BT-Drucksache 18/8947

Listerien-Funde bei einem bayerischen Wurstwarenhersteller

Vom 21. Juni 2016


Deutscher Bundestag Drucksache 18/8947
18. Wahlperiode 21.06.2016

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Karin Binder, Caren Lay, Heidrun Bluhm,
Eva Bulling-Schröter, Ralph Lenkert, Dr. Kirsten Tackmann, Harald Weinberg
und der Fraktion DIE LINKE.

Listerien-Funde bei einem bayerischen Wurstwarenhersteller

Mit Pressemitteilung vom 27. Mai 2016 teilte das Bayerische Staatsministerium
für Umwelt und Verbraucherschutz mit, dass „aus Gründen des vorbeugenden
Verbraucherschutzes“ Schinken- und Wurstprodukte der Firma Sieber GmbH
nicht verzehrt werden sollten. Grund seien mögliche gesundheitsgefährdende Lis-
terien-Belastungen. Zu diesem Zeitpunkt waren die Vertriebs- und Verkaufswege
der Waren noch nicht vollständig bekannt. Das Unternehmen wurde durch das
zuständige Landratsamt Bad Tölz – Wolfratshausen angewiesen, den Vertrieb
vorläufig einzustellen und alle Waren zurückzurufen.
Nach Untersuchungen des Robert Koch-Instituts (RKI) ist der Wurstwarenher-
steller offenbar Quelle eines speziellen Sub-Typs von Listeriose-Erregern, der
seit Ende 2012 in Süddeutschland zu 80 Erkrankungen und acht Todesfällen
führte. Ende März 2016 wurde das Unternehmen über ein von ihm vertriebenes
Produkt mit dem Listeria-Stamm in Verbindung gebracht. Die Sieber GmbH ver-
öffentlichte daraufhin auf dem Portal www.lebensmittelwarnung.de eine Mittei-
lung zum Produkt „Original Bayerisches Wacholderwammerl“ und gab als Grund
der Warnung „bakterielle Kontamination“ an. Das Produkt wurde zurückgerufen.
In Absprache mit den zuständigen Veterinärbehörden führte das Unternehmen
Maßnahmen zur Hygiene durch und produzierte weiter.
Die bayerische Lebensmittelüberwachung führte zudem umfangreichere amtliche
Untersuchungen zu Waren der Firma Sieber GmbH durch. Nachdem bei weiteren
Sieber-Produkten Listerien gefunden wurden, veranlassten die Behörden ein Ver-
triebsverbot für das gesamte Sortiment. Am 27. Mai 2016 erschien dazu eine
Warnmeldung auf www.lebensmittelwarnung.de für „Schinken- und Wurstpro-
dukte“ ohne nähere Ausführungen zu den einzelnen Produkten. Als Grund für die
Warnung wurde nun „Verdacht auf Listerien“ angegeben. Am 30. Mai 2016 er-
folgte auf derselben Webseite der Rückruf aller Waren durch die Firma Sieber
GmbH mit einer Liste von 206 Produkten. Eine Liste der Verkaufsstellen ist nicht
veröffentlicht worden. Die betroffenen Waren wurden bundesweit vertrieben.
Am 30. Mai 2016 erfolgte eine Rückrufmeldung durch Deutschland im Europäi-
schen Schnellwarnsystem RASFF, nachdem festgestellt wurde, dass auch ein
Vertrieb in die Nachbarstaaten Österreich und Schweiz erfolgte. Die Schweiz
folgte mit einer Warnmeldung am 31. Mai 2016. Am 1. Juni 2016 stellte Deutsch-
land eine weitere Meldung über Ermittlungsergebnisse und getroffene Maßnah-
men ein. Frankreich stellte am 2. Juni 2016 eine Rückrufmeldung für gekühlte
Schinkenscheiben ein. Ebenfalls am 2. Juni sowie am 3. und 7. Juni 2016 folgten
Zusatzinformationen aus Deutschland.

