BT-Drucksache 18/8686

Weitere europäische Anstrengungen zur möglichen Aushebelung verschlüsselter Telekommunikation

Vom 31. Mai 2016


Deutscher Bundestag Drucksache 18/8686
18. Wahlperiode 31.05.2016

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Andrej Hunko, Frank Tempel, Annette Groth, Dr. André Hahn,
Inge Höger, Ulla Jelpke, Jan Korte, Niema Movassat, Harald Petzold (Havelland),
Dr. Petra Sitte, Alexander Ulrich und der Fraktion DIE LINKE.

Weitere europäische Anstrengungen zur möglichen Aushebelung verschlüsselter
Telekommunikation

Am 19. und 20. Mai 2016 führt die Polizeiagentur Europol eine Konferenz „Pri-
vacy in the digital age of encryption & anonmity online“ durch. Thematisiert wird
die „Balance“ von Freiheit und Sicherheit. Nicht näher ausgeführte „Cyberkrimi-
nelle“ würden laut Europol Verfahren zur Verschlüsselung und Anonymisierung
„aktiv missbrauchen“, um ihre Kommunikation und Identität zu verschleiern.
Auch ihre Daten würden verschlüsselt gespeichert, außerdem nutzten sie virtuelle
Währungen, um ihre Finanztransaktionen zu verbergen. Die Konferenz geht der
Frage nach, inwiefern dies als „Kollateralschaden“ von Freiheit toleriert werden
kann oder ob Strafverfolgungsbehörden ähnlich wie bei früheren Kommunikati-
onsformen Möglichkeiten zum Eindringen in die private Telekommunikation er-
halten müssen.
Im November 2015 hat der luxemburgische EU-Ratsvorsitz ein Papier mit einem
Sachstand an die Mitgliedstaaten verschickt, in dem Herausforderungen durch die
„Kommunikationskanäle des Internets und die zahlreichen sozialen Medien“
skizziert werden (Ratsdok. 14677/15). Neue „verschlüsselungsbasierte Techno-
logien“ würden die „Durchführung effektiver Ermittlungen“ zunehmend er-
schweren oder verhindern. Als weitere Hindernisse für Strafverfolger werden die
„private Nutzung des Live-Streamings“, das Darknet und Anonymisierungswerk-
zeuge genannt. Im Januar 2015 forderte der EU-Anti-Terror-Koordinator, Gilles
de Kerchove, Internet- und Telekommunikationsanbieter zum Einbau von Hin-
tertüren für verschlüsselte Kommunikation zu zwingen (www.statewatch.org/
news/2015/jan/eu-council-ct-ds-1035-15.pdf). Im September 2015 trug der stell-
vertretende Leiter der Operationsabteilung von Europol, Wil van Gemert, auf ei-
ner Konferenz der europäischen Polizeichefs den Bericht einer Arbeitsgruppe zu
„terroristischen Online-Bedrohungen“ vor (www.statewatch.org/news/2015/nov/
eu-council-eppc-2015-report-09-2015.pdf). Demnach müssten vor allem die
„Hindernisse von Anonymisierung und Verschlüsselung“ überwunden werden.
Der im Herbst 2015 von Europol herausgegebene Lagebericht zu Cyberkrimina-
lität thematisiert das Thema der Verschlüsselung und Anonymisierung ausführ-
lich (www.europol.europa.eu/content/internet-organisedcrime-threat-assessment-
iocta-2015). In Ermittlungen würden jedoch in „zunehmendem Ausmaß“ digita-
lisierte Daten benötigt. Laut dem Europol-Direktor seien die Ermittlerinnen und
Ermittler in drei Vierteln aller Fälle mit verschlüsselten Inhalten konfrontiert
(https://twitter.com/rwainwright67/status/729229923982913536). Der Europol-
Bericht schlägt mehrere Maßnahmen vor. Gesetzgeber und Abgeordnete müssten

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„mit der Industrie und der Forschung“ brauchbare Lösungen entwickeln, die ei-
nerseits die Privatheit und Urheberrechte respektieren, den Behörden jedoch aus-
reichend Handhabe zur Bekämpfung von „kriminellen oder nationalen Sicher-
heitsbedrohungen“ bereitstellten.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Auf welche Weise werden die im Ratsdokument 14369/15 dargestellten Her-

ausforderungen hinsichtlich der Nutzung von verschlüsselungsbasierten
Technologien in verschiedenen Kriminalitätsbereichen „mit Vorrang bear-
beitet“ (Bundestagsdrucksache 18/7183)?

