BT-Drucksache 18/9221

Sogenannte hybride Bedrohungen und deren tatsächliche Gefährlichkeit

Vom 14. Juli 2016


Deutscher Bundestag Drucksache 18/9221
18. Wahlperiode 14.07.2016

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Andrej Hunko, Dr. Alexander S. Neu, Jan van Aken,
Christine Buchholz, Annette Groth, Ulla Jelpke, Kathrin Vogler und der
Fraktion DIE LINKE.

Sogenannte hybride Bedrohungen und deren tatsächliche Gefährlichkeit

Am 6. April 2016 veröffentlichten die Europäische Kommission und der Europä-
ische Auswärtige Dienst ihre Initiative „Gemeinsamer Rahmen für die Abwehr
hybrider Bedrohungen, die Stärkung der Resilienz der EU, ihrer Mitgliedstaaten
und Partnerländer und den Ausbau der Zusammenarbeit mit der NATO bei der
Bekämpfung solcher Bedrohungen“. Ein entsprechendes Papier enthält Vor-
schläge für 22 operative Maßnahmen (JOIN(2016) 18 final). Laut einer am glei-
chen Tag herausgegebenen Pressemitteilung seien die Europäische Union (EU)
und ihre Mitgliedstaaten „in zunehmendem Maße hybriden Bedrohungen ausge-
setzt“. Das Sicherheitsumfeld habe sich drastisch verändert, auch an den Außen-
grenzen der EU nähmen „hybride Bedrohungen“ zu. „Hybride“ Aggressionen
würden nicht nur unmittelbaren Schaden anrichten und Verwundbarkeiten aus-
nutzen, sondern Gesellschaften destabilisieren und „durch Verschleierungstak-
tik“ die Entscheidungsfindung zu einer gemeinsamen Antwort behindern. Innere
und äußere Sicherheit müssten deshalb noch stärker miteinander verknüpft wer-
den. Auch Geheimdienste sollen sich an der Abwehr von „hybriden Angriffen“
unterhalb der Schwelle militärischer Gewalt beteiligen.
Im September 2015 rief der Europäische Auswärtige Dienst ein Team für „Stra-
tegische Kommunikation“ (EU EAST STRATCOM) ins Leben, um damit die
politischen EU-Ziele in der östlichen Nachbarschaft „voranzutreiben“ (Bundes-
tagsdrucksache 18/6486). Die Arbeitsgruppe soll „Desinformationskampagnen
über den Ukrainekonflikt“ kontern. Inzwischen hat die EU zahlreiche Folgedo-
kumente und Strategien zu „hybriden Bedrohungen“ veröffentlicht. Die Bundes-
regierung bestätigt jedoch, dass solche „hybriden Bedrohungen“ in Deutschland
bislang nicht festzustellen sind. Allenfalls würden „Desinformations- und Propa-
gandamaßnahmen“ beobachtet.
Der Begriff der „hybriden Bedrohungen“ ist nicht eindeutig begrifflich definiert.
Als Beispiel gilt der Einsatz verdeckt operierender oder nicht gekennzeichneter
Spezialkräfte bei „gleichzeitigem Aufbau einer konventionellen militärischen
Drohkulisse“. Die Europäische Kommission schreibt von einer „Vermischung
militärischer und ziviler Kriegsführung durch staatliche und nichtstaatliche Ak-
teure wie verdeckte Militäroperationen, intensive Propaganda und wirtschaftliche
Drangsalierung“ (https://ec.europa.eu/germany/news/eu-verst%C3%A4rkt-antwort-
auf-hybride-bedrohungen_en). Ziel sei dabei nicht nur, unmittelbaren Schaden
anzurichten und Verwundbarkeiten auszunutzen, „sondern auch Gesellschaften
zu destabilisieren und durch Verschleierungstaktik die Entscheidungsfindung zu

