verbindungsbeamtinnen und Verbindungsbeamte in das niederländische
Zentrum entsenden, die Eröffnung ist für den 1. Juli 2016 angekündigt (Ratsdo-
kument 8881/16). Ziel ist der Austausch und die Verarbeitung von Informationen
über „dschihadistische Gefährder“. Entsprechende Daten werden in einer „CTG-
Datenbank“ gespeichert (Jahresbericht des niederländischen Geheimdienstes
AIVD aus dem Jahr 2015). Auch geplante Operationen könnten untereinander
abgesprochen werden, die Beteiligten wollen hierfür ein interaktives Echtzeit-
Informationssystem betreiben.
Die Bundesregierung bezeichnet das Geheimdienstzentrum als „operative Platt-
form“ (Bundestagsdrucksache 18/8975). Die meisten Details zu der Geheim-
dienstzusammenarbeit hält sie streng geheim. Mit Verweis auf das Staatswohl
werden auf parlamentarische Anfragen weder die teilnehmenden Behörden be-
nannt, noch macht das Bundesministerium des Innern Angaben zu Arbeitsgrup-
pen, Personal und Kosten des Zentrums. Das gilt auch für die technischen Mög-
lichkeiten zur Analyse der angelieferten Daten. Sämtliche Verweise der vorlie-
genden Kleinen Anfrage beziehen sich deshalb, sofern nicht anders angegeben,
ebenfalls auf die Bundestagsdrucksache 18/8975.
Einer der Geheimhaltungsgründe ist laut der Bundesregierung die „Third Party
Rule“, wonach die Informationen „zwangsläufig Erkenntnisse der in der CTG
vertretenen Nachrichtendienste enthalten würden“. Plausibel ist das aus Sicht der
Fragesteller nicht, denn die Abgeordneten hatten sich lediglich zur Struktur und
Organisation des Geheimdienstzentrums erkundigt, nicht aber nach dem Inhalt
getauschter Informationen.
Bislang durfte der Verfassungsschutz keine gemeinsamen Dateien mit ausländi-
schen Diensten führen. Wurden Informationen begehrt, mussten gegenseitige Er-
suchen gestellt werden. Im Eiltempo hat die Bundesregierung deshalb die recht-
lichen Grundlagen für einen Datenpool erlassen (Pressemitteilung Bundesinnen-
ministerium vom 24. Juni 2016). Als Teil des neuen Gesetzes zum „besseren
Informationsaustausch bei der Bekämpfung des internationalen Terrorismus“
wurde ein entsprechender Vorschlag am 7. Juni 2016 veröffentlicht und bereits am
24. Juni 2016 beschlossen. Geregelt wird die Zusammenarbeit des Bundesamtes

Drucksache 18/9222 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
 

für Verfassungsschutz (BfV) mit sämtlichen EU- und NATO-Mitgliedstaaten.
Mehrere Sachverständige hatten den Gesetzentwurf heftig kritisiert. Der Hambur-
gische Beauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit Prof. Dr. Johannes
Caspar sieht darin einen „Ringtausch der Geheimdienste“, wenn etwa Erhebungs-
verbote im eigenen Land durch die Kooperation mit anderen Diensten umgangen
werden (netzpolitik.org vom 20. Juni 2016). Außerdem ist laut Prof. Dr. Johannes
Caspar zu befürchten, dass Partnerdienste die Informationen zu missbräuchlichen
Zwecken nutzen. Der Zugriff der Geheimdienste auf persönliche Daten sei dau-
erhaft, massenhaft und unkontrollierbar. Das Deutsche Institut für Menschen-
rechte e. V. warnte vor einer Verletzung des informationellen Trennungsprinzips
(Pressemitteilung vom 17. Juni 2016). Wer etwa in Deutschland ohne konkreten
Straftatverdacht vom Geheimdienst beobachtet wird, würde womöglich andern-
orts mit polizeilichen Ermittlungen, Einreise- oder Flugverboten konfrontiert. Die
vom Verfassungsschutz eingespeisten Daten könnten über die Kanäle des poli-
zeilichen Informationsaustausches zurück zu Polizeibehörden gelangen, obwohl
eine solche Übermittlung im Inland rechtswidrig wäre.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Inwiefern ist die Eröffnung des als „operative Plattform“ bezeichneten Ge-

heimdienstzentrums in Den Haag wie geplant bis zum 1. Juli 2016 erfolgt, bzw.
inwiefern wurden die bis zum Start erforderlichen Vorhaben bis dahin ter-
mingerecht umgesetzt (www.government.nl/latest/news/2016/06/10/increasing-
cooperation-between-europe-s-security-services)?

