BT-Drucksache 18/9010

Bearbeitung von Asylanträgen ukrainischer Flüchtlinge

Vom 27. Juni 2016


Deutscher Bundestag Drucksache 18/9010
18. Wahlperiode 27.06.2016

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Kerstin Kassner, Katrin Kunert,
Harald Petzold (Havelland), Kersten Steinke, Jörn Wunderlich und
der Fraktion DIE LINKE.

Bearbeitung von Asylanträgen ukrainischer Flüchtlinge

Fast eine Million Ukrainerinnen und Ukrainer haben bis Februar 2016 um Asyl
oder einen anderen Aufenthaltsstatus außerhalb der Ukraine nachgesucht. Die
meisten von ihnen sind nach Russland geflohen (vgl. Bundestagsdrucksache
18/8169, S. 5). Innerhalb der Europäischen Union haben nach Angaben der Bun-
desregierung (vgl. Bundestagsdrucksache 18/8169) in den Jahren 2014 und 2015
insgesamt 22 050 Menschen aus der Ukraine einen Asylantrag gestellt, 7 365 von
ihnen in Deutschland.
Die Bearbeitung dieser Asylanträge wurde oder wird immer noch faktisch auf Eis
gelegt bzw. „rückpriorisiert“, wie die Bundesregierung im Juni 2015 mitteilte
(Bundestagsdrucksache 18/5177). Am 18. Januar 2016 berichtete die „Frankfur-
ter Rundschau“, tausende ukrainische Flüchtlinge erhielten Ausreiseaufforderun-
gen und müssten mit ihrer Abschiebung rechnen. Ob das zutrifft, entzieht sich der
Kenntnis der Fragesteller. Die Antwort der Bundesregierung auf Bundestags-
drucksache 18/8450, in der von elf erfolgten Anerkennungsbescheiden von Uk-
rainerinnen und Ukrainern im vierten Quartal 2015 die Rede ist, deutet aus ihrer
Sicht eher darauf hin, dass die Mehrzahl der entsprechenden Anträge nach wie
vor nicht inhaltlich bearbeitet wird. Nach Angaben des „ZDF“ (heute vom
10. Juni 2016) gibt es aber einige Hundert formale Entscheidungen über „Dublin-
Fälle“, so dass ukrainische Flüchtlinge mit ihrer Überstellung in andere EU-Staa-
ten rechnen müssen. Unklar ist, wie diese mit den Anträgen und den Antragstel-
lenden verfahren.
Tatsache ist jedoch, dass die betreffenden Personen nicht nur vor dem Bürger-
krieg fliehen, sondern die politische Verfolgung in der Ukraine ein erhebliches
Ausmaß angenommen hat, wie etwa der Bericht über die Menschenrechtslage in
der Ukraine des UN-Flüchtlingskommissars vom 25. Mai 2016 zeigt. Darin wer-
den nicht nur den Separatisten, sondern auch staatlichen ukrainischen Behörden
zahlreiche Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen. Der Menschenrechtskom-
missar berichtet über Folter und Misshandlung und eine systematische Verlet-
zung der Rechte auf ein faires und rechtsstaatliches Verfahren. Ebenso wird ein
Mangel an Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der ukrainischen Justiz beklagt.
Binnenflüchtlinge stießen auf alltägliche Diskriminierung. Weiterhin berichtet
der Menschenrechtskommissar über weitverbreitete Beschränkungen fundamen-
taler Rechte wie der Meinungs- und Versammlungsfreiheit in der ganzen Ukra-
ine. In dem Bericht wird ebenfalls die Existenz von Geheimgefängnissen bzw.
illegaler Gefängnisse angesprochen, die teilweise vom Geheimdienst SBU unter-
halten werden.

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All dies deutet aus Sicht der Fragesteller darauf hin, dass sich die Menschenrechts-
lage in der Ukraine erheblich verschlechtert. Asylanträge ukrainischer Flüchtlinge
sollten daher zügig bearbeitet und positiv beschieden werden.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Welche prinzipiellen Regelungen (z. B. auch behördeninterne Weisungen

u. Ä.) gelten derzeit für die Bearbeitung von Asylanträgen ukrainischer
Staatsbürgerinnen und Staatsbürger?

2. Gilt die Rückpriorisierung von Asylanträgen ukrainischer Staatsbürgerinnen
und Staatsbürger weiterhin (bitte angeben, von welchen Überlegungen sich
die Bundesregierung bei Beibehaltung oder Beendigung der Rückpriorisie-
rung leiten lässt), und wenn ja, was genau ist darunter zu verstehen, und für
wie lange soll die Nichtbearbeitung oder Rückstellung solcher Asylanträge
beibehalten werden?

3. Wie hat sich die Anzahl von gestellten Asylanträgen ukrainischer Staatsbür-
ger seit Mai 2015 entwickelt (bitte pro Monat aufgliedern)?

4. Wie viele Asylanträge ukrainischer Staatsbürger liegen dem Bundesamt für
Migration und Flüchtlinge (BAMF) derzeit zur Bearbeitung vor?

5. Wie viele Asylanträge von Ukrainern wurden im Jahr 2015 sowie bislang im
Jahr 2016 inhaltlich entschieden, und wie lauteten die Entscheidungen (bitte
dabei Asylberechtigung gem. Artikel 16a des Grundgesetzes – GG –, Flücht-
lingsschutz gem. § 3 Absatz 1 des Asylgesetzes – AsylG –, subsidiärer
Schutz gem. § 4 Absatz 1 AsylG, Abschiebungsverbot gem. § 60 Absatz 5
und 7 des Aufenthaltsgesetzes aufgliedern)?