2. Welche weiteren Arbeitsgruppen zu „terroristischen Online-Bedrohungen“
wurden nach Kenntnis der Bundesregierung einberufen, und wer nahm daran
teil (Bundestagsdrucksache 18/7183)?
a) Mit welchem Ergebnis oder welchen Schlussfolgerungen haben die Ar-

beitsgruppen erörtert, „in welcher Weise Anonymisierung und Verschlüs-
selung die Bemühungen der Strafverfolgungsbehörden zur Ermittlung
von Tätern und Tatverdächtigen erschweren und wie eine Zusammenar-
beit mit der Privatwirtschaft insoweit hilfreich sein kann“?

b) Wo wurden die Ergebnisse oder Schlussfolgerungen der Arbeitsgruppe
vorgestellt und/oder weiter beraten?

3. Wie werden die Ergebnisse einer bereits beendeten Arbeitsgruppe zu „terro-
ristischen Online-Bedrohungen“ umgesetzt, deren in einem Abschlussbe-
richt vorgeschlagenen Empfehlungen die Bundesregierung vorbehaltlos zu-
stimmt (Bundestagsdrucksache 18/7183)?

4. Auf welche Weise hat sich nach Kenntnis der Bundesregierung die Gruppe
„FoP Cyber“ seit Dezember 2015 mit dem Thema der Verschlüsselung be-
fasst?

5. Auf welche Weise haben der Europäische Auswärtige Dienst und die Euro-
päische Verteidigungsagentur das Thema „Verschlüsselung der Kommuni-
kationsinhalte sowie der Verschleierung der Identität“ nach Kenntnis der
Bundesregierung in der jüngeren Vergangenheit behandelt (etwa im Rahmen
der beschlossenen „Cyber-Diplomatie“ gegenüber Drittstaaten oder zur Um-
setzung beschlossener Projekte zu „Cyber Defense“)?

6. In welchen polizeilichen Zusammenarbeitsformen auf Ebene der Europäi-
schen Union (auch Ratsarbeitsgruppen) wurde nach Kenntnis der Bundesre-
gierung thematisiert, den Zugang von Strafverfolgungsbehörden zu ver-
schlüsselter Telekommunikation durch den verstärkten Einsatz staatlich ge-
nutzter Trojanerprogramme zu ermöglichen?

7. Inwiefern würde die 2014 beschlossene EU-Richtlinie über die „Europäische
Ermittlungsanordnung“ aus Sicht der Bundesregierung auch den grenzüber-
schreitenden Einsatz staatlich genutzter Trojanerprogramme umfassen (Bun-
destagsdrucksache 18/7707)?
a) Wann will die Bundesregierung ihren Vorschlag zur Umsetzung der

Richtlinie in das nationale Recht vorlegen?
b) Inwiefern ist von der Bundesregierung anvisiert, ausländischen Behörden

dabei auch den grenzüberschreitenden Einsatz staatlich genutzter Tro-
janerprogramme zu ermöglichen?

8. In welchen Phänomen- und Kriminalitätsbereichen außer dem „Islamisti-
schen Terrorismus“ nimmt das „Streben nach einer abgeschirmten, klandes-
tinen Übermittlung von Informationen“ aus Sicht der Bundesregierung zu
(Bundestagsdrucksache 18/5144)?

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9. Welche Techniken der „Verschlüsselung der Kommunikationsinhalte sowie
der Verschleierung der Identität“ werden dabei bevorzugt angewandt?

10. Inwiefern stehen deutsche Behörden wie von Europol geschildert ebenfalls
vor dem Problem einer „zunehmenden privaten Nutzung des Live-Streaming“
durch mutmaßliche Straftäter (Ratsdokument 14369/15)?