2. Welche Aufgaben werden derzeit übernommen, und welche weiteren sollen
erst nach der Eröffnung hinzukommen?

3. Inwiefern lassen sich die Kosten des als „operative Plattform“ bezeichneten
Geheimdienstzentrums in Den Haag mittlerweile beziffern?

4. Inwiefern ist über die „Frage der Kostentragung“ mittlerweile „abschließend
entschieden worden“, bzw. wann soll eine solche Entscheidung getroffen
werden?

5. In welchem konkreten Gebäude der Zentrale des Geheimdienstes AIVD „in
den Niederlanden in Den Haag“ ist das als „operative Plattform“ bezeichnete
Geheimdienstzentrum angegliedert (Bundestagsdrucksache 18/7930)?

6. Aus welchen Gründen verzichtet die Bundesregierung an einer Beteiligung
an „logistischen Fragestellungen“ zu dem als „operative Plattform“ bezeich-
neten Geheimdienstzentrum in Den Haag?

7. Welche vertraglichen Vereinbarungen, Memoranden oder Verträge wurden
zur Arbeit des als „operative Plattform“ bezeichneten Geheimdienstzentrums
in Den Haag geschlossen?

8. Welche Vorgaben zur Einhaltung und Umsetzung einer „Third Party Rule“
werden in diesen Vereinbarungen gemacht?

9. Welche sicherheitsrelevanten Erkenntnisse sind demnach geheimhaltungs-
bedürftig, etwa weil sie als „Störung der wechselseitigen Vertrauensgrund-
lage gewertet werden“, und welche Art von Informationen darf demgegen-
über veröffentlicht werden?

10. Inwiefern soll das als „operative Plattform“ bezeichnete Geheimdienstzent-
rum in Den Haag auch ein Sekretariat erhalten, bzw. inwiefern werden solche
Sekretariatsaufgaben von dem niederländischen Geheimdienst AIVD über-
nommen?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/9222
 

11. Welche Inlandsgeheimdienste nehmen an der CTG teil, und welche Kennt-
nisse hat die Bundesregierung darüber, bei welchen davon es sich um Agen-
turen handelt, die auch Polizeivollmachten haben?
a) Welche dieser Inlandsgeheimdienste bzw. Polizeiagenturen sind an das

Europol-Netzwerk SIENA angebunden und/oder an der Police Working
Group on Terrorism beteiligt?

b) Inwiefern gab oder gibt es bei der Bundesregierung rechtsstaatliche Be-
denken hinsichtlich einer Zusammenarbeit mit Inlandsgeheimdiensten,
die auch Polizeivollmachten haben, und wie wurden diese hinsichtlich der
Zusammenarbeit im als „operative Plattform“ bezeichneten Geheim-
dienstzentrum in Den Haag aufgelöst oder berücksichtigt?

12. Wie viele „Verbindungsbeamte für den Austausch operativer Erkenntnisse“
wird die Bundesregierung zu dem als „operative Plattform“ bezeichneten Ge-
heimdienstzentrum in Den Haag entsenden?

13. In welcher Häufigkeit finden bislang „anlassbezogen“ Treffen der Verbin-
dungsbeamten „zum Zwecke der Beschleunigung und Vereinfachung des In-
formationsaustausches“ statt?

14. Welche EU-Mitgliedstaaten werden nach Kenntnis der Bundesregierung
keine Behörden in das als „operative Plattform“ bezeichnete Geheimdienst-
zentrum in Den Haag entsenden?

15. Welche Haltung vertritt die Bundesregierung zur Frage, inwiefern die Arbeit
der von den CTG-Diensten entsandten Verbindungsbeamten sich zwar zu-
nächst auf den „Phänomenbereich Islamistischer Terrorismus“ beziehen
sollte, dies aber zu einem späteren Zeitpunkt auf andere Bereiche erweitert
werden könnte?

16. Welche weiteren Phänomenbereiche sind für eine Ausweitung des Mandats
im Gespräch, bzw. für welche weiteren Phänomenbereiche will sich die Bun-
desregierung einsetzen?

17. Welche konkreten Informationen werden in der „CTG-Datenbank“ des als
„operative Plattform“ bezeichneten Geheimdienstzentrums in Den Haag ver-
arbeitet?

18. Nach welcher Maßgabe sollen in der „CTG-Datenbank“ auch „assessed
intelligence“, also bereits ausgewertete Informationen, oder auch Original-
quellen („raw intelligence“) verteilt und verarbeitet werden, bzw. sind die
„technischen und organisatorischen Einzelheiten“ hierzu mittlerweile ge-
klärt?

