BT-Drucksache 18/8941

Rechtsextreme Tendenzen in der sogenannten Reichsbürgerbewegung

Vom 21. Juni 2016


Deutscher Bundestag Drucksache 18/8941
18. Wahlperiode 21.06.2016

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Martina Renner, Frank Tempel,
Harald Petzold (Havelland), Halina Wawzyniak, Jörn Wunderlich und
der Fraktion DIE LINKE.

Rechtsextreme Tendenzen in der sogenannten Reichsbürgerbewegung

Anhänger der in eine Vielzahl von teilweise rechtsextremistisch orientierten
Gruppen, Sekten und konkurrierenden „Reichsregierungen“ aufgesplitterten so-
genannten Reichsbürgerbewegung gehen von einer Weiterexistenz des Deut-
schen Reiches in den Grenzen von 1937 aus. Demnach sei die als „BRD GmbH“
oder „Verwaltungskonstrukt der Alliierten“ bezeichnete Bundesrepublik
Deutschland völkerrechtlich illegal und juristisch nicht existent. Selbsternannte
„Reichsregierungen“ treiben Handel mit eigenen Pässen, Nummernschildern und
anderen Dokumenten. Zugleich weigern sich Reichsbürger, Steuern oder Bußgel-
der zu zahlen. Aus einigen Regionen häufen sich Berichte, wonach renitente
Reichsbürger kommunale Behörden, Finanzämter und Justiz in ihrer Aufgaben-
erfüllung zu hindern suchen. Schon bei banalen Strafzetteln traktieren sie die Be-
hörden mit seitenlangen Pamphleten bedrohen deren Mitarbeiterinnen und Mitar-
beiter u.a. mit „Erschießungskommandos“. Im November 2012 fesselten Mitglie-
der eines uniformiert auftretenden „Deutschen Polizeihilfswerks“ (DPHW) in Ra-
deburg in Sachsen einen Gerichtsvollzieher, die echte Polizei musste den Mann
befreien. Gegen fast 300 Personen wurde anschließend ein Verfahren wegen Mit-
gliedschaft in der selbsternannten Polizeitruppe DPHW geführt (www.zeit.de/
politik/deutschland/2016-04/reichsbuerger-verfassungsschutz-radikalisierung-
einzeltaeter).
In den vergangenen Monaten gab es mehrere Prozesse, bei denen Reichsbürger
zu Haftstrafen verurteilt wurden, weil sie Gerichtsvollzieher und Polizisten ange-
griffen oder versucht hatten, sich Waffen zu beschaffen. Der Brandenburger Ver-
fassungsschutz warnte unterdessen davor, dass sich Reichsbürger zunehmend be-
waffnen würden. Bei Hausdurchsuchungen seien wiederholt Waffen und große
Mengen Munition gefunden worden. „Wir können nicht ausschließen, dass
Reichsbürger Waffen einsetzen, um die Gesellschaft in die Richtung zu drängen,
die sie aus ihren Theorien ableiten“, warnte ein Mitarbeiter des Brandenburger
Verfassungsschutzes (www.rbb-online.de/kontraste/archiv/kontraste-09-06-2016/
wie-gefaehrlich-sind-die-reichsbuerger.html).
Die Reichsbürgerszene bildet ein Sammelbecken für Rechtsextremisten, Holo-
caustleugner, völkische Ideologen und rechte Esoteriker. Staatsangehöriger ihres
„Deutschen Reiches“ darf nur werden, wer die richtige „Blutsabstammung“ hat.
So bezeichnet eine „Exilregierung Deutsches Reich“ auf ihrer Internetseite
Flüchtlingsheime als „Invasorenunterkünfte“ und warnt vor einer Bedrohung so-
genannter deutscher Tugenden durch die „rassische Mischung“ und „genetische
Kreuzung“. Der Chef des „Reichskanzleramtes“ dieser „Exilregierung“ gab ge-
genüber dem ARD Magazin „Kontraste“ an, unter den Anhängern der Reichsbürger

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viele Polizisten und Feuerwehrleute zu haben und über „einen sehr guten Kontakt“
zur AfD zu verfügen (www.zeit.de/politik/deutschland/2016-04/reichsbuerger-
verfassungsschutz-radikalisierung-einzeltaeter; www.rbb-online.de/kontraste/
archiv/kontraste-09-06-2016/wie-gefaehrlich-sind-die-reichsbuerger.html).
Mit der sogenannten Malta-Masche verschicken Reichsbürger sogar Mahnbe-
scheide an Behördenmitarbeiter. Dazu melden sie im US-Handelsregister Online
eine Firma an, stellen im Namen dieser Firma ihre erfundene Mahnforderung ins
US-Schuldenregister und treten den Schuldtitel anschließend an eine auf Malta
gemeldete und ebenfalls einem Reichsbürger gehörende Firma ab, die sich
von maltesischen Gerichten in einem vereinfachten Mahnverfahren einen Schuld-
titel ausstellen lässt. Da Malta zur Europäischen Union gehört, ist dieser Schuld-
titel auch in Deutschland vollstreckbar. Das Bundesministerium der Justiz und für
Verbraucherschutz und das Auswärtige Amt haben sich bereits mit dieser Proble-
matik auseinandergesetzt (www.zeit.de/politik/deutschland/2016-04/reichsbuerger-
verfassungsschutz-radikalisierung-einzeltaeter).

