BT-Drucksache 18/9175

Umgang mit IS-Abtrünnigen

Vom 8. Juli 2016


Deutscher Bundestag Drucksache 18/9175
18. Wahlperiode 08.07.2016

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Annette Groth, Dr. André Hahn, Andrej Hunko,
Niema Movassat, Harald Petzold (Havelland), Halina Wawzyniak und der
Fraktion DIE LINKE.

Umgang mit IS-Abtrünnigen

Während der sogenannte Islamische Staat (IS) in den Jahren 2014 und 2015 spek-
takuläre Geländegewinne verbuchen konnte, kam diese Expansion im Irak und
Syrien mit der erfolgreichen Verteidigung der syrisch-kurdischen Stadt Kobani
gegen den Ansturm der Dschihadisten im Januar 2015 zum weitgehenden Still-
stand. Seitdem verlor die Terrororganisation weiter an Boden, aufgrund der mili-
tärischen Erfolge der kurdisch dominierten und von der US-Luftwaffe unterstütz-
ten Syrisch-Demokratischen-Kräften (SDF) sowie der von der russischen Luft-
waffe unterstützten syrischen Regierungstruppen als auch im Irak, zurückge-
drängt von Milizen der Zentralregierung und kurdischer Truppen. Durch den Ver-
lust der Kontrolle über Grenzabschnitte und Verbindungswege im Norden Syri-
ens wird für den IS der Nachschub an Kämpfern und Waffen über die Türkei
erschwert. Dazu kommen finanzielle Probleme durch den Rückgang der von der
Bevölkerung von ihm erpressten „Steuereinnahmen“. Der eingebrochene Ölpreis
sowie die gezielte Bombardierung von Öltransportwegen durch die russische
Luftwaffe haben einen deutlichen Einbruch der Einnahmen durch Verkäufe aus ge-
schmuggeltem Öl zum Ergebnis. Aufgrund fehlender Ressourcen wurden die Löhne
der IS-Söldner deutlich gesenkt. Angesichts der militärischen Erfolge ihrer Gegner
setzt der IS zudem verstärkt auf Selbstmordmissionen seiner Kämpfer mit allerdings
nur geringer strategischer Wirkung (www.tagesspiegel.de/politik/islamischer-
staat-zurueckgedraengt-aber-nicht-besiegt/13766186.html; www.heise.de/tp/artikel/
48/48463/1.html).
Laut einem Bericht des „Wall Street Journals“ wollen immer mehr aus Westeu-
ropa stammende IS-Kämpfer und andere IS-Anhänger wieder aus Syrien ausrei-
sen. Die Zeitung stützt sich dabei auf Berichte von Diplomaten und einem syri-
schen Fluchthelfernetzwerk für abtrünnige IS-Kämpfer. Die Abtrünnigen würden
sich telefonisch oder über herausgeschmuggelte Briefe aus Syrien bei ihren Bot-
schaften in der Türkei melden oder sich an ihre Regierungen wenden, um Hilfe
bei der Flucht zu finden. Mittlerweile sei es allerdings nicht nur schwierig, die
vom IS kontrollierten Gebiete zu verlassen, sondern auch, von Syrien in die Tür-
kei zu gelangen. Die Überwachung der Grenze soll von türkischer Seite verstärkt
worden sein, die Flucht daher entsprechend schwer und gefährlich (www.wsj.com/
articles/islamic-state-members-from-the-west-seek-help-getting-home-1465244878).
Wenn IS-Flüchtlinge aus Syrien in der Türkei von dortigen Behörden aufgegrif-
fen werden, folgen laut dem Bericht des „Wall Street Journals“ zuerst Verhöre
durch den türkischen Geheimdienst. Anschließend würden sie dann den jeweili-
gen Botschaften übergeben, wo sie von Geheimdienstmitarbeitern der entspre-