6. Inwiefern kann die Bundesregierung bestätigen, dass zu Jahresende 2015/
Jahresanfang 2016 zahlreiche ukrainische Antragsteller Ablehnungsbescheide
erhalten hätten (Frankfurter Rundschau vom 18. Januar 2016, bitte ggf. kon-
krete Zahlen nennen)?

7. Wie viele Asylanträge wurden nur formal entschieden (bitte in absoluten
Zahlen und in Prozent angeben), und auf welche EU-Staaten verteilen sich
bzgl. der Dublin-Fälle die Zuständigkeiten (bitte differenzieren)?

8. Wie viele Abschiebungen (abgelehnter) ukrainischer Asylsuchender in die
Ukraine sowie Rücküberstellungen in zuständige EU-Staaten hat es im Jahr
2015 und bislang im Jahr 2016 tatsächlich gegeben (bitte für die Zeiträume
Januar bis Dezember 2015 und Januar bis Mai 2016 getrennt sowie nach
Zielländern aufgegliedert angeben)?

9. Inwiefern war die Thematik von Asylanträgen ukrainischer Staatsbürgerin-
nen und Staatsbürger Gegenstand von Ausländerreferentenbesprechungen,
und welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung hieraus ggf.?

10. Wie hoch war nach Kenntnis oder Einschätzung der Bundesregierung die
Anzahl der freiwilligen Ausreisen ukrainischer Asylsuchender im Jahr 2015
und bislang im Jahr 2016 (bitte für die Zeiträume Januar bis Dezember 2015
und Januar bis Mai 2016 getrennt angeben)?

11. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über den Umgang anderer EU-
Staaten mit Asylanträgen ukrainischer Staatsbürger (bitte insbesondere die
Verfahrensweise und soweit vorhanden, die Anerkennungsquote der an die
Ukraine angrenzenden EU-Staaten angeben)?

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12. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über Abschiebungen ukraini-
scher Asylsuchender in die Ukraine durch die Behörden anderer EU-Staaten
(bitte, soweit möglich, Zahlen für das Jahr 2015 sowie den Zeitraum Januar
bis Mai 2016 angeben und besonders auf die vier wichtigsten Aufnahmelän-
der eingehen)?

13. Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus der Schilderung
der Menschenrechtsverstöße durch den UN-Menschenrechtskommissar, so-
wohl hinsichtlich ihrem Auftreten gegenüber der ukrainischen Regierung als
auch hinsichtlich der Bearbeitungspraxis durch das BAMF?

14. Inwiefern wird die nach den Einschätzungen des UN-Menschenrechtskom-
missars besonders prekäre Situation von Personen, denen terroristische Ak-
tivitäten in Zusammenhang mit dem bewaffneten Konflikt vorgeworfen wer-
den, vom BAMF bei der Prüfung von Asylanträgen sowie bei der Würdigung
der Menschenrechtslage in der Ukraine durch die Bundesregierung gewür-
digt?

15. Kann die Bundesregierung bestätigen, dass, wie der ukrainische Botschafter
in Berlin Andrij Melnyk laut „Frankfurter Rundschau“ (18. Januar 2016) be-
hauptet hat, ukrainische Deserteure „keine Strafverfolgung oder Hetze fürch-
ten“ müssen, oder müssen Deserteure nach ihrer Kenntnis sehr wohl mit
Strafverfolgung rechnen?
Falls letzteres zutrifft, welches Strafmaß sieht das ukrainische Recht nach
Kenntnis der Bundesregierung für Handlungen wie Wehrpflichtentziehung,
Mobilisierungsverweigerung, eigenmächtige Abwesenheit, Desertion sowie
jeweils Aufforderung zu solchen Handlungen vor?
Müssen Wehrpflichtige, die ihre Weigerung, Dienst in den Streitkräften zu
leisten, mit einer Gewissensentscheidung begründen, nach Verbüßung einer
entsprechenden Strafe nach Kenntnis der Bundesregierung erneut mit einer
Einberufung rechnen?

16. Inwiefern wird die Situation von Kriegsdienstverweigerern sowie von Per-
sonen, die sich kritisch zur Mobilisierung äußern, auch vor dem Hintergrund
der jüngst erfolgten (noch nicht rechtskräftigen) Verurteilung von Ruslan
Kotsaba zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten wegen
angeblicher „Behinderung der legitimen Tätigkeit der Streitkräfte“ (vgl.
junge Welt, 16. Mai 2016) unter asylrechtlichen Gesichtspunkten, insbeson-
dere einer möglichen Verletzung der Meinungs- und Gewissensfreiheit, vom
BAMF besonders gewürdigt?

17. Welche (auch aus nichtrepräsentativen Erhebungen gewonnene) Erkennt-
nisse über die Zusammensetzung der derzeit im Bearbeitungsverfahren be-
findlichen Asylsuchenden hat die Bundesregierung nach
a) Altersgruppen und Geschlecht,
b) den wesentlichen Gründen für das Schutzbegehren, und
c) nach regionaler Herkunft jeweils aus den von der Kiewer Regierung kon-

trollierten Gebieten, den abgespaltenen Regionen im Donbass sowie der
Krim?

Berlin, den 27. Juni 2016

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

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