BT-Drucksache 18/8835

Lieferengpässe wegen Kontingent-Arzneimitteln

Vom 10. Juni 2016


Deutscher Bundestag Drucksache 18/8835
18. Wahlperiode 10.06.2016

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Kathrin Vogler, Sabine Zimmermann (Zwickau), Katja Kipping,
Harald Weinberg, Birgit Wöllert, Pia Zimmermann und der Fraktion DIE LINKE.

Lieferengpässe wegen Kontingent-Arzneimitteln

Seit Jahren sind Lieferengpässe bei Arzneimitteln ein Thema für Politik und Pra-
xis. Im Arzneimittelgesetz (AMG) ist in § 52b Absatz 2 Satz 1 vorgeschrieben:
„Pharmazeutische Unternehmer müssen im Rahmen ihrer Verantwortlichkeit
eine bedarfsgerechte und kontinuierliche Belieferung vollversorgender Arznei-
mittelgroßhandlungen gewährleisten“. Seit einiger Zeit macht der Begriff des
Kontingent-Arzneimittels die Runde. Darunter werden Präparate verstanden, die
der Hersteller absichtsvoll in limitierter Zahl an den pharmazeutischen Großhan-
del liefert. Wenn die Zahl der vom Hersteller gelieferten Packungen trotz Liefer-
fähigkeit nicht bedarfsdeckend ist, wird es dem Großhandel schwerer oder un-
möglich gemacht, seinen Teil des Sicherstellungsauftrags nach § 52b AMG zu
erfüllen und es stellt sich die Frage nach einem Gesetzesverstoß.
Doch ermöglicht dieses Vorgehen den Pharmaherstellern, die Präparate direkt an
die Apotheken zu senden (Direktvertrieb). Das hat für die Hersteller mehrere Vor-
teile: Erstens umgeht man ausgehandelte Rabatte an den Großhandel, man kann
die Großhandelsmarge selbst einstecken und hat vor allem auch den Weiterver-
kauf von Arzneimitteln ins Ausland unter Kontrolle (siehe Brancheninformati-
onsdienst markt intern, Ausgabe P 15/16). Letzteres ermöglicht es den Herstellern
auch, mehr Einfluss auf die (Wieder-)Einfuhr von Parallelimporten zu nehmen.
Die Apotheken sind zu deren Abgabe durch die sogenannte Reimportquote nach
§ 129 Absatz 1 Nummer 2 SGB V verpflichtet, wenn sie für die Krankenkassen
mindestens 15 Prozent oder 15 Euro preiswerter sind als die Originalpräparate für
den deutschen Markt.
Für den Direktvertrieb wurde eigens die pharma mall Gesellschaft für Electronic
Commerce GmbH durch die Pharmakonzerne Bayer Vital GmbH, Boehringer
Ingelheim Pharma GmbH & Co. KG, GlaxoSmithKline GmbH & Co. KG, Merck
Serono, Novartis und das Unternehmen PharmLog Pharma Logistik GmbH ge-
gründet. Sie dient ausweislich der Selbstdarstellung „zur Optimierung der Trans-
aktionsprozesse zwischen Hersteller und Kunden“ (www.pharma-mall.de/
shop/company/about). Inzwischen beteiligen sich über 30 Pharmaunternehmen
am Vertrieb über pharma mall.
Als im Jahr 2009 der Sicherstellungsauftrag für Großhandel und Industrie und
damit eine Belieferungspflicht der Industrie an den vollversorgenden Großhandel
eingeführt wurde, beschwerte sich bereits der Bundesverband der Arzneimittel-
Hersteller (BAH), dies sei ein „nicht gerechtfertigter und verfassungswidriger
Eingriff in die geschützte Berufsausübungsfreiheit des pharmazeutischen Unter-
nehmers sowie ein Verstoß gegen die EU-Warenverkehrsfreiheit und die freie
Wahl des Vertriebsweges“ (www.apotheke-adhoc.de/nachrichten/politik/nachricht-
detail-politik/liefer-soll-statt-liefer-pflicht/).