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chenden Länder befragt werden. Während die Auslandsgeheimdienste der euro-
päischen Staaten eher Informationen über den IS in Syrien in Erfahrung bringen
wollen, geht es in den Inlandsgeheimdiensten dagegen vornehmlich um Informa-
tionen über mögliche Terror-Netzwerke im Westen. So soll der IS offenbar in
Raqqa eine Geheimabteilung „Externe Operationen“ etabliert haben, um An-
schläge in Westeuropa zu planen und dafür Kämpfer aus diesen Ländern zu rek-
rutieren und auszubilden. Damit wird es für Sicherheitsbehörden wichtiger, die
möglichen „Gefährder“ unter einer steigenden Zahl von Rückkehrern zu identifi-
zieren. (www.heise.de/tp/artikel/48/48463/1.html).

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Inwieweit trifft nach Kenntnis der Bundesregierung ein Bericht des „Wall

Street Journals“ zu, wonach immer mehr mutmaßliche IS-Abtrünnige, die aus
Syrien heraus wollen, sich bei ihren Botschaften in der Türkei melden (www.
wsj.com/articles/islamic-state-members-from-the-west-seek-help-getting-
home-1465244878)?

2. Wie viele aus Deutschland stammende rückkehrwillige mutmaßliche IS-Ab-
trünnige haben nach Kenntnis der Bundesregierung aus welchen Ländern
wann und auf welche Weise Kontakt zu welchen deutschen Auslandsvertre-
tungen oder Bundesbehörden gesucht?
Wie ist in solchen Fällen die übliche Vorgehensweise der angefragten Bot-
schaften oder Behörden?

3. Welche konkreten Möglichkeiten der Unterstützung von mutmaßlichen IS-
Abtrünnigen bei ihrer Flucht aus Syrien hat die Bundesregierung?

4. Inwieweit und in wie vielen und welchen Fällen konnte die Bundesregierung
gegebenenfalls aus Deutschland stammenden mutmaßlichen IS-Abtrünnigen
bei der Rückkehr nach Deutschland behilflich sein und auf welche Weise?

5. In wie vielen und welchen Fällen wurden aus Deutschland stammende mut-
maßliche IS-Abtrünnige von Seiten türkischer Sicherheitsbehörden an die
deutschen diplomatischen Vertretungen in der Türkei überstellt?

6. Welche Kenntnis hat die Bundesregierung darüber, ob und wie viele aus
Deutschland stammende IS-Angehörige oder mutmaßliche IS-Abtrünnige von
türkischen Sicherheitskräften inhaftiert wurden (bitte Zeitpunkt der Inhaftie-
rung angeben)?

7. Was genau passiert mit aus Deutschland stammenden mutmaßlichen IS-Ab-
trünnigen, wenn sie sich in deutschen Auslandsvertretungen melden oder von
Sicherheitsbehörden des jeweiligen Landes an diese Vertretungen überstellt
werden?

8. Inwieweit, auf welche Weise und mit welchem Ziel werden mutmaßliche IS-
Abtrünnige, die sich bei deutschen Auslandsvertretungen melden, von wel-
chen deutschen Sicherheitsbehörden wonach befragt und überprüft?

9. Welche konkreten Möglichkeiten, Wege, Hindernisse und Gefahren beste-
hen nach Kenntnis der Bundesregierung derzeit für IS-Abtrünnige, die sich
von der Terrororganisation trennen und Syrien verlassen wollen?

10. Inwieweit hat die Bundesregierung Kenntnisse über ein von syrischen Op-
positionellen gebildetes Fluchthelfernetzwerk und darüber, ob aus Deutsch-
land stammende mutmaßliche IS-Abtrünnige mit Hilfe dieses Fluchthelfer-
netzwerks aus Syrien in die Türkei gelangen konnten?

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11. Inwiefern wirkt sich nach Einschätzung der Bundesregierung bzw. der Bun-
dessicherheitsbehörden eine drohende Strafverfolgung in Deutschland nega-
tiv auf eine Rückkehrbereitschaft bzw. Bereitschaft zum Verlassen des IS
aus, und welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung daraus?

