BT-Drucksache 18/867

Schutz vor den giftigen Verbrennungsprodukten des Autoklimaanlagen-Kältemittels R1234yf

Vom 18. März 2014


Deutscher Bundestag Drucksache 18/867
18. Wahlperiode 18.03.2014
Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ralph Lenkert, Herbert Behrens, Karin Binder, Heidrun Bluhm,
Eva Bulling-Schröter, Sabine Leidig, Frank Tempel, Alexander Ulrich,
Hubertus Zdebel und der Fraktion DIE LINKE.

Schutz vor den giftigen Verbrennungsprodukten des Autoklimaanlagen-
Kältemittels R1234yf

Das bisher von der deutschen Automobilindustrie zur Verwendung in Pkw-
Klimaanlagen favorisierte Kältemittel R1234yf der Firmen Honeywell und
DuPont hat sich nach Leckageversuchen von der Daimler AG als explosiv unter
Betriebsbedingungen von Kraftfahrzeugen gezeigt (vgl. www.daimler.com vom
25. September 2012). Mit Datum vom 21. Januar 2014 veröffentlichte die
Deutsche Umwelthilfe e. V. (DUH) auf ihrer Website die Ergebnisse der von
einem Tochterunternehmen der TÜV Nord AG in einem Tunnel durchgeführten
Brandversuche. Demnach genügt bereits ein brennendes Auto, um Konzentra-
tionen von 45 ppm Fluorwasserstoff in der Luft zu erzeugen. Nach Darstellung
der DUH wären darauf beruhende Gesundheitsschäden nicht ausheilbar. Im Ge-
gensatz zu den Versuchen von der Daimler AG wurde keine Leckage simuliert
und das Entzünden an heißen Motorteilen geprüft, sondern u. a. begutachtet, ob
ein typischer Kfz-Brand auf die Klimaanlage übergreift und dadurch das Kälte-
mittel R1234yf verbrennt.
Die deutsche Automobilindustrie hat sich aktuell größtenteils gegen R1234yf
als Kältemittel in Kfz-Klimaanlagen entschieden. Eine mögliche umweltfreund-
liche Alternative ist Kohlendioxid. Es besitzt jedoch den Nachteil, dass oberhalb
von 33 °C keine Verflüssigung mehr erfolgen kann und der energieintensive
Phasenübergang von gasförmig auf flüssig bei höheren Außentemperaturen
nicht nutzbar ist. Zur Kompensation müssen hohe Volumenströme des Mittels
und hohe Drücke von bis zu 150 bar eingesetzt werden. Die Bauform von Koh-
lendioxid-Kältemaschinen ist entscheidend anders als die herkömmlicher Kfz-
Klimaanlagen, die mit maximal 15 bar Druck und kleineren Volumenströmen ar-
beiten. Dagegen sind die Kältemaschinen für das bisher verwendete R134a und
R1234yf praktisch baugleich.
Nach Einschätzugen von Experten wird die Entwicklung einer Kohlendioxid-
Kältemaschine für Personenkraftwagen etwa drei Jahre benötigen. Es soll ein
Baukastensystem entworfen werden, mit dem praktisch beliebige Kfz-Typen
ausgestattet werden können. Auf diese Vorgehensweise hat sich insgesamt die
deutsche Automobilindustrie geeinigt (vgl. www.t-online.de vom 23. Januar
2014 „Deutsche Autohersteller entwickeln gemeinsam“).
Laut dem Sicherheitsdatenblatt von Honeywell vom 13. September 2013 ist
unter „6. MASSNAHMEN BEI UNBEABSICHTIGTER FREISETZUNG“ be-
schrieben, dass bereits bei unbeabsichtigter Freisetzung von R1234yf (kein
Brandfall), beispielsweise in einer Kfz-Werkstatt, ein vollständiger Schutzanzug

Drucksache 18/867 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
und ein umgebungsluftunabhängiges Atemschutzgerät zu tragen sind. Für den
Brandfall wird zusätzlich ausgeführt, dass die Umgebung zu räumen ist.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Zu welchen Ergebnissen kamen die deutschen Behörden bei ihrer Bewer-

tung von R1234yf im Rahmen ihrer Untersuchungen für das REACH-Ver-
fahren (REACH = Registration, Evaluation, Authorisation and Restriction
of Chemicals)?