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behindern“. Dies trifft nach Ansicht der Fragesteller aber genauso auf die Kriegs-
führung im Jemen, in Syrien oder Libyen zu, insbesondere auch auf die Auf-
standsbekämpfung der US-Regierung in den 80er-Jahren in Lateinamerika.
Trotz der vagen Begriffsbestimmung sind nun konkrete Maßnahmen geplant. Das
Lagezentrum EU Intelligence and Situation Centre (EU INTCEN) in Brüssel soll
eine „Hybrid Fusion Cell“ eröffnen. Die Zelle erstellt Frühwarnberichte und ar-
beitet mit anderen Agenturen zusammen. Genannt werden die bei Europol ange-
siedelten Zentren gegen Cyberkriminalität sowie gegen Terrorismus, die Grenz-
schutzagentur Frontex und das Computersicherheits-Ereignis- und Reaktions-
team der EU (CERT-EU). Schließlich soll die „Hybrid Fusion Cell“ ein Abkom-
men mit der Abteilung gegen „hybride Bedrohungen“ bei der NATO schließen.
Anvisiert sind unter anderem gemeinsame Übungen „auf politischer und techni-
scher Ebene“. Auch die Bundeswehr will mit militärischen und zivilen Mitteln
zur „Krisenfrüherkennung“ reagieren.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. In welchen EU- oder NATO-Mitgliedstaaten ist das tatsächliche Vorkom-

men allgemeiner „hybrider Bedrohungen“ aus Sicht der Bundesregierung
derzeit zu beobachten?

2. Inwiefern teilt die Bundesregierung die Einschätzung der EU-Gruppe „Poli-
tisch-militärische Angelegenheiten“, wonach eine „Cyberdimension“ bei
„hybriden Bedrohungen“ unter anderem in der Ukraine und einigen EU-Mit-
gliedstaaten zu beobachten sei (Ratsdokument 9701/16; bitte die aus Sicht
der Bundesregierung eingetretenen „Bedrohungen“ benennen)?

3. Mit welchen Maßnahmen wird die Bundesregierung die „Schlussfolgerun-
gen des Rates zur Bewältigung hybrider Bedrohungen“ vom 19. April 2016
(Ratsdokument 7928/16) berücksichtigen und/oder umsetzen, der ein „ra-
sches und angemessenes Handeln zur Prävention und Bewältigung von
hybriden Bedrohungen für die Union und ihre Mitgliedstaaten sowie für ihre
Partner“ anmahnt?

4. Wann sollen Details zur Umsetzung dieser Maßnahmen vorliegen bzw. in-
wiefern befinden sich diese weiterhin in der „ressortübergreifende[n] Ablei-
tung der Bundesregierung“ (Bundestagsdrucksache 18/8631)?

5. Inwiefern sieht sich die Bundesregierung weiterhin lediglich „Desinforma-
tions- und Propagandamaßnahmen“ und keinen belegbaren „hybriden Be-
drohungen“ ausgesetzt (Bundestagsdrucksache 18/8631)?

6. Inwiefern hält die Bundesregierung Cyberangriffe nicht für ein „denk-
bar[es]“ Mittel hybrider Konfliktaustragung, sondern konnte diese tatsäch-
lich als „hybride Bedrohungen“ werten?

7. Welche Vorkehrungen trifft die Bundesregierung zur Abwehr eines hypothe-
tischen „großangelegten, schweren hybriden Angriffs“, der laut Bundestags-
drucksache 18/8631 zwar nicht zu erwarten ist, aber auch nicht grundsätzlich
ausgeschlossen werden kann?

8. Wann liegen der Bundesregierung Details zu der geplanten „Hybrid Fusion
Cell“ im geheimdienstlichen EU-Lagezentrum INTCEN in Brüssel vor,
bzw. inwiefern hat sie seit ihrer Antwort auf Bundestagsdrucksache 18/8631
vom 1. Juni 2016 versucht, diese Details zu erfragen?
a) Inwiefern wurde die für Juni 2016 geplante Inbetriebnahme der „Hybrid

Fusion Cell“ tatsächlich umgesetzt (Ratsdokument 9701/16)?
b) Was ist der Bundesregierung mittlerweile über die (geplanten) Tätigkei-

ten der „Hybrid Fusion Cell“ bekannt?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/9221
 

c) Welche In- oder Auslandsgeheimdienste oder sonstigen Beteiligten sollen
dieser „Hybrid Fusion Cell“ angehören?