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Im Raum steht aber auch die Vermutung, dass Engpässe auch deswegen entste-
hen, weil Großhandelsunternehmen die Präparate exportieren. Erst kürzlich
schrieb das Pharmaunternehmen Boehringer Ingelheim laut „markt intern“ P 5/16
an Apotheken zum Diabetesmittel Jardiance®, dass „aktuelle Marktdaten zeigen,
dass wir in den letzten Wochen deutlich größere Mengen Jardiance® an den
deutschen Handel geliefert haben, als an Patientinnen und Patienten in Deutsch-
land abgegeben wurden“. Einige Großhandelsunternehmen haben erklärt, keine
Arzneimittel zu exportieren, legten dies für andere aber nahe (www.deutsche-
apotheker-zeitung.de/news/artikel/2016/06/01/ein-standiges-problem?utm_source=
newsletter&utm_medium=article&utm_content=Ein+st%C3%A4ndiges+Problem
&utm_campaign=Kein+Schwein+gehabt+%2F+Kossendeys+Apotheker-Zoo+%
2F+Lieferengp%C3%A4sse+und+keiner+will%60s+gewesen+sein+%2F+Rezepte
%3A+Doch+kein+Online-Verbot%3F). Sollte sich bewahrheiten, dass die Ver-
sorgung in Deutschland so gefährdet wird, wäre auch hier die Frage nach einem
Gesetzesverstoß gegen § 52b AMG zu stellen.
Apotheken werden bei Lieferengpässen des Großhandels praktisch gezwungen,
sich am Direktbezug von Arzneimittel zu beteiligen. Das bedeutet in der Regel
mehr bürokratischen Aufwand und stellt sie „im Vergleich zu der Bestellung über
den Großhandel finanziell schlechter, verkürzt Zahlungsziele und beschneidet
Skonti, insbesondere bei den Hochpreisern“ (markt intern P 15/16). Der Apothe-
kerverband Rheinland-Pfalz e. V. hat sich mit einem Protestbrief an den Pharma-
konzern Biogen GmbH gewandt, weil dieser für den Direktvertrieb lieferbare Prä-
parate (hier das Multiple-Sklerose-Präparat Tecfidera®) dem Großhandel als nicht
lieferfähig angezeigt hätte. Es wird auch beklagt, dass ein Verstoß gegen den Si-
cherstellungsauftrag nach § 52b AMG durch das Pharmaunternehmen keine un-
mittelbaren rechtlichen Konsequenzen nach sich ziehe (Brief liegt den Fragestel-
lenden vor).
Für die Patientinnen und Patienten bedeutet der Direktbezug längere Wartezeiten
für bestellte Arzneimittel, die unter Umständen dringend benötigt werden. Denn
die beim Großhandel eingespielte schnelle Lieferung innerhalb von Stunden
funktioniert beim Direktbezug nicht.
Auch Streitigkeiten zwischen Großhandelsunternehmen und Herstellern bezüg-
lich der Lieferkonditionen haben bereits zu Lieferengpässen in den Apotheken
geführt (markt intern Ausgaben P 14/16 und P 15/16). Werden davon Arzneimit-
tel betroffen, zu denen zwischen Krankenkassen und Herstellern Rabattverträge
abgeschlossen wurden, müssen die Apotheken den Krankenkassen in einem auf-
wändigen Verfahren die Lieferunfähigkeit nachweisen. Zum Teil wird aber von
den Krankenkassen nicht einmal mehr der Nachweis der Lieferunfähigkeit des
Großhandels akzeptiert, sondern ein Nachweis der fehlenden Lieferfähigkeit des
Herstellers an den Großhandel verlangt (www.deutsche-apotheker-zeitung.
de/news/artikel/2016/02/05/nichtlieferbarkeit-retaxsicher-nachweisen).

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Inwiefern wurde mit der Einführung des Sicherstellungsauftrags nach

§ 52b AMG im Jahr 2009 nach Ansicht der Bundesregierung intendiert, dass
der Bezug von Arzneimitteln durch öffentliche Apotheken im Regelfall über
den Großhandel
a) möglich sein soll bzw.
b) auch tatsächlich erfolgen soll?

2. Inwiefern würde sich ein pharmazeutisches Unternehmen nach Ansicht der
Bundesregierung rechtswidrig verhalten, wenn es trotz Lieferfähigkeit den
Großhandel nicht bedarfsdeckend beliefert?

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3. Welche Hinweise hat die Bundesregierung, dass Hersteller tatsächlich nicht
bedarfsdeckend liefern, obwohl sie lieferfähig wären (bitte quantifizieren)?

4. Inwiefern würde sich ein pharmazeutisches Großhandelsunternehmen nach
Ansicht der Bundesregierung rechtswidrig verhalten, wenn es durch einen
Export die bedarfsgerechte Apothekenbelieferung gefährdet oder tatsächlich
einschränkt?

5. Welche Hinweise hat die Bundesregierung, dass tatsächlich vom Großhandel
durch Exporte die bedarfsgerechte Apothekenbelieferung gefährdet oder ein-
geschränkt wird (bitte quantifizieren)?

6. Inwiefern vermutet die Bundesregierung hier ein Vollzugsproblem beim Si-
cherstellungsauftrag in § 52b AMG?

7. Inwiefern wäre ein gesetzliches Verbot oder eine Beschränkung von Arznei-
mittelexporten nach Ansicht der Bundesregierung mit EU-Recht vereinbar?

8. Inwiefern stimmt die Bundesregierung dem Apothekerverband Rheinland-
Pfalz zu, dass ein Verstoß gegen die Pflichten von Herstellern gemäß § 52b
AMG keine unmittelbaren rechtlichen Konsequenzen nach sich ziehe?

9. Welche Überwachungs- und Sanktionsmöglichkeiten haben die Länder, um
Verstöße gegen den Sicherstellungsauftrag nach § 52b AMG aufzudecken
und zu ahnden?