2. Wie ist nach Kenntnis der Bundesregierung der Stand des Verfahrens zu
R1234yf bei der Europäischen Chemikalien Agentur (ECHA)?

3. Wenn das Verfahren bei der ECHA noch nicht abgeschlossen ist, was sind
nach Kenntnis der Bundesregierung die Gründe, und wann ist mit einem
Abschluss des Verfahrens zu rechnen?

4. Haben die Hersteller von R1234yf nach Kenntnis der Bundesregierung mit
juristischen Einwendungen versucht, Untersuchungen, die von der Euro-
päischen Chemikalienagentur angefordert wurden, zu verhindern (bitte
nach Art der juristischen Einwendungen und Stand des jeweiligen Verfah-
rens auflisten, sowie den daraus folgenden Konsequenzen für das REACH-
Verfahren)?

5. Wie viele der in der Bundesrepublik Deutschland zugelassenen Kraftfahr-
zeuge enthalten zum Stichtag 28. Februar 2014 das Kältemittel R1234yf
(bitte nach Bundesland, Anzahl der Fahrzeuge und Typ aufschlüsseln)?

6. Welche Normen bzw. technischen Richtlinien sind für Feuerwehren, Poli-
zei, Bundespolizei, Rettungsdienste, die Bundesanstalt Technisches Hilfs-
werk, Zoll, Bundesgrenzschutz und Bundeswehr für die Ausrüstung und das
Handeln im Einsatzfall in Hinsicht auf Verkehrsunfälle mit und ohne Brand
des Kältemittels R1234yf zu beachten (bitte nach Verantwortung für deren
Erstellung bzw. Aktualisierung durch Bund, Bundesländer oder andere Be-
hörden und Organisationen aufschlüsseln)?

7. Hat die Bundesregierung die in ihrer Verantwortung liegenden Normen bzw.
Technischen Richtlinien (vgl. vorherige Frage) gemäß den neu bekannt
gewordenen zusätzlichen Erfordernissen und Gefahren im Umgang mit
R1234yf angepasst?
Falls nein, bis wann plant die Bundesregierung die notwendigen Änderun-
gen, bzw. weshalb plant sie dies nicht?

8. Hat die Bundesregierung die Bundesländer und andere Behörden oder
Organisationen über den notwendigen Änderungsbedarf zu den in deren
Hoheit befindlichen Richtlinien und Vorschriften bezüglich der zusätzlichen
Gefahren durch R1234yf informiert?
Wenn nein, weshalb nicht?

9. Gewährleistet die bisher übliche Schutzausrüstung der Feuerwehren, Poli-
zei, Bundespolizei, Rettungsdienste, Bundesanstalt Technisches Hilfswerk,
des Zolls, des Bundesgrenzschutzes und der Bundeswehr in jedem Fall
einen sicheren Schutz vor den Verbrennungsprodukten von R1234yf, ins-
besondere von Fluorwasserstoff, im Falle von Unfällen, Bränden und Hava-
rien?

10. Käme es zu praktischen Nachteilen bei der Ausrüstung, insbesondere bei
Handhabbarkeit und Beweglichkeit, wenn die Ausrüstungen an die Gefah-
ren von R1234yf angepasst werden?

11. Um welchen Betrag würde sich eine Schutzausrüstung damit verteuern
(bitte um Schätzung)?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/867
12. Wie hoch schätzt die Bundesregierung die Anzahl der wegen R1234yf er-
forderlichen neuen persönlichen Schutzausrüstungen für die gesamte Bun-
desrepublik Deutschland ein (bitte nach Anzahl und Verantwortlichkeit der
Beschaffung aufschlüsseln)?

13. Wie schätzt die Bundesregierung für die Bundesrepublik Deutschland ins-
gesamt die Kosten, die für Anschaffungen von besonderen Schutzausrüs-
tungen für R1234yf getätigt werden müssen, ein (bitte nach Bund, Bundes-
ländern und Kommunen aufschlüsseln)?