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Welche Erkenntnisse und Einschätzungen hat die Bundesregierung über das

Spektrum der sogenannten Reichsbürger und dessen Entwicklungen in den
letzten zehn Jahren?

2. Inwieweit sieht die Bundesregierung durch das Spektrum der sogenannten
Reichsbürger oder Teile davon welche konkrete Gefahr für die öffentliche
Sicherheit und Ordnung oder das friedliche Zusammenleben oder die verfas-
sungsmäßige Ordnung von Bund und Ländern ausgehen?

3. Auf wie viele Personen schätzt die Bundesregierung die Reichsbürgerszene
bundesweit (bitte nach Bundesländern, regionalen Schwerpunkten und gege-
benenfalls Organisationen oder „Reichsregierungen“ aufgliedern)?

4. Wie viele der Reichsbürgerszene zuzurechnende selbsternannte „Reichsre-
gierungen“, „Exilregierungen“ und „Staaten“ auf dem Gebiet der Bundesre-
publik Deutschland sind der Bundesregierung bekannt (bitte Gründungs- und
gegebenenfalls Auflösungsdatum, Sitz und Mitglieder, Veröffentlichungen
und Internetauftritt benennen)?

5. Welche Gruppierungen, „Reichsregierungen“, Strömungen des Reichsbür-
gerspektrums rechnet die Bundesregierung dem Rechtsextremismus zu (bitte
begründen, z. B. wegen Verwendung von NS-Symbolik, Holocaustleugnung
etc.)?

6. Welche konkreten Erkenntnisse hat die Bundesregierung über die Gruppie-
rungen (Gründungs- und gegebenenfalls Auflösungsdatum, Sitz, Mitglieder-
und Anhängerzahl, Aktivitäten, mögliche rechtsextreme Betätigungen, Ver-
dacht auf einschlägige Straftaten)
a) Europäische Aktion (EA),
b) Exilregierung Deutsches Reich,
c) Freistaat Preußen,
d) Kommissarische Reichsregierung,
e) Germanitien,
f) Deutsches Kolleg von Horst Mahler (sowie Reichsbürgerbewegung und

Völkische Reichsbewegung),
g) Reichsbewegung – Neue Gemeinschaft von Philosophen,
h) Fürstentum Germania,
i) Königreich Deutschland (KRD),

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j) Deutsches Polizei Hilfswerk (DPHW),
k) Republik Freies Deutschland (RFD),
l) Interimpartei Deutschland (IPD),
m) Volks-Bundesrath und Volks-Reichstag?

7. Gegen wie viele und welche Angehörige welcher Gruppierungen, „Reichs-
regierungen“, Strömungen des Reichsbürgerspektrums wurden nach Kennt-
nis der Bundesregierung innerhalb der letzten fünf Jahre wann und wo auf-
grund welcher einschlägiger Straftaten wie Amtsanmaßung, Nötigung, Miss-
brauch von Titel oder Verstößen gegen §§ 86, 86a, 130 des Strafgesetzbuchs
(StGB) etc. juristische Schritte mit welchem Ergebnis eingeleitet?

8. Gab es bislang nach Kenntnis der Bundesregierung vereinsrechtliche Ver-
bote gegen Gruppierungen aus dem Reichsbürgerspektrum, und wenn ja,
wann, wo, gegen welche Gruppierungen, und mit welcher Begründung?

9. Von welchen Drohschreiben oder Drohungen über Internet von Personen
oder Organisationen aus dem Reichsbürgerspektrum gegenüber Bundes-,
Landes- und Kommunalpolitikerinnen und -politikern oder Mitarbeiterinnen
und Mitarbeitern von Bundes-, Landes- und Kommunalbehörden hat die
Bundesregierung Kenntnis (bitte Anzahl innerhalb der letzten fünf Jahre an-
geben)?

10. Inwieweit sind der Bundesregierung Klagen von Bundesbehörden – und
nach ihrer Kenntnis – von Landes- und Kommunalbehörden bekannt, wo-
nach Angehörige des Reichsbürgerspektrums deren Arbeit durch sogenann-
ten Papierterror behindern oder lahmlegen?

11. Inwieweit hat die Bundesregierung Kenntnis in wie vielen und welchen Fäl-
len Angehörige des Reichsbürgerspektrums das Zahlen von Steuern, Bußgel-
dern und dergleichen verweigert haben?

12. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung darüber, in welchen und wie
vielen Fällen Angehörige des Reichsbürgerspektrums amtliche Ausweispa-
piere vernichtet oder zur Vernichtung solcher Dokumente aufgerufen oder
sich mit Phantasiedokumenten ausgewiesen haben?

13. Welche Kenntnis hat die Bundesregierung darüber, dass Beamte von Poli-
zeibehörden des Bundes oder der Länder im Reichsbürgerspektrum aktiv
sind oder sich diesem Spektrum zugehörig fühlen?

14. Inwieweit hält die Bundesregierung eine Zugehörigkeit zum Reichsbürger-
spektrum für vereinbar mit dem Beamtenstatus?

15. Welche Stellung nimmt die Reichsbürgerbewegung nach Kenntnis der Bun-
desregierung im rechtsextremen Spektrum ein, und wie ist das Verhalten an-
derer rechtsextremer Akteure dieser Strömung gegenüber?

16. Inwieweit beteiligten sich Angehörige des Reichsbürgerspektrums während
der letzten zwei Jahre an fremden- bzw. flüchtlingsfeindlichen Protesten?

17. Inwieweit sind der Bundesregierung antisemitische, islamfeindliche und
fremdenfeindliche Äußerungen von Angehörigen der Reichsbürgerbewe-
gung bekannt?

Drucksache 18/8941 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
18. Inwieweit sind der Bundesregierung Kontakte zwischen der Reichsbürger-
bewegung und Pegida-Bewegung (sowohl der von der Bundesregierung als
rechtsextrem oder rechtsextrem beeinflusst eingeschätzten Pegida-Strömun-
gen als auch der nach Ansicht der Bundesregierung nicht unter diese Kate-
gorie fallenden Pegida-Strömungen wie etwa der Dresdner Pegida und
Leipziger Legida) bekannt, und welcher Art sind diese Kontakte?

19. Inwieweit sind der Bundesregierung Kontakte zwischen der Reichsbürger-
bewegung und HoGeSa-Bewegung bzw. ihren Nachfolgestrukturen bekannt,
und welcher Art sind diese Kontakte?

20. Inwieweit sind der Bundesregierung Kontakte zwischen der Reichsbürger-
bewegung und der Alternative für Deutschland bekannt, und welcher Art
sind diese Kontakte?

21. Welche Kontakte zwischen dem Reichsbürger-Spektrum und rechtsextremen
oder neonazistischen Parteien und Organisationen oder herausragenden Ein-
zelpersonen aus dem rechtsextremen und neonazistischen Spektrum sind der
Bundesregierung bekannt?

22. Inwieweit waren Angehörige des Reichsbürgerspektrums nach Kenntnis der
Bundesregierung in politisch motivierte Gewaltakte verwickelt?

23. Inwieweit sieht die Bundesregierung die Gefahr einer Radikalisierung ein-
zelner Angehöriger des Reichsbürgerspektrums oder von Teilen der Bewe-
gung hin zu gewaltsamen oder terroristischen Handlungen nach dem Vorbild
des NSU oder des norwegischen Massenmörders Anders Behring Breivik?

24. Inwieweit gab es nach Kenntnis der Bundesregierung Waffen- oder Spreng-
stofffunde bei Anhängern der Reichsbürgerbewegung?

25. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über eine vom brandenburgi-
schen Landesamt für Verfassungsschutz festgestellte Affinität des Reichs-
bürgerspektrums zu Waffen?

26. Gibt es von Seiten der Bundesregierung konkrete Schulungen, Informations-
materialien, Weisungen oder Ratschläge für Bundesbehörden zum Umgang
mit Angehörigen des Reichsbürgerspektrums, und wenn ja, welche?

27. Welche Schulungen, Informationsmaterialien, Weisungen oder Ratschläge
von Landesregierungen für Landes- und kommunale Behörden gibt es nach
Kenntnis der Bundesregierung?

28. Wann, inwieweit und in welchem Rahmen hat sich die Bundesregierung bis-
lang mit der sogenannten Malta-Masche, also von Angehörigen des Reichs-
bürgerspektrums bei maltesische Gerichten veranlassten Schuldtiteln gegen
Behörden bzw. Behördenvertreter in Deutschland befasst, und zu welchem
Schluss im Umgang mit dieser Problematik ist die Bundesregierung dabei
gekommen?

29. Inwieweit waren die sogenannten Reichsbürger bislang Thema im Gemein-
samen Extremismus- und Terrorismusabwehrzentrum (GETZ), und zu wel-
chen Schlussfolgerungen gelangte die Bundesregierung aus diesen Befassun-
gen?

30. Welche Landesämter für Verfassungsschutz beobachten nach Kenntnis der
Bundesregierung welche Gruppierungen und Strömungen des Reichsbürger-
spektrums?

Berlin, den 20. Juni 2016

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com
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