d) Inwiefern soll die neue „Hybrid Fusion Cell“ auch Internetbeobachtung
betreiben, und wer würde auf diese Weise beobachtet?

e) Welche Aufgaben werden dort von welchen Behörden übernommen?
f) Was ist der Bundesregierung über geplante Zusammenarbeitsformen die-

ser „Hybrid Fusion Cell“ mit der NATO bekannt?
g) Inwiefern hat die „Hybrid Fusion Cell“ mittlerweile Abkommen mit der

NATO-Abteilung gegen „hybride Bedrohungen“ geschlossen?
h) Inwiefern stehen mittlerweile Einzelheiten dazu fest, bei welcher Behörde

bzw. Abteilung die Bundesregierung eine nationale Kontaktstelle für die
„Hybrid Fusion Cell“ einrichten wird?

9. Mit welchen „diesbezüglich relevanten EU-Gremien“ sollte die „Hybrid Fu-
sion Cell“ aus Sicht der Bundesregierung kooperieren (Bundestagsdrucksa-
che 18/8631)?
a) Mit welchen Anstrengungen sind nach Kenntnis der Bundesregierung

auch die Polizeibehörde Europol und die Grenzschutzagentur Frontex so-
wie der Ständige Ausschuss des Rates für die innere Sicherheit (COSI)
hinsichtlich „hybrider Bedrohungen“ befasst?

b) Mit welchen Drittstaaten sollen Europol, Frontex und der COSI hierzu
Kontakt aufnehmen (Ratsdokument 14636/15)?

10. Welche gemeinsamen Übungen der „Hybrid Fusion Cell“ und der NATO
sind nach Kenntnis der Bundesregierung derzeit „auf politischer und techni-
scher Ebene“ geplant?
a) Welche Stäbe der EU und der NATO sind zur Ausformulierung von pa-

rallelen oder gemeinsamen Übungen „in engem Kontakt“?
b) Auf welche Weise unterstützt die Bundesregierung das „Vorhaben“ ge-

meinsamer Übungen?
11. Was ist der Bundesregierung über den Inhalt eines technischen Abkommens

zwischen dem CERT-EU und dem NATO-Kommando „Computer Incident
Response Capability“ hinsichtlich „hybrider Bedrohungen“ bekannt?

12. Was ist der Bundesregierung über eine „diplomatic toolbox“ hinsichtlich
„hybrider Bedrohungen“ bekannt (Ratsdokument 6908/16)?
Wer hat diese „toolbox“ entwickelt bzw. umgesetzt?

13. Welche Aussagen trifft die „toolbox“ zur Frage, auf welche Weise betroffene
oder unterstützende Staaten Cyberangriffe oder „hybride Bedrohungen“ auf
politischer, diplomatischer, rechtlicher oder wirtschaftlicher Ebene beant-
worten sollen?

14. Welche konkreten Maßnahmen trifft der in Wales 2014 beschlossene
„Readiness Action Plan“ der NATO hinsichtlich „hybrider Konfliktszena-
rien“, zu denen der Bundesregierung zufolge „unter anderem asymmetrische
Einsatzformen, Propaganda und Desinformation oder auch Cyberattacken
und -sabotage und die Nutzung des Informationsraums“ gehören (Bundes-
tagsdrucksache 18/8904)?
a) Mit welchen Einzelmaßnahmen gehen auch eine „Strategie [der NATO]

zum Umgang mit hybrider Kriegsführung“ und ein dazugehöriger Imple-
mentierungsplan auf „hybride Konfliktszenarien“ ein?

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b) Auf welche Weise wird die Bundesregierung die Aufforderung der NATO
an die Mitgliedstaaten zur Eigenverantwortung bei der „Resilienzstär-
kung“ bezüglich „hybrider Konfliktszenarien“ bzw. „hybrider Bedrohun-
gen“ umsetzen?

Berlin, den 14. Juli 2016

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

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