14. Wie hoch schätzt die Bundesregierung die Kosten, die für die zusätzlichen
Sicherheitsvorkehrungen wegen R1234yf in Kfz-Werkstätten insgesamt in
der Bundesrepublik Deutschland nötig wären, ein?

15. Hält die Bundesregierung eine Überprüfung der Technischen Normen für
die Ausstattung von Tunneln, Tiefgaragen u. Ä. in Hinsicht auf toxische
Verbrennungsgase von R1234yf usw. für erforderlich?
Wenn nein, weshalb nicht?

16. Wird die Bundesregierung aufgrund der o. g. Ergebnisse der Brandversuche
der DUH eine Verpflichtung zur von außen gut sichtbaren Kennzeichnung
von Kraftfahrzeugen mit R1234yf, ähnlich der Umweltplakette, einführen?
Wenn nein, weshalb nicht?

17. Wird sich die Bundesregierung für eine solche Kennzeichnungspflicht auf
EU-Ebene einsetzen?
Wenn nein, weshalb nicht?

18. Welche Schlussfolgerungen und Konsequenzen zieht die Bundesregierung
aus der Meldung des Handelsblattes vom 6. August 2013 unter dem Titel
„EU-Kommission prüft Tests des KBA“, dass gemäß Schätzung des Weltver-
bandes der Automobilingenieure (SAE) in einem Sechstel der Pkw-Brand-
fälle durch R1234yf zusätzliche Gefahren für Insassen und Unbeteiligte
entstehen, gerade in Bezug auf die insgesamt ca. 25 000 Pkw-Brände in
Deutschland pro Jahr, sodass bei vollständiger Umstellung der Pkw-Flotte
auf R1234yf mehr als viertausendmal Insassen gefährdet sein könnten?

19. Hält die Bundesregierung es für sicher, dass allein durch Aufklärung über
die Risiken des Kältemittels R1234yf Verletzte und Todesfälle in Verbin-
dung mit dem Mittel vollständig auszuschließen sind, und wie begründet die
Bundesregierung ihre Haltung?

20. Erwägt die Bundesregierung aufgrund der Risiken ein deutschlandweites
Anwendungsverbot für R1234yf in ortsfesten und mobilen Kältemaschi-
nen?

21. Plant die Bundesregierung ein Verbot der Verwendung von R1234yf in
Klimaanlagen von Personenkraftwagen in der EU durchzusetzen?
Wenn nein, weshalb nicht?

22. Aufgrund welcher Gesetze, EU-Richtlinien, EU-Verordnungen und sons-
tiger Normen ließe sich gegebenenfalls ein Anwendungsverbot gegenüber
der EU durchsetzen, falls dies über das REACH-Verfahren nicht zu er-
reichen ist?

23. Rechnet die Bundesrepublik Deutschland mit Strafzahlungen aus dem Ver-
tragsverletzungsverfahren wegen der aktuellen Verwendung von R134a,
insbesondere des Daimler-Konzerns, in Personenkraftwagen?

Drucksache 18/867 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
24. Wie schätzt die Bundesregierung die Bedeutung sicherheitstechnischer und
lebensbedrohender Aspekte im o. g. Vertragsverletzungsverfahren ein?

25. Wird sich die Bundesregierung für eine Fristverlängerung der Verwendung
des bisherigen Kältemittels R134a bei der EU einsetzen, damit die Auto-
mobilindustrie ausreichend Zeit für die Einführung von Kohlendioxid-
Klimaanlagen erhält?

26. Wie schätzt die Bundesregierung die Möglichkeit der in der vorherigen
Frage genannten Fristverlängerung ein, und welche Kompensationen zur
Erreichung der Klimaschutzziele der EU sollten die Pkw-Hersteller aus
Sicht der Bundesregierung leisten, damit die Kohlendioxid-Äquivalenten-
Reduzierung, die durch die Richtlinie 2006/40/EG des Europäischen Parla-
ments und des Rates angestrebt war, anders erreicht wird?

Berlin, den 17. März 2014

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.