12. Welche Einschätzung hat die Bundesregierung über die Motive, die (ehema-
lige) IS-Angehörige zum Verlassen der Terrororganisation bewegen (bitte
soweit möglich, Motivbündel quantitativ aufgliedern), und welchen Anteil
daran macht die innere Abwendung vom IS daran aus?

13. Inwiefern versuchen die Bundessicherheitsbehörden, unter den Rückkehrern
solche zu identifizieren, die als glaubwürdige Aussteiger im Sinne einer „Ge-
generzählung“ fungieren könnten.
a) Inwiefern kann bei solchen Personen von einer Strafverfolgung abgese-

hen oder wenigstens eine mildere Bestrafung in Aussicht gestellt werden,
und in wie vielen und welchen Fällen wurde davon Gebrauch gemacht?

b) Welche konkreten Erfahrungen wurden bisher mit solchen Aussteigern
gemacht?

14. Wie viele und welche Gebiete in welchen Ländern, die der IS zwischenzeit-
lich kontrolliert hatte, gingen ihm nach Kenntnis der Bundesregierung aus
welchen Gründen bzw. infolge welcher militärischer Konfrontationen mit
welchen Kräften jeweils im Einzelnen wann wieder verloren?

15. Welche Grenzabschnitte und Grenzübergänge zur Türkei kontrolliert der IS
nach Kenntnis der Bundesregierung derzeit und auf welche Art und Weise?

16. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über einen Rückgang der
Finanzmittel des IS, und woraus ergeben sich solche Rückschlüsse über die
IS-Finanzen?
a) Über welche Finanzen aus welchen Quellen in welcher geschätzten Höhe

verfügt der IS nach Kenntnis oder Einschätzungen der Bundesregierung?
b) Wie und aus welchen Gründen hat sich das Budget des IS in den letzten

drei Jahren verändert?
17. Wie wirken sich nach Kenntnis der Bundesregierung militärische Niederla-

gen, schwindende finanzielle Mittel und der Verlust von zuvor kontrollierten
Gebieten auf die Moral, den Zusammenhalt und die Disziplin des IS und sei-
ner Anhängerinnen und Anhänger aus?

18. Welche und wie viele Ölfelder und Ölquellen mit welchen geschätzten Öl-
vorräten sowie welche Raffinerien kontrolliert der IS nach Kenntnis der Bun-
desregierung derzeit noch im Irak und Syrien?
a) Welche Ölfelder, Ölquellen und Raffinerien hat der IS wann und auf wel-

che Weise (Verlust des Gebietes, Zerstörung durch Luftangriffe etc.) wie-
der verloren?

b) Wie viel Öl fördert der IS derzeit aus seinen Ölquellen?
c) Wie viel des geförderten Öls ist nach Kenntnis der Bundesregierung für

den Weiterverkauf ins Ausland bestimmt, und welcher Teil dient der Ei-
genversorgung bzw. der Versorgung der Bevölkerung in den IS-kontrol-
lierten Gebieten?

d) Wie hoch sind die derzeitigen geschätzten Einnahmen des IS durch Öl-
verkäufe?

e) Zu welchem Preis verkauft der IS nach Kenntnis der Bundesregierung
derzeit sein Rohöl?

Drucksache 18/9175 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
 

f) Auf welchem Weg, über welche Länder und an welche Abnehmer ver-
kauft der IS derzeit nach Kenntnis der Bundesregierung Öl?

g) Inwieweit und aus welchen Gründen sind die Einnahmen aus dem Ölge-
schäft für den IS gesunken?

h) Welche Rolle haben Luftangriffe der russischen Luftwaffe oder der US-
geführten Anti-IS-Koalition auf Transportwege und Transportfahrzeuge
beim Rückgang des Ölhandels für den IS gespielt?

Berlin, den 8. Juli 2016

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com
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