BT-Drucksache 18/9027

Radarstrahlengeschädigte der Bundeswehr und der ehemaligen NVA besser entschädigen

Vom 5. Juli 2016


Deutscher Bundestag Drucksache 18/9027
18. Wahlperiode 05.07.2016
Antrag
der Abgeordneten Katrin Kunert, Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, Christine
Buchholz, Sevim Dağdelen, Dr. Diether Dehm, Annette Groth, Heike Hänsel,
Inge Höger, Andrej Hunko, Michael Leutert, Stefan Liebich, Niema Movassat,
Dr. Alexander S. Neu, Dr. Petra Sitte, Alexander Ulrich, Kathrin Vogler
und der Fraktion DIE LINKE.

Radarstrahlengeschädigte der Bundeswehr und der ehemaligen NVA besser
entschädigen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Viele Soldaten der Bundeswehr und der ehemaligen Nationalen Volksarmee (NVA),
insbesondere junge Wehrdienstleistende, waren bis in die 80er-Jahre hinein an Ra-
dargeräten ionisierender Strahlung ausgesetzt. Einige von ihnen sind daraufhin
schwer erkrankt. Die Betroffenen können einen ursächlichen Zusammenhang in vie-
len Fällen heute nicht mehr lückenlos nachweisen, da es weder ausreichende Auf-
zeichnungen über den Umgang mit Strahlen- und Radarquellen noch über Dauer und
Intensität der Exposition jedes einzelnen Soldaten gibt. Aufgrund des fehlenden Ge-
fahrenbewusstseins dieser Zeit können Betroffene folglich nicht auf „Beweismate-
rial“ für ihre Schädigung zurückgreifen. Den Dienstherrn entbindet dies jedoch nicht
von seiner Verantwortung und Fürsorgepflicht. Aus diesem Grund sollten möglichst
alle chronischen Erkrankungen, die auf ionisierende Strahlung zurückgeführt wer-
den können, vom Gesetzgeber als entschädigungsfähig anerkannt werden, sofern die
betroffenen Antragsteller im Rahmen ihrer Dienstausübung an entsprechenden Ge-
räten gearbeitet haben.
Die Entschädigung der Soldaten gestaltete sich vor allem in der Frage der qualifizie-
renden Erkrankungen äußerst schwierig. Sie beschäftigt den Deutschen Bundestag
seit dem Jahr 2000. Im Jahr 2002 empfahl der Verteidigungsausschuss die Einset-
zung einer Kommission. Im Abschlussbericht der „Radarkommission“ von 2003
wurden Kriterien erstellt, die festlegen, in welchen Fällen eine Krankheit auf Strah-
leneinwirkung zurückzuführen ist.
Der Bericht zeigt allerdings auch weiteren Forschungsbedarf auf, insbesondere zur
Untersuchung der gesundheitlichen Auswirkungen von Leuchtfarbe, Hochfrequenz-
strahlung und weiteren Aspekten ionisierender Strahlung. Das Bundesministerium
der Verteidigung kündigte nach dem Erscheinen des Berichts eine Eins-zu-eins-Um-
setzung der Vorschläge der Radarkommission an. Gleichwohl konnte bis heute nur
rund ein Viertel der eingegangenen Entschädigungsanträge mit einem Anerken-
nungsbescheid abgeschlossen werden.

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Die überwiegende Zahl der Anträge wurde abgelehnt, auch weil bestimmte Krank-
heitsbilder unzureichend erforscht waren bzw. sind, insbesondere bei nichtkarzino-
genen Erkrankungen.
Unter diesen Voraussetzungen, insbesondere aber mit Blick auf die uneinge-
schränkte Fürsorgepflicht des Dienstherrn, ist es dringend geboten, den Auftrag der
Radarkommission konsequent umzusetzen, die gesundheitlichen Folgen ionisieren-
der Strahlung weiter zu erforschen und weitere Forschungslücken zu schließen. Strit-
tige Fälle müssen durch unabhängige Untersuchungen und Expertengremien einer
schnellen Klärung zugeführt werden.
Dabei ist festzuhalten und zu berücksichtigen, dass viele der erkrankten Personen
mittlerweile im fortgeschrittenen Lebensalter sind und sich häufig bereits in einem
schwerstkranken Zustand befinden. Ein weiteres Warten auf die Unterstützung des
früheren Dienstherrn und auf angemessene Entschädigungen ist daher weder für die
unmittelbar betroffenen Schwerstkranken und die anderen potenziell Geschädigten
hinnehmbar noch aus Sicht des Deutschen Bundestages vertretbar. Die häufig langen
Verfahrensdauern stellen eine zusätzliche Belastung dar.
Der Beschluss des Deutschen Bundestages aus der 17. Wahlperiode (Bundestags-
drucksache 17/7354), die Bildung eines unabhängigen Expertengremiums zu prüfen,
wurde seitens der Bundesregierung bislang nicht umgesetzt.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. die Empfehlungen der Radarkommission aus dem Jahr 2003 eins zu eins umzu-
setzen;

2. das Personal im Bundesamt für das Personalmanagement der Bundeswehr, das
die Radarfälle bearbeitet, deutlich zu verstärken, um die Dauer der Verwaltungs-
verfahren zu verkürzen und ggf. weitere Verwaltungsoptimierungen vorzuneh-
men;

3. die Empfehlungen des Expertenberichts der „Meineke-Kommission“ vom
19. Februar 2016 umgehend umzusetzen, insbesondere
a) eine Studie zu möglichen Genschädigungen bei Nachkommen von ehemali-

gen Radartechnikern in Auftrag zu geben,
b) gutartige Tumore künftig in den Katalog der qualifizierenden Erkrankungen

aufzunehmen und in den betreffenden Fällen zügig zu entscheiden,
c) weitere Messungen zu Radiumleuchtfarbe (Ra-226) an Bundeswehr- und

NVA-Geräten – einschließlich von älteren Flugzeugmustern der Bundes-
wehr – vorzunehmen und ggf. mithilfe von Ersatzdosisberechnungen die Ver-
ursachungswahrscheinlichkeit von Organschäden zu bestimmen, um in den
betreffenden Fällen zügig zu entscheiden,

d) die Beweiserleichterungen der Phase 1 aus dem Bericht der Radarkommission
von 2003 im Sinn des Günstigkeitsprinzips auch für die Phase 2 bis zum
Nachweis eines adäquaten Strahlenschutzes durch die Bundeswehr anzuwen-
den;

4. weiterhin zu gewährleisten, dass Radarstrahlengeschädigte der Bundeswehr und
ehemaligen NVA gleich behandelt werden;

5. vorhandene Ermessensspielräume für das Vorliegen der Anerkennungskriterien
zu Gunsten der Antragsteller auszulegen und ein unabhängiges Expertengre-
mium zu bilden, um in strittigen Einzelfällen zu vermitteln;

6. die weitere Entwicklung der wissenschaftlichen Erkenntnisse in Forschung und
Lehre (z. B. nationale und internationale Studien) aufmerksam zu verfolgen und
neu gewonnene Erkenntnisse zeitnah in der eigenen Verwaltungspraxis zu be-
rücksichtigen;

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7. die Deutsche Härtefallstiftung außerhalb der versorgungsrechtlichen Leistungen

noch stärker einzubinden und bezüglich ihrer Finanzmittel aus dem Einzelplan
14 besser auszustatten;

8. dem Verteidigungsausschuss des Deutschen Bundestages bis Ende Oktober 2016
einen ersten Zwischenbericht zum Umsetzungsstand vorzulegen.

Berlin, den 5. Juli 2016

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

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