11. In welcher Größenordnung sind deutsche Behörden nach Kenntnis der Bun-
desregierung mit verschlüsselten Inhalten konfrontiert (da hierüber keine
Statistiken geführt werden, bitte nach „selten“, „häufig“ oder „sehr häufig“
kategorisieren)?

12. Über welche technischen Möglichkeiten für den „Zugriff auf Kommunikati-
onsinhalte“ unter Umgehung oder Aushebelung von Verschlüsselung oder
Anonymisierung sowie zur „Entschlüsselung der rechtmäßig abgefangenen
Kommunikation“ verfügen die Polizeien und Geheimdienste des Bundes so-
wie die Zollkriminalämter derzeit (Bundestagsdrucksache 18/5144; bitte un-
geachtet der jeweiligen gesetzlichen Grundlagen darstellen)?
a) Welche einzelnen „gängige[n] Werkzeuge“ wurden hierfür beschafft?
b) Sofern die Bundesregierung wie auf Bundestagsdrucksache 18/5144

abermals darauf verweist, dass Bundesbehörden über „keine universell
einsatzbaren technischen Lösungen“ verfügen, welche einzelnen Verfah-
ren kommen jeweils „nach dem Stand der Technik zum Einsatz“?

13. Inwiefern hat die Summe der „individuellen Umstände und Rahmenbedin-
gungen des jeweiligen Einsatzes“ von Technologien zur Umgehung, Aushe-
belung oder Unbrauchbarmachung von Verschlüsselung technische Defizite
aufgezeigt, die bei Bundesbehörden einen Bedarf nach neuen Anwendungen
oder Verfahren begründen könnten (Bundestagsdrucksache 18/5144)?

14. Inwiefern stehen die Ermittlungsbehörden des Bundes weiterhin lediglich in
„wenigen Einzelfällen“ vor dem Problem der Nutzung von „Anti-Forensik-
Werkzeugen“, darunter Software zum Überschreiben von Inhalten oder Be-
triebssystemen, die von Wechselmedien gestartet werden?

15. Über welche Kenntnisse verfügt die Bundesregierung mittlerweile zur Um-
setzung einer im „2015 Internet Organised Crime Threat Assessment“
(IOCTA) vorgetragenen Forderung von Europol, eine „zentrale Datenbank“
mit „VPN- und Proxy-Diensten“ anzulegen, und wo könnte diese angesiedelt
werden (Bundestagsdrucksache 18/7183)?

16. Wie viele Ersuchen zur Entfernung von Internetinhalten hat die „Meldestelle
für Internetinhalte“ bei Europol nach Kenntnis der Bundesregierung bereits
erhalten, und wie vielen der Ersuchen wurde nachgekommen (sofern mög-
lich, bitte nach den Phänomenen „Islamistischer Terrorismus/Extremismus“,
„Fluchthelfer“ und „hybride Bedrohungen“ differenzieren)?

17. Bei welchen Treffen oder welchem sonstigen Austausch des am 3. Dezem-
ber 2015 gestarteten „Forums der Internetdienstleister“ bzw. entsprechender
Unterarbeitsgruppen wurde das Thema der Verschlüsselung nach Kenntnis
der Bundesregierung behandelt, und wer trug dazu vor?

18. Was ist der Bundesregierung darüber bekannt, auf welchen zukünftigen Tref-
fen das Thema der Verschlüsselung behandelt werden soll?

19. Was ist der Bundesregierung mittlerweile über Pläne bekannt, die am Forum
teilnehmenden Internetanbieter dafür zu gewinnen, bei besonderen terroris-
tischen Vorkommnissen die Schaltung von Werbung gratis anzubieten, um
möglichst viele „Gegendiskurse“ produzieren zu können (Bundestagsdruck-
sache 18/7183)?

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20. Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus den Diskussionen
der Europol-Konferenz „Privacy in the digital age of encryption & anonmity
online“ über die „Balance“ von Freiheit und Sicherheit hinsichtlich der
Frage, ob es eher an Freiheit oder eher an Sicherheit fehlt, es also weiterer
oder keiner weiteren Möglichkeiten des Zugangs von Strafverfolgungsbe-
hörden zu verschlüsselten Kommunikationsinhalten oder verschleierten
Identitäten bedarf?

Berlin, den 30. Mai 2016

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

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