Drucksache 18/8947 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
 

Am 30. und vor allem am 31. Mai 2016 griffen die Medien das Thema umfänglich
auf. Dadurch wurde die Dimension des Listerien-Vorfalls einer breiten Öffent-
lichkeit bekannt, wobei auch die großen Lebensmitteldiscounter Lidl und Penny
sowie die Supermarktketten von Rewe, Edeka und Tengelmann als betroffene
Verkaufsstellen genannt wurden.
Am 31. Mai dieses Jahres äußerte sich der Sieber-Chef zu den Vorgängen in einer
Pressekonferenz. Nach seinen Angaben seien alle 45 Proben betriebseigener Kon-
trollen aus den zurückliegenden Wochen negativ auf Listerien getestet worden.
Die Sieber GmbH lasse die Produktion von unabhängigen Instituten prüfen. Über
die Eintragsquelle habe er keine Erkenntnis. Er befürchte eine Insolvenz, habe
Sorge um die 120 Beschäftigten und habe gegen die Behördenentscheidung Klage
eingereicht (vgl. www.focus.de „Verseuchte Wurst – Amt bestätigt Listerien-To-
ten in Bayern – Sieber belieferte alle Discounter außer Aldi). Inzwischen hat das
Unternehmen Insolvenz angemeldet.
Der Leiter des Bayerischen Landesamtes für Gesundheit und Lebensmittelsicher-
heit (LGL), Andreas Zapf, konnte bisher keine Angaben zur Eintragsquelle ma-
chen, schloss aber nicht aus, dass die Erreger über Rohwaren in den Betrieb ge-
langt sein könnten (vgl. www.sueddeutsche.de/ „Auf der Jagd nach den Listeri-
ose-Erregern“). Ob dadurch weitere Betriebe betroffen seien, werde derzeit ge-
prüft. Es ist demnach nicht auszuschließen, dass mit Listerien belastete Rohwaren
über andere Verarbeitungsbetriebe erneut in die Lebensmittelkette gelangen. Er
sagte zudem, es gebe noch viel mehr Listeriose-Fälle in Bayern. Das Besondere
an dem Fall Sieber sei nicht das Ausmaß, sondern dass endlich die Quelle nach-
gewiesen wäre. Nach Angaben der „Süddeutsche Zeitung“ schwankte die Anzahl
der Listeriose-Infektionen bis zum Jahr 2013 zwischen 40 und 74 Fällen. Im Jahr
2013 waren es dann 100, im Jahr 2014 102 Fälle gewesen.
Listerien sind Bakterien, von denen derzeit die Art Listeria monocytogenes als
Krankheitserreger von Mensch und Tier die größte Bedeutung hat. Listerien kön-
nen sich auch bei niedrigen Temperaturen, also auch im Kühlschrank, vermehren.
Kochen, Braten, Sterilisieren und Pasteurisieren tötet die Bakterien sicher ab. Bei
gesunden Erwachsenen verläuft die Infektion durch Listerien, Listeriose genannt,
meist unauffällig oder verursacht grippeähnliche Symptome wie Fieber und Mus-
kelschmerzen oder Erbrechen und Durchfall. Für Risikogruppen, wie ältere oder
immungeschwächte Personen sowie Säuglinge und Schwangere, stellt Listeria
monocytogenes ein besonderes Risiko dar.
Bereits in der Vergangenheit stand die Wirksamkeit der Lebensmittelüberwa-
chung in der Kritik. Immer wieder werden nach Lebensmittelskandalen die unzu-
reichende Zusammenarbeit der Behörden der Bundesländer und des Bundes, ein
unzureichender Informationsaustausch sowie Koordinationsmängel in Krisensi-
tuationen beklagt. Zudem könnten die Überwachungsbehörden ihrer Überwa-
chungspflicht aufgrund von Personal- und Ausstattungsmängeln nicht immer
nachkommen (siehe Gutachten des Präsidenten des Bundesrechnungshofs als
Bundesbeauftragter für Wirtschaftlichkeit in der Verwaltung „Organisation des
gesundheitlichen Verbraucherschutzes – Schwerpunkt Lebensmittel“ vom Okto-
ber 2011).
Das System der Lebensmittelsicherheit in Deutschland fußt auf EU-Recht, das im
Wesentlichen mit dem Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch (LFGB) in na-
tionales Recht umgesetzt wurde. Obwohl in Deutschland die Bundesländer ganz
überwiegend die Lebensmittelüberwachung durchführen, ist der Bund für die
Umsetzung und Einhaltung der EU-Vorgaben einschließlich der damit zusam-
menhängenden Berichtspflichten zuständig. Zudem muss er laufend die Wirk-
samkeit durch Kontrollverfahren überprüfen und koordiniert die Zusammenarbeit
mit den Ländern. Der aktuelle Listerien-Fall wirft erneut die Frage auf, inwieweit
die derzeitige Organisation der Lebensmittelüberwachung hinreichend geeignet

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/8947
 

ist, die Gesundheit der Bevölkerung und die Einhaltung EU-rechtlicher Lebens-
mittelvorschriften in geeigneter Weise sicherzustellen.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Wie erklärt sich nach Kenntnis der Bundesregierung das unterschiedliche

Vorgehen der bayerischen Behörden bei den beiden Meldefällen der Firma
Sieber GmbH am 24. März 2016 und am 27. Mai 2016 bezüglich gefundener
Listerien in Lebensmittelprodukten?

2. War nach Einschätzung der Bundesregierung die Warnmeldung vom
24. März 2016 vom Umfang und von der Begründung her inhaltlich ausrei-
chend, um alle betroffenen Verbraucherinnen und Verbraucher vom Verzehr
abzuhalten (Antwort bitte begründen)?

3. Warum wurden nach Kenntnis der Bundesregierung bei der Warnmeldung
vom 27. Mai 2016 keine genauen Angaben zu den einzelnen Produkten ge-
macht?
Warum wurden bei der Rückrufmeldung am 30. Mai 2016 nicht auch die
einzelnen Verkaufsstellen genannt?

4. Wie wird nach Kenntnis der Bundesregierung die Wirksamkeit der Warn-
meldungen dahingehend überprüft, dass alle betroffenen Verbraucherinnen
und Verbraucher auch tatsächlich von gesundheitsgefährdenden Lebensmit-
teln erfahren?