10. Welchen Handlungsbedarf sieht die Bundesregierung
a) zur Vermeidung von Lieferengpässen aufgrund von nicht bedarfsgerech-

ter Kontingentierung der Großhandelsbelieferung und
b) aufgrund des versorgungsgefährdenden Exports von Arzneimitteln durch

Großhandelsunternehmen?
11. Inwiefern werden nach Ansicht der Bundesregierung unerwünschte Anreize

dadurch gesetzt, dass der Direktvertrieb durch die einbehaltene Großhandels-
marge für die Pharmaunternehmen attraktiv gemacht wird?

Welche Pläne hat die Bundesregierung, zur Flankierung des Sicherstellungs-
auftrags hier Rechtsänderungen vorzuschlagen?

12. Inwiefern hat die bedarfsgerechte Belieferung des Großhandels durch die
Pharmaindustrie beim Pharmadialog eine Rolle gespielt, welche Probleme
wurden dabei von der Bundesregierung angesprochen, und was wurde in Be-
zug auf Kontingent-Arzneimittel oder Exporte vereinbart?

13. Inwiefern ist es nach Ansicht der Bundesregierung für die Apotheken möglich,
zumutbar und angesichts des Sicherstellungsauftrags des Großhandels auch
sachgerecht, die Lieferfähigkeit des Herstellers an den Großhandel gegen-
über den Krankenkassen nachweisen zu müssen (www.deutsche-apotheker-
zeitung.de/news/artikel/2016/02/05/nichtlieferbarkeit-retaxsicher-nachweisen)?

14. Wie ist diesbezüglich nach Ansicht der Bundesregierung die Rechtslage,
wenn, wie in „markt intern“, Ausgabe P 34/15, dargestellt, der Großhandel
eine Lieferunfähigkeit des Herstellers angibt, doch in Wahrheit wegen feh-
lender Einigung zwischen Großhandel und Hersteller bezüglich der Liefer-
konditionen nicht geliefert wird?

15. Wie beurteilt die Bundesregierung die Rechtslage, wenn die Apotheke per
Großhandel nicht beziehen kann, der Hersteller für den Direktbezug aber
Mindestmengen vorschreibt, die den Bedarf der Apotheke erheblich über-
schreiten?

16. Wie ist die Bezahlung des pharmazeutischen Großhandels gesetzlich gere-
gelt?

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17. Wie haben sich die Konditionen der pharmazeutischen Unternehmen für die
Belieferung von Großhandelsunternehmen nach Kenntnis der Bundesregie-
rung in den letzten Jahren verändert?

18. Wie haben sich die Konditionen des Großhandels für die Belieferung der
Apotheken nach Kenntnis der Bundesregierung in den letzten Jahren verän-
dert?

19. Inwiefern stimmt die Bundesregierung der Aussage zu, dass wegen der Op-
tion der Pharmaunternehmen, mittels Kontingent-Arzneimitteln den für sie
lukrativeren Direkthandel zu forcieren, der Großhandel eine unvorteilhafte
Verhandlungsposition hat, und welche Rückschlüsse zieht die Bundesregie-
rung daraus?

20. Inwiefern plant die Bundesregierung, das freiwillige Register für nicht lie-
ferfähige Arzneimittel beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizin-
produkte (BfArM) für die Hersteller verpflichtend zu machen?

21. Inwiefern ist es nach Ansicht der Bundesregierung tolerabel, wenn es zu
Engpässen bei der Belieferung von Apotheken durch den Großhandel
kommt, weil sich das Großhandelsunternehmen und der Hersteller nicht auf
Konditionen einigen können, und welchen gesetzlichen Änderungsbedarf
sieht die Bundesregierung?

22. Welche Daten hat die Bundesregierung darüber, inwieweit Lieferengpässe
aufgrund schwebender Verhandlungen zwischen Großhandel und Hersteller
in der Vergangenheit vorgekommen sind bzw. derzeit vorkommen?

23. Inwiefern sind die Apotheken nach Kenntnis der Bundesregierung praktisch
gezwungen, direkt bzw. über pharma mall zu bestellen, und inwiefern be-
trachtet die Bundesregierung dies als politisch unerwünscht?

24. Welche Daten müssen die Apotheken nach Kenntnis der Bundesregierung an
pharma mall zur Bestellung übersenden, und inwiefern sieht die Bundesre-
gierung hier ein datenschutzrechtliches Problem – insbesondere für den Fall,
dass die Apotheken nur so an die benötigten Arzneimittel kommen können?

25. Inwiefern sieht die Bundesregierung die Möglichkeit, dass durch Exporte
von Arzneimitteln durch den Großhandel die deutschen Preise von für den
deutschen Markt bestimmten Originalpräparaten durch Reimporte unterlau-
fen werden?

26. Inwiefern teilt die Bundesregierung die Auffassung der Fragestellenden, dass
die Parallel- bzw. Reimporte und die darauf beruhende Reimportregelung
letztlich ein Auswuchs nicht funktionierender Preisgestaltung in Deutsch-
land sind?

27. Welche Pläne hat die Bundesregierung zu Rechtsänderungen bei der Reim-
portquote?

Berlin, den 10. Juni 2016

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com
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