19. Wer hat die Prüfung „informationstechnischer Unterstützung“ vorgenom-
men, der nach Angaben der Bundesregierung schließlich die Einrichtung der
„CTG-Datenbank“ folgte?

20. Inwiefern wurden für die „CTG-Datenbank“ außer den jeweiligen nationalen
Übermittlungsvorschriften auch gemeinsame Vorschriften erlassen?
a) Wie ist die Durchführung der Übermittlung und des Abgleichs bezüglich

der „CTG-Datenbank“ geregelt?
b) Welche Stelle ist für die Übertragung und Datenverarbeitung auf Seiten

der Bundesregierung und auf Seiten des AIVD zuständig?
c) Sofern auch Fingerabdruck- und Lichtbilddaten angeliefert werden, mit

welchen Software-Werkzeugen werden diese abgeglichen?
d) Welche Regelungen wurden für die „CTG-Datenbank“ hinsichtlich der

Datenspeicherung getroffen?

Drucksache 18/9222 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
 

21. Auf welche Weise ist die Teilnahme des BfV hinsichtlich der Teilnahme an
der gemeinsam geführten „CTG-Datenbank“ im Detail geregelt?

22. Wie soll der Informationsaustausch parlamentarisch kontrolliert werden, so-
fern die Bundesregierung der Ansicht ist, dass der § 22c des Bundesverfas-
sungsschutzgesetzes (BVerfSchG) dazu ermächtigt, an gemeinsam geführten
Dateien wie der „CTG-Datenbank“ auch ohne eine detaillierte Kooperations-
vereinbarung teilnehmen zu können?

23. Wie wird sichergestellt, dass bei den aus Deutschland bei dem als „operative
Plattform“ bezeichneten Geheimdienstzentrum in Den Haag angelieferten
Daten keine Analysemethoden genutzt werden, für die es in Deutschland im
Einzelfall oder im Regelfall einer gesonderten Rechtssetzung oder Anord-
nung bedarf?

24. Inwiefern werden die eingestellten deutschen Daten mit Verfahren zur
Kreuztreffersuche, zur gleichzeitigen Suche in mehreren Datenquellen oder
zur Rasterfahndung verarbeitet?

25. Inwiefern soll das als „operative Plattform“ bezeichnete Geheimdienstzen-
trum nicht nur keinen Zugriff auf die geplante EU-Datensammlung zu Flug-
gastdaten erhalten, sondern auch nicht auf andere europäische Informations-
systeme zugreifen dürfen?

26. Worin bestehen die „CTG-interne[n] Absprachen“ mit Europol?
a) Welche „Angelegenheiten strategischer Natur“ haben Europol und die

CTG mittlerweile „sondiert“, und welche Ergebnisse sind dazu bekannt
(Bundestagsdrucksache 18/8170)?

b) Sofern weiterhin keine Ergebnisse zu „Möglichkeiten für eine engere Zu-
sammenarbeit“ von Europol und der CTG bekannt sind, für wann werden
diese erwartet?

27. Was ist der Bundesregierung darüber bekannt, welche Drittstaaten an die
„CTG-Datenbank“ angeschlossen werden sollen bzw. dort über andere Ka-
näle Informationen einstellen und abrufen können?

28. Welche Regelungen wurden für die „CTG-Datenbank“ hinsichtlich der Da-
tenübermittlung an Drittstaaten, internationale Organisationen oder Private
getroffen?

29. Inwiefern werden eingestufte Informationen der „CTG-Datenbank“ bzw. des
Echtzeit-Informationssystems über das SIENA-Netzwerk von Europol oder
die Police Working Group on Terrorism übermittelt?

30. Worin besteht der „Kontakt der CTG zu Institutionen der Europäischen
Union“, den die Gruppe laut der Bundesregierung außer mit Europol mit dem
EU-Anti-Terror-Koordinator und dem Lagezentrum EU IntCen aufnahm?

31. Mit welchen weiteren Maßnahmen der „weitere[n] Optimierung des Infor-
mationsaustausches“ soll die bereits als „sehr eng und vertrauensvoll“ be-
schriebene Zusammenarbeit mit der CTG intensiviert werden?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/9222
 

32. Wann, durch wen und wie oft wurde das Parlamentarische Kontrollgremium
über die geplante Beteiligung bzw. Mitwirkung deutscher Geheimdienste im
Rahmen des sogenannten Anti-Terror-Zentrums in Den Haag sowie dazu
eventuell geschlossene Vereinbarungen bzw. Verträge mit anderen Staaten
und/oder Geheimdiensten unterrichtet (falls keine Unterrichtung erfolgt sein
sollte, bitte die Gründe dafür angeben)?

Berlin, den 14. Juli 2016

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com
Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de

anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.