5. Hält die Bundesregierung die Regelungen in § 40 des Lebensmittel- und Fut-
termittelgesetzbuches (LFGB) für ausreichend, um sicherzustellen, dass alle
Verbraucherinnen und Verbraucher, die ein gesundheitsbedenkliches Le-
bensmittel erworben haben, auch unverzüglich davon erfahren?
Durch welche Verfahren wird die Wirksamkeit dieser Vorschriften über-
prüft?

6. Zu welchem Zeitpunkt war das Bundesamt für Verbraucherschutz und Le-
bensmittelsicherheit (BVL) über den bundesweiten Listerien-Vorfall bei Sie-
ber informiert?
Welche Aufgaben nimmt es dazu seither im Einzelnen wahr?

7. Welcher Art waren nach Kenntnis der Bundesregierung die Ermittlungser-
gebnisse und getroffenen Maßnahmen im Einzelnen, die in der RASFF-Mel-
dung vom 1. Juni 2016 mitgeteilt wurden?
Welcher Art waren die Zusatzinformationen am 2. Juni 2016, am 3. Juni
2016 und am 7. Juni 2016?

8. Zu welchem Zeitpunkt waren nach Kenntnis der Bundesregierung die Ver-
triebswege und die Verkaufsstellen im Bundesgebiet vollständig ermittelt?

9. Inwieweit hatten nach Kenntnis der Bundesregierung die zuständigen Behör-
den ungehindert Einblick in die relevanten Unterlagen des Unternehmens,
und inwieweit konnten insbesondere die Daten der QS Qualität und Sicher-
heit GmbH eingesehen und ausgewertet werden?

10. Wann und in welcher Weise gab es nach Kenntnis der Bundesregierung be-
züglich der Vorfälle bei der Sieber GmbH im Jahr 2016 Kontakt bzw. eine
Zusammenarbeit mit der QS Qualität und Sicherheit GmbH?

11. Welche privaten Labore waren nach Kenntnis der Bundesregierung mit den
betrieblichen Eigenkontrollen beauftragt, welche meldepflichtige Auffällig-
keiten gab es dabei in den Jahren von 2013 bis 2016, und welche Maßnahmen
haben die zuständigen Behörden jeweils ergriffen?

Drucksache 18/8947 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
 

12. Wie viele Kontrollen bzw. Beprobungen von Produkten wurden nach Kennt-
nis der Bundesregierung seit dem 24. März 2016 durch die zuständigen Äm-
ter bei der Firma Sieber GmbH durchgeführt, und was waren im Einzelnen
die Ergebnisse?

13. In welcher Weise und in welchem Umfang hat das Unternehmen nach Kennt-
nis der Bundesregierung in den Jahren von 2013 bis 2016 Eingangskontrol-
len bei den Rohwaren durchgeführt?
Welche Auffälligkeiten gab es dabei?

14. Durch welche Maßnahmen wird nach Kenntnis der Bundesregierung ausge-
schlossen, dass die Eintragsquelle für die identifizierten Listerien nicht im
Sieber-Werk, sondern bei Lieferanten von Rohwaren liegt?
Wie wird ausgeschlossen, dass für diesen Fall diese Listerien über andere
Verarbeitungsbetriebe erneut in die Lebensmittelkette gelangen?

15. Durch welche Maßnahmen wurde nach Kenntnis der Bundesregierung über-
prüft, ob bei den zuliefernden Schlachtbetrieben die gesetzlich vorgeschrie-
bene Schlachthygiene durchgehend eingehalten wurde?

16. In welcher Weise ist das Friedrich-Loeffler-Institut in die Frage der Ein-
schleppung der Krankheitserreger durch Schlachtungsbetriebe in den Sieber-
Fall einbezogen?

17. Wie entwickelten sich die gemeldeten Listeriose-Erkrankungen im Bundes-
gebiet seit dem Jahr 2010?
Wie bewertet die Bundesregierung den Anstieg der Listeriose-Fälle in Bay-
ern in den zurückliegenden Jahren?

18. Welche Rolle spielt der Preisdruck, den die großen Unternehmen des Le-
bensmitteleinzelhandels auf die Hersteller und Erzeuger ausüben, für die Hy-
giene und Sicherheit in der Lebensmittelkette?

19. Durch welche Maßnahmen überprüft der Bund, ob die bayerischen Behörden
die Lebensmittelüberwachung jederzeit ordnungsgemäß durchführen?

20. Gibt es nach Kenntnis der Bundesregierung strukturelle Unterschiede sowie
Unterschiede in der materiellen und personellen Ausstattung der bayerischen
Lebensmittelüberwachungsbehörden im Vergleich zu denen der anderen
Bundesländer, und welche Verbesserungserfordernisse haben die bisherigen
Kontrollverfahren zur Sicherstellung der Wirksamkeit der bayerischen Le-
bensmittelüberwachung durch den Bund ergeben?

Berlin, den 20. Juni 2016

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com
